Zitat: Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit – Scheiß-Problem
OLG Dresden – Az.: 1 OLG 22 Ss 550/22 – Beschluss vom 05.12.2022
In der Strafsache wegen Beleidigung hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 05.12.2022 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Torgau vom 25. April 2022 aufgehoben.
2. Der Angeklagte wird freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des An-geklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Torgau vom 25. April 2022 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt worden. Hiergegen richtet sich seine mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begrün-dete Sprungrevision.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts Torgau vom 25. April 2022 aufzuheben und den Angeklagten vom Tatvorwurf der Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen freizusprechen.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.
1. Das Amtsgericht hat festgestellt, der mit einem Fahrzeug im Straßenverkehr fahrende Angeklagte sei infolge der Verwendung eines Mobiltelefons einer Kontrolle unterzogen worden und habe, nachdem er aus seinem Fahrzeug ausgestiegen sei, in Richtung der ihn kontrollierenden Polizeibeamten unter anderen geäußert „Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit, das alles wegen so einer Lappalie, was ist euer Scheiß-Problem“, um seine Missachtung auszudrücken. Da ein Gespräch mit dem Angeklagten nicht möglich gewesen sei, hätten die Polizeibeamten schließlich die Kontrolle beendet.
2. Diese Feststellungen sind nicht geeignet, eine Verurteilung wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu tragen (§§ 185, 52 StGB).
a) Zwar hat das Amtsgericht zutreffend erkannt, dass angesichts der im Zusammenhang mit ei-ner polizeilichen Maßnahme getätigten Äußerungen eine Prüfung vorzunehmen war, ob diese Äußerungen der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) dienen konnten. Die dazu gebotene Prüfung hat sich an folgenden Maßstäben zu orientieren.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (BVerfG, NJW 2009, 3016, 3017). Selbst beleidigende Äußerungen können dem Schutzbereich dieses Grundrechts unterfallen (BVerfG, NJW 2010, 2937, 2939). Jedoch besteht die Meinungsfreiheit nicht vorbehaltlos, sondern unterliegt denjenigen Schranken, die sich aus den Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre ergeben. Hierzu zählt auch § 185 StGB, der die Strafbarkeit einer Beleidigung bestimmt. Bei solchen – die Meinungsfreiheit beschränkenden – Gesetzen ist das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. schon, BVerfGE 7, 198, 208).
Die Feststellung einer Strafbarkeit nach § 185 StGB erfordert daher regelmäßig eine fallbezogene Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfGE 93, 266, 292). Ausgangspunkt dieser Abwägung ist die zutreffende Deutung des Aussageinhalts. Da schon auf der Deutungsebene Vorentscheidungen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Äußerungen fallen, ergeben sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des § 185 StGB, sondern auch an die Deutung der inkriminierten Äußerung. Bei dieser Deutung ist vom Wortlaut auszugehen. Zusätzlich bestimmt sich der Sinn einer Äußerung nach ihrem sprachlichen Kontext und den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt. Ein Gericht verstößt bei der Anwendung des § 185 StGB insbesondere auch dann gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn es bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fernliegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen zu haben (BVerfGE 93, 266, 295).
Zwar tritt die Meinungsfreiheit bei Äußerungen, die sich als Schmähung erweisen, regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück (BVerfGE 93, 266, 303). Wegen seines die Meinungsfreiheit ver-drängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng zu definieren. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige ehrverletzende Kritik eine Äußerung für sich genom-men noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch von polemischer oder überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 93, 266, 303). Das kann etwa bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter der Fall sein (BVerfG, NJW 2009, 3016, 3017).
b) Bereits die Wertung des Amtsgerichts, die Äußerungen des Angeklagten seien Ausdruck (personenbezogenen) Miss- und Nichtachtung der beiden handelnden Polizeibeamten, hält der Nachprüfung anhand der vorgenannten Maßstäbe nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat dazu in ihrer Antragsschrift vom 26. August 2022 unter anderem Folgendes ausgeführt:
„Zwar hat das Gericht festgestellt, dass in der Äußerung des Angeklagten auch eine Unzufriedenheit mit der Polizeikontrolle insgesamt zu erkennen sei, ging aber nachfolgend ausschließlich von einer personenbezogenen, herabsetzenden Äußerung aus. Dabei setzt es sich jedoch nicht mit dem gesamten Wortlaut der in Rede stehenden Äußerung auseinander, in deren Mittelteil ausschließlich auf die Maßnahme als solche abgestellt wird („das alles wegen so einer Lappalie“) und der insoweit die vor- und nachfolgenden Begriffe „Scheiß-Arbeit“ und „Scheiß-Problem“ diesem Kontext unterstellt. Auch findet sich in der Äußerung keine direkte Bezeichnung der handelnden Polizeibeamten, so dass die alleinige Sinnermittlung des Gerichts, im Rahmen der Äußerung sei eine Auseinandersetzung des Angeklagten in der Sache insgesamt nicht erkennbar, nicht haltbar ist“.
Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
3. Die Entscheidung erging einstimmig (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Senat konnte ausschließen, dass eine neue Hauptverhandlung weitere Aufschlüsse oder eine andere Bewertung der Äußerungen (vgl. im Einzelnen Sächsischer Verfassungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Mai 2011, Az.: Vf.100-IV-10) erbringen könnte (§ 354 Abs. 1 StPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 467 Abs. 1 StPO.