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Politischer Kommentar auf Instagram – strafbare Beleidigung

OLG Stuttgart – Az.: 4 Rv 26 Ss 366/22 – Beschluss vom 19.07.2022

In dem Strafverfahren wegen Beleidigung hat das Oberlandesgericht Stuttgart – 4. Strafsenat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten am 19. Juli 2022 gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 10. Februar 2022 aufgehoben.

2. Der Angeklagte wird freigesprochen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Das Amtsgericht Reutlingen verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 10. Februar 2022 wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30,00 €.

Die Verurteilung beruhte auf folgenden Sachverhaltsfeststellungen:

,,Am 29.07.2021 beleidigte der Angeklagte über einen Kommentar auf der Plattform Instagram – vermutlich von seiner Wohnanschrift pp. unter Achalm aus – den Landtagsabgeordneten der Partei AfD pp. mit den Worten „Wer braucht den Nazi in pp???“, um seine Missachtung auszudrücken. Der Post des Angeklagten erfolgte unter einem von pp. geposteten Bildbeitrag samt Text, welcher den Geschädigten pp. mit dem Bürgermeister der Stadt pp. Herrn pp. vor einer Luftbildaufnahme der Gemeinde pp. zeigte. Das pp. zeigende Bild wurde durch einen Text wie folgt ergänzt: „Unterwegs im Wahlkreis: Heute war ich im Rahmen meines Antrittsbesuchs bei pp. Bürgermeister pp. zu Gast. Thema war dabei vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse u.a. die Vorbereitung auf den Katastrophenfall. In diesem Zusammenhang habe ich Herrn pp. auch meine anstehende parlamentarische Initiative zur Förderung von Regenwassernutzungsanlagen vorgestellt, mit welchen — neben anderen Effekten — die Auswirkungen örtlich extrem starker Niederschläge abgemildert werden können. Über seine positive Rückmeldung hierzu habe ich mich sehr gefreut. Auch ansonsten war das Gespräch höchst interessant und ich war beeindruckt, wie gut pp. industriell aufgestellt ist. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, tiefe Eindrücke in die Lage der Gemeinde gewinnen zu können und Herrn pp. kennenlernen zu dürfen.“ pp. #AfD

Direkt unter diesem Eintrag bzw. Post des Bildes war die Äußerung des Angeklagten gepostet. Hierunter befindet sich ein Icon mit einem Herzsymbol und der Unterschrift „gefällt 21 Mal“.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, das Rechtsmittel durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Politischer Kommentar auf Instagram - strafbare Beleidigung
(Symbolfoto: wichayada suwanachun/Shutterstock.com)

1. Bei einer Beleidigung handelt es sich um die Kundgabe von Nichtachtung oder Missachtung gegenüber einem anderen in der Weise, dass dem Betroffenen — sei es durch Äußerung eines herabsetzenden Werturteils unmittelbar ihm gegenüber, sei es durch Äußerung eines solchen in Bezug auf diesen einer dritten Person gegenüber — der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich uneingeschränkter Ehr- und Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. November 2019 — 2 Rv 34 Ss 714/19).

Ob dies der Fall ist, ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Situation, in der es zu der Äußerung kam, der Art der Beziehung, die zwischen den Beteiligten besteht, sowie der Milieuzugehörigkeit des Tatverdächtigen durch Bestimmung des objektiven Sinngehalts der Äußerung zu ermitteln (OLG Karlsruhe aaO). Dabei ist stets das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu beachten. Unter dessen Schutz fallen Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (BVerfG, NJW 2017, 1460).

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 185, § 193 StGB gehören. Bei der Anwendung dieser Vorschriften ist aber das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt (BVerfG aaO). Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die im Raum stehende Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits. Das Abwägungserfordernis gilt in aller Regel selbst bei Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen (BVerfG, NJW 2020, 2631, 2632).

Bei Äußerungen gegenüber Politikern ist zudem die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, wonach die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (EGMR, Urteil vom 14. März 2013 – 26118/10). Gleichwohl ist das Ergebnis der Abwägung verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 99, 185, 196).

Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der

Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende

Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung, vielmehr können auch polemische und verletzende Formulierungen oder sogar herabwertende Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juni 2019 — 1 BvR 2433/17, juris Rn. 16).

Einen schmähenden Charakter nimmt eine Äußerung hiernach erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern — jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik — die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, NJW 2017, 1460, 1461 mwN). Wesentliches Merkmal der Schmähung ist dabei eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Mai 2018 – 1 BvR 1149/17, juris Rn. 7).

2. Daran gemessen begegnet das angefochtene Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Äußerung „Wer braucht den Nazi in pp.??“ um ein Werturteil handelt. Eine Tatsachenbehauptung scheidet demgegenüber aus, da der Begriff „Nazi“ keine Verbindung zu einer genau definierten Personengruppe ermöglicht und konkretisierende Informationen fehlen, die auf ihre Wahrheit hin überprüft werden könnten (OLG Dresden, Beschluss vom 26. März 2019 — 4 U 184/19, juris Rn. 10).

b) Eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Schmähung oder Formalbeleidigung ist mit der Äußerung jedoch nicht verbunden. Der Begriff „Nazi“ lässt schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehalt verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen können (BVerfG, NJW 1992, 2013, 2014); inzwischen handelt es sich gewöhnlich um eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung (OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015 — 4 U 101/15, juris Rn. 107; LG Kassel, Urteil vom 28. Oktober 2021 — 16 0 181/21, juris Rn. 34). Entscheidend ist jedoch stets der Einzelfall.

Es verbieten sich daher allgemeine Aussagen dahingehend, dass die Bezeichnung einer anderen Person als „Nazi“ stets oder niemals den Tatbestand der erfülle. Vielmehr ist der Aussagegehalt des Begriffs abhängig von dem jeweiligen Gebrauch, insbesondere vom Gesamtzusammenhang des Textes, in dessen Rahmen er verwendet wird.

c) Vorliegend hat das Amtsgericht vorliegend schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht allein auf eine persönliche Diffamierung des Anzeigeerstatters abzielte, sondern jedenfalls auch eine Bewertung seiner politischen Haltung und Gesinnung enthielt vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zu einer von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung im rechten Spektrum verorteten Partei, die zudem jedenfalls in Teilen bereits zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als extremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Denn die Äußerung erfolgte gerade nicht im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung, sondern vor dem Hintergrund der politischen Tätigkeit des Anzeigeerstatters, die dieser, womit sich das Amtsgericht ebenfalls hätte auseinandersetzen müssen, durch das Hochladen seines Beitrags auf Instagram zudem selbst öffentlich machte.

Der gesamte Beitrag bezog sich ersichtlich auf die politische Arbeit des Anzeigeerstatters als Landtagsabgeordneter, handelt es sich doch bei Wahlkreisbereisungen um eine klassische Abgeordnetentätigkeit. Überdies hat der Anzeigeerstatter in seinem Beitrag ausdrücklich auf eine von ihm vorbereitete parlamentarische Initiative hingewiesen und zudem durch die Verwendung des Hashtags „#AfD“ einen unmittelbaren Bezug zu seiner Partei hergestellt. Mithin hatte die Äußerung des Angeklagten keinen Bezug zur Intimsphäre oder Privatsphäre, sondern betraf das politische Leben, also lediglich die Sozialsphäre.

Zudem hat das Amtsgericht nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen, dass sich die Situation von Politikern, die bewusst in die Öffentlichkeit treten, von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakten übertragen wurde, unterscheidet (vgl. BVerfG, Nichtannahme-beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2397/19, juris Rn. 31). Einem im öffentlichen Meinungskampf stehenden Politiker sind grundsätzlich härtere Äußerungen zuzumuten, auch wenn er kein Regierungsamt bekleidet.

d) Weiter hat das Amtsgericht die Äußerung des Angeklagten zu sehr auf den Begriff „Nazi“ verengt und dabei außer Acht gelassen, dass die vollständige Formulierung „Wer braucht den Nazi intimer“ auch als Kritik sowohl an der Wahlkreisbereisung selbst als auch daran, dass der Anzeigeerstatter vom Bürgermeister der Gemeinde pp. empfangen wurde, verstanden werden kann, was ebenfalls gegen eine reine Schmähung spricht.

e) Soweit das Amtsgericht meint, dass auch bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Anzeigeerstatters „klar und deutlich“ eine strafbare Beleidigung gegeben sei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

aa) Wie bereits dargelegt bezog sich die verfahrensgegenständliche Äußerung auf politische Aktivitäten des Anzeigeerstatters, die dieser bewusst öffentlich gemacht hat, und nicht auf dessen Privatleben. Dass zwischen ihm und dem Angeklagten keine persönliche oder emotionale Beziehung bestand, vermag eine Strafbarkeit der verfahrensgegenständlichen Äußerung nicht zu begründen.

 

Soweit das Amtsgericht auf das Fehlen einer solchen Beziehung abstellt, verkennt es die Bedeutung und die Reichweite der Meinungsfreiheit. Verlangte man nämlich eine derartige Verbindung, würde dies die Grenzen zulässiger Kritik an Amts- und Mandatsträgern in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise einschränken, dürften doch die wenigsten Bürger in einer persönlichen oder emotionalen Beziehung zu der kritisierten Person stehen. Den Bürgern muss es aber möglich sein, straflos und ohne Furcht vor Strafe zum Ausdruck zu bringen, dass sie eine bestimmte Person für ungeeignet zur Führung der von ihr bekleideten politischen Ämter halten (BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635). Dies gilt unabhängig von einer persönlichen Verbindung zwischen den beteiligten Personen.

bb) Auch der Umstand, dass der Beitrag des Anzeigeerstatters sich nicht mit politisch besonders umstrittenen Themen, sondern mit eher alltäglichen kommunalpolitischen Angelegenheiten befasste, begründet eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht. Denn auch im Zusammenhang mit solchen politischen Aktivitäten sind polemische und überspitzte Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, zumal sich Kritik an Politikern auch generell gegen deren Zugehörigkeit zu einer Partei, die der Äußernde für nicht demokratisch oder gar für extremistisch hält, richten kann und darf, ohne dass eine solche Einschätzung einer gerichtlichen Richtigkeitskontrolle unterworfen wäre. Der Umstand, dass das Amtsgericht keine Anhaltspunkte für eine Verortung des Anzeigeerstatters im rechten politischen Spektrum zu erkennen vermochte, schränkt daher die Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht ein.

cc) Zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führt schließlich auch, dass der Kommentar des Angeklagten zu dem Instagram-Beitrag des Anzeigeerstatters keine politische Diskussion in Gang setzte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greift unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (OLG Karlsruhe aa0). Ob der Äußernde eine inhaltliche Debatte zu bestimmten Themen oder auch Personen anstoßen oder lediglich seinen Unmut äußern will, spielt daher keine Rolle.

Zu beachten ist ferner, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich differenzierte Äußerungen schützt, sondern Kritik gerade auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, NJW 1992, 1439). Überdies dürfen Bürger gegenüber Amtsträgern auch harsche Fundamentalkritik üben, und zwar unabhängig davon, ob sie dieses negative Urteil näher begründen können und ob es weniger drastische Ausdrucksformen gegeben hätte (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635).

3. Nach alledem ist der Angeklagte freizusprechen. Der Senat kann gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst in der Sache entscheiden, da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zweifelsfrei ergeben, dass sich der Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat und weitere Aufschlüsse, die zu einer Verurteilung führen könnten, auch unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender Beweiswürdigung nicht zu erwarten sind (KK-StP0/Gericke, 8. Aufl., § 354, Rn. 3). lnsbesondere kann der Senat angesichts der zahlreichen für die Meinungsfreiheit streitenden Ab-wägungsgesichtspunkte ausschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Fest-stellungen getroffen werden könnten, aus denen eine derart schwerwiegende Herabwürdigung des Anzeigeerstatters hervorginge, aufgrund derer die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen könnte.

Die Entscheidung zu den Kosten des Verfahrens und den notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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