AG Frankfurt (Oder) – Az.: 412 Ds 273 Js 19174/20 (2/21) – Beschluss vom 19.08.2021
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten mit der Anklageschrift vom 14.12.2020 vor, in der Zeit vom 26.06.2017 bis 12.12.2018 in E. und andernorts in 24 Fällen die ihr durch behördlichen Auftrag eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder andere zu verpflichten, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen gehabt habe, einen Nachteil zugefügt zu haben, wobei sie gewerbsmäßig gehandelt habe; Vergehen der Untreue in besonders schwerem Fall in 24 Fällen nach § 266 Abs. 1 und Abs. 2, § 263 Abs. 3 Nr. 1, § 53 des Strafgesetzbuches (StGB).
Ihr wird im Einzelnen Folgendes zur Last gelegt: „Die Angeklagte war vom 18.05,2017 bis zum 11.12.2018 gerichtlich bestellte Betreuerin der Geschädigten F. Zu ihren Aufgabenkreisen gehörten unter anderem die Vertretung gegenüber Behörden, die Vermögensvorsorge sowie die Vertretung in Wohnungsangelegenheiten. In dieser Eigenschaft und als über das Girokonto der Geschädigten F. mit der IBAN pp. bei der Sparkasse pp. Verfügungsberechtigte, veranlasste die Angeklagte von deren Konto, in Kenntnis ihrer Vermögensbetreuungspflicht, zahlreiche Barauszahlungen an sich selbst, welche jeweils nicht im Zusammenhang mit der Betreuung standen, sondern die sie jedenfalls in Höhe von 3,950 € für sich vereinnahmte. Im Einzelnen: 26.06.2017, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 30.06.2017, Geldautomat pp., Betrag: 100 €; 26.07.2017, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 07.08.2017, Geldautomat pp., Betrag: 500 €; 14.08.2017, Geldautomat,,,, Betrag: 50 €; 23.08.2017, Geldautomat pp., Betrag: 40 €; 29.09.2017, Geldautomat pp., Betrag: 250 €; 09.10.2017, Geldautomat pp., Betrag: 500 €; 27.10.2017, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 06.11.2017, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 09.11.2017, Geldautomat pp., Betrag: 200 €; 27.11.2017, Geldautomat pp., Betrag: 10 €; 04.12.2017, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 17.05.2018, Geldautomat pp., Betrag: 250 €; 06.06.2018, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 11.06.2018, Geldautomat pp., Betrag: 100 €; 25.06.2018, Geldautomat pp., Betrag: 500 €; 03.09.2018, Geldautomat pp., Betrag: 250 €; 10.09.2018, Geldautomat pp., Betrag: 50 €; 18.10.2018, Geldautomat pp., Betrag: 250 €; 08.11.2018, Geldautomat pp., Betrag: 100 €; 22.11.2018, Geldautomat pp., Betrag: 100 €; 30.11.2018, Geldautomat pp., Betrag: 250 €; 12.12.2018, Geldautomat pp., Betrag: 500 €.“ Frau F. ist am 23.03.2021 verstorben.
Die Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen.
II.
1. Verfahrenshindernis
Das Verfahren war nach § 206a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) einzustellen, weil sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis herausgestellt hat. Es fehlt an der Verfahrensvoraussetzung eines rechtzeitig gestellten Strafantrages.
a) Strafantragserfordernis
Gemäß § 266 Abs. 2 in Verbindung mit § 247 StGB wird unter anderem in Fällen, in denen durch eine Untreue ein Angehöriger geschädigt wird, die Tat nur auf Antrag verfolgt. Angehörige im Sinne dieser Vorschrift sind nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, unter anderem, Verwandte in gerader Linie. Hiervon ausgehend bedarf es für eine Verfolgung der Angeklagten in vorliegender Sache eines Strafantrages. Die Angeklagte war zu den in Rede stehenden Tatzeiten mit der Geschädigten F. verwandt, was sich insbesondere aus dem Beschluss des Betreuungsgerichts vom 17.05.2017 über die erstmalige Bestellung der Angeklagten zur ehrenamtlichen Betreuerin ergibt; das Betreuungsgericht hat in den Gründen der Entscheidung festgestellt, dass die Angeklagte E. der Frau F. ist.
b) Befugnis zur Strafantragstellung
Ist die Tat nur auf Antrag verfolgbar, so kann nach § 77 Abs. 1 StGB, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, der Verletzte den Antrag stellen. Ist der Antragsberechtigte geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, so können nach § 77 Abs. 3 StGB der gesetzliche Vertreter in den persönlichen Angelegenheiten und derjenige, dem die Sorge für die Person des Antragsberechtigten zusteht, den Antrag stellen.
aa) Fehlende Befugnis der Geschädigten und der Angeklagten Die G. Frau F, konnte selbst keinen Strafantrag stellen, weil sie seit Juni 2017 geschäftsunfähig war. Sie war nach einem Hirninfarkt und bei Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dass dem so ist, folgt aus den Feststellungen, die im psychiatrischen Gutachten des Arztes C. vom 12.11.2017 enthalten sind, welches das Betreuungsgericht einholt hat.
Die Angeklagte, die vom 17.05.2017 bis mindestens 12.12.2018 zur Betreuerin bestellt war, konnte aus Rechtsgründen keinen Strafantrag stellen. Dass dem so ist, folgt schon aus folgenden Gründen: Ist ein Vertreter, der antragsbefugt ist, selbst Täter (Angeklagter), so ist er rechtlich verhindert, für die vertretene Person Strafantrag zu stellen; er müsste sonst im Fall einer Strafantragstellung gegen sich selbst als Vertreter der betreuten Person vorgehen. Der diesbezüglich in § 77 Abs. 2 Satz 3 StGB unmittelbar für den Fall des gesetzlichen Rechtsübergangs des Strafantragsrechts normierte Rechtsgedanke ist allgemeingültig und deshalb auch auf die hier in Rede stehende Vertretung in der Antragstellung zu übertragen (vergleiche dazu MüKoStGB/Mitsch, 4. Auflage 2020, StGB § 77 Rn. 35, zitiert nach beck-online). Ungeachtet dessen ist ferner die Wertung des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einschlägig, der einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, welcher bei einem Interessenkonflikt der vorliegenden Art die Vertretung rechtlich ausschließt (vergleiche dazu Schmidt in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Auflage 2007, § 77 Antragsberechtigte, Rn. 48, zitiert nach juris).
bb) Befugnis des neuen Betreuers
Allein Herr B. war befugt, einen Strafantrag zu stellen. Der Betreuer war nach § 77 Abs. 3 StGB berechtigt, als derjenige, dem die Sorge für die Person zusteht, einen Strafantrag gemäß § 247, § 266 Abs. 2 StGB zu stellen. Seine Aufgabenkreise umfassten die Aufenthaltsbestimmung, die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen, die Gesundheitsfürsorge, die Regelung der Heimunterbringung und der Heimangelegenheiten, die Postangelegenheiten, die Vermögenssorge, die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Institutionen, bei Sozialangelegenheiten, in Vertrags- und Rechtsangelegenheiten, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung, Rentenangelegenheiten und Sozialleistungen sowie die umfassende Regelung der Wohnungsangelegenheiten einschließlich des Rechtes auf Wohnungsauflösung. Einer ausdrücklichen Zuweisung der Strafantragsbefugnis bedurfte es angesichts der ihm durch das Betreuungsgericht übertragenen Aufgabenkreise im vorliegenden Fall nicht. Es kann dahinstehen, ob bei Übertragung derart weitreichender Aufgabenkreise, die neben den Bereichen der Vermögenssorge und der Antragstellung gegenüber Behörden auch weitgehende persönliche Belange betreffen, die Strafantragsbefugnis nach § 247 StGB gesondert übertragen werden muss. Denn im vorliegenden Fall ergab sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Betreuung gerade aus der Aufdeckung möglicher Untreuevorwürfe. Die Klärung und Entscheidung der dringlich gewordenen Frage, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind, so auch, ob im Namen der Betreuten ein Strafantrag zu stellen ist, war demgemäß Teil des objektiven Betreuungsbedarfs (vergleiche BGH, Urteil vom 29.07.2014, 5 StR 46/14, Rn. 9, zitiert nach juris).
c) Verspätete Strafantragstellung
Herr B. stellte einen Strafantrag nicht rechtzeitig, sondern erst nach Ablauf der Antragsfrist, was eine Strafverfolgung der Angeklagten ausschließt. Der frühestens am 27.05.2020 angebrachte Antrag ist verspätet gestellt.
Eine Tat, die, wie in vorliegender Sache, nur auf Antrag verfolgbar ist, wird nach § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht verfolgt, wenn der Antragsberechtigte es unterlässt, den Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten zu stellen. Die Frist beginnt nach § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB mit Ablauf des Tages, an dem der Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt. Für den Antrag des gesetzlichen Vertreters und des Sorgeberechtigten, also auch eines gerichtlich bestellten Betreuers, kommt es nach § 77b Abs. 2 Satz 2 StGB auf dessen Kenntnis an.
aa) Fristbeginn
Die Antragsfrist begann hiervon ausgehend allerdings nicht bereits jeweils an den Tagen der Abhebungen oder mit der Bestellung des Herrn B. zum neuen Betreuer zu laufen, sondern erst nachdem Herr B, seinen Betreuerausweis vom 14.03.2019 im Lauf des März erhalten hatte und sodann die einschlägigen Unterlagen der Sparkasse anfordern und spätestens bis Anfang Juli 2019 abschließend prüfen konnte.
Dass die Frist (spätestens) ab 06.07.2019 lief, folgt auf Folgendem: Mit Schreiben vom 17.06.2019 an die Angeklagte forderte Herr B. unter Hinweis auf seine Bestellung zum neuen Betreuer der Frau F. die Angeklagte auf, die Verwendung des aus den dargestellten Barabhebungen erlangten Bargeldes bis zum 05.07.2019 nachzuweisen; hierauf reagierte die Angeklagte nicht. Damit ist belegt, dass der Betreuer von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt hatte.
bb) Zeitpunkt der Strafantragstellung
Als frühester Zeitpunkt für einen Strafantrag kommt der 27.05.2020 in Betracht und mithin ein Tag, an dem die Frist von drei Monaten ab Kenntnis von Tat und Täter (06.07.2019) abgelaufen war.
Herr B. erstattete, wie er auch in seiner Befragung am heutigen Tage bestätigt hat, erstmals am 27.05.2020 unter anderem wegen des in Rede stehenden Sachverhalts Strafanzeige gegen die Angeklagte bei der „Internetwache“ der Polizei des Landes Brandenburg. In der Anzeige stellte er insbesondere die, wie bereits festgestellt, erfolgten Abhebungen der Angeklagten dar und erstattete „Strafanzeige gegen Frau H. wegen des Verdachts auf Untreue“. Diese Anzeige ist weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden.
In Ansehung der zu späten Antragstellung bedarf es keiner Klärung, ob dieser Antrag überhaupt formgerecht gestellt wurde, was nicht der Fall sein dürfte, wie es sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
Nach § 158 Abs. 2 StPO muss der Strafantrag bei Straftaten, deren Verfolgung nur auf Antrag möglich ist, bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. Daraus folgt, dass der Strafantrag bei der Polizei schriftlich zu stellen ist.
Die erfolgte Onlineanzeige ist im Sinne dieser Vorschrift nicht schriftlich gestellt worden. Die Angaben im Rahmen der Onlineanzeige genügen bereits nicht der Hauptfunktion des Schriftformerfordernisses, nämlich die zweifelsfreie Zuordnung der Erklärung zum Antragsteller als Basis für weitere Ermittlungen zu gewährleisten. Die Nutzung der Onlinewache bleibt im Kern ein anonymer Vorgang. Selbst wenn dabei die IP-Adresse erfasst wird, lässt sich damit allenfalls der genutzte Computer, nicht aber der Nutzer identifizieren. Bei der Onlineanzeige findet kein persönlicher Kontakt zwischen Polizei und Antragsteller statt, der weitere konkrete Überprüfungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren, insbesondere durch Befragen des aufnehmenden Polizeibeamten, ermöglicht, Darüber hinaus dient ein Schriftformerfordernis nicht nur dem Schutz des Erklärungsempfängers, sondern auch des Erklärenden. Er soll vor den Folgen einer weitreichenden aber überhastet abgegebenen Erklärung geschützt werden. Denn in der Regel geht mit der Abgabe einer schriftlichen Erklärung das Bewusstsein einher, eine Erklärung von erheblicher Tragweite abzugeben. Nichts anderes gilt, wenn die Erklärung persönlich zum Zwecke der späteren Niederschrift persönlich vor einem Polizeibeamten abgegeben wird (vergleiche Amtsgericht Auerbach (Vogtland), Beschluss vom 26.01.2021, 3 Cs 500 Js 24368/20, Rn. 5 und 6, zitiert nach juris). Wie hier sieht es der Bundesrat, wenn es in seiner aktuellen Stellungnahme zum StPO-Fortentwicklungsgesetz kurz und bündig heißt: „Für den bei einer Polizeidienststelle gestellten Strafantrag sieht § 158 Abs. 2 StPO ein Schriftformerfordernis vor. Nach derzeitiger Rechtslage ist daher auch ein Strafantrag gemäß § 32 a Abs. 3 Satz 1 StPO entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder zu signieren und auf einem sicheren Übermittlungsweg einzureichen“ (vergleiche dazu Jahn, Strafantrag bei einer „Internet-Wache“ der Polizei, JuS 2021, 564, zitiert nach beck-online).
Einen formgerechten Antrag stellte der Betreuer erst (verspätet) am 07.07.2020, dem Tag, an dem er von der Polizei als Zeuge vernommen wurde.
2. Kostenentscheidung
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Das Gericht hat von dem ihm durch § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eingeräumten Ermessen dahin Gebrauch gemacht, nicht davon abzusehen, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Es ist nicht unbillig, die Staatskasse hiermit zu belasten. Maßgebend ist dafür zum einen, dass das Verfahrenshindernis, wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, bereits vor Anklageerhebung bestand und auch erkennbar war, ohne dass dies in einer Hauptverhandlung noch hätte aufgeklärt werden müssen; zum anderen ist ein prozessual vorwerfbares Verhalten der Angeklagten nicht ersichtlich (vergleiche BGH, Beschluss vom 21.12.2016, 3 StR 453/16, Rn. 18, zitiert nach juris).