AG Villingen-Schwenningen, Az.: 6 Cs 56 Js 2827/18, Beschluss vom 03.07.2018
Der Erlass des Strafbefehls vom 14.5.2018 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft hat am 6.4.2018 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeklagten beantragt. Dieser Strafbefehl wurde erlassen und dem Angeklagten am 5.5.2018 zugestellt. Mit Antrag vom 14.5.2018 erklärte nunmehr die Staatsanwaltschaft die Rücknahme des Strafbefehlsantrags vom 6.4.2018 und zugleich den Antrag auf Erlass eines neuen Strafbefehls, welcher sich in angeklagter Tat Z. 1 mit dem Sachverhalt des erlassenen Strafbefehls deckte.
II.
Der Erlass des Strafbefehls wird gemäß § 408 Abs. 2 S. 1 StPO abgelehnt.
Dem Erlass des Strafbefehls steht anderweitige Rechtshängigkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 StPO entgegen. Die Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls vom 6.4.2018, zugestellt am 5.5.2018, führt nicht zu einem Wegfall der anderweitigen Rechtshängigkeit – die Rücknahme ist unwirksam.
Eine Rücknahme der Anklage ist gemäß § 156 StPO nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Dies gilt auch für das Strafbefehlsverfahren. Ein anderes ergibt sich nicht aus § 411 Abs. 3 StPO.
Der Erlass des Strafbefehls steht der Eröffnung des Hauptverfahrens bei einer Anklage gleich (OLG Zweibrücken, Urteil vom 25.4.1986 = MDR 1987, 164; noch offengelassen BGH, Beschluss vom 10. 7. 1959 – 2 ARs 86/59 = NJW 1959, 1695, 1696; genauso Mayer, NStZ 1992, 605). Vergleichbar mit der Eröffnung des Hauptverfahrens bei einer Anklage wird mit Erlass des Strafbefehls durch das Gericht geprüft, inwieweit überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit vorliegt und damit, ob es per se das Verfahren durchführen möchte.
Der Erlass des Strafbefehls entzieht die Dispositionsbefugnis über den Strafbefehl zugleich der Staatsanwaltschaft und überträgt diese auf das Gericht (Mayer, NStZ 1992, 605 mwN; Meyer-Gossner/Schmitt/Meyer-Gossner § 411 Rn. 8 mwN; KK-StPO/Maur § 411 Rn. 22; a.A. BeckOK StPO/Temming § 411 Rn. 9). § 411 Abs. 3 StPO regelt hiervon keine Abweichung.
§ 411 Abs. 3 StPO findet erst Anwendung, nachdem Einspruch eingelegt worden ist (Mayer, NStZ 1992, 605 mwN; Meyer-Gossner/Schmitt/Meyer-Gossner § 411 Rn. 8 mwN; KK-StPO/Maur § 411 Rn. 22; a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.1991 – 1 Ws 81/91 = NStZ 1991, 602; BeckOK StPO/Temming § 411 Rn. 9). Dies ergibt eine Auslegung der Norm.
Der Wortlaut ist einer weiten wie einer engen Auslegung gegenüber offen. Hier heißt es allein: „Die Klage [kann] bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug zurückgenommen werden.“
Gegen eine weite Auslegung und für eine Anwendung allein auf den Fall nach Einspruchseinlegung spricht allerdings die Systematik der Norm. § 411 Abs. 1 S. 1 StPO beschäftigt sich mit dem Fall der Einspruchseinlegung. § 411 Abs. 1 S. 2 StPO thematisiert den Fall der Anberaumung einer Hauptverhandlung – hierfür präzisiert § 411 Abs. 2 StPO Anforderungen an die Vertretung. § 410 StPO, die der Regelung vorgehende Norm, regelt Form und Frist des Einspruchs. Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 411 Abs. 3 S. 2 StPO. Dieser erklärt § 303 StPO für anwendbar. Es ist aber nicht so, dass deswegen § 411 Abs. 3 S. 1 StPO in der vorliegenden Auslegung keinen Anwendungsbereich hätte – zwischen Einspruchseinlegung und Hauptverhandlung findet sich ein weiterer Zeitraum, in dem § 411 Abs. 3 StPO Anwendung findet.
Auch der Telos der Norm spricht für die enge Auslegung. § 411 Abs. 3 S. 1 StPO stellt die Durchführung einer Hauptverhandlung insoweit zur Disposition des Angeklagten, als dieser seinen Einspruch zurücknehmen kann. Dieser Freiheit des Angeklagten soll eine Möglichkeit der Staatsanwaltschaft gegenüberstehen, ihrerseits das Verfahren zum Abschluss zu bringen. Insoweit weicht das Gesetz von der Konzeption des § 156 StPO ab – bei einer Anklage steht es eben gerade nicht zur Disposition des Angeklagten, ob eine Hauptwandlung stattfindet, so dass es auch nicht zur Disposition der Staatsanwaltschaft stehen kann. Nur soweit die Dispositionsbefugnis gleich läuft ist der Gesetzeszweck erfüllt.
Der Auslegung steht auch nicht entgegen, dass es somit zu drei Zeiträumen kommt, die mit einem Wechsel der Dispositionsbefugnis verbunden sind (a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.1991 – 1 Ws 81/91 = NStZ 1991, 602). Dieses gerade die Konzeption des Gesetzgebers. Dass es womöglich in manchen Verfahren „sachdienlicher“ erscheinen mag, durch Rücknahme des Strafantrags und Neubeantragung Fehler zu beseitigen steht dem nicht entgegen. Praktikabilität kann den Schutz der Rechtskraftwirkung, den ein Strafbefehl, gegen den kein Einspruch eingelegt worden ist, gemäß § 410 Abs. 3 StPO in vollem Umfange entfaltet, nicht überspielen. Um nach Einspruchsfrist Streitigkeiten über die Rechtskraft von Strafbefehlen zu vermeiden ist es nachgerade zwingend, der Staatsanwaltschaft eine entsprechende Dispositionsbefugnis abzusprechen. Dies gilt jedenfalls nach Zustellung des Strafbefehls (insoweit liegt ein anderer Sachverhalt als im Fall des OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.1991 – 1 Ws 81/91 = NStZ 1991, 602) vor.