OLG Frankfurt, Az.: 1 Ws 126/16, Urteil vom 14.09.2016
Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 19.08.2016 – 2 Qs 141/16 – 1670 Js 39993/15 – und der Haftbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 19.07.2016 – X – 1670 Js 39993/15 – aufgehoben.
Gründe
Die zulässige weitere Beschwerde des Beschuldigten A, die sich gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Kassel vom 19.08.2016 wendet, hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und des Haftbefehls des Amtsgerichts Kassel vom 19.07.2016.
Der Beschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 19.07.2016 vorgeworfenen Straftaten der gewerbsmäßigen Hehlerei in 10 Fällen gemäß §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gründet sich hinsichtlich der Taten zu Fall 5 – 10 auf die geständige Einlassung des Beschuldigten und die im Haftbefehl aufgeführten Beweismittel sowie die jüngeren Vernehmungen der Z1 im Zeitraum vom 11.08.2016 bis 17.08.2016. Hinsichtlich der Taten zu Fall 1- 4 gründet sich der Tatverdacht auf die im Haftbefehl im Einzelnen aufgeführten Beweismittel, insbesondere die Zeugenaussagen der Geschädigten und die Observations- und Telefonüberwachungsmaßnahmen. Aus den ausführlichen Darlegungen der Kammer im angefochtenen Beschluss, der sich der Senat anschließt, ist der dringende Tatverdacht dabei auch in subjektiver Hinsicht gegeben.
Soweit der Beschuldigte in seiner Beschwerde indes einwendet, dass nicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass der Beschuldigte stets sämtliche im Rahmen der Wohnungseinbruchsdiebstähle entwendeten Gegenstände erworben habe, kann dies in der Tat nach dem derzeitigen Ermittlungsstand in keinem der 4 Fälle im Sinne eines dringenden Tatverdachts festgestellt werden, indes rechtfertigt der Ankauf bereits weniger Schmuckstücke, der nach dem Akteninhalt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, die Annahme eines dringenden Tatverdachts der gewerbsmäßigen Hehlerei auch in diesen Fällen. Gegen die Annahme der Kammer, dass sämtlicher Schmuck in allen 4 Fällen angekauft wurde, spricht insbesondere, dass ein Teil des Schmucks später zum einen noch in den jeweiligen Bunkerwohnungen aufgefunden werden konnte und zum anderen auch teilweise nur Modeschmuck mit lediglich geringem Wert war, dessen Ankauf durch den geschulten Beschuldigten wenig wahrscheinlich ist, zumal der Beschuldigte – was sich ob der umfangreichen Observation anhand der bei der Akte befindlichen Lichtbilder feststellen lässt – stets im Einzelnen den Ankauf von Schmuck, Uhren und/oder Metallen prüfte. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch nach dem bisherigen Ermittlungsstand nicht festzustellen, dass der Beschuldigte sämtliche Teile der Beute an die Firma C weitergegeben hat, da nach dem Akteninhalt dort nur wenige Teile der einzelnen Gegenstände überhaupt fotografisch festgehalten und von den Zeugen später identifiziert werden konnten, was letztlich ebenso gegen die Annahme des Ankaufs sämtlichen Diebesgutes aus allen 4 Fällen spricht, zumal schließlich auch nur ein Ring aus einer Tat sichergestellt werden konnte.
Von den gesetzlichen Haftgründen hat die Kammer zu Recht Flucht- und Verdunkelungsgefahr von vornherein nicht in Betracht gezogen. Der von der Strafandrohung ausgehende Fluchtanreiz wird durch die bestehenden wohnsitzmäßigen und familiären Bindungen des teilgeständigen Beschuldigten hinreichend gebannt, insbesondere auch nachdem sich der Beschuldigte in dem Verfahren 1 – das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27.08.2012 ist im Schuld- und Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen durch Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 10.04.2013 – 2 StR 19/13 aufgehoben und die Sache bislang nicht erneut terminiert – und in einem weiteren gegen ihn geführten Strafverfahren 2 – die Anklage datiert vom 07.05.2015; das Verfahren wurde zum vorgenannten Verfahren hinzuverbunden – stets gestellt hat. Für die Annahme von Verdunkelungsgefahr liegen nach dem Akteninhalt und vor der teilgeständigen Einlassung des Beschuldigten keine hinreichenden Tatsachen vor.
Den im angefochtenen Beschluss angenommenen und auch von der Generalstaatsanwaltschaft bejahten Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StGB hält der Senat ebenso nicht für gegeben.
Dieser Haftgrund setzt voraus, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben. Bereits diese Voraussetzung ist nach Auffassung des Senates vorliegend nicht festzustellen. Da die Katalogtaten des § 112a Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 StPO schon generell schwerwiegender Natur sind, kann das Merkmal „die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend“ vom Gesetzgeber nur als weitere Einschränkung des Haftgrundes gemeint sein (Senatsbeschlüsse vom 12.01.2000 – Az.: 1 Ws 161/99; 09.04.2008 – Az.: 1 Ws 44/08; 22.10.2010 – Az.: 1 Ws 98/10; 22.02.2011 – 1 Ws 16/11; LR-Hilger, StPO, 26. Aufl. 2007, § 112a Rn. 33 f.; KK-Graf, StPO, 7.Aufl. 2013, § 112a Rn.14 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 112a Rn. 9), zumal aus Verfassungsgründen eine restriktive Auslegung dieses Haftgrundes geboten ist (vgl. BVerfGE 35, 185 f. ). Es können daher nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehalts bzw. nur solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen (Senatsbeschluss vom 22.10.2010 – Az.: 1 Ws 98/10; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 112a Rn. 9; OLG Karlsruhe, StV 2002, 147). Dabei muss jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen (vgl. Senatsbeschluss vom 24.11.2009 – Az.: 1 Ws 126/09 m.w.N.). Bei gewerbsmäßiger Hehlerei nach § 260 StGB als Anlasstat ist maßgeblich auf den Unrechtsgehalt der Tat abzustellen und danach zu fragen, ob diese in ihrer konkreten Ausgestaltung die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat. Maßgabelich für die Beurteilung ist dabei insbesondere auch Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens (Senatsbeschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99; OLG Karlsruhe, StV 2002, 147). Die Tatschwere nach dem Gesamtschaden zu bewerten, ist unzulässig (vgl. Senatsbeschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99; OLG Karlsruhe, StV 2002, 147).
Unter Beachtung dieser Grundsätze können die dem Beschuldigten konkret vorgeworfenen Taten nicht als die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend angesehen werden.
Den Taten zu Fall 5 – 10 kann ein überdurchschnittlicher Unrechtsgehalt und Schweregrad im Rahmen der denkbaren Fallgestaltungen der gewerbsmäßigen Hehlerei nicht zuerkannt werden, was auch die Kammer und die Generalstaatsanwaltschaft erkannt und darauf den Haftgrund nicht gestützt haben. Vielmehr weisen sie insgesamt nur ein durchschnittliches Erscheinungsbild auf, nachdem es sich um die Abnahme von Diebesgut aus Ladendiebstählen gehandelt hat, dessen Wert in jedem Fall unter 200,00 Euro lag.
Aber auch bei den Taten zu Fall 1 – 4 kann ein überdurchschnittlicher Unrechtsgehalt und Schweregrad im Rahmen der denkbaren Fallgestaltungen der gewerbsmäßigen Hehlerei nicht hinreichend sicher festgestellt werden. Denn unter Beachtung der obigen Feststellungen liegt bereits kein zureichender Verdacht der Abnahme des gesamten Stehlgutes vor. Des Weiteren muss aber auch beachtet werden, dass in sämtlichen Fällen die Gesamtschäden auf Schätzungen der Geschädigten beruhen. Dies ergibt sich aus den in den Fallakten befindlichen Listen. Lediglich im Fall 4 vermochte die Geschädigte keine Angaben zum Schätzwert des Schmuckes machen zu können. Die Kammer hat dort in der Folge bei vorsichtiger Schätzung der rund 4 Seiten der Fallakte umfassenden Liste des Stehlgutes einen Gesamtwert in Höhe von lediglich 1.000,00 Euro angenommen. In den Fällen 1 – 3 hätte dies auf Grundlage der zu großen Teilen nicht belegten Schätzungen der Geschädigten ebenso durch den Haftrichter erfolgen müssen. Der Senat geht daher auch in diesen Fällen unter Beachtung der Umstände, dass der Beschuldigte allenfalls einen Teil des Stehlgutes angekauft hat und einer durch den Tat- und Haftrichter vorzunehmenden Wertschätzung nur dieser Stücke in den Fällen 1 bis 3 von Schäden deutlich unter der Grenze der Erheblichkeit im Sinne des Haftgrundes aus (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99, OLG Naumburg, Beschluss vom 26.07.2011, 1 Ws 615/11, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010, 3 Ws 161/10, juris).
Da es unter diesen Umständen beim Beschuldigten bereits an einer wiederholten, die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigenden Anlasstat fehlt, kommt es auf das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, an welche § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO den Haftgrund der Wiederholungsgefahr knüpft, nicht mehr an. Der angefochtene Beschluss und der gegen den Beschuldigten erlassene Haftbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 19.07.2016 waren danach aufzuheben.