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Durchführung einer Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten

Ein Angeklagter wegen Beleidigung wehrt sich gegen seine Verurteilung zu einer Geldstrafe, doch das Oberlandesgericht Köln bestätigt das Urteil trotz seiner Abwesenheit in der Berufungsverhandlung. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Frage, unter welchen Umständen ein Angeklagter in einem Berufungsverfahren nicht persönlich anwesend sein muss. Die Entscheidung des Gerichts könnte wegweisend für ähnliche Fälle sein.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Der Fall betrifft die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten.
  • Der Angeklagte wurde zuvor vom Amtsgericht wegen Beleidigung verurteilt und hatte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
  • Im Berufungsverfahren erschien der Angeklagte nicht zur Hauptverhandlung, woraufhin ein Urteil in seiner Abwesenheit erfolgte und die Strafe erhöht wurde.
  • Der Angeklagte legte Revision ein und rügte unter anderem seine Abwesenheit als Verfahrensfehler.
  • Das Gericht entschied, dass die Revision unbegründet sei und das Urteil somit bestehen bleibt.
  • Die Entscheidung beruhte darauf, dass die Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß ausgeführt war und die rechtlichen Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung erfüllt waren.
  • Das Gericht stellte fest, dass eine Verhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.
  • Fehlende Anwesenheit des Angeklagten kann rechtens sein, wenn dieser ordnungsgemäß geladen wurde und keine triftigen Gründe für seine Abwesenheit vorliegen.
  • Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren nicht uneingeschränkt absolute Anwesenheit erfordert, sondern abhängig von den konkreten Umständen ist.
  • Ein Urteil in Abwesenheit kann zulässig sein, um eine Verzögerung des Verfahrens zu verhindern oder sicherzustellen, dass der Prozess dennoch fortgeführt wird.

Gericht erlaubt Berufungsverhandlung ohne Angeklagten anwesend

Das Recht auf ein faires Verfahren ist ein Grundpfeiler unserer Rechtsordnung. Dazu gehört selbstverständlich auch das Recht eines Angeklagten, an seiner Verhandlung teilzunehmen. Doch was passiert, wenn der Angeklagte nicht an der Hauptverhandlung erscheint? Kann die Verhandlung dann trotzdem durchgeführt werden? Grundsätzlich gilt: Eine Verhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten ist in der Regel nur dann zulässig, wenn dieser ordnungsgemäß geladen wurde und keine wichtigen Gründe für sein Fernbleiben vorliegen.

Diesen Grundsatz hält das Recht jedoch nicht in allen Fällen unbeirrt aufrecht. Denn es gibt Situationen, in denen die Durchführung einer Hauptverhandlung trotz Abwesenheit des Angeklagten unumgänglich ist. So kann beispielsweise der Angeklagte die Verhandlung bewusst verzögern und damit das Recht auf einen zügigen Prozess der anderen Prozessbeteiligten gefährden. Aber auch in Situationen, in denen der Angeklagte flüchtig ist oder sich absichtlich dem Strafprozess entzieht, kann eine Verhandlung ohne seine Anwesenheit erforderlich sein. Ob eine solche Verhandlung rechtmäßig ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

Um die Komplexität dieses Sachverhalts besser verstehen zu können, wollen wir uns im Folgenden einen konkreten Fall genauer ansehen.

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Der Fall vor Gericht


Berufungshauptverhandlung ohne Angeklagten durchgeführt

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil vom 8. November 2022 (Az. III-1 RVs 116/22) entschieden, dass eine Berufungshauptverhandlung auch ohne die Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden kann. Der Fall behandelt die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Köln vom 2. März 2022.

Der Angeklagte wurde ursprünglich vom Amtsgericht Köln wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil legte er Berufung ein. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Köln wurde das Urteil abgeändert und der Angeklagte unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer höheren Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.

Gegen das Berufungsurteil legte der Angeklagte Revision ein. Er rügte allgemein die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandete als Verfahrensfehler, dass er in der Berufungshauptverhandlung nicht anwesend gewesen sei.

Abwesenheit des Angeklagten in der Berufungsverhandlung

Das OLG Köln setzte sich in seinem Urteil ausführlich mit der Frage auseinander, ob die Durchführung der Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten rechtmäßig war. Dabei stellte das Gericht fest, dass der Verteidiger des Angeklagten dessen Anwesenheit in der Berufungsverhandlung für entbehrlich erklärt hatte. Der Angeklagte selbst hatte dem Gericht mitgeteilt, dass er aufgrund einer Erkrankung nicht erscheinen könne und bat um Verlegung des Termins.

Das Landgericht lehnte den Verlegungsantrag ab und führte die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durch. Es stützte sich dabei auf § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach die Berufung ohne den Angeklagten verhandelt werden kann, wenn dieser ausgeblieben ist und sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt hat.

Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Landgerichts

Das OLG Köln bewertete die Entscheidung des Landgerichts, die Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten durchzuführen, als rechtmäßig. Es sah keine Verletzung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gericht argumentierte, dass der Angeklagte durch seinen Verteidiger vertreten war und dieser die Anwesenheit des Angeklagten für entbehrlich erklärt hatte.

Zudem hatte der Angeklagte nach Auffassung des OLG sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt. Die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reichte dem Gericht nicht aus, um eine Verhandlungsunfähigkeit zu belegen. Es fehlten Angaben zur Art und Schwere der Erkrankung sowie zur voraussichtlichen Dauer der Verhandlungsunfähigkeit.

Konsequenzen für den Angeklagten

Die Revision des Angeklagten wurde vom OLG Köln als unbegründet verworfen. Das bedeutet, dass das Urteil des Landgerichts Köln rechtskräftig wird und der Angeklagte die verhängte Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 10 Euro zahlen muss.

Das OLG sah in der Durchführung der Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten keinen Verfahrensfehler. Es betonte, dass das Anwesenheitsrecht des Angeklagten kein absolutes Recht sei. Unter bestimmten Voraussetzungen, wie sie hier vorlagen, könne eine Verhandlung auch ohne den Angeklagten durchgeführt werden.

Die Schlüsselerkenntnisse


Das OLG Köln bestätigt, dass eine Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten rechtmäßig durchgeführt werden kann, wenn der Verteidiger dessen Anwesenheit für entbehrlich erklärt und das Fernbleiben nicht ausreichend entschuldigt ist. Das Anwesenheitsrecht des Angeklagten ist kein absolutes Recht. Diese Entscheidung stärkt die Effizienz des Strafverfahrens, betont aber auch die Bedeutung einer fundierten Entschuldigung bei Verhinderung.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Köln unterstreicht, dass Ihr Recht auf Anwesenheit in einer Gerichtsverhandlung nicht absolut ist. Auch wenn Ihre Teilnahme grundsätzlich erwünscht ist, kann unter bestimmten Umständen, wie beispielsweise bei einer nicht ausreichend begründeten Verhinderung, eine Verhandlung auch ohne Sie stattfinden. Wichtig ist, dass Sie in solchen Fällen durch einen Anwalt vertreten werden, der Ihre Interessen wahrnimmt. Sollten Sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer solchen Verhandlung haben, ist es ratsam, sich rechtlichen Beistand zu suchen, um Ihre Rechte zu wahren.


FAQ – Häufige Fragen

Im Strafverfahren ist die Anwesenheit des Angeklagten grundsätzlich unerlässlich. Doch was passiert, wenn der Angeklagte nicht zur Verhandlung erscheint? Welche Folgen hat dies für das Verfahren und welche Rechte hat der Angeklagte? Unsere FAQ-Rubrik beleuchtet diese komplexen rechtlichen Fragen und gibt Ihnen einen klaren Überblick über die relevanten Aspekte.


Unter welchen Umständen kann eine Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten durchgeführt werden?

Eine Berufungshauptverhandlung kann unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne die Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet § 329 der Strafprozessordnung (StPO).

Gemäß § 329 Abs. 2 StPO ist eine Verhandlung ohne den Angeklagten möglich, wenn dieser durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird. Der Verteidiger muss also eine schriftliche Vollmacht vorlegen, die ihn zur Vertretung des Angeklagten in der Berufungsverhandlung ermächtigt. In diesem Fall kann das Gericht die Hauptverhandlung durchführen, sofern die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist.

Eine weitere Möglichkeit besteht, wenn die Berufung von der Staatsanwaltschaft eingelegt wurde. Hier kann die Verhandlung auch dann stattfinden, wenn der Angeklagte nicht erscheint und seine Abwesenheit nicht genügend entschuldigt ist. Das Gericht muss in diesem Fall prüfen, ob triftige Gründe für das Fernbleiben des Angeklagten vorliegen.

Die persönliche Anwesenheit des Angeklagten ist entbehrlich, wenn das Gericht seine Mitwirkung für die Sachaufklärung nicht als notwendig erachtet. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn es nur um Rechtsfragen geht oder wenn die Beweisaufnahme ohne den Angeklagten durchgeführt werden kann.

Allerdings gibt es Grenzen für die Verhandlung in Abwesenheit. Wenn die Anwesenheit des Angeklagten für den Abschluss der Hauptverhandlung erforderlich ist, muss das Gericht gemäß § 329 Abs. 3 StPO die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anordnen. Dies gilt insbesondere, wenn eine persönliche Befragung des Angeklagten für die Wahrheitsfindung unerlässlich ist.

Wichtig zu beachten ist, dass das Gericht die Berufung des Angeklagten nicht mehr automatisch verwerfen darf, wenn er unentschuldigt nicht erscheint, aber ein bevollmächtigter Verteidiger anwesend ist. Diese Regelung wurde aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeführt, um das Recht auf ein faires Verfahren zu stärken.

In der Praxis bedeutet dies, dass ein Angeklagter, der eine Berufung eingelegt hat, nicht zwingend persönlich zur Verhandlung erscheinen muss, wenn er einen Verteidiger beauftragt hat. Er sollte jedoch bedenken, dass seine Anwesenheit in vielen Fällen vorteilhaft sein kann, um seine Sichtweise direkt darzulegen und auf Fragen des Gerichts zu antworten.

Für den Fall, dass die Anwesenheit des Angeklagten trotz Vertretung durch einen Verteidiger erforderlich ist, sieht § 329 Abs. 4 StPO vor, dass das Gericht den Angeklagten zu einem Fortsetzungstermin laden und sein persönliches Erscheinen anordnen kann. Erscheint der Angeklagte dann ohne genügende Entschuldigung nicht, kann das Gericht die Berufung verwerfen.

Diese Regelungen verdeutlichen das Bemühen des Gesetzgebers, einerseits die Durchführung von Berufungsverhandlungen zu ermöglichen, andererseits aber auch die Rechte des Angeklagten zu wahren und seine Verteidigungsmöglichkeiten zu sichern.

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Was bedeutet es, wenn der Verteidiger die Anwesenheit des Angeklagten für entbehrlich erklärt?

Wenn der Verteidiger die Anwesenheit des Angeklagten für entbehrlich erklärt, bedeutet dies, dass er die Berufungshauptverhandlung auch ohne die persönliche Anwesenheit seines Mandanten durchführen möchte. Diese Erklärung kann der Verteidiger gemäß § 329 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) abgeben, sofern er über eine schriftliche Vertretungsvollmacht verfügt.

Die Entbehrlichkeitserklärung ermöglicht es dem Gericht, die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten fortzuführen, ohne dass dessen Berufung automatisch verworfen wird. Dies stellt eine Ausnahme von der grundsätzlichen Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Hauptverhandlung dar.

Der Verteidiger übernimmt durch diese Erklärung eine besondere Verantwortung für die Wahrung der Rechte seines Mandanten. Er muss in der Lage sein, die Interessen des Angeklagten umfassend zu vertreten und alle relevanten Aspekte des Falles vorzubringen. Die Entscheidung über die tatsächliche Entbehrlichkeit der Anwesenheit liegt jedoch beim Gericht. Es prüft, ob die persönliche Anwesenheit des Angeklagten für die Wahrheitsfindung oder aus anderen Gründen erforderlich ist.

Für den Angeklagten hat die Entbehrlichkeitserklärung seines Verteidigers weitreichende Konsequenzen. Er verzichtet dadurch auf sein Recht, persönlich an der Verhandlung teilzunehmen und sich selbst zu äußern. Alle Erklärungen und Entscheidungen des Verteidigers während der Verhandlung sind für den Angeklagten bindend. Dies kann sowohl Vor- als auch Nachteile haben.

Ein Vorteil kann sein, dass der Angeklagte nicht persönlich erscheinen muss, was beispielsweise bei weiter Anreise oder beruflichen Verpflichtungen von Bedeutung sein kann. Zudem kann ein erfahrener Verteidiger in manchen Fällen die rechtlichen Interessen des Mandanten möglicherweise besser wahrnehmen als dieser selbst.

Andererseits besteht das Risiko, dass wichtige persönliche Eindrücke des Angeklagten vor Gericht verloren gehen. Seine unmittelbare Darstellung des Sachverhalts und eventuelle Reue können nicht direkt wahrgenommen werden. Dies kann sich nachteilig auf die Entscheidung des Gerichts auswirken.

Der Angeklagte sollte sich der Tragweite einer solchen Entbehrlichkeitserklärung bewusst sein. Er muss volles Vertrauen in die Fähigkeiten seines Verteidigers haben und diesem alle relevanten Informationen mitgeteilt haben. Eine enge Absprache zwischen Angeklagtem und Verteidiger über die Strategie in der Berufungsverhandlung ist unerlässlich.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Entbehrlichkeitserklärung des Verteidigers nicht bedeutet, dass der Angeklagte generell auf sein Anwesenheitsrecht verzichtet. Er kann jederzeit entscheiden, doch persönlich zu erscheinen. In diesem Fall muss das Gericht ihm Gelegenheit geben, an der Verhandlung teilzunehmen.

Für das Gericht ergibt sich aus der Entbehrlichkeitserklärung die Pflicht, besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten tatsächlich entbehrlich ist. Es muss alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und darf die Verhandlung nur fortsetzen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass die persönliche Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist.

Die Entbehrlichkeitserklärung des Verteidigers stellt somit ein wichtiges prozessuales Instrument dar, das die Durchführung von Berufungsverhandlungen erleichtern kann. Sie erfordert jedoch ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein seitens des Verteidigers und eine gründliche Abwägung durch das Gericht, um die Rechte des Angeklagten zu wahren und eine faire Verhandlung zu gewährleisten.

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Welche rechtlichen Anforderungen müssen erfüllt sein, damit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Entschuldigung für das Fernbleiben anerkannt wird?

Die rechtlichen Anforderungen an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Entschuldigung für das Fernbleiben von einer Berufungshauptverhandlung sind streng. Der Angeklagte muss einen behandlungsbedürftigen oder Arbeitsunfähigkeit bewirkenden krankheitswertigen Zustand darlegen. Dies kann durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erfolgen. Aus dieser muss jedoch nicht zwingend die Art der Erkrankung hervorgehen, solange keine Gründe vorliegen, die Bescheinigung als falsch oder offensichtlich unrichtig anzusehen.

Die Bescheinigung sollte konkrete Angaben zur Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit des Angeklagten enthalten. Ein bloßer Hinweis auf „gesundheitliche Gründe“ reicht in der Regel nicht aus. Vielmehr muss die Bescheinigung erkennen lassen, dass der Arzt den Patienten persönlich untersucht und einen krankheitswertigen Zustand festgestellt hat, der die Teilnahme an der Verhandlung unmöglich macht.

Das Gericht kann bei Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Bescheinigung weitere Nachweise verlangen. Dies kann etwa die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens sein. Der Angeklagte ist verpflichtet, an solchen Untersuchungen mitzuwirken und gegebenenfalls den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.

Bei kurzfristigen Erkrankungen unmittelbar vor dem Verhandlungstermin sollte der Angeklagte oder sein Verteidiger das Gericht unverzüglich informieren. Die schriftliche Bescheinigung kann dann nachgereicht werden. Wichtig ist, dass die Verhandlungsunfähigkeit für den konkreten Termin attestiert wird.

Eine rückwirkende Krankschreibung ist grundsätzlich möglich, wird von Gerichten aber kritisch gesehen. Sie sollte daher nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen und bedarf einer besonders sorgfältigen ärztlichen Prüfung und Dokumentation.

Bei längerfristigen oder chronischen Erkrankungen kann das Gericht ein ausführliches fachärztliches Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit anfordern. Dieses muss detailliert darlegen, warum und für welchen Zeitraum der Angeklagte nicht an der Verhandlung teilnehmen kann.

Stellt sich im Nachhinein heraus, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde, kann dies strafrechtliche Konsequenzen sowohl für den Angeklagten als auch für den ausstellenden Arzt haben. Der Tatbestand des Prozessbetrugs oder der Falschbeurkundung im Amt kommt in Betracht.

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit sind im Strafprozess tendenziell höher als im Zivilprozess. Dies liegt an der besonderen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten für die Wahrheitsfindung im Strafverfahren.

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Welche Rechte hat ein Angeklagter, wenn sein Antrag auf Terminverlegung abgelehnt wird?

Ein Angeklagter hat verschiedene Möglichkeiten, auf die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung zu reagieren.

Zunächst kann er Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung einlegen. Diese Beschwerde richtet sich an das nächsthöhere Gericht und muss unverzüglich nach Bekanntgabe der Ablehnung eingelegt werden. Das Beschwerdegericht prüft dann, ob die Ablehnung des Terminverlegungsantrags ermessensfehlerfrei erfolgt ist.

Wurde der Antrag auf Terminverlegung erst kurz vor dem angesetzten Termin gestellt, kann der Angeklagte auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Dies setzt voraus, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag früher zu stellen.

Erscheint der Angeklagte nicht zum Termin, kann er gegen ein in seiner Abwesenheit ergangenes Urteil Einspruch einlegen. Dabei muss er darlegen, dass er unverschuldet am Erscheinen gehindert war.

In der Berufungsinstanz besteht zudem die Möglichkeit, einen Verteidiger mit Vertretungsvollmacht zu beauftragen. Dieser kann dann in Abwesenheit des Angeklagten an der Verhandlung teilnehmen und dessen Rechte wahrnehmen.

Sieht der Angeklagte durch die Ablehnung der Terminverlegung seine Verfahrensrechte verletzt, kann er einen Befangenheitsantrag gegen den Richter stellen. Dies setzt voraus, dass die Ablehnung willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen erfolgt ist.

Als letztes Mittel bleibt dem Angeklagten die Verfassungsbeschwerde, wenn er durch die Ablehnung der Terminverlegung in seinen Grundrechten, insbesondere dem Recht auf rechtliches Gehör, verletzt wurde.

Bei all diesen Rechtsbehelfen muss der Angeklagte stets die gesetzlichen Fristen beachten. Zudem empfiehlt sich in der Regel die Hinzuziehung eines Verteidigers, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen.

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Welche Konsequenzen kann es haben, wenn eine Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten stattfindet?

Die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten kann erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Grundsätzlich besteht für den Angeklagten eine Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung, die sich aus §§ 230, 231 StPO ergibt. Eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Findet die Berufungshauptverhandlung unzulässigerweise ohne den Angeklagten statt, liegt ein Verfahrensfehler vor. Dies kann zur Aufhebung des Urteils im Rahmen einer Revision führen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten für ein faires Verfahren betont.

Eine wichtige Ausnahme bildet § 329 Abs. 2 StPO. Demnach kann die Hauptverhandlung auch ohne den Angeklagten stattfinden, wenn er durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird. Dies gilt jedoch nur, soweit die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist.

Ist die persönliche Anwesenheit des Angeklagten trotz Verteidigervertretung notwendig, muss das Gericht gemäß § 329 Abs. 4 StPO den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung laden und sein Erscheinen anordnen. Bleibt der Angeklagte diesem Fortsetzungstermin unentschuldigt fern, kann das Gericht die Berufung verwerfen.

Eine unzulässige Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten kann zudem einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darstellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht das Recht auf persönliche Teilnahme an der Hauptverhandlung als wesentlichen Bestandteil eines fairen Verfahrens.

Für den Angeklagten besteht bei einer Verhandlung in seiner Abwesenheit die Gefahr, dass wichtige Aspekte zu seiner Verteidigung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Seine persönliche Darstellung und Einlassung können für die Beweiswürdigung und Strafzumessung von entscheidender Bedeutung sein.

Ein Urteil, das in unzulässiger Abwesenheit des Angeklagten ergangen ist, kann unter Umständen im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angefochten werden. § 329 Abs. 7 StPO sieht hierfür eine Frist von einer Woche nach Zustellung des Urteils vor.

Bei einer Verurteilung in Abwesenheit können sich auch Probleme bei der Vollstreckung im EU-Ausland ergeben. Der EU-Rahmenbeschluss zu Abwesenheitsentscheidungen sieht vor, dass die Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils unter bestimmten Voraussetzungen verweigert werden kann.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Gerichte sehr sorgfältig prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorliegen. Verteidiger sollten genau dokumentieren, wenn ihr Mandant unzulässigerweise von der Verhandlung ausgeschlossen wurde, um dies im Rechtsmittelverfahren geltend machen zu können.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Verhandlungsunfähigkeit: Dieser rechtliche Zustand liegt vor, wenn ein Angeklagter aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Die Beurteilung erfolgt durch medizinische Sachverständige oder das Gericht selbst. Wichtig ist, dass nicht jede Erkrankung automatisch zur Verhandlungsunfähigkeit führt. Es muss eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit vorliegen, die eine aktive Teilnahme am Prozess unmöglich macht. Im vorliegenden Fall reichte die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Gericht nicht aus, um eine Verhandlungsunfähigkeit zu begründen.
  • Anwesenheitsrecht: Dieses fundamentale Recht des Angeklagten leitet sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ab und ist im Grundgesetz verankert (Art. 103 Abs. 1 GG). Es garantiert dem Angeklagten, bei seiner Verhandlung anwesend zu sein und sich zu den Vorwürfen äußern zu können. Allerdings ist dieses Recht nicht absolut. In bestimmten Fällen, wie im vorliegenden Urteil, kann eine Verhandlung auch ohne den Angeklagten stattfinden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (z.B. ordnungsgemäße Ladung, keine ausreichende Entschuldigung für das Fernbleiben).
  • Verfahrensfehler: Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn gegen wesentliche Vorschriften des Strafprozessrechts verstoßen wird. Dies kann beispielsweise die Verletzung von Verfahrensgarantien oder Formvorschriften sein. Im diskutierten Fall rügte der Angeklagte die Durchführung der Berufungshauptverhandlung in seiner Abwesenheit als Verfahrensfehler. Das OLG Köln sah darin jedoch keinen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit erfüllt waren.
  • Verlegungsantrag: Ein Verlegungsantrag ist ein formeller Antrag an das Gericht, einen bereits anberaumten Verhandlungstermin zu verschieben. Gründe können beispielsweise Terminkollisionen oder gesundheitliche Probleme sein. Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte einen solchen Antrag gestellt, der vom Landgericht abgelehnt wurde. Bei der Entscheidung über einen Verlegungsantrag wägt das Gericht das Interesse des Antragstellers gegen das öffentliche Interesse an einer zügigen Verfahrensdurchführung ab.
  • Rechtskraft: Ein Urteil wird rechtskräftig, wenn es nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann. Dies tritt ein, wenn die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist oder wenn das letztmögliche Rechtsmittel ausgeschöpft wurde. Im vorliegenden Fall wurde die Revision des Angeklagten vom OLG Köln verworfen, wodurch das Urteil des Landgerichts rechtskräftig wurde. Mit der Rechtskraft wird das Urteil endgültig und vollstreckbar.
  • Tagessatz: Der Tagessatz ist die Berechnungseinheit bei Geldstrafen im deutschen Strafrecht. Die Anzahl der Tagessätze spiegelt die Schwere der Tat wider, während die Höhe eines Tagessatzes sich am Nettoeinkommen des Verurteilten orientiert. Im diskutierten Fall wurde der Angeklagte zu 110 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Diese Strafe berücksichtigt sowohl die Schwere der Beleidigungen als auch die finanzielle Situation des Angeklagten.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt, unter welchen Umständen eine Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten durchgeführt werden kann, nämlich wenn dieser nicht erscheint und sein Fernbleiben nicht ausreichend entschuldigt ist. Im vorliegenden Fall berief sich das Landgericht auf diesen Paragraphen, da der Angeklagte der Verhandlung aufgrund einer Erkrankung fernblieb, diese aber nicht ausreichend nachweisen konnte.
  • Art. 103 Abs. 1 GG (Grundgesetz): Dieser Artikel garantiert das Recht des Angeklagten, in seiner Verhandlung gehört zu werden (Anwesenheitsrecht). Das OLG Köln prüfte, ob die Abwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung dieses Recht verletzt hat, kam aber zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war, da der Angeklagte durch seinen Verteidiger vertreten wurde und dieser auf die Anwesenheit verzichtet hatte.
  • § 338 Nr. 5 StPO: Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Revision. Eine Revision kann unter anderem dann eingelegt werden, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der Einfluss auf das Urteil haben kann. Der Angeklagte im vorliegenden Fall berief sich auf diesen Paragraphen und rügte, dass die Verhandlung ohne ihn durchgeführt wurde. Das OLG Köln wies diese Rüge jedoch zurück.
  • § 46 StPO (in Verbindung mit § 297 StPO): Diese Paragraphen regeln die Voraussetzungen für eine wirksame Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger. Im vorliegenden Fall war der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten, der auf dessen Anwesenheit in der Berufungshauptverhandlung verzichtete. Das OLG Köln erkannte diese Vertretung als wirksam an.
  • § 247 StPO: Dieser Paragraph regelt die Beweisaufnahme im Strafverfahren. Im vorliegenden Fall wurde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Angeklagten als Beweismittel vorgelegt, um sein Fernbleiben von der Verhandlung zu rechtfertigen. Das Gericht bewertete diesen Beweis jedoch als nicht ausreichend, da er keine Angaben zur Art und Schwere der Erkrankung sowie zur voraussichtlichen Dauer der Verhandlungsunfähigkeit enthielt.

Das vorliegende Urteil

OLG Köln – Az.: III-1 RVs 116/22 – Urteil vom 08.11.2022

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 2. März 2022 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Köln hat den Angeklagten am 26. Mai 2021 wegen Beleidigung in zwei Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Köln das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu der Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt worden ist.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der dieser allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt und als Verletzung des Verfahrensrechts beanstandet, dass er in der Hauptverhandlung nicht anwesend gewesen sei.

II.

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1.

Die Verfahrensrüge des § 338 Ziff. 5 StPO ist bereits nicht in zulässiger Weise ausgeführt.

a)

Ihr liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

Für den Angeklagten hatte sich im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 29.
[…]

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Oktober 2021 Rechtsanwalt A als Verteidiger bestellt und angekündigt, in Kürze eine Vollmacht nachreichen zu wollen. Mit Beschluss vom 10. November 2021 ist er auf seinen Antrag zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vom 2. März 2022 war der Angeklagte nicht anwesend. Die Berufungshauptverhandlung ist durchgeführt worden, nachdem der Verteidiger eine Vollmacht vom 27. Oktober 2021 vorgelegt hatte.

b)

Die Rüge genügt nicht den aus § 344 Abs. 2 S. 2 StPO sich ergebenden Begründungsanforderungen.

aa)

Richtig ist zwar, dass ohne den Angeklagten eine Sachverhandlung nicht durchgeführt werden durfte. Mit der Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger endet nämlich – entsprechend § 168 BGB – das Mandat. Bei fortbestehendem Willen des Angeklagten, sich von dem nunmehrigen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, ist die Erteilung einer neuen, den Anforderungen des § 329 StPO genügenden Vollmacht vonnöten (SenE v. 15.04.2016 – III-1 RVs 55/16 -; SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; SenE v. 27.08.2021 – III-1 RVs 124/21 -). An einer solchen, nach Pflichtverteidigerbestellung erfolgten Bevollmächtigung fehlt es hier. Der Pflichtverteidiger durfte daher den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nicht vertreten; seine Anwesenheit war nicht deswegen entbehrlich, weil er wirksam vertreten war.

bb)

Dieser Umstand für sich genommen begründet freilich die erfolgreiche Rüge des § 338 Ziff. 5 StPO noch nicht.

(1)

§ 338 Ziff. 5 StPO sichert die Einhaltung derjenigen Vorschriften ab, die das Anwesenheitsrecht des Angeklagten, seine Teilnahme an der (Berufungs)Hauptverhandlung garantieren – namentlich hier die Vorschrift des § 230 Abs. 1 StPO (MüKo-StPO-Knauer/Kudlich, § 338 Rz. 84 m. N.). Die Vorschriften über die Anwesenheit des Angeklagten ihrerseits dienen der Wahrung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und gewährleisten seine allseitige und umfassende Verteidigung (Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 230 Rz. 3). Eine Verhandlung ohne den Angeklagten birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils (vgl. SenE v. 05.10.2010 – III-1 RVs 179/10 -; SenE v. 21.06.2011 – III-1 RVs 145/11 -; SenE v. 22.11.2011 – III-1 RVs 275/11 -; SenE v. 12.03.2013 – III-1 RVs 21/13; SenE v. 06.03.2020 – III-1 RVs 38/20 -).

(2)

Hätte die Berufungsstrafkammer aus dem Umstand, dass die Pflichtverteidigerbestellung nach Erteilung der Vollmacht erfolgt war, die zutreffenden prozessualen Konsequenzen gezogen, hätte sie die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO ohne weitere Sachprüfung als unbegründet verwerfen müssen.

(3)

Der oben skizzierte Zweck des § 338 Ziff. 5 StPO würde in sein Gegenteil verkehrt, wollte man annehmen, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift durch die Verfahrensweise der Berufungsstrafkammer erfüllt würden. Denn dadurch, dass die Berufungsstrafkammer in eine Sachverhandlung eingetreten ist, ist dem Angeklagten ein Mehr an rechtlichem Gehör zugewachsen, als dies im Falle der Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 StPO der Fall gewesen wäre. Der mit einer Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger gibt nämlich Erklärungen so ab, als rührten diese vom Angeklagten selbst her (s. nur OLG Hamm B. v. 24.11.2016 – 5 RVs 82/16 = BeckRS 2016, 111318 Tz. 19). Er kann damit – wie der Angeklagte selbst im Falle seiner Anwesenheit – Einfluss auf den Gang der Berufungshauptverhandlung und die Entscheidung des Gerichts nehmen.

Diese schon generell gegebene Möglichkeit der Einflussnahme aufgrund der Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch den – so (also über die bloße Verteidigerstellung hinaus) hierzu freilich nicht ermächtigten – Verteidiger wird im vorliegenden Fall umso mehr sinnfällig, als die Berufungsstrafkammer eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vorgenommen hat, die zugunsten des Angeklagten zu einer straffen Zusammenziehung der Einzelstrafen geführt hat und zu der es im Falle der Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 StPO nur im nachträglichen Beschlussverfahren gemäß § 460 StPO – mit ungewissem Ausgang – hätte kommen können.

Die prozessordnungswidrige Verfahrensweise der Berufungsstrafkammer hat hier also im Ergebnis dazu geführt, dass der Angeklagte nicht nur potentiell, sondern auch tatsächlich bessergestellt worden ist, als er gestanden hätte, hätte die Berufungsstrafkammer aus der zwischenzeitlichen Pflichtverteidigerbestellung die zutreffenden Konsequenzen gezogen.

(4)

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Reichweite der absoluten Revisionsgründe des § 338 StPO dann einzuschränken sein kann, wenn ein Beruhen des Urteils auf der Rechtsverletzung denkgesetzlich ausgeschlossen ist. Das wird für den Fall des § 338 Ziff. 5 StPO etwa dann angenommen, wenn die Abwesenheit einen nur unwesentlichen Teil der Hauptverhandlung betrifft (BGH NStZ 2011, 233).

Von einem im strengen Sinne denkgesetzlichen Ausschluss des Beruhens wird man im vorliegenden Fall nicht ausgehen können. Dass im Falle prozessordnungsgemäßen Vorgehens der Berufungsstrafkammer zu erlassende Verwerfungsurteil hätte nämlich dann nicht ergehen dürfen bzw. hätte mit der Revision oder dem Antrag auf Wiedereinsetzung dann erfolgreich angegriffen werden können, wenn – etwa – der Angeklagte genügend entschuldigt gewesen wäre. Das hätte ihm gegebenenfalls eine Sachverhandlung nunmehr in seiner Anwesenheit eröffnet. Wäre von einer solchen Sachlage auszugehen, würde das in Abwesenheit des Angeklagten ergangene Sachurteil auch zu seinem Nachteil auf dem Übergehen der nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung beruhen können.

Zu der danach inmitten stehenden Frage, was geschehen wäre, hätte die Berufungsstrafkammer auf die zwischenzeitliche Pflichtverteidigerbestellung und die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen hingewiesen, schweigt die Revisionsbegründung indessen. Grundsätzlich ist der Revisionsführer zwar zu Ausführungen zur Beruhensfrage nicht gehalten (BGH NStZ 2013, 536). Hier verhält es sich jedoch anders: So wie sich das Verfahrensgeschehen nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung darstellt, gelten die vorstehend dargestellten Überlegungen uneingeschränkt. Wollte man zu einer abweichenden Sichtweise gelangen, bedürfte es Vortrag, der nach Lage der Dinge ausschließlich aus der Sphäre des Angeklagten stammen könnte und dann eben – ausnahmsweise – die Frage beträfe, ob das angefochtene Urteil auf der prozessordnungswidrigen Verfahrensweise der Berufungsstrafkammer beruht.

2.

Die Sachrüge ist – wie in der Revisionshauptverhandlung erörtert – unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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