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Klimaaktivist – Sitzblockade – Verwerflichkeit der Nötigung

Geldstrafe für Klimaaktivist nach Autobahnblockade bestätigt

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte im Oktober 2022 einen 21-jährigen Klimaaktivisten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 20 Euro. Der Angeklagte hatte Berufung eingelegt, um einen Freispruch zu erwirken, jedoch ohne Erfolg.

Die Blockade auf der BAB 100

Am 4. Februar 2022 beteiligte sich der Angeklagte an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 100 im Bereich der Anschlussstelle Beusselstraße in Berlin. Zusammen mit elf weiteren Personen blockierten sie die Fahrbahn, um auf die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen den Klimawandel aufmerksam zu machen. Die Blockade führte zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und Rückstaus.

Polizeieinsatz und Räumung der Blockade

Die Polizei wies den Aktivisten mehrmals durch Lautsprecherdurchsagen an, die Blockade zu beenden und auf den Gehweg zu wechseln. Nachdem keine Reaktion erfolgte, räumten die Polizeikräfte die Blockade, indem sie die zwölf Teilnehmer einzeln wegtrugen und auf den Gehweg brachten. Die Räumung dauerte bis etwa 8:45 Uhr.

Gerichtliche Entscheidung und Begründung

Das Gericht bestätigte die Geldstrafe für den Angeklagten aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und der glaubhaften Zeugenaussagen von Polizeibeamten, die an dem Einsatz beteiligt waren. Der Angeklagte räumte die Tat ein und gab an, dass er und seine Mittäter gegen den Klimanotstand protestieren und den Verkehr blockieren wollten. Trotz seiner Argumente für zivilen Ungehorsam und politische Verantwortung entschied das Gericht, dass der Angeklagte für seine Tat verantwortlich ist.

Blockadeaktion und Zeugenaussagen

Der Zeuge pp.x, ein am Einsatz zur Auflösung der Blockade beteiligter Polizeibeamter, bestätigte die Angaben der vorherigen Zeugen. Die Blockade habe es für Fahrzeuge unmöglich gemacht, die Autobahnabfahrt zu passieren, und es entstand ein Stau auf der gesamten Auffahrt. Lichtbilder und Lagepläne zeigen, dass die auf der Straße sitzenden Personen eine so dichte Kette bildeten, dass für Fahrzeuge aller Art kein Durchkommen mehr möglich war. Die Blockadeaktionen fanden auch in Berlin statt, wie in einer Pressemitteilung der „Letzten Generation“ angekündigt wurde.

Urteil und rechtliche Einschätzung

Der Angeklagte wurde wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB für schuldig befunden. Er und seine Mitprotestierenden der „Letzten Generation“ haben durch das bewusste Blockieren der Autobahnabfahrt Gewalt gegenüber den im Stau stehenden Personen ausgeübt. Die Tat war als verwerflich anzusehen und nicht durch das in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsrecht gerechtfertigt. Die gezielte Blockade diente dazu, den Verkehr auf einer stark frequentierten Straße in Berlin während der Hauptverkehrszeit lahmzulegen, um mediale Aufmerksamkeit für die politischen Ziele der Protestierenden zu erlangen. Die allgemeine Handlungsfreiheit der im Stau stehenden Verkehrsteilnehmer wurde erheblich beeinträchtigt, da sie weder ihre Fahrzeuge in die gewünschte Richtung bewegen noch einen Umweg nehmen konnten.

Heranwachsendenstatus des Angeklagten

Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und zehn Monate alt und galt somit als Heranwachsender. Auf ihn fand das allgemeine Strafrecht Anwendung, da seine Tat weder eine Jugendverfehlung darstellt, noch erhebliche Reifeverzögerungen bei ihm festgestellt werden konnten. Sein Engagement in der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ ist nicht auf Jugendliche beschränkt, sondern umfasst Menschen verschiedener Altersklassen. Die Straßenblockaden zur Durchsetzung politischer Ziele sind ebenfalls nicht nur typisch für Jugendliche. Obwohl der Angeklagte eine jugendtypische Denk- und Verhaltensweise aufweist, ist diese nicht ausschließlich Jugendlichen zuzuordnen.

Strafzumessung und Tagessatzhöhe

Bei der Strafzumessung wurden Faktoren wie das Geständnis des Angeklagten, sein friedfertiges Verhalten außerhalb der Tat, sein junges Alter und seine bisherige Unbestraftheit berücksichtigt. Auch sein Handeln aus Sorge um die Zukunft des Planeten wurde positiv gewertet. Dennoch hat der Angeklagte grundlegende Regelungen eines demokratischen Rechtsstaates bewusst ignoriert, was eine undemokratische und rechtsfeindliche Grundhaltung offenbart. Die konkrete zeitliche Dauer der Nötigung und die Beeinträchtigung einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern wirkten sich negativ auf die Strafzumessung aus. Insgesamt erschien eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 20 Euro als angemessen. Die Tagessatzhöhe wurde vorsichtig geschätzt, basierend auf den finanziellen Mitteln, die der Angeklagte von seinen Eltern erhält, um seinen Lebensunterhalt und Studienbedarf zu decken.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 518 Ns 31/22 – Urteil vom 18.01.2023

Die Berufung des Angeklagten wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

Klimaaktivist – Sitzblockade - Verwerflichkeit der Nötigung
(Symbolfoto: Canetti/Shutterstock.com)

Das Amtsgericht Tiergarten – Jugendrichter – hat den Angeklagten am 18. Oktober 2022 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Ziel eines Freispruchs.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

II.

In der Berufungshauptverhandlung hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

1. Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 21 Jahre alte Angeklagte ist deutscher Staatsbürger, ledig und hat keine Kinder. Er ist Student der Medizin im fünften Semester und wird von seinen Eltern – die Mutter arbeitet in einer Kindertagesstätte, der Vater ist Psychiater – finanziell unterstützt. Über die Höhe der Zuwendungen ist nichts Näheres bekannt. Der Angeklagte hat noch einen 17-jährigen, im Haushalt der Eltern lebenden Bruder und wuchs im Haushalt der Eltern auf. Das Verhältnis zu seiner Familie ist harmonisch. Er sieht diese regelmäßig, jedoch nicht mehr allzu häufig, weil er seinen Lebensmittelpunkt aufgrund seines Studiums nach Berlin verlegt hat. Seine schulische Laufbahn verlief problemlos, so dass er die Schule im Jahr 2019 nach der zwölften Klasse mit dem Abitur abschloss. Anschließend absolvierte er acht Monate lang ein Freiwilliges Soziales Jahr in Uganda. Nach seiner Rückkehr zog er für kurze Zeit wieder bei seinen Eltern ein, bevor er im Wintersemester 2020/2021 sein Medizinstudium an der Charité aufnahm. Seit Oktober 2020 lebt er in einer Drei-Personen-WG in Berlin-Mitte, in der hinsichtlich Haushalt und Versorgung jeder für sich allein verantwortlich ist. Er ist ehrenamtlich tätig für verschiedene politische Projekte an Schulen in Berlin und Brandenburg. Zuletzt hat er an Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen gegen die zur Ermöglichung eines weiteren Kohleabbaus erfolgte Räumung des Ortes Lützerath teilgenommen.

Strafrechtlich in Erscheinung getreten ist der Angeklagte bislang nicht.

II.

Am 04. Februar 2022 beteiligte sich der Angeklagte ab etwa 07.15 Uhr an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 100 im Bereich der Anschlussstelle Beusselstraße in 10553 Berlin, bei der er und elf weitere Personen sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsam Tatplans unmittelbar vor Beginn der Ludwig-Hoffmann-Brücke auf die Fahrbahn der Autobahnabfahrt setzten, wobei sich zwei der Mittäter – die am weitesten außen sitzenden – verabredungsgemäß mit ihren Körpern an der Fahrbahn festgeklebt hatten. Die Täter, die während ihrer Aktion mehrere Transparente mit den Aufschriften „Aufstand der letzten Generation“ und „Essen retten – Leben retten“ ausgebreitet hatten, handelten, um mindestens die auf der Autobahnabfahrt befindlichen Fahrzeugführer bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels zu erzielen. Wie von ihm und seinen Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, die die gesamte Breite der – im unteren über zwei und im oberen Bereich über drei Fahrspuren verfügenden – Fahrbahn der Autobahnabfahrt einnahm und dazu führte, dass zwischen 7.15 Uhr und 8.45 Uhr kein Fahrzeug die Ausfahrt passieren konnte, bis zur Räumung zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Insbesondere war es den zahlreichen auf der Ausfahrt stehenden Fahrzeugen – die Ausfahrt war von ihrem Beginn am unteren Ende der Autobahn bis zur Blockade durch die von dem Angeklagten und seinen Mittätern gebildeten Menschenkette im obersten Bereich der Ausfahrt kurz vor deren Einmündung in die Beusselstraße, also über eine Länge von etwa 200 Meter, vollständig mit Fahrzeugen, darunter auch mindestens drei Lastkraftwagen, gefüllt – nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Die Blockade war von dem Angeklagten und seinen Mittätern bewusst im Berufsverkehr gebildet und zuvor nicht konkret angekündigt worden. Lediglich in einer Pressemitteilung der „Letzten Generation“ vom 31. Januar 2022, einem Tag, an dem u.a. im Stadtgebiet von Berlin auf der BAB 100 bereits wiederholt derartige Blockadeaktionen stattfanden, wurden allgemein in der Zukunft weitere Blockadeaktionen auch in Berlin auf der BAB 100 angedroht. Vor der Räumung der Blockade hatte die Polizei ab 07.30 Uhr durch drei Lautsprecherdurchsagen, die von den Tätern auch verstanden wurden, der Versammlung einen anderen Ort – nämlich auf dem Gehweg der Brücke – zugewiesen und die Teilnehmer aufgefordert, sich dorthin zu begeben. Nachdem auch nach der dritten Durchsage keine Reaktion der Blockierer erfolgt war, wurde die Versammlung seitens der Polizeikräfte durch das einzelne Wegtragen der zwölf Teilnehmer und deren Verbringen auf den Gehweg aufgelöst. Der Angeklagte wurde gegen 7.51 Uhr von der Fahrbahn getragen, die letzten Teilnehmer der Blockadeaktion, die sich auf der Fahrbahn angeklebt hatten und durch einen technischen Spezialtrupp der Polizei erst von der Fahrbahn losgelöst werden mussten, konnten erst gegen 8.45 Uhr von der Fahrbahn entfernt werden.

III.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (vorstehend II.1.) ergeben sich aus dem in der Hauptverhandlung erstatteten Bericht der Jugendgerichtshilfe, die im Oktober 2022 ein Gespräch mit dem Angeklagten geführt hat und deren Ausführungen von dem Angeklagten als zutreffend bezeichnet und ergänzt worden sind, sowie dem im Rahmen der Beweisaufnahme verlesenen Bundeszentralregisterauszug.

Die Feststellungen zum Sachverhalt (vorstehend II.2.) beruhen auf der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme.

Der Angeklagte hat die Tat in der Berufungshauptverhandlung wie festgestellt pauschal eingeräumt und bekundet, dass er zu dieser stehe. Er und seine Mittäter hätten sich zur Tatzeit am Tatort versammelt, um gegen den Klimanotstand zu protestieren und den Verkehr zu blockieren. Im letzten Winter seien ihm die durch den Klimawandel drohenden Gefahren für unsere Lebensgrundlagen bewusst geworden, was in ihm Verzweiflung, Trauer und Wut auf den eingeschlagenen politischen Kurs hervorgerufen und zur Tat als Akt zivilen Ungehorsams veranlasst habe. Es genüge nämlich zur Abwendung der Klimakatastrophe nicht, allein für sich selbst umweltbewusst zu leben. Vielmehr sei es angesichts der Passivität der Politik trotz Wissens um die durch den Klimawandel verursachten Gefahren erforderlich, das politische „Weiter so“ nicht lediglich durch Demonstrationen, sondern durch Aktionen wie das Blockieren von Autobahnen „zu stören, um zu schützen“. Er sehe dies auch als Wahrnehmung von Verantwortung künftigen Generationen gegenüber, die sicherlich kein Verständnis für ein Untätigbleiben seinerseits hätten. Falls die bisherigen Aktionen aber nicht zu konkreten weiterführenden Klimaschutzmaßnahmen führen würden, müsse man sich andere Maßnahmen überlegen.

In seiner in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Einlassung vor dem Amtsgericht hat der Angeklagte zudem u.a. bekundet, dass sich bei der Aktion zwei Leute außen festgeklebt hätten, um gegebenenfalls eine Rettungsgasse bilden zu können. Sie seien insgesamt zwölf Personen gewesen. Durchgefahren sei während der Aktion niemand. Der Verkehr habe sich gestaut. Die Menschen in den Autos hätten ihren Unmut ausgedrückt. Er wisse nicht, ob er eine solchen Aktion wiederholen wolle, er beobachte die Entwicklung. Die Aktion sei nicht angemeldet gewesen. Er sei weggetragen worden und habe sich nicht gewehrt. Es sei von beiden Seiten gewaltfrei gewesen. Die Uhrzeit und der Tag seien so gewählt worden, um das öffentliche Leben zu stören.

Die Einlassungen des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung und in der Hauptverhandlung erster Instanz sind hinsichtlich des Sachverhalts glaubhaft. Denn er hat sein Verhalten nachvollziehbar, zusammenhängend und widerspruchsfrei geschildert. Aus der Einlassung des Angeklagten ergibt sich auch, dass er gemeinschaftlich mit den elf weiteren Teilnehmern der Blockadeaktion gehandelt hat und ihm bekannt war, dass sich einzelne Teilnehmer auf der Fahrbahn festkleben wollten. Dies ergibt sich darüber hinaus auch aus dem festgestellten Verhalten sämtlicher zwölf Teilnehmer, die sich gemeinsam auf die Straße gesetzt, Transparente entfaltet und hochgehalten und sich bis zur Räumung durch Polizeibeamte nicht freiwillig vom Ort der Straßenblockade entfernt hatten.

Darüber hinaus stehen seine Einlassungen im Einklang mit dem übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme.

So hat der Zeuge pp., der als Polizeibeamter an dem Polizeieinsatz zur Auflösung der Blockade teilgenommen hatte, berichtete, dass die Tat ungefähr von ca. 7.00 Uhr bis 08.45 Uhr gedauert habe und durch sie die Autobahnabfahrt vollständig, d. h. im oberen Bereich auf allen drei Fahrstreifen, blockiert und komplett mit Fahrzeugen gefüllt gewesen sei, die keinerlei Ausweichmöglich mehr gehabt hätten. Zwei Personen hätten sich auf der Fahrbahn festgeklebt gehabt. Er sei gegen 7.20 Uhr vor Ort eingetroffen. Es habe drei Durchsagen gegeben, wonach die Teilnehmer ihre Demonstration auf den Gehweg verlegen sollen. Er habe den Angeklagten schließlich gegen 7.51 Uhr von der Fahrbahn getragen, wobei sich dieser, wie auch schon zuvor während der Blockade, absolut friedlich verhalten habe. Eine konkrete vorherige Ankündigung der Blockade habe es nicht gegeben, man habe nur im allgemeinen mit solchen Aktionen gerechnet, ohne vorher deren konkreten Ort und die konkrete Zeit zu kennen. Die Angaben des Zeugen waren glaubhaft, gerade weil er durch die Betonung der Friedlichkeit des Angeklagten keinerlei besondere Belastungstendenz erkennen ließ.

Der Zeuge pp., der ebenfalls als Polizeibeamter vor Ort eingesetzt war, bestätigte inhaltlich die Angaben des Zeugen pp. und ergänzte, dass er bei der Blockadeaktion gegen 07.20 Uhr eingetroffen und diese weder angemeldet noch angekündigt gewesen sei; es habe nur in den Wochen davor unbestimmte Warnungen vor nicht näher präzisierten Autobahnblockaden in der Zukunft gegeben. Er habe der Versammlung einen anderen Ort auf den Gehweg zugewiesen. Zudem benannte er die Zeitpunkte der Lautsprecherdurchsagen und die Tatsache, dass kurz nach der dritten die Versammlung aufgelöst worden sei. Überdies bekundete er, dass alle Täter auf Nachfrage angegeben hätten, sämtliche Lautsprecherdurchsagen verstanden zu haben. Es habe etwa anderthalb Stunden gedauert, bis die Blockade endgültig beendet worden und der Verkehr wieder geflossen sei. Um die festgeklebten Teilnehmer von der Fahrbahn entfernen zu können, hätten erst noch Spezialkräfte hinzugerufen werden müssen; deren Eintreffen habe längere Zeit gedauert. Es habe sich ein sehr langen Fahrzeugstau („bis an den Horizont“) gebildet. Auch an der Aussage des Zeugen pp.x bestanden hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit keine Zweifel. So entstand der Eindruck, dass er nur das berichtete, woran er sich auch tatsächlich erinnerte, als er die Zeitpunkte des Beginns der Versammlung und der Lautsprecherdurchsagen mitteilte, aber angab, sich nicht mehr daran erinnern zu können, wann die Blockade faktisch endgültig beendet war.

Der Zeuge pp.x, ebenfalls als Polizeibeamter am Einsatz zur Auflösung der Blockade beteiligt, bestätigte ebenfalls die Angaben der vorgenannten Zeugen. Er betonte zudem, dass ein Durchfahren für Fahrzeuge aufgrund der Blockade nicht möglich gewesen sei. Die Fahrzeuge hätten sich auf der gesamten Auffahrt gestaut, der Einsatz habe von ca. kurz nach 7 Uhr bis etwa 9 Uhr gedauert.

Hinsichtlich der Beschaffenheit der Blockade sowie deren konkreten Auswirkungen auf den Fahrzeugverkehr auf der Autobahnabfahrt wurden zudem die Lichtbilder Bl. 100 – 105 d. A. und die Lagepläne Bl. 80, 81 d.A. in Augenschein genommen. Darauf ist insbesondere zu sehen, dass die die Autobahnabfahrt blockierenden und auf der Straße sitzenden Personen eine so dichte Kette bilden, dass für Fahrzeuge aller Art kein Durchkommen mehr möglich war. Zudem ist der Fahrzeugstau über ca. 200 Meter bis zum Beginn der Autobahnabfahrt auf den Lichtbildern ersichtlich. Auf diese wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Die Feststellung, dass in einer Pressemitteilung der „Letzten Generation“ vom 31. Januar 2022, einem Tag, an dem u.a. im Stadtgebiet von Berlin auf der BAB 100 bereits wiederholt solche Blockadeaktionen stattfanden, allgemein in der Zukunft weitere Blockadeaktionen auch in Berlin angedroht worden sind, beruht auf der entsprechenden, in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Pressemitteilung der „Letzen Generation“.

Nach alledem war das Gericht überzeugt, dass sich das Tatgeschehen so, wie unter II. dargestellt, auch tatsächlich ereignet hat.

IV.

Der Angeklagte hat sich damit wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Der Angeklagte hat dadurch, dass er sich bewusst auf die Fahrbahn der Autobahnabfahrt Beusselstraße gesetzt hat, in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit seinen Mittätern, den anderen neben ihm sitzenden Protestierenden der sog. „Letzten Generation“, Gewalt gegenüber den mit ihren Fahrzeugen dadurch im Stau stehenden Personen verübt. Gewalt liegt vor bei physisch vermitteltem Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes (vgl. Fischer, StGB, 70. A., § 240 Rn. 8). Zwar mag dies für die direkt vor den Protestierenden stehenden Fahrzeugführer nicht gelten, weil diese durch die menschliche Blockade keinem physischen Zwang ausgesetzt waren, da diese Fahrzeugführer mit der Motorkraft ihrer Fahrzeuge physisch die Blockade hätten durchbrechen können. Anders verhält es sich jedoch mit den hinter diesen – also in zweiter Reihe und weiteren, dahinter befindlichen Reihen – auf der Autobahnausfahrt stehenden Fahrzeugführern, die im Gegensatz dazu nicht lediglich psychisch durch die Gefahr, bei einem Weiterfahren die Protestierer erheblich zu verletzten oder gar zu töten, am Weiterfahren gehindert wurden, sondern physisch durch die vor ihnen (aufgrund des erwähnten psychischen Zwangs, keine Menschen verletzen zu wollen) bereits angehaltenen Fahrzeuge. Diese Fahrzeuge stellten eine unüberwindliche körperliche Barriere für die dahinter auf der Ausfahrt stehenden Fahrzeuge dar, die auf einer Autobahnausfahrt auch nicht wenden oder sonst ausweichen konnten bzw. dies nicht durften. Auf diese (Aus-) Wirkungen kam es dem Angeklagten und den Mitprotestierenden bei der durchgeführten Blockadeaktion auch gerade an (sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 20.07.1995 – 1 StR 126/95 -, juris Rn. 13 ff., Fischer, aaO. Rn. 17, 23 – Rn. 17 a.E. ausdrücklich auch zum Festkleben von Körperteilen auf Fahrbahnen; die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ wurde allgemein gebilligt von BVerfG v. 07.03.2011, 1 BvR 388/05, Rn. 26 ff. in juris).

Die Tat war auch als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen und insbesondere nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit, deren Prüfungsmaßstab hier allein maßgeblich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 -, juris Rn. 38), gerechtfertigt. Die vorzunehmende Prüfung der Zweck-Mittel-Relation ergibt im vorliegenden Fall, dass der Einsatz des Nötigungsmittels der Gewalt (gewaltsame, gezielte Blockade der Verkehrsteilnehmer) zu dem angestrebten Zweck (öffentlich-mediale Aufmerksamkeit erlangen) als verwerflich anzusehen ist.

Vorauszuschicken ist zunächst, dass eine inhaltliche Bewertung der politischen Ziele der Versammlungsteilnehmer durch das Gericht bei der Prüfung der Zweck-Mittel-Relation grundsätzlich nicht stattzufinden hat, vielmehr hat das Gericht, wie auch der Staat insgesamt, gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger inhaltsneutral zu bleiben (vgl. BVerfG, aaO. Rn. 60). Andererseits sind diese politischen Ziele aber auch nicht als Zwecke iSd. im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung durchzuführenden Zweck-Mittel-Relation des § 240 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO., Rn. 44). Dies hat zur Folge, dass bei der Bewertung eines Eingriffs in die Rechte Dritter durch politische Versammlungen der Inhalt eines politischen Ziels grundsätzlich keine Rolle spielen darf, also nicht etwa bestimmte Ziele (selbst wenn sie noch so hochstehend und wertvoll erscheinen) seitens des Gerichts als wertvoller angesehen werden dürfen als andere. Dies gilt uneingeschränkt und trotz der Regelung des Art. 20a GG auch im Zusammenhang mit dem vom Angeklagten verfolgten politischen Anliegen des Klimaschutzes. In Art 20a GG wird zwar der Umweltschutz als Staatsziel festgeschrieben. Das darin enthaltene Klimaschutzgebot normiert aber auch nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 157, 30 ff) (nur) eine Pflicht des Staates zum Klimaschutz bzw. eine Pflicht des Staates zur Herstellung von Klimaneutralität. Diese Pflicht des Staates soll bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers gegenüber dem Staat einklagbar sein. Eine Ermächtigung des einzelnen zum (willkürlichen) Eingriff in die Rechte anderer zum Zwecke der Erreichung von medialer öffentlicher Aufmerksamkeit für weiter gehende Klimaschutzmaßnahmen ist damit jedoch keineswegs verbunden, so dass die Regelung des Art. 20a GG bei der gemäß § 240 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Prüfung der Zweck-Mittel-Relation außer Beachtung zu bleiben hat.

Der Angeklagten und seine Mittäter können sich zwar auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Demnach dürfen sie sich zu einem kommunikativen Zweck mit anderen friedlich versammeln, ein Grundrecht, das für die Willensbildung im demokratischen Rechtsstaat konstitutiv ist. Dabei haben die Grundrechtsträger grundsätzlich das Recht, selbst über Ziel, Gegenstand, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung zu bestimmen, wodurch ihnen auch grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, durch Sitzblockaden Aufmerksamkeit für ihre politisch-gesellschaftlichen (Fern-) Ziele zu generieren (vgl. BVerfG aaO. Rn. 39, 63). Andrerseits ist von dem Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer als Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigung die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Denn Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Willensbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, aaO., Rn. 44). Nur mit der Ausübung des Versammlungsrechts unvermeidbare nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG ohne Weiteres gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (BVerfG, aaO., Rn. 54). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Vielmehr diente die verfahrensgegenständliche Straßenblockade gerade und ausschließlich dem Zweck, die Verkehrsteilnehmer auf der Autobahnabfahrt gezielt zu blockieren, diese also gezielt in ihrer Fortbewegungsfreiheit und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit zu beschränken.

Während sich der Angeklagte und seine Mittäter auf das Versammlungsrecht nach Art. 8 GG berufen können, ist andererseits festzuhalten, dass ihr Handeln (gezielt und absichtlich) die allgemeine Handlungsfreiheit der zwangsweise auf der Autobahnabfahrt stehenden Verkehrsteilnehmer gemäß Art. 2 Abs. 1 GG erheblich beeinträchtigt hat. Diese konnten sich weder mit ihrem Fahrzeug in die gewünschte Richtung fortbewegen, noch einen Umweg nehmen und damit der Blockade ausweichen oder diese umfahren. Ebenso wenig war es ihnen möglich, ihre Fahrzeug zu verlassen und ihren Weg zu Fuß fortzusetzen, weil sie dieses dadurch aufgeben und ihrerseits den nachfolgenden Verkehr unzulässig dauerhaft behindert hätten. Damit waren sie im Ergebnis für die Zeit bis zur Beendigung der Blockade durch die Polizei räumlich auf den Bereich in ihrem bzw. unmittelbar um ihr Fahrzeug herum beschränkt, was dem Zustand des Eingesperrt seins zwar nicht gleich-, aber in seiner ganz erheblichen Zwangswirkung doch durchaus nahe kommt. Zu dieser unmittelbaren Zwangswirkung kommen die daraus folgenden weiteren Einschränkungen der blockierten Verkehrsteilnehmer hinzu, die durch das Verhindern jeglicher nennenswerter Fortbewegungsmöglichkeiten in ihren Plänen an diesem Tag zeitlich ganz erheblich beeinträchtigt wurden.

Zweck des Angeklagten und seiner Mittäter iSd. § 240 Abs. 2 StGB war es im vorliegenden Fall nicht (wie auch in anderen Fällen gezielter politischer Sitzblockaden, sofern es nicht tatsächlich in erster Linie um die Verhinderung des Zugangs zu einer bestimmten Örtlichkeit geht, was hier nicht der Fall war), konkret diese Straße zu diesem Zeitpunkt zu blockieren. Vielmehr diente diese Straßenblockade gezielt der Lahmlegung des Verkehrs auf einer stark frequentierten Straße in Berlin zu einer Hauptverkehrszeit am Morgen an einem Werktag. Damit sollte eine möglichst weit reichende mediale, öffentliche Aufmerksamkeit für die Fernziele der Versammlungsteilnehmer (verstärkte Anstrengungen zum Klimaschutz u.ä.) und ein möglichst großes Aufsehen in der Öffentlichkeit hervorgerufen werden (vgl. BVerfG aaO Rn. 61; Fischer, aaO., Rn. 44, 46). Die solcherart gezielt und nicht nur als Folge einer Demonstration zwangsläufig-unbeabsichtigt betroffenen Dritte wurden so zu einem Objekt der Meinungsäußerung des Angeklagten und seiner Mittäter instrumentalisiert.

Mittel des Angeklagten und seiner Mittäter iSd. § 240 StGB waren hier die festgestellten Zwangseinwirkungen auf Dritte, die allein darauf abzielten, durch die Zwangseinwirkung gesteigerte öffentlich-mediale Aufmerksamkeit und Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erreichen.

Entscheidend zu berücksichtigen ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vor allem das Gewicht des gewaltsamen Eingriffs in die Rechte Dritter, die von den Tätern zu Objekten ihrer Selbstdarstellung gemacht werden (Fischer aaO. Rn. 46).

Bei der vorzunehmenden Abwägung waren dabei vorliegend insbesondere die folgenden Umstände zu berücksichtigen:

– Dauer der Blockade: Die Blockade dauerte etwa anderthalb Stunden und war damit von einer erheblich Dauer. Die blockierten Verkehrsteilnehmer mussten damit eine nicht nur in ihren Wirkungen erhebliche, sondern auch länger andauernde Freiheitseinschränkung mit der Folge erheblicher Zeitverzögerungen und Verspätungen hinnehmen.

– vorherige Bekanntgabe der Blockade: Die betroffenen Verkehrsteilnehmer hatten zudem keine Möglichkeit, sich vorher auf die Blockade einzustellen, weil diese weder zeitlich noch örtlich konkret angekündigt worden war; nur ganz allgemein war aufgrund einer Pressemitteilung vom 31. Januar 2022, also vier Tage zuvor, in der Zukunft mit Blockaden auch in Berlin und damit wohl auch wie in der Vergangenheit auf der BAB 100 zu rechnen. Ein allgemeines In-Aussicht-Stellen solcher Blockaden für nicht weiter konkretisierte künftige Orte und Zeitpunkte, wie sie durch die sog. „Letzten Generation“ zuvor erfolgt war, genügt aber nicht, um sich hinsichtlich Wahl des Verkehrsmittels oder der Fahrtstrecke darauf einzustellen, weil eine solche Ankündigung hinsichtlich Zeitraum und Ort viel zu unbestimmt ist, um sich als möglicher betroffener Verkehrsteilnehmer auf die Behinderungen und deren mögliche weitere Auswirkungen einzustellen und eine Alternativstrecke zu planen oder ein Alternativverkehrsmittel nebst Extra-Zeit zu organisieren.

– Umfang der Blockade, Ausweichmöglichkeiten: Auch war den Blockierten ein spontanes Ausweichen auf der Autobahnausfahrt – wie oben dargestellt – nicht möglich. Die Blockade war für die auf der Autobahnausfahrt stehenden Verkehrsteilnehmer „total“.

– Sachbezug der Blockade: Andererseits besteht zwar ein gewisser sachlicher Zusammenhang zwischen dem fortschreitenden Klimawandel und den Schadstoffemissionen von Fahrzeugen, die hier blockiert worden sind. Dieser scheint aber eher allgemein zu bestehen und schwach ausgeprägt zu sein, da sich die Aktion nicht gegen Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen richtete, sondern global gegen den Klimawandel und für weiterreichende politische Klimaschutzmaßnahmen. Darüber hinaus wurde während der Blockadeaktion auf Transparenten auch auf eine Lebensmittelverschwendung hingewiesen. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen diesem politischen Anliegen und der verfahrensgegenständlichen Verkehrsblockade ist nicht ersichtlich.

Die bei der Abwägung zu berücksichtigenden, zunächst genannten drei Aspekte, die gerade auch in ihrer Zusammenschau zu der Feststellung eines erheblichen Eingriffs in die Rechte der betroffenen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer führten, sorgten dafür, dass die zudem gezielt und absichtsvoll und nicht nur als Nebenwirkung einer Demonstration blockierten Fahrzeugführer dem Willen der Versammlungsteilnehmer in besonders starkem Maße ausgeliefert waren. Andererseits ist ein Sachzusammenhang zwischen der Blockadeaktion und den konkret von ihr Betroffenen zwar vorhanden, aber eher gering, und konnte sich im Ergebnis angesichts der hiesigen, dargestellten Eingriffsstärke in die Rechts Dritter bei der Abwägung nicht entscheidend zugunsten des Angeklagten auszuwirken.

Die verfahrensgegenständliche Anwendung von Gewalt gegen die Verkehrsteilnehmer war daher zu dem angestrebten Zweck im Ergebnis der Abwägung als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen.

V.

Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und zehn Monate alt und damit Heranwachsender gemäß § 1 Abs. 2 JGG. Auf ihn hatte hier das allgemeine Strafrecht Anwendung zu finden, weil die Tat weder eine Jugendverfehlung gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG darstellt, noch beim Angeklagten erhebliche Reifeverzögerungen gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG festzustellen waren.

Das Engagement in der sog. „Letzten Generation“, für die Straßenblockaden zum Zwecke des Protestes gegen die politische Tatenlosigkeit hinsichtlich des Klimawandels charakteristisch sind, ist keineswegs auf Jugendliche beschränkt, sondern vereint vielmehr Menschen verschiedener Altersklassen. Erwachsene sind dort ebenso vertreten wie Heranwachsende und Jugendliche. Auch wenn ältere Erwachsene deutlich in der Minderheit sein dürften, sind jüngere Erwachsene dort gerichtsbekannt in nennenswerter Zahl vertreten. Hinzu kommt, dass Straßenblockaden zum Zwecke der Durchsetzung politischer Ziele auch allgemein zwar eher von jüngeren Menschen, aber keineswegs typischerweise nur von Jugendlichen begangen werden. Zwar mag die von dem Angeklagten auch in der Berufungshauptverhandlung wiederholt vertretene Unbedingtheit seiner Meinung, die hohe Dringlichkeit seines Anliegens, die von ihm geltend gemachten apokalyptischen Folgen eines aus seiner Sicht unzureichenden politischen Handelns für den gesamten Planeten und der Anspruch auf die absolute Wahrheit für ein eher jugendtypisches Verhalten sprechen; auf Jugendliche ist eine solche Denk- und Verhaltensweise jedoch nicht beschränkt, sie wird vielmehr auch von zahlreichen Erwachsenen und auch in der medialen Öffentlichkeit vertreten. Zudem hat der Angeklagte geplant, gezielt und überlegt und mit Vorbedacht hinsichtlich Ort und Zeit seiner Teilnahme an der verfahrensgegenständlichen Blockadeaktion, die mit Plakaten und Klebemitteln vorbereitet worden ist, gehandelt. Die Tat lässt insgesamt keine Merkmale für eine jugendtypische Entwicklungsphase, insbesondere keine jugendtypische Beweggründe oder Motive, sondern vielmehr eine echte Sorge des Angeklagten um die Zukunft des Planeten, erkennen. Ein Fall des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG lag damit nicht vor.

Auch war der Angeklagte mangels anzunehmender Reifeverzögerungen nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen, weshalb auch § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG keine Anwendung zu finden hatte. Der Angeklagte hat einen Lebensweg ohne nennenswerte Entwicklungsbrüche hinter sich. Er wuchs ohne größere Probleme im gemeinsamen bildungsnahen Haushalt der Eltern in Münster auf und leitete nach seinem Abitur 2019 entwicklungsgemäß seine Verselbständigung ein, indem er zunächst einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in Afrika absolvierte und anschließend zum Studium in eine elternhausferne Stadt in eine Wohngemeinschaft zog, in der er für sich selbst verantwortlich ist und sich selbst versorgt. Das im Herbst 2020 aufgenommene Studium der Medizin, dass er schon längere Zeit kontinuierlich angestrebt hatte, verfolgt er zielstrebig weiter. Dass er sich in seiner Freizeit für politische Projekte in Schulen engagiert, zeugt zudem davon, dass er auch außerhalb seiner beruflichen Ausbildung genau weiß, was ihm wichtig ist und wofür er Zeit einsetzt. Der Umstand, dass er neben Studium, gesellschaftlichem Engagement und Teilnahme an Klimaprotesten keine Zeit mehr hat, durch einen Nebenjob eigenes Geld zu verdienen, sondern finanziell von seinen Eltern, die er nicht mehr sehr häufig sieht, unterstützt wird, ist kein Hinweis auf eine mangelnde Verselbständigung aus dem Elternhaus, sondern Ausdruck und zwangsläufige Folge der von ihm autonom vorgenommenen zeitlichen Prioritätensetzung. Der Angeklagte ist sowohl körperlich als auch geistig mindestens altersgerecht entwickelt; insbesondere konnte er seine Stellungnahme zu dem Tatvorwurf und seine politischen Anliegen in der Berufungshauptverhandlung sowohl in seiner Einlassung als auch in seinem Schlusswort eloquent, wortreich und rhetorisch geschickt vertreten, ohne dass hierbei Unsicherheiten oder Reifeverzögerungen erkennbar gewesen sind. Hinweise darauf, dass bei dem Angeklagten Entwicklungskräfte noch im größeren Umfang wirksam waren oder sind, sind daher nicht ersichtlich.

Bei der Strafzumessung hat die Kammer den Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt.

Für den Angeklagten sprachen vor allem sein Geständnis in der Hauptverhandlung, sein außerhalb des verwirklichten Tatbestandes friedfertiges Verhalten, sein noch junges Alter sowie seine bisherige Unbestraftheit. Auch hat das Gericht berücksichtigt, dass der Angeklagte handelte, um Aufmerksamkeit für die durch den Klimawandel verursachten erheblichen Schäden für die Menschheit, den Planeten und künftige Generationen zu erzeugen und dem Phänomen dadurch entgegenzuwirken. Es ging ihm bei der Tat nicht um seinen eigenen materiellen oder immateriellen Vorteil, auch wenn nicht ganz auszuschließen ist, dass der Protest teilweise auch seiner eigenen Selbstverwirklichung diente. Die Kammer hat ihm jedoch zugute gehalten, dass er aus einer ehrlichen Sorge um die Zukunft des Planeten gehandelt hat und davon überzeugt ist, dass – auch von der Bundesregierung bzw. dem Bundesgesetzgeber – weitergehende Schritte unternommen werden müssen, um den Klimawandel aufzuhalten. Der Angeklagte muss sich hierbei jedoch entgegenhalten lassen, dass er mit seiner Verhaltensweise grundlegende Regelungen eines demokratischen Rechtsstaates bewusst ignoriert hat. Denn in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik muss eine gewaltfreie Kommunikation der Bürger gewährleistet sein. Nur in einem diskursiven, gleichberechtigten und gewaltfreien politischen Prozess können unter Einhaltung der vereinbarten Verfahrensregeln möglichst alle in der Gesellschaft vorhandenen (und oft gegenläufigen) Interessen berücksichtigt und ausgeglichen (oder zumindest bedacht und berücksichtigt) werden. Die so getroffenen legitimen Entscheidungen dürfen anschließend zwar (auch grundlegend) in Frage gestellt und kritisiert werden, um sie zu ändern, natürlich können sie im weiteren zeitlichen Verlauf auch revidiert werden, sie sind jedoch als solche solange zu akzeptieren und zu beachten, wie sie gültig sind. Keinesfalls dürfen solcherart getroffenen legitimen Entscheidungen mit Gewalt (wie vorliegend) in Frage gestellt werden. Auch darf nicht aus einer vermeintlich besseren Einsicht die eigene Sichtweise anderen aufgezwungen werden. Die Sicht- und Vorgehensweise des Angeklagten stellt diese für einen demokratischen Rechtsstaat grundlegende Übereinkunft in Frage. Der Angeklagte hat sich (gemeinsam mit anderen) selbst ermächtigt, um ein vermeintlich oder tatsächlich hochstehendes Ziel mit Gewalt und auf Kosten anderer durchzusetzen. Er steht aber – wie jeder andere auch – nicht über dem Gesetz. Selbstjustiz darf in einem Rechtsstaat von niemanden ausgeübt werden und das Recht des Stärkeren, Lauteren, Radikaleren usw. darf sich nicht durchsetzen. Mit seinem Verhalten hat der Angeklagten den Rechtsstaat als solchen, wenn auch vielleicht nur in einem kleinen Rahmen, in Frage gestellt, und damit eine letztlich undemokratische, rechtsfeindliche Grundhaltung offenbart.

Gegen den Angeklagten sprachen vor allem die konkrete zeitliche Dauer der Nötigung mit ca. anderthalb Stunden sowie die Tatsache, dass die Tat bewusst eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern in ihrem Fortkommen beeinträchtigen sollte und dies auch tat.

Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erschien dann eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen.

Die Tagessatzhöhe von 20 Euro wurde sehr vorsichtig geschätzt. Grundlage der Schätzung waren der Umstand, dass der Angeklagte ein WG-Zimmer in Berlin-Mitte zur Miete bewohnt und neben der Miete, die einschließlich Nebenkosten sehr zurückhaltend mit mindestens 250 Euro monatlich veranschlagt wurde, zudem finanzielle Mittel für seinen weiteren Lebensunterhalt und seinen Studienbedarf (insgesamt mindestens weitere 350 Euro monatlich) von seinen Eltern benötigt. Mindestens 20 Euro täglich wird er daher von seinen Eltern für seinen Lebensunterhalt beziehen. Weiterhin war zu bedenken, dass dem Angeklagten als nicht im elterlichen Haushalt lebenden Studenten in seinem ersten Studium grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG zustehen. Sollte er von seinen Eltern daher weniger als die geschätzten 20 Euro täglich erhalten, könnte er (ergänzende) BAföG-Mittel bis zur Erreichung des Höchstsatzes beantragen; sollte er hierauf trotz eines Anspruchs verzichten, wären ihm die zustehenden Leistungen dennoch als Einkommen zuzurechnen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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