Ausnahmeregelung bei Fahrverbot für Feuerwehrmann nach Trunkenheitsfahrt mit Fahrrad
In einem bemerkenswerten Urteil vom 11.11.2020 (Az.: 3 Ns 106 Js 28645/19) hat das Landgericht Gießen das Fahrverbot für einen Feuerwehrmann aufgehoben, der unter Alkoholeinfluss mit dem Fahrrad gefahren war.
Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Gießen am 26.02.2020 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt und nach dem Regelfall des § 44 StGB mit einem Fahrverbot von zwei Monaten belegt. Dieses Urteil wurde jedoch auf Berufung des Angeklagten hin vom Landgericht Gießen dahingehend abgeändert, dass das Fahrverbot entfällt.
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Übersicht
Berufung gegen Fahrverbot
Das als Berufung eingelegte Rechtsmittel des Angeklagten richtete sich ausschließlich gegen die Verhängung des Fahrverbots. Der Angeklagte argumentierte, dass das Fahrverbot seine berufliche Tätigkeit als Feuerwehrmann stark beeinträchtigen würde.
Verständnis für besondere Umstände
Das Berufungsgericht und die Staatsanwaltschaft berücksichtigten die besonderen Umstände des Falles. Es wurde anerkannt, dass der Angeklagte zuvor straf- und verkehrsrechtlich unbescholten war und dass der Alkoholmissbrauch eine Ausnahme anlässlich einer privaten Nachfeier seines 40. Geburtstags war. Die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war nahezu ausgeschlossen und es wurde hervorgehoben, dass der Angeklagte Wehrführer der freiwilligen Feuerwehr in seinem Heimatort ist, ohne erkennbaren Bezug zur rechten Szene.
Ausnahmeregelung bei Fahrverbot
Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass es in diesem Fall nicht der weiteren Erinnerung des Angeklagten an das normativ als strafbar festzustellende Fehlverhalten im Straßenverkehr durch ein Fahrverbot bedarf. Stattdessen wurde der Fokus auf die berufliche Tätigkeit des Angeklagten gelegt, dessen Fähigkeit, als Feuerwehrmann zu agieren, durch das Fahrverbot stark eingeschränkt gewesen wäre.
Dieses Urteil hebt die Wichtigkeit der individuellen Beurteilung jeder Situation hervor und zeigt, dass selbst bei klaren Verstößen gegen das Strafrecht der Kontext und die besonderen Umstände eines Falles in die Entscheidung miteinbezogen werden müssen. […]
Das vorliegende Urteil
LG Gießen – Az.: 3 Ns 106 Js 28645/19 – Urteil vom 11.11.2020
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 26.02.2020 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass das Fahrverbot entfällt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
In Wegfall: § 44 StGB.
Gründe
(abg. gemäß je 267 Abs. 4 StPO).
Das Amtsgericht Gießen – Strafrichter – hat den Angeklagten am 26.02.2020 gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt und nach dem Regelfall des § 44 StGB ein Fahrverbot von zwei Monaten bemessen.
Gegen das Urteil wendete sich der Angeklagte durch sein als Berufung durchgeführtes Rechtsmittel vom 26.02.2020, das sich ausschließlich gegen die Verhängung des Fahrverbots richtete.
Die von Staatsanwaltschaft und Berufungsgericht zweiter Instanz gewonnenen Erkenntnisse erlaubten, von der Verhängung des Fahrverbots Abstand zu nehmen. Der bislang in jeder Hinsicht nach Straf- und Verkehrszentralregister unbescholtene Angeklagte ließ jetzt erkennen, dass der schwerwiegende Alkoholmissbrauch vom Samstag, dem … mit zuletzt für ihn lebensbedrohlichen 2,56 Promille Blutalkohol einer privaten Nachfeier seines 40. Geburtstags geschuldet war. Er geriet gegen 20:30 Uhr auf dem kurzen innerörtlichen Heimweg im kleine Ort … mit seinem Fahrrad in eine Kontrollstelle anlässlich eines Rockkonzerts der im rechten Spektrum zu verortenden EU-Musik-Gruppe „…“. Die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war nahezu ausgeschlossen. Der Angeklagte ist Wehrführer der freiwilligen Feuerwehr in … ohne erkennbaren Bezug zur rechten Szene.
Hier bedarf es nicht der weiteren Erinnerung des Angeklagten an das normativ als strafbar festzustellende Fehlverhalten im Straßenverkehr durch ein Fahrverbot.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.4 StPO.