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Strafbefehl – fehlende Unterschrift und fehlender Eröffnungsbeschluss – Wirksamkeit

Rechtsprechung zu nicht unterschriebenen Strafbefehlen: Ein Dilemma zwischen Verfahrenshindernis und Willensäußerung

In einem komplexen Fall hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass ein nicht unterschriebener Strafbefehl nicht zwangsläufig ein Verfahrenshindernis darstellt. Der Fall begann mit einer Anklage wegen versuchten Diebstahls und Hausfriedensbruchs. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg beantragte einen Strafbefehl, der jedoch nicht unterschrieben wurde. Der Angeklagte legte Einspruch ein, und das Amtsgericht Schmallenberg verurteilte ihn in erster Instanz. Das Verfahren wurde jedoch von der 3. Kleinen Strafkammer eingestellt, da der nicht unterzeichnete Strafbefehl als Verfahrenshindernis angesehen wurde. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein, und das Oberlandesgericht Hamm hob den Beschluss auf.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Ws 289/22  >>>

Die Rolle der Unterschrift im Strafbefehl

Strafbefehl - fehlende Unterschrift und fehlender Eröffnungsbeschluss - Wirksamkeit
Nicht unterschriebener Strafbefehl kein Verfahrenshindernis: OLG Hamm betont die Bedeutung der Richter-Willensäußerung über formale Vollständigkeit (Symbolfoto: Jirapong Manustrong /Shutterstock.com)

Die Kernfrage des Falles war, ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl als Verfahrenshindernis gilt oder nicht. Die Rechtsprechung ist in dieser Frage geteilt. Einige Gerichte und Kommentatoren argumentieren, dass die Unterschrift unerlässlich ist, während andere der Meinung sind, dass die Willensäußerung des Richters aus den Akten hervorgehen kann. Das Oberlandesgericht Hamm schloss sich der letzteren Ansicht an.

Willensäußerung und Verfahrensgrundlage

Das Gericht argumentierte, dass selbst bei fehlender Unterschrift ein Strafbefehl wirksam sein kann, wenn die Willensäußerung des Richters aus den Akten klar hervorgeht. In diesem Fall war die Dienstbezeichnung des erkennenden Richters auf dem Strafbefehlsformular vermerkt, und es gab eine Begleitverfügung mit dem gleichen Datum und Inhalt, die die Willensäußerung des Richters bestätigte.

Kritik an der Argumentation der 3. Kleinen Strafkammer

Die 3. Kleine Strafkammer hatte argumentiert, dass die fehlende Unterschrift nicht durch eine vom erkennenden Richter unterzeichnete Verfügung ersetzt werden könne. Das Oberlandesgericht Hamm wies diese Argumentation zurück und stellte fest, dass die fehlende Unterschrift keinen gravierenden Mangel darstellt, insbesondere wenn die Willensäußerung des Richters aus den Akten hervorgeht.

Keine Kosten für das Beschwerdeverfahren

Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass keine Kosten für das Beschwerdeverfahren erhoben werden, da diese bei richtiger Sachbehandlung durch die 3. Kleine Strafkammer nicht angefallen wären.

Dieses Urteil klärt wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Strafbefehlen und hebt hervor, dass die formale Vollständigkeit eines Strafbefehls nicht immer entscheidend ist, solange die Willensäußerung des Richters klar aus den Akten hervorgeht.

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Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Hamm – Az.: 5 Ws 289/22 – Beschluss vom 17.11.2022

Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Mit Verfügung vom 17.01.2022 stellte die Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen den Angeklagten einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen versuchten Diebstahls und Hausfriedensbruchs mit einer beantragten Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu 80 €, nachdem der Direktor des Amtsgerichts T. ihren Antrag vom 17.12.2021 unter Hinweis auf die – nach seiner Ansicht – zu niedrige Tagessatzhöhe (20 €) zur Stellungnahme zurückgegeben hatte.

In der Akte befindet sich das mit Aktenzeichen des Amtsgerichts und dem Datum 25.01.2022 versehene Strafbefehlsformular, bei dem im Unterschriftsfeld Streichungen derart vorgenommen sind, dass die Dienstbezeichnung „Direktor des Amtsgerichts“ verbleibt; das Unterschriftsfeld selbst ist leer. Auf der übernächsten Seite der Akte befindet sich eine Verfügung von demselben Tag, mit der die förmliche Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten durch den Direktor des Amtsgerichts T. angeordnet ist.

Nach Zustellung des Strafbefehls am 29.01.2022 hat der Angeklagte am 12.02.2022 Einspruch eingelegt. Gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Schmallenberg vom 27.04.2022, mit dem der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden war, legte er mit elektronischem Dokument seines Verteidigers vom 02.05.2022 Berufung ein. Mit angefochtenem Beschluss hob die 3. Kleine Strafkammer das erstinstanzliche Urteil auf und stellte das Verfahren ein. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der nicht unterzeichnete Strafbefehl ein Verfahrenshindernis darstelle.

Gegen den ihr am 23.09.2022 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Arnsberg mit Verfügung vom 27.09.2022 (per Fax) „Beschwerde“ eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

II.

Die zulässige sofortige (§ 206a Abs. 2 StPO) Beschwerde ist begründet.

1.

Dabei kann dahinstehen, ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleichsteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage, § 409, Rn. 13) oder bereits der Antrag der Staatsanwaltschaft die ausreichende Verfahrensgrundlage bildet (vgl. BayObLG, Beschluß vom 30. 5. 1961 – RReg. 4 St. 147/61 = NJW 1961, 1782, beck-online).

2.

Denn selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam, wenn sich die entsprechende Willensäußerung des Richters aus den Akten ergibt und die entscheidende Person hinreichend zuverlässig dem Vorgang entnommen werden kann (vgl. BayObLG StV 1990, 397; OLG Düsseldorf StV 1983, 408; OLG Hamm JR 1982, 389; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.12 .1981 – 3 Ws 368/81; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92, Rn. 2, juris; Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 409, Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 13; BeckOK StPO/Temming, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 409 Rn. 12; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 409 Rn. 34).

3.

Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift. Allerdings wird aus den aus der Akte ersichtlichen Begleitumständen bei einer Gesamtwürdigung ausreichend deutlich, dass nicht bloß ein Strafbefehlsentwurf vorliegt. Für den Willen zum Erlass des Strafbefehls spricht, dass auf dem übersandten Strafbefehlsformular das gerichtliche Aktenzeichen nebst Datum und die Dienstbezeichnung des erkennenden Richters vermerkt sind. Anders als der ursprüngliche – bis auf die Tagessatzhöhe gebilligte – Strafbefehlsentwurf der Staatsanwaltschaft ist das Formular auch nicht durch diagonalen Strich zum Entwurf degradiert worden. Zudem wird aus der – mit Schriftzeichen des erkennenden Richters versehenen – vom Datum und Inhalt korrespondierenden Begleitverfügung offenkundig, dass eine Willensäußerung nach Außen vorliegt.

4.

Die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung in Anlehnung an § 275 Abs. 2 StPO, dass die fehlende Unterzeichnung einer auch nicht durch eine vom erkennenden Richter unterzeichnete Verfügung ersetzt werden könne, verfängt nicht. Bei der von der prozessualen Situation vergleichbaren Konstellation der fehlenden Unterschrift unter einem Eröffnungsbeschluss ist allgemein anerkannt, dass die fehlende Unterschrift keinen gravierenden Mangel darstellt (vgl. BeckOK StPO/Ritscher, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 207 Rn. 13; KG Urt. v. 27.7.1998 – (3) 1 Ss 118-98(57/98) = BeckRS 2014, 11690, m.w.N.). Der hiesige Verfahrensablauf nach dem Einspruch in Anwendung von § 411 Abs. 1 S. 2 StPO ist eben nicht mit dem – so die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung – rechtskräftigen Strafbefehl im Sinne von § 410 Abs. 3 StPO gleichzusetzen. Zudem stellt die Vorschrift des § 409 StPO nicht die gleichen Anforderungen an den Strafbefehl wie § 275 Abs. 2 StPO an die Urteilsurkunde.

5.

Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, da diese bei richtiger Sachbehandlung durch die Kammer nicht angefallen wären (§ 21 Abs. 1 S. 1 GKG).

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