Eine Analyse des Falles: Medizinisches Fehlverhalten und Vertrauensbruch
Der vorliegende Fall wirft Licht auf den problematischen Kontext des medizinischen Missbrauchs von Autorität und Vertrauen, insbesondere in Bezug auf die Ausstellung von Gesundheitszeugnissen und Attesten. Dabei geht es um einen Arzt, der, entgegen dem Recht und seiner beruflichen Pflicht, sogenannte „Maskenbefreiungsatteste“ ausgestellt hat, ohne vorher eine angemessene medizinische Untersuchung der betroffenen Personen durchzuführen. Er berief sich dabei auf seine subjektiven Vorbehalte gegenüber dem Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 76/23 >>>
Übersicht
Der Vorwurf: Unkorrekte Ausstellung von Attesten
Im Kern des Falles steht die Anschuldigung, dass der Arzt Gesundheitszeugnisse, genauer gesagt „Maskenbefreiungsatteste“, ausgestellt hat, ohne dafür eine angemessene medizinische Untersuchung der betroffenen Personen durchzuführen. Der Arzt hatte lediglich auf Anforderung der Betroffenen hin gehandelt – sei es schriftlich, telefonisch oder persönlich – und sich dabei auf seine persönliche Auffassung gestützt, dass das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen generell gesundheitsschädlich sei.
Die Rechtliche Bewertung: Strafbarkeit und Vertrauensbruch
Die Ausstellung dieser Atteste ohne ausreichende medizinische Untersuchung und Beurteilung des Einzelfalls stellt einen klaren Verstoß gegen das Recht dar. Es war zu den betreffenden Zeitpunkten für approbierte Medizinalpersonen strafbar, wider besseres Wissen ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen auszustellen. Darüber hinaus wurde auf das vom Staat in Ärzte gesetzte besondere Vertrauen hingewiesen, die korrekte Prüfung durchzuführen, ob im Einzelfall das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unzumutbar ist.
Verweis auf vorangegangene Gerichtsentscheidungen
Interessanterweise wurde in der Entscheidung auch auf ein vorangegangenes Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts Bezug genommen, welches die Strafbarkeit nach § 279 StGB, das das Gebrauchen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses unter Strafe stellt, behandelte. Die hier vertretene Rechtsauffassung, dass es nicht darauf ankommt, ob vor der Ausstellung des Attests auch eine körperliche Untersuchung stattgefunden habe, spielt für die gegenständliche Rechtsauffassung keine Rolle.
Endgültige Entscheidung und Schlussfolgerungen
Die Strafkammer lehnte die gestellten Beweisanträge ab und stützte sich auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft sowie die vorstehenden Darlegungen zur materiellen Rechtslage. Das Urteil kann unabhängig von der vom Landgericht jeweils gegebenen Begründung nicht beruhen. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass Ärzte eine hohe Verantwortung tragen und Missbrauch zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen kann.
Das vorliegende Urteil
BayObLG München – Az.: 206 StRR 76/23 – Beschluss vom 05.06.2023
Leitsätze:
1. Ärztliche Atteste sind gem. § 278 StGB unrichtig, wenn sie ohne persönliche Untersuchung ausgestellt werden, obwohl keine besonderen Umstände vorliegen, die dies ausnahmsweise rechtfertigen könnten.
2. Eine ärztliche Bescheinigung, die während der Covid 19-Pandemie zu dem Zweck der Glaubhaftmachung ausgestellt wurde, der betreffenden Person sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar, ist unrichtig, wenn sie sich nicht auf durch eine Untersuchung festgestellte individuelle gesundheitliche Besonderheiten, sondern lediglich auf generelle Vorbehalte gegen das Tragen von Gesichtsmasken stützte.
3. Wird die Strafbarkeit wegen Ausstellens eines unrichtigen Maskenbefreiungsattestes zum Gebrauch bei einer Behörde nach § 278 StGB a.F. damit begründet, das Attest sei zur Vorlage bei einer Schulbehörde während der Covid-19 Pandemie gedacht gewesen, um von der in der Schule bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden, bedarf es der Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attestes eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände bestand oder mit der Anordnung einer solchen gerechnet wurde.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 15. November 2022 mit den dazugehörigen Feststellungen in folgendem Umfang aufgehoben:
1. im Schuldspruch, einschließlich des jeweiligen Rechtsfolgenausspruchs, die Fälle (gemäß der Bezeichnung in den Urteilsgründen unter Abschnitt III) a, b, c, d, e, f, i, j, k, s, t und y, mit den hierzu jeweils zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen; die Feststellungen zum objektiven Tathergang bleiben aufrecht erhalten;
2. im Rechtsfolgenausspruch zusätzlich die Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen u, v, w und x sowie
3. die Gesamtfreiheitsstrafe.
II. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Passau zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht – Schöffengericht – Passau hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. Mai 2022 wegen Ausstellens von unrichtigen Gesundheitszeugnissen in 79 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und dem Angeklagten für die Dauer von 3 Jahren verboten, ärztliche Atteste/ärztliche Bescheinigungen für Patienten/Dritte auszustellen, mit denen Befreiungen/Feststellungen von der durch entsprechende Verordnungen der Bundesländer in Verbindung mit dem Infektionsschutzgesetz angeordnete Maskenpflicht erklärt oder intendiert werden. Hinsichtlich weiterer 16 Einzelfälle, die von der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 26. Mai 2021 umfasst waren, war das Verfahren zuvor vom Amtsgericht durch Beschluss vom 20. April 2022 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
Gegen dieses Urteil ist vom Angeklagten und von der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt worden, wobei letztere auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2022 das Verfahren hinsichtlich weiterer 55 Einzelfälle eingestellt und den Angeklagten mit Urteil vom 15. November 2022 des Ausstellens von Gesundheitszeugnissen in 24 Fällen schuldig gesprochen sowie deswegen gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet wird.
Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Stellungnahme vom 15. Februar 2023, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
Die Gegenerklärungen der Verteidigung vom 23. März 2023, vom 24. März 2023 und vom 28. März 2023 lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor.
II.
Die Revision ist offensichtlich unbegründet, § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch in folgenden 10 Einzelfällen richtet (Bezeichnung jeweils nach Abschnitt III der Urteilsgründe, UA S. 6 bis 8):
Zwei Fälle vom 9. September 2020 (Fallbezeichnungen l und m), je ein Fall vom 15. und 17. September 2020 (Fälle n und o), zwei Fälle vom 18. September 2020 betreffend die Kinder H. und L., (Fälle p und q) – nicht jedoch betreffend das Kind A., Fall s) –, je ein Fall vom 13., 20., 23. und 28. Oktober 2020 (Fälle u, v, w und x). Es handelt sich in diesen Fällen jeweils um Atteste, die für Schulkinder mit Wohnsitz in Bayern nach dem 2. September 2020 ausgestellt wurden.
Insoweit hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten gemäß § 337 StPO ergeben. Insbesondere kann das Revisionsgericht, obgleich das Berufungsurteil keine Ausführungen dazu enthält, beurteilen, dass zu den genannten Zeitpunkten in Bayern durch Landesverordnung für Schüler eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen Bedeckungen (MNB) angeordnet war. In diesen Fällen führt die Revision weder mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts noch mit den erhobenen Verfahrensrügen zum Erfolg. Auf die zutreffenden, ausführlichen und alle Rechtsfragen erschöpfend abhandelnden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 15. Februar 2023 wird zunächst, bezogen auf die genannten vom Revisionsgericht nicht zu beanstandenden Einzelfälle, Bezug genommen. Ergänzend hat der Senat Anlass zu folgenden Ausführungen:
Die Verurteilung in den übrigen Fällen unterliegt aus sachlich-rechtlichen Gründen der Aufhebung, denn das Berufungsurteil leidet insoweit unter Begründungsmängeln (dazu unter III.).
1. Die Urteilsfeststellungen bieten in den genannten Fällen eine tragfähige Grundlage für die Schuldsprüche wegen Ausstellens von unrichtigen Gesundheitszeugnissen. Sie beruhen ihrerseits auf einer zwar teilweise knappen, im Ergebnis aber nicht durchgreifend zu beanstandenden Beweiswürdigung.
a) Das Landgericht hat, soweit für die revisionsrechtliche Überprüfung erheblich, folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte, selbständiger Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der eine gynäkologische Praxis betreibt, steht den Infektionsschutzmaßnahmen, die sowohl von Seiten des Bundes als auch des Landes Bayern aufgrund der seit Anfang 2020 bestehenden Pandemie erlassen wurden, kritisch gegenüber. […] Ab Juni 2020 begann der Angeklagte, sogenannte Maskenbefreiungsatteste auszustellen. […] Ihm kam es bei der Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung nicht darauf an, dass der um ein Attest nachsuchende Patient unter aktuellen Beschwerden aufgrund des Tragens einer Infektionsschutz-Maske litt. […] Er vertrat die Ansicht, dass das Tragen einer Schutzmaske […] generell als gesundheitsgefährdend einzuschätzen sei. […] Auf einen persönlichen Kontakt mit den Antragstellern oder eine medizinische Untersuchung vor Ausstellung des Attestes kam es dem Angeklagten nicht an. Er erteilte sowohl Atteste nach einem persönlichen Gespräch als auch auf telefonische Anfrage und auf schriftliche Anfragen (einschließlich per E-Mail). Insgesamt stellte der Angeklagte (im Zeitraum von Juni 2020 bis […] 16.12.2020) 1096 Maskenbefreiungsatteste aus. Neben seinem Namen, seiner beruflichen Qualifikation sowie Name und Geburtsdatum des Patienten enthielten die Atteste den Text, dass die jeweilige Person „aus schwerwiegenden med. Gründen von der Gesichtsmaskenpflicht befreit“ sei, alternativ, dass es für den Patienten „aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar“ sei, eine Mund-Nasenbedeckung bzw. eine sog. Alltagsmaske oder ein Faceshield zu tragen. Teilweise enthielten die Atteste Diagnosen mit den üblichen medizinischen Kürzeln. Teilweise fanden sich noch Ausführungen über die Drittwirkung von Grundrechten, die die Patienten zur Teilnahme an gesellschaftlichem Leben berechtigen würden. Des Weiteren fanden sich Ausführungen zu Art. 3 des Grundgesetzes […] (UA S. 4/5). Einen Hinweis darauf, dass das Attest ohne persönliche Untersuchung ausgestellt worden war, enthielt keines der Atteste (UA S. 5).
Zu den 24 Einzelfällen, die Gegenstand des angegriffenen Urteils bilden, hat das Landgericht ergänzend Folgendes festgestellt:
In den […] Fällen erteilte der Angeklagte Kindern und Jugendlichen entsprechende ärztliche Bescheinigungen, die sie vom Tragen von Schutzmasken aufgrund medizinischer Gründe befreiten. Die ärztlichen Bescheinigungen waren zur Vorlage in staatlichen Schulen gedacht, um von der dort bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden. Dem Angeklagten war dieser Zweck der ärztlichen Bescheinigungen zum Zeitpunkt der Ausstellung bewusst. Der Angeklagte ließ sich von Seiten der Erziehungsberechtigten Beschwerden, die sie selbst beim Tragen der Maske beobachtet hatten bzw. sich von ihren Kindern hatten erzählen lassen, schildern (persönlich bzw. telefonisch). Zu einem persönlichen Kontakt/Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen bzw. zu einer Untersuchung der jeweiligen Patienten kam es von Seiten des Angeklagten – was er auch wusste – in keinem der Fälle. Dem Angeklagten war auch bewusst, dass kein Ausnahmefall von der Pflicht zur persönlichen Untersuchung vorlag. Die von den Erziehungsberechtigten geschilderten Beschwerden erschöpften sich in Atemnot, Panik, Angst, Schwindel, Kopfschmerzen, Hautausschlag, Übelkeit und Konzentrationsstörungen. […] .
Daran anschließend enthalten die Feststellungen einzelne Daten zu den 24 Einzelfällen, gekennzeichnet mit Buchstaben a) bis y), wobei jeweils das Datum der Ausstellung des Attestes, beginnend mit Fall a) am 18. Juni 2020 und endend mit Fall y) am 3. November 2020, der Name des Kindes bzw. Jugendlichen nebst deren Geburtsdaten (zwischen 30. Januar 2006 in Fall m) und 22. November 2013 in Fall w)) sowie deren Wohnort (in 14 Fällen in Bayern, in 10 Fällen in anderen Bundesländern) mitgeteilt sind (UA S. 6/8).
b) Die vorbezeichneten Feststellungen, darunter auch der für die rechtliche Würdigung des Geschehens zentrale Umstand, dass der Angeklagte in keinem einzigen Fall die Person, für die er das jeweilige Attest ausgestellt hatte, untersucht oder auch nur persönlich gesehen hätte, beruhen auf einer, was auf die Sachrüge zu überprüfen war, nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Namentlich war das Gericht, anders als die Revision meint, nicht gehalten, die vom Angeklagten abgegebene, in den Urteilsgründen erwähnte (UA S. 9) Einlassung des Angeklagten zu jedem der genannten Einzelfälle im Einzelnen zu referieren.
aa) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts und vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin nur eingeschränkt zu überprüfen, nämlich insbesondere daraufhin, ob sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 337 Rn. 27 ff. m.w.N.). Solche Mängel haften den Urteilsgründen nicht an.
bb) Der Angeklagte hat, so die Urteilsgründe, eingeräumt, die jeweiligen Bescheinigungen ohne eine persönliche Befragung/Untersuchung ausgestellt zu haben (UA S. 13). Das Landgericht hat darüber hinaus die Richtigkeit dieses Geständnisses durch die – von ihm als exemplarisch bezeichnete (UA S. 13) – Vernehmung zahlreicher Eltern überprüft. Die vernommenen Zeuginnen hätten berichtet, dass sie selbst die Beschwerden telefonisch oder persönlich geschildert hätten, während eine persönliche Untersuchung der schulpflichtigen Kinder nicht stattgefunden habe (UA S. 13). Diese Darstellung der erhobenen Beweise ist zwar kursorisch, insbesondere werden nur wenige vernommene Zeuginnen namentlich benannt (UA S. 11), zudem werden keine Aussageinhalte einem der gegenständlichen Atteste konkret zugeordnet (UA 11, 13). Unter den vorliegenden Besonderheiten genügt diese zusammengefasste Darstellung aber noch den Anforderungen an eine auch für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung der erhobenen Beweise und deren zusammenfassende Gesamtwürdigung. Zum einen handelt es sich lediglich um die Bestätigung dessen, was auch der Angeklagte selbst eingeräumt hat. Unter Berücksichtigung der im Urteil ausführlich dargestellten Gesamtumstände, insbesondere die vom Angeklagten, auch nachdrücklich durch Aktivitäten in der Öffentlichkeit nach außen getragene Auffassung (UA S. 3, 4), das Tragen von Schutzmasken sei generell gesundheitsgefährdend, und nicht zuletzt seine per E-Mail erfolgte Erklärung, dass er „vielen Leuten ohne jegliche Vordiagnose ein Attest“ ausstelle (UA S. 12), bestand für das Gericht kein Anlass, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Geständnisses des Angeklagten zu entwickeln. Auch eine Verständigung gem. § 257c StPO, die Anlass zu einer besonders kritischen Prüfung der Wahrhaftigkeit eines Geständnisses hätte geben können, lag nicht vor. Zum anderen ist von Bedeutung, dass es sich bei den vom Angeklagten zugestandenen Handlungen nicht um ein komplexes Geschehen mit vielen Details handelt (zur Verifizierung eines Geständnisses in solchen Fällen vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022, 2 StR 53/22, NStZ 2023, 57 Rn. 11). Es ging schlicht darum, ob und unter welchen Umständen er das jeweilige Attest ausgestellt hatte. Ebenso übersichtlich waren spiegelbildlich die Sachverhalte, zu welchen die einzelnen Zeugen in stets sich wiederholender Weise, mit Unterschieden lediglich zu den Daten der betroffenen Kinder, zu vernehmen waren. Unter diesen Umständen kann die lediglich exemplarische Vernehmung einzelner Eltern bzw. Erziehungsberechtigter sowie die zusammengefasste und wenig detailgenaue Darstellung des Ergebnisses der zeugenschaftlichen Einvernahmen hingenommen werden. Lücken in der Beweiswürdigung dazu, dass das Geständnis des Angeklagten der Wahrheit entsprach und es sich nicht lediglich um ein taktisches Geständnis handelte, ergeben sich nicht.
cc) Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich auch nicht insoweit als lückenhaft, als es keine Ausführungen dazu enthält, ob einzelne Patienten zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attestes tatsächlich unter Beschwerden litten, die ihnen aus gesundheitlichen Gründen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes unmöglich oder unzumutbar machten, oder gar dazu, ob, wie der Angeklagte meint, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes generell als gesundheitsgefährdend einzustufen sei. Beide Fragen sind, wie nachfolgend darzulegen, in materiell-rechtlicher Hinsicht für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 278 StGB ohne Bedeutung. Auch darauf, welche der vom Landgericht festgestellten alternativen Wortlautvarianten im jeweiligen Attest verwendet wurde, kommt es nicht an, denn in allen Varianten werden Aussagen über den Gesundheitszustand des jeweiligen Patienten in der Weise getroffen, dass er aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasen-Schutz tragen könne.
c) Materiellrechtlich richtet sich die Strafbarkeit des Angeklagten, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, nach § 278 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung. Danach war es zu den jeweiligen Tatzeitpunkten für Ärzte oder andere approbierte Medizinalpersonen strafbar, ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen auszustellen.
aa) Die gegenständlichen ärztlichen Atteste erweisen sich, vom Landgericht rechtlich zutreffend gewertet, bereits deshalb objektiv als unrichtig im Sinne der Strafnorm, weil der Angeklagte diese jeweils ohne persönliche Untersuchung ausgestellt hat, obwohl besondere Umstände, die dies im Einzelfall erlauben können, nicht vorlagen.
(1) Bei den gegenständlichen „Maskenbefreiungsattesten“ handelt sich um Gesundheitszeugnisse. Ein solches ist zum einen dann unrichtig, wenn es Aussagen über den tatsächlichen Gesundheitszustand des Patienten, wie erhobene Befundtatsachen und/oder hieraus gefolgerte Schlüsse und Diagnosen enthält, die in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen (vgl. Erb in MüKo StGB, 4. Aufl. 2022, § 278 Rn. 4). Zahlreiche vom Angeklagten gestellte Beweisanträge zielten darauf ab zu beweisen, dass der in den Attesten jeweils attestierte Gesundheitszustand tatsächlich bestand. Das Landgericht ist zu Recht weder diesen Anträgen nachgekommen, noch hat es von Amts wegen gemäß § 244 Abs. 2 StPO entsprechende Aufklärungsbemühungen unternommen, denn es kommt für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 278 StGB a.F. darauf vorliegend nicht an.
(2) Nach nahezu einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB (sowohl in der zur Tatzeit geltenden als auch in vorausgegangenen und nachfolgenden Fassungen) bereits dann unrichtig, wenn der Befund, wie hier für jeden Einzelfall festgestellt, ohne Vornahme einer einschlägigen Untersuchung bescheinigt wird (RG, Urteil vom 25. Juni 1940, 1 D 762/39, RGSt 74, 229, 231; BGH, Urteil vom 23. April 1954, 2 StR 120/53, BGHSt 6, 90, 92, juris Rn. 13; Urteil vom 8. November 2006, 2 StR 384/06, NStZ-RR 2007, 343, 344; BayObLG, Urteil vom 18. Juli 2022, 203 StRR 179/22, NJW 2022, 3455; OLG Celle, Beschluss vom 27. Juni 2022, 2 Ss 58/22, NStZ 2022, 615 Rn. 20; OLG Frankfurt, Urteil vom 4. Mai 1977, 2 Ss 146/77, NJW 1977, 2128, 2129; Beschluss vom 11. Januar 2006, 1 Ss 24/05, juris Rn. 22; OLG München, Urteil vom 15. Juni 1950, 2 Ss 37/50, NJW 1950, 796; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Dezember 1981, 1 Ss 62/80, NStZ 1982, 467, 468; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 6. April 2021, 5/26 Qs 2/21, NStZ-RR 2021, 282; Erb in MüKo StGB, 4. Aufl. 2022, § 278 Rn. 4; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 278 Rn. 2; Koch in HK-GS, 5. Aufl. 2022, § 278 StGB Rn. 2; BeckOK StGB/Weidemann, 57. Ed. Stand 1.5.2023, § 278 Rn. 4; Schuhr in Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 278 StGB Rn. 11; Ulsenheimer in Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 156 Rn. 10; Rau in Schmidt, COVID-19, 3. Aufl. 2021, § 23 Rn. 62a; Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl. 2009, § 278 Rn. 7; a. A., soweit ersichtlich, lediglich Puppe/Schumann in NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 278 Rn. 2).
Dies gilt auch dann, wenn eine Untersuchung, wäre sie vorgenommen worden, den attestierten Befund bestätigt hätte, dieser also zufällig richtig ist (vgl. nur RGSt 74, 229, 231; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, § 278 Rn. 2; Koch in HK-GS, § 278 StGB Rn. 2; Zieschang in LK-StGB, § 278 Rn. 7).
(3) Der Senat macht sich diese Rechtsauffassung zu eigen. Die Vorschrift des § 278 StGB soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse schützen, und zwar in der vorliegend anwendbaren Gesetzesfassung gegenüber Behörden und Versicherungen. Ein Zeugnis aber, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstellt, ist ebenso wertlos wie ein Zeugnis, das nach der Untersuchung den hierbei festgestellten Gesundheitszustand unrichtig darstellt (RGSt 74, 229, 231; BGH NStZ-RR 2007, 343, 344). Das Vertrauen in das ärztliche Zeugnis beruht darauf, dass eine ordnungsgemäße Informationsgewinnung stattgefunden hat (OLG Frankfurt NJW 1977, 2128, 2129; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, § 278 Rn. 2).
Dies gilt für die vorliegenden gegenständlichen Bescheinigungen in besonderem Maße. Zu den Zeitpunkten der Ausstellung der gegenständlichen Atteste (zwischen 9. September und 28. Oktober 2020) herrschte, was allgemein bekannt ist, die Covid-19 Pandemie. Zu den staatlichen Regelungen, deren Ziel die Bekämpfung und Eindämmung der Pandemie zum Schutz der Bevölkerung war, gehörte, wie nachfolgend für die gegenständlichen Fälle noch konkret darzustellen, die Anordnung der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen, so auch in Schulen. Ausnahmen von der Pflicht war für Personen vorgesehen, die glaubhaft machen konnten, dass ihnen das Tragen einer MNB aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich war (vgl. Fünfte Bayerische Infektionsschutzverordnung vom 29. Mai 2020 [BayIfSMV], § 1 Abs. 2 Nr. 2). Ein anerkanntes Mittel der Glaubhaftmachung stellt ein entsprechendes ärztliches Attest dar. Während die grundsätzliche Geeignetheit des Tragens solcher sog. „Gesichtsmasken“ zur Eindämmung der Verbreitung eines Virus, das über Aerosole übertragen wird, unmittelbar einleuchtet, wurde das Tragen einer Maske, wie der gegenständliche Fall augenfällig macht, von Teilen der Bevölkerung abgelehnt. In dieser Situation hing die Erreichung des vom demokratisch legitimierten Normgeber intendierten Gesundheitsschutzes der Bevölkerung davon ab, dass Ausnahmen von der Maskenpflicht regelmäßig nur aufgrund ärztlicher Atteste möglich waren. Diese hatten eine uneingeschränkte Gewähr dafür zu bieten, dass für eine Befreiung vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Einzelfall ausschließlich individuelle, tatsächlich bestehende gesundheitliche bzw. medizinische Gründe sprachen, und sie nicht aufgrund lediglich individueller Unlust, Uneinsichtigkeit oder mangelnder Rücksicht vergeben wurden (vgl. auch OLG Celle NStZ 2022, 615 Rn. 20). Eine sachkundige Kontrolle individueller Angaben durch einen Arzt, wobei diese Berufsgruppe generell als hierfür besonders qualifiziert und vertrauenswürdig angesehen wird, war daher unabdingbar (ähnlich OLG Frankfurt NJW 1977, 2128, 2129 für ein ärztliches Attest, welches Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt). Es musste zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele, die auf die Eindämmung der Pandemie zum Schutz der Bevölkerung gerichtet waren, gewährleistet sein, dass keine Gefälligkeitsatteste ausgestellt werden.
Der Auffassung des Senats steht im Übrigen auch nicht das von der Revision in Bezug genommene Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Juli 2022, 203 StRR 179/22 (NJW 2022, 3455) entgegen. Die dort vertretene Rechtsauffassung, dass eine Strafbarkeit nach § 279 StGB, der das Gebrauchen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses unter Strafe stellt, voraussetze, dass dieses eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthalte und es nicht darauf ankomme, ob vor der Ausstellung des Attests auch eine körperliche Untersuchung stattgefunden habe (anders OLG Celle NStZ 2022, 615, juris), spielt für die gegenständliche Rechtsauffassung keine Rolle. Der 3. Strafsenat des BayObLG weist in seiner genannten Entscheidung vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass auch aus seiner Sicht für § 278 StGB etwas anderes gilt (NJW 2022, 3455 Rn. 7).
Die vom Angeklagten ausgestellten Atteste wären mithin nur dann nicht „unrichtig“ gewesen, wenn darauf ausdrücklich vermerkt gewesen wäre, dass das Zeugnis ohne Untersuchung ausgestellt wurde (vgl. OLG München NJW 1950, 796; OLG Celle NStZ 2022, 615 Rn. 20) Daran fehlt es.
(3) Der Senat verkennt nicht, dass in engen Ausnahmefällen die Ausstellung eines Attestes auch ohne Vornahme einer körperlichen Untersuchung allein aufgrund der Symptomschilderung des Patienten, bzw. bei (Klein-)Kindern aufgrund der Schilderung von Erziehungsberechtigten zulässig sein kann (OLG Frankfurt NJW 1977, 2128, 2129; Beschluss vom 11. Januar 2006, 1 Ss 24/05, juris R. 24; OLG München NJW 1950, 796; Erb in MüKo StGB, § 278 Rn. 4; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 278 Rn. 2; BeckOK StGB/Weidemann, § 278 Rn. 4; Ulsenheimer in Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 156 Rn. 11; Zieschang in LK-StGB, § 278 Rn. 8). Im – extrem seltenen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1977, 2128, 2129) – Einzelfall ist dem Arzt möglich, sich auf andere Weise als durch Untersuchung oder Befragung zuverlässig über den Gesundheitszustand des Patienten zu unterrichten; dies mag beispielsweise im Einzelfall bei einem Folgeattest möglich sein, oder wenn es sich nach der Art der Erkrankung oder der seelischen Verfassung des Patienten für den gewissenhaften Arzt verbietet, eine körperliche Untersuchung oder eine persönliche Befragung des Patienten vorzunehmen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006, 1 Ss 24/05, juris R. 24).
(i) In einem solchen Fall muss dann im Zeugnis angegeben werden, dass eine körperliche Untersuchung nicht stattgefunden hat (OLG Frankfurt NJW 1977, 2128, 2129; OLG München NJW 1950, 796). Daran fehlt es vorliegend, so dass selbst dann, wenn die Auffassung des Angeklagten zutreffen würde, er habe sich mit der Schilderung der Erziehungsberechtigten begnügen dürfen, die ausgestellten Atteste bereits deshalb unrichtig waren.
(ii) Im Übrigen war der Angeklagte ohnehin nicht berechtigt, die Atteste ohne Untersuchung auszustellen. Etwaige Ausnahmefälle sind bereits wegen des bestehenden Missbrauchsrisikos eng zu begrenzen. Grundsätzlich bleibt es bei der Verpflichtung zur persönlichen Untersuchung.
Das Landgericht hat die angesprochene tatsächliche und rechtliche Problematik gesehen, ausführlich erörtert (UA S. 13 f.) und zutreffend das Vorliegen eines Ausnahmefalls verneint. Es besteht weder eine generelle Ausnahme von der Pflicht zur persönlichen Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, noch bestand eine solche in den gegenständlichen Fällen im Hinblick auf die Art der (behaupteten) Erkrankung, im Hinblick auf das Alter der Patienten oder auf die Pandemielage. Das Landgericht stellt ausführlich und auf die getroffenen Feststellungen gestützt dar, dass der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum nicht nur persönlichen Kontakt zu Patienten pflegte, sondern auch Erziehungsberechtigte persönlich vorsprachen. Auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen wurde in der Praxis des Angeklagten kein Wert gelegt. Es ist rechtlich zudem nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aus den festgestellten Gesamtumständen den Schluss gezogen hat, dass es dem Angeklagten nicht um eine individuelle Diagnose im Einzelfall ging, sondern er systematisch vorging (UA S. 13).
Diese Schlussfolgerung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler getroffen. Sie drängt sich nach den festgestellten Umständen geradezu auf. Die Auffassung des Angeklagten, das Tragen von Schutzmasken sei generell gesundheitsgefährdend, spiegelt sich darin, dass er an der Gründung eines entsprechenden, die staatliche Corona-Maßnahmen ablehnenden Vereins beteiligt war (UA S. 3, 4), sowie darin, dass er durch öffentliche Vorträge und Teilnahme an Demonstrationen seine Kritik offensiv in die Öffentlichkeit trug (UA S. 4), ferner in der festgestellten, bemessen am Zeitraum von wenigen Monaten geradezu massenhaften Ausstellung von „Maskenbefreiungsattesten“ (S. 4), zum Teil unter Beifügung rechtlicher Ausführungen, gerichtet an etwaige Adressaten (jeweils UA S. 4), wofür der Angeklagte im Übrigen weder über Kompetenz noch über eine Berechtigung verfügte, sowie im Inhalt einer E-Mail-Nachricht, in der er darauf hinwies, dass er „vielen Leuten ohne jegliche Vordiagnose ein Attest“ ausstelle (UA S. 12).
(iii) Der Senat führt im Hinblick auf das Vorbringen der Revision, die, erneut auch in den eingereichten Gegenerklärungen, umfangreich zur Gesundheitsschädlichkeit des Tragens von Mund-Nasen-Bedeckungen vorträgt, ergänzend aus, dass derartige, wenn auch aus der subjektiven Sicht des Angeklagten medizinisch begründbare Vorbehalte ihn unter keinem Gesichtspunkt berechtigten, die Ausstellung von „Maskenbefreiungsattesten“ allein auf eine solche generalisierende Auffassung zu stützen und diese Atteste ohne Einzelfallprüfung und -untersuchung auf schriftliche, telefonische oder auch persönliche Anforderung auszustellen. Die Anordnung des Tragens von MNS in bestimmten Situationen beruhte auf einer abstraktgenerellen Anordnung des hierfür nach dem nach den Verfassungen von Bund und Ländern berufenen Normgebers, der die widerstreitenden Interessen nach Einholung medizinischer Expertisen pflichtgemäß abgewogen hatte (vgl. nur VGH München, Beschluss vom 7. September 2020, 20 NE 20.1981, BeckRS 2020, 21962). Die Möglichkeit, aus gesundheitlichen Gründen eine Befreiung von der Verpflichtung zu erhalten, stellt, für jedermann und auch für den Angeklagten ohne jeden Zweifel erkennbar, auf gesundheitliche Besonderheiten im Einzelfall ab. Eine undifferenzierte generelle Ausstellung von Befreiungsattesten stellt den Versuch dar, seine eigene, vermeintlich überlegene Auffassung an die Stelle derjenigen der für abstrakt-generelle Regelung zuständigen staatlichen Stellen zu setzen und verletzt auf das Gröbste das vom Staat in Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen gesetzte besondere Vertrauen bezüglich der Prüfung, ob im Einzelfall wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen das Tragen einer MundNasen-Bedeckung nicht möglich oder unzumutbar ist (vgl. nur Fünfte BayIfSMV vom 29. Mai 2020, § 1 Abs. 2 Nr. 3). Den Ausführungen und umfangreichen Beweisanträgen des Angeklagten zur Schädlichkeit des „Maskentragens“ musste das Landgericht deshalb nicht nachgehen.
bb) Am vorsätzlichen Handeln des Angeklagten in Kenntnis aller Tatumstände besteht, wie das Landgericht richtig gesehen hat, kein Zweifel. Jeder Arzt muss wissen und weiß genau, dass er ohne Untersuchung keinen Befund bestätigen kann (plakativ zum Ausdruck gebracht von OLG München, NJW 1950, 796: „allgemeiner Satz primitivster Lebenserfahrung“).
cc) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Ausstellung der Atteste – auch aus subjektiver Sicht des Angeklagten – zur Vorlage bei einer Behörde, nämlich jeweils einer Schulbehörde, diente, um von der dort bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden (UA S. 5), ist dies jedenfalls für die vorbezeichneten, nach dem 2. September 2020 für Schüler bayerischer Schulen ausgestellten Atteste im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn auch die Urteilsgründe jegliche Darlegungen zum tatsächlichen Bestehen einer Maskenpflicht vermissen lassen.
Eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände war in Bayern auf folgenden Grundlagen und für folgende Zeiträume angeordnet:
In der Sechsten BayIfSMV vom 19. Juni 2020, in Kraft seit 22. Juni 2020: nach § 16 Abs. 2 Satz 1 in der Fassung vom 2. September 2020 bis 18. September 2020 und § 16 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. vom 19. September 2020 bis 1. Oktober 2020, wobei in § 1 Abs. 2 Nr. 2 jeweils geregelt war, dass Personen, die glaubhaft machen konnten, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar war, von der Trageverpflichtung befreit waren; in der Siebten BayIfSMV vom 1. Oktober 2020 gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. bis 16. Oktober 2020 und gleichlautend in § 18 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. vom 17. Oktober 2020 bis 1. November 2020, mit der Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 wie vorstehend; in der Achten BayIfSMV vom 30. Oktober 2020, in Kraft vom 2. November 2020 bis 30. November 2020 gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1, mit einer Ausnahmeregelung in § 2 Nr. 2, gleichlautend mit den vorherigen Regelungen jeweils in § 1 Abs. 2 Nr. 2 des 6. Und 7. BayIfSMV.
Die Fälle gemäß Urteilsgründen III, lit. l, m, n, o, p, q, u, v, w und x sind räumlich und zeitlich von dieser Verordnungslage umfasst und rechtfertigen die jeweiligen Schuldsprüche.
2. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Insoweit wird auf die zutreffenden und äußerst ausführlichen Ausführungen im Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 15. Februar 2023 Bezug genommen.
Lediglich ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin:
a) Die erhobene Besetzungsrüge mit der Begründung, das Hauptverfahren hätte ohne einen Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 29 Abs. 2 Satz 1 GVG auf Hinzuziehung eines zweiten Richters beim Amtsgericht nicht eröffnet werden dürfen, kann, wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darstellt, keinen Erfolg haben. Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren nicht um ein solches handelt, dessen Umfang die Hinzuziehung eines zweiten Berufsrichters gebieten könnte. Die Beweisaufnahme mag umfangreich gewesen sein; dies resultiert aber allein aus der Anzahl der angeklagten Fälle und folglich der Anzahl der zu vernehmenden Zeugen. Inhaltlich hingegen war sie denkbar einfach. Komplexe Sachverhalte waren nicht aufzuklären. Es ging bei jedem der gleichförmigen Einzelsachverhalte aus materiellrechtlichen Gründen allein darum, ob das jeweilige Attest vom Angeklagten ausgestellt war, ob er eine persönliche Untersuchung vorgenommen hatte und ggf. ob ein Ausnahmetatbestand vorlag, der es hätte gebieten können, von einer persönlichen Untersuchung abzusehen. Auf die vorstehenden Ausführungen zu 1.) wird Bezug genommen.
b) Hinsichtlich der gestellten Beweisanträge, denen die Strafkammer nicht nachgekommen ist, wird neben der Bezugnahme auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls auf die vorstehenden Darlegungen zur materiellen Rechtslage Bezug genommen. Auf der Ablehnung der Beweisanträge, deren Sachbehandlung die Revision beanstandet, kann das Urteil, unabhängig von der vom Landgericht jeweils gegebenen Begründung, nicht beruhen. Für die materiellrechtliche Subsumtion der Tathandlungen des Angeklagten unter § 278 StGB a.F. kommt es allein darauf an, ob er die Patienten, für die er ein „Befreiungsattest“ ausgestellt hat, persönlich untersucht hat oder ob ein Fall vorlag, der es erlaubte, ausnahmsweise davon abzusehen. Beides ist durch die insoweit fehlerfrei gewonnenen Feststellungen des Berufungsgerichts widerlegt.
III.
In den übrigen Fällen führt die Revision zu einem zumindest vorläufigen Teilerfolg.
1. Die Schuldsprüche in den Fällen gemäß der Urteilsgründe III, lit. a bis einschließlich k (11 Fälle) sowie s, t und y (UA S. 6 bis 8) halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Schuldspruch wird jeweils von den Feststellungen insoweit nicht getragen, als der Zweck der Ausstellung der Atteste „zum Gebrauch bei einer Behörde“ in der anwendbaren Gesetzesfassung bis 23. November 2021 nicht belegt ist.
a) Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass die Atteste in ausnahmslos allen Fällen zum Zwecke der Vorlage bei einer Schulbehörde erteilt wurden, um von der dort bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden (UA S. 5), und dass dies auch dem Angeklagten bewusst war (UA S. 5).
b) Diese Würdigung ist indessen für das Revisionsgericht in den genannten Fällen nicht nachvollziehbar.
aa) Soweit die Atteste für Schulkinder in Bayern ausgestellt waren (Fälle III a, b, f und i) galt zu den jeweiligen Zeitpunkten gem. der BayIfSMV in der jeweiligen Fassung eine Maskenpflicht in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, nicht jedoch, wie bereits aufgezeigt, unmittelbar aufgrund der Verordnung in Schulen und auf dem Schulgelände.
Zwar war zu den hier gegenständlichen Tatzeiten bereits eine Maskenpflicht auch im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und für die Schülerbeförderung im (freigestellten) Schülerverkehr vom Verordnungsgeber vorgeschrieben (vgl. 5. BayIfSMV vom 29. Mai 2020, § 8, und die entsprechenden Nachfolgeregelungen), jedoch hat das Landgericht weder Feststellungen dazu getroffen, ob die betroffenen Schüler derartige Verkehrsmittel benutzten noch dazu, ob eine jeweilige Befreiung in einem solchen Fall der „Schulbehörde“ vorzulegen gewesen wäre.
Ferner war zu den genannten Zeitpunkten den Schulen durch die jeweilige BayIfSMV bereits auferlegt, „Schutz- und Hygienekonzepte“ auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen (vgl. 5. BayIfSMV, § 15a Abs. 2). Ob in den konkreten Fällen noch vor Inkrafttreten der durch die Verordnung vorgesehenen Maskenpflicht in Schulen in den gegenständlichen Fällen in der jeweiligen Schule aufgrund eines solchen Schutz- und Hygienekonzeptes eine (partielle) Maskentragepflicht bestand, hat das Landgericht aber nicht festgestellt.
Feststellungen dazu, ob, was denkbar wäre, die Atteste im Vorgriff auf eine bereits erwartete Maskentragepflicht an Schulen ausgestellt wurden, sind ebenfalls nicht getroffen. Für die bereits im Juni und Juli 2020 ausgestellten Atteste im Hinblick auf die in Bayern erst zum 2. September 2020 angeordnete allgemeine Maskenpflicht auf dem Schulgelände mag eine solche Motivlage auch nicht naheliegen.
bb) Bezüglich der Atteste für Schüler in anderen Bundesländern (Fälle III c, d, e, g, h, j, k, s, t und y) sind keine Feststellungen zu einer eventuell bestehenden Maskentragungspflicht in Schulen getroffen.
cc) Da das Landgericht ausdrücklich exklusiv die „Schulbehörde“ als Adressatin eines Gebrauchs der Atteste im Sinne des § 278 StGB a.F. genannt hat, ist es dem Revisionsgericht auch verwehrt, auf der Grundlage der übrigen Feststellungen zu erwägen, ob die Atteste auch zu dem Zweck angefordert und ausgestellt worden waren, den betreffenden Schülern die Teilnahme an sonstigen Aktivitäten, z.B. der Nutzung des Nah-, Fern- und Schülerverkehrs, bei Sportveranstaltungen und anderen Gelegenheiten für die bereits eine Maskentragepflicht galt, zu ermöglichen, und zu dem Zweck, die Atteste bei dabei zu erwartenden amtlichen Kontrollen vorzulegen zu können. Eine solche Motivlage liegt in Fällen, in denen in den Schulen noch keine Maskenpflicht bestand und eine solche auch nicht absehbar war, nicht fern. Das neue Tatgericht wird die Gelegenheit haben, den Zweck der Ausstellung der Atteste unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.
c) Die Schuldsprüche in den genannten Fällen sind daher einschließlich der Feststellungen zur jeweiligen subjektiven Tatseite aufzuheben, § 353 Abs. 1 und 2 StPO. Da die Feststellungen zum objektiven Tathergang, nämlich zum Ob der Ausstellung der Atteste für die im Urteil bezeichneten Personen, deren Namen, Geburtsdaten und Wohnorte, sowie zu den Grundlagen der Ausstellung der Atteste (ohne persönliche Untersuchung) von den aufgedeckten Mängeln nicht betroffen sind, können diese bestehen bleiben, § 353 Abs. 2 StPO. Dem neuen Tatgericht steht es frei, etwaige ergänzende, zu den bindend gewordenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen.
2. Aufzuheben ist auch die vom Landgericht getroffene Rechtsfolgenentscheidung bezüglich der verhängten Einzelfreiheitsstrafen (Fälle ab 13. Oktober 2020).
a) Hinsichtlich der Strafbemessung für die Fälle III. l, m, n, o, p und q (Tatzeiten zwischen 9. September 2020 und 18. September 2020), für die jeweils eine Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen bei einem Tagessatz von 100,00 Euro festgesetzt worden ist, hat die revisionsgerichtliche Überprüfung keine Rechtsfehler ergeben. Auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft wird insoweit Bezug genommen. Der Senat bemerkt ergänzend, dass er hinsichtlich der Formulierung des Landgerichts, der Tagessatz betrage „mindestens“ 100,00 Euro (UA S. 18), von einem reinen Formulierungsfehler ausgeht. Ein anderer, höherer, Betrag ist nicht genannt, so dass es bei 100,00 Euro verbleibt.
b) Soweit das Landgericht hingegen für weitere Taten ab dem 13. Oktober 2020 Freiheitsstrafen von jeweils vier Monaten verhängt und deren Unerlässlichkeit im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB damit begründet hat, dass der Angeklagte „wiederholt und systematisch“ Befreiungsatteste ausgestellt habe, trägt diese – ohnehin knappe und den Anforderungen an eine Begründung nach § 47 Abs. 1 StGB schon für sich kaum genügende – Begründung bereits deshalb nicht mehr, weil aufgrund der hier vorgenommenen teilweisen Urteilsaufhebung der Tat vom 13. Oktober 2020 lediglich sechs strafbare statt, wie vom Landgericht noch zugrunde gelegt, 19 strafbare Fälle vorausgegangen sind. Soweit das Landgericht durch die Bezugnahme auf die „wiederholte und systematische“ Ausstellung auf die weiteren Fälle, die ihm wegen einer Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO nicht zur Entscheidung unterbreitet waren, Bezug nehmen wollte, ist dies jedenfalls in den Urteilsgründen nicht zum Ausdruck gekommen.
c) Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
d) Mit dem Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen, in welchen der Schuldspruch vom Senat aufgehoben wurde, sowie mit der Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafen, muss auch die Aufhebung der der Strafbemessung zugrunde liegenden Feststellungen einhergehen, § 353 Abs. 2 StPO.
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Passau zurückzuverweisen.