Tagebau-Gelände Garzweiler: Hausfriedensbruch trotz Grundrechten
In einem Fall, in dem mehrere Personen das Tagebaugelände Garzweiler betreten hatten, hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass deren Handeln als Hausfriedensbruch einzustufen ist und nicht durch die Wahrnehmung von Grundrechten gerechtfertigt werden kann.
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Übersicht
Freispruch aufgehoben
Das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt hatte die Angeklagten zuvor freigesprochen, da es ihr Handeln durch die Wahrnehmung ihrer Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Abs. 3 GG als gerechtfertigt angesehen hatte. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach legte Revision ein, woraufhin das OLG Düsseldorf das Urteil aufhob.
Keine Rechtfertigung durch Grundrechte
Das OLG entschied, dass die Angeklagten aus ihren Grundrechten weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln herleiten können. Eine effektive Grundrechtsausübung wäre auch bei einem rechtmäßigen Handeln möglich gewesen, indem die Angeklagten beispielsweise vor dem Gelände demonstriert hätten. Das Grundgesetz garantiert keinen Anspruch auf die selbstdefinierte effektivste Grundrechtsausübung.
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Das vorliegende Urteil
OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2022 – Az.: 4 RVs 48/22
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach werden die Urteile des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 14. März 2022 (Az.: 21 Cs- 721 Js 60/22- 111/22, 21 Cs- 721 Js 44/22- 69/22, 21 Cs- 721 Js 26/22- 56/22) mit den ihnen zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sachen werden zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafabteilung des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hat jeweils den Erlass eines Strafbefehls gegen die Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs beantragt, da sie am 15. August 2021 – ohne dazu befugt zu sein – gemeinsam mit 52 weiteren Personen über die Rampe Wanlo in das vollständig umfriedete Tagebaugelände Garzweiler eingedrungen sein sollen. Daraufhin hat das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt Hauptverhandlungstermine bestimmt und die Angeklagten jeweils mit Urteil vom 14. März 2022 freigesprochen, da es ihr Handeln durch die Wahrnehmung ihrer Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Abs. 3 GG als gerechtfertigt angesehen hat.
Mit den zum Nachteil der Angeklagten eingelegten, frist- und formgerechten Revisionen der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, denen die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt sie die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruch unterblieben ist, da es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Rechtfertigung für das strafbewehrte Handeln der Angeklagten gegeben habe.
II.
Die Revisionen haben in der Sache Erfolg.
Die Urteile des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 14. März 2022 sind mit den zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 353 StPO aufzuheben.
Das Handeln der Angeklagten war rechtswidrig und schuldhaft. Die Angeklagten können insbesondere aus ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Abs. 3 GG weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln herleiten.
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob überhaupt aus Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung abgeleitet oder aus der Versammlungsfreiheit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 3 GG oder der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann (vgl. dazu Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Auflage 2019, Vorbem. zu §§ 32 ff., Rn. 118 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2015, Az.: III-5 vRVs 7/15, 5 RVs 7/15, zitiert nach juris). Gegen die Möglichkeit einer Rechtfertigung spricht zum Beispiel der Umstand, dass im Einzelfall unklar bliebe, ob oder ab wann der Inhaber des Hausrechts oder staatliche Organe berechtigt wären, den Hausfrieden wieder herzustellen.
Denn ein strafbarkeitsausschließender Vorrang durch die Betätigung der Grundrechte kann jedenfalls nur dann gegeben sein, wenn für die Angeklagten keine andere effektive Möglichkeit bestanden hätte, ihre Grundrechte straffrei auszuüben. Vorliegend wäre eine effektive Grundrechtsausübung auch bei einem rechtmäßigen Handeln möglich gewesen. Die Angeklagten hätten auch vor dem Gelände von RWE demonstrieren können. Diesbezüglich kann seitens der Angeklagten auch nicht eingewandt werden, dass die Demonstration vor dem Gelände von RWE nicht so effektiv gewesen wäre, wie die Demonstration auf dem Tagebaugelände, da das Grundgesetz keinen Anspruch auf die selbstdefinierte effektivste Grundrechtsausübung gewährleistet.
III.
Soweit die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revisionsverfahren – an eine andere Strafabteilung des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt zurückverwiesen werden, beruht die Entscheidung auf§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO.