OLG Köln, Az.: 1 RVs 223/15, Beschluss vom 11.12.2015
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom 2. März 2015 wird als unbegründet verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bonn hat die Angeklagte wegen „Diebstahls, vorsätzlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und den Mitangeklagten O wegen „gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung“ zu einer solchen von acht Monaten verurteilt. Auf die Berufung hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass die Angeklagte wegen Diebstahls und Körperverletzung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde. Den Mitangeklagten O hat es freigesprochen.
Nach den getroffenen Feststellungen entwendete die Angeklagte im Kassenbereich eines Supermarktes jedenfalls eine Schachtel Zigaretten. Hierauf machte der später Geschädigte – der Zeuge B – die Kassiererin an seiner Kasse aufmerksam, woraufhin die Angeklagte wütend den Supermarkt verließ, um ihren Lebensgefährten – den Mitangeklagten O – zu holen. Mit diesem kehrte sie in den Supermarkt zurück, nachdem sie sich zunächst einen Baseballschläger besorgt hatte, der in der Nähe des Supermarktes bei einem Müllcontainer gelegen hatte. Diesen Baseballschläger nahm der O an sich. Dass die Angeklagten sich zu dieser Zeit in irgendeiner Form darauf verständigten, gemeinsam und mittels körperlicher Gewalt, etwa auch mit dem Baseballschläger, an dem Zeugen B Vergeltung zu üben, konnte die Kammer nicht feststellen.
Als sich die Angeklagten – der Angeklagte O weiterhin ohne feststellbare aggressive Absicht – im Eingangsbereich des Supermarktes befanden, kam der Zeuge B, der früher im Kampfsportbereich tätig war, hinzu. Er nahm an, dass der Angeklagte O beabsichtige, mit seinem Baseballschläger gegen ihn, Kassiererinnen oder auch Kunden vorzugehen. Weil es sich wegen des Hinweises auf den Diebstahl als Verursacher der Gesamtsituation sah, wollte er nicht weggehen, sondern eingreifen und damit zugleich andere schützen. Er näherte sich deshalb dem Angeklagten O seitlich und von hinten, um diesen zu entwaffnen. Kurz vor Erreichen des Angeklagten bemerkte O den Zeugen und drehte sich spontan und reflexartig mit dem dann erhobenen Baseballschläger in Richtung des Zeugen B. Dass er dies tat, um den Zeugen B anzugreifen und zu verletzen, konnte wiederum nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.
In dieser Situation entwaffnete der Zeuge B den O und brachte ihn zu Boden. Als die Angeklagte I dies sah, stürmte sie hinzu. Sie war immer noch wütend auf den Zeugen B und trat diesen mehrfach gegen die Beine und den Oberkörper, um den Zeugen zu verletzen. Damit wollte sie auch helfen, ihren Lebensgefährten zu befreien. Der Zeuge B versuchte unterdessen weiterhin, den Angeklagten O am Boden zu halten. Aufgrund der Tritte der Angeklagten I gelang es dem Zeugen B nun nicht mehr, den Angeklagten O festzuhalten, so dass sich dieser befreien konnte.
Später versetzte die Angeklagte dem Geschädigten im Beisein der herbeigerufenen Polizei noch einen Tritt gegen das Bein.
Mit der Revision der Angeklagten wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
II.
Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO und daher in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu verwerfen. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Der Senat muss letztlich nicht entscheiden, ob er sich der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft anschließen könnte, der zufolge der Zeuge B Nothilfe gegen eine Hausrechtsverletzung des ehemaligen Mitangeklagten O leistete und seine Handlung aus diesem Grunde keinen rechtswidrigen Angriff im Sinne des § 32 StGB darstellte. Die von der Generalstaatsanwaltschaft angenommen Variante des „widerrechtlichen Eindringens“ im Sinne des § 123 StGB setzt ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten voraus (statt aller: Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 123 Rz. 16). Das soll im Falle der – hier vorliegenden – allgemeinen Gestattung des Betretens dann gegeben sein, wenn das äußere Erscheinungsbild des Täters „offenkundig“ von dem allgemein erlaubten Verhalten abweicht (OLG Düsseldorf NJW 1982, 2678; Fischer, a.a.O., Rz. 18, Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Auflage 2014, § 123 Rz. 26). Daran mangelt es hier bereits deshalb, weil ein aggressives Auftreten des O gerade nicht festgestellt ist. Gleiches gilt, wenn man der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 1996 (1 StR 285/96 – NStZ-RR 1997, 97 = StV 1996, 660) entnehmen wollte, dass bereits das Betreten in rechtswidriger Absicht den Tatbestand des Hausfriedensbruchs zu erfüllen geeignet sein kann.
Diese Erwägungen können aber auf sich beruhen, weil zwar nicht festgestellt ist, dass der Mitangeklagten O einen rechtswidrigen Angriff gegen die körperliche Unversehrtheit des Zeugen B führte, dieser aber ohne Pflichtenverstoß hiervon ausgehen durfte. Er stellte sich damit eine Situation vor, die, wenn sie vorgelegen hätte, ihn zu einem Entwaffnen des O berechtigt hätte und irrte mithin unvermeidbar über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Dies lässt das Handlungsunrecht eines Eingriffs in Körperintegrität und allgemeine Handlungsfreiheit des O entfallen. Für die Angeklagte hat das nach überwiegender Auffassung in der Literatur, der der Senat folgt, zur Konsequenz, dass sich ihr Handeln als objektiv rechtswidrig darstellt (Schönke/Schröder-Perron, a.a.O., § 32 Rz. 21; LK-StGB-Rönnau/Hohn, 12. Auflage 2006, § 32 Rz. 111; Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 32 Rz. 5; SSW-StGB-Rosenau, § 32 Rz. 19; Graul JuS 1995, 1049 [1052]; weit Nachw. bei MK-StGB-Erb, 2. Auflage 2011, § 32 Rz. 42 mit Fn. 97: s. a. SK-StGB-Günther § 32 Rz. 27 aE: bereits kein Angriff – aM aber MK-StGB-Erb, a.a.O., Rz. 45 aE und – ohne Begr. – Fischer, a.a.O., Rz. 22 aE). Angesichts des Umstands, dass die Angeklagte die gesamte Situation verfolgt hatte, musste sich die Kammer auch nicht zur Erörterung der Frage gedrängt sehen, ob diese ihrerseits in einem unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum handelte (hierzu vgl. Frister AT 16/28).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.