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Fahrverbot statt Fahrerlaubnisentziehung bei fahrlässiger Tötung durch Verkehrsunfall

Rechtsprechung: Fahrlässige Tötung führt zu Geldstrafe und Fahrverbot, nicht Fahrerlaubnisentziehung

Der folgende Bericht beleuchtet ein Urteil, das einen bedeutsamen Präzedenzfall im deutschen Verkehrsstrafrecht setzt. Dabei geht es um die Frage, ob bei fahrlässiger Tötung durch einen Verkehrsunfall zwingend die Fahrerlaubnis entzogen werden muss oder ob auch ein Fahrverbot als angemessene Sanktion in Betracht kommen kann. Diese Frage stellt das rechtliche Hauptproblem des betrachteten Falles dar.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 11 Ns 566 Js 69948/19 >>>

Prozessbeginn und erster Instanz

Im Fokus des Verfahrens stand eine Angeklagte, die wegen fahrlässiger Tötung durch einen Verkehrsunfall vom Amtsgericht Bad Segeberg im August 2020 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Darüber hinaus wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von zwölf Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis festgelegt. Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte Berufung ein.

Berufung und Beschränkungen

Nachdem die Berufung der Angeklagten zunächst zu spät eingereicht wurde, erfolgte eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und die ausgesprochenen Nebenfolgen. Dadurch wurden die Feststellungen des Amtsgerichts bezüglich der Tat, der rechtlichen Würdigung und der festgesetzten Geldstrafe rechtskräftig. Die Berufung der Angeklagten war insofern erfolgreich, als die ursprüngliche Entscheidung bezüglich der Nebenfolgen – die Entziehung der Fahrerlaubnis und die festgesetzte Sperrfrist – nochmals auf den Prüfstand gestellt wurde.

Beurteilung der Fahrtauglichkeit

Die Kammer musste nun entscheiden, ob der Angeklagten aufgrund der Tat die Fahrerlaubnis zu entziehen und eine Sperrfrist anzusetzen war. Die rechtliche Grundlage dafür liefert § 69 Abs. 1 StGB, nach dem die Fahrerlaubnis entzogen wird, wenn sich aus einer rechtswidrigen Tat, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen wurde, ergibt, dass der Verurteilte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

Entscheidung der Kammer

Die Kammer kam jedoch zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB bei der Angeklagten nicht vorlagen. Zwar stand die fahrlässige Tötung, die sie begangen hatte, im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs. Doch zeigte ihr Verhalten nach Ansicht der Kammer nicht, dass sie ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs ist. Insgesamt vertrat die Kammer die Auffassung, dass bei der Gesamtwürdigung des Tathergangs und der Persönlichkeit der Angeklagten keine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs vorlag.


Das vorliegende Urteil

LG Kiel – Az.: 11 Ns 566 Js 69948/19 – Urteil vom 21.10.2020

Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Segeberg vom 10. August 2020 in der Rechtsfolge dahin geändert, dass anstelle der Entziehung der Fahrerlaubnis und Einziehung des Führerscheins ein Fahrverbot von 6 Monaten gegen die Angeklagte verhängt wird.

Die Kosten der Berufung nebst der notwendigen Auslagen der Angeklagten im Berufungsrechtszug trägt die …kasse.

Angewendete Vorschriften: §§ 222, 42, 44 StGB

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Fahrverbot statt Fahrerlaubnisentziehung bei fahrlässiger Tötung durch Verkehrsunfall
Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr: Urteil setzt Präzedenzfall. Entzug der Fahrerlaubnis muss nicht zwingend sein, eine Geldstrafe und Fahrverbot können ausreichend sein (Symbolfoto: Ground Picture /Shutterstock.com)

Das Amtsgericht Bad Segeberg hat die Angeklagte am 10. August 2020 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € unter Ratenzahlungsgestattung verurteilt, ihr zudem die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis von 12 Monaten angeordnet. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte durch ihren Verteidiger Berufung eingelegt, die erst einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist beim Amtsgericht Bad Segeberg eingegangen ist. Auf Antrag ihres Verteidigers vom 6. Oktober 2020 (Bl. 127 d. A.) ist der Angeklagte durch Beschluss der Kammer vom 9. Oktober 2020 (Bl. 132 d.A.) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden. Mit per elektronischer Post übersandtem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 14. Oktober 2020 ist die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und im Hauptverhandlungstermin mit Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel weiter allein auf die ausgesprochene Nebenfolge beschränkt worden. Diese Beschränkungen der Berufung durch die Angeklagte sind zulässig und insofern war ihr Rechtsmittel auch erfolgreich.

II.

Durch die Beschränkung der Berufung zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und später allein auf die ausgesprochenen Nebenfolgen seitens der Angeklagten sind die Feststellungen des Amtsgerichts zu der Tat, deren rechtliche Würdigung und die festgesetzte Gelstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € unter Ratenzahlungsgestattung rechtskräftig und für die Kammer verbindlich. Insoweit wird auf das erstinstanzliche Urteil (S. 2 – 3, 4 – 5, Bl. 111 – 112, 113 – 114 d. A.) Bezug genommen.

III.

Die Berufungshauptverhandlung ergab folgende Feststellungen:

Die Angeklagte ist am … in … geboren, wo sie auch seit ihrer Geburt lebt. Sie wohnt im sogenannten Altenteil mietfrei auf dem nunmehr ihrem erstgeborenen Sohn gehörenden Grundstück mit ihrem zweiten Sohn zusammen, welcher sie bei täglichen Besorgungen unterstützt. Die Angeklagte ist verwitwet und bezieht eine Rente in Höhe von monatlich 900 €. Mit ihrem Pkw fährt sie ca. 2-mal pro Woche in die umliegenden Orte, um Besorgungen zu erledigen. Seit der Tat leidet die Angeklagte, die aufgrund ihrer früheren beruflichen Tätigkeit das verstorbene Ehepaar … kannte, an Schlafstörungen. Psychologische Hilfe nahm sie bisher nicht in Anspruch.

Weder im Bundeszentralregister noch im Fahreignungsregister liegen Eintragungen der Angeklagten vor.

IV.

Aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung seitens der Angeklagten hatte die Kammer lediglich noch darüber zu entscheiden, ob der Angeklagten aufgrund der diesem Verfahren zugrundeliegenden Tat die Fahrerlaubnis zu entziehen, ihr Führerschein einzuziehen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis anzuordnen waren. Nach § 69 Abs. 1 StGB wird demjenigen, der wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder ihm Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wurde, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, die Fahrerlaubnis entzogen, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

Nach Ansicht der Kammer lagen diese Voraussetzungen bei der Angeklagten nicht vor. Zwar steht die von ihr begangene fahrlässige Tötung im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs. Die Angeklagte hat sich aber durch ihr Verhalten nicht als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen. Bei der von der Angeklagten begangenen fahrlässigen Tötung handelte es sich nicht um eine Katalogtat des § 69 Abs. 2 StGB. Bei einer Gesamtwürdigung des Tathergangs und der Persönlichkeit der Angeklagten liegt keine charakterliche Ungeeignetheit vor. Zwar hat sie mit dem Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO eine elementare Verkehrsvorschrift verletzt, welche zu den „goldenen Regeln des Verkehrs“ zählt (vgl. BGH (vereinigte große Senate), Beschluss vom 01.07.1961 – VGS 1/60, in den Gründen unter III. 2. c) und sie verursachte die schwerste aller denkbaren Unfallfolgen, den Tod gleich zweier Menschen, die nicht wiedergutzumachen ist. Anders als das Amtsgericht ist nach Ansicht der Kammer der Angeklagten aber kein erhöhtes Maß an Pflichtwidrigkeit anzulasten. Zwar ist sie mit den Örtlichkeiten, insbesondere mit dem Kurvenverlauf vertraut. Es handelt sich aber um eine äußerst schmale, lediglich ca. 3,4 und im Einmündungsbereich des Campingplatzes „…“ sogar nur von ca. 3,2 Meter breiten Fahrbahn. Überdies ist die Angeklagte weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich bisher überhaupt in Erscheinung getreten, sie bereut ihre Tat zutiefst und suchte nach dem Unfall umgehend Hilfe. Gerade diese Gesichtspunkte machten für die Kammer überdeutlich, dass eine charakterliche Ungeeignetheit der Angeklagten nicht anzulasten ist mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB für eine Entziehung der Fahrerlaubnis und Einziehung des Führerscheins nicht vorlagen. Um der Angeklagte aber das von ihr begangene Unrecht deutlich vor Augen zu führen war es erforderlich, gemäß § 44 StGB ein Fahrverbot von 6 Monaten gegen sie anzuordnen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO.

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