Verpasste Änderungsmeldungen: Betrug und seine rechtlichen Folgen
Das KG Berlin hat in einem Beschluss vom 04.05.2023 eine wichtige Entscheidung in Bezug auf Sozialleistungen und die Pflichten ihrer Bezieher getroffen. Im Kern ging es um die Frage, ob und wann ein Bezieher von Sozialleistungen verpflichtet ist, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Dies ist insbesondere relevant, da solche Änderungen Auswirkungen auf den Anspruch und die Höhe der Sozialleistungen haben können.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 ORs 20/23 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
Bezieher von Sozialleistungen müssen leistungsrelevante Änderungen ihrer Verhältnisse unverzüglich mitteilen. Ein Versäumnis kann zu rechtlichen Konsequenzen, einschließlich einer Verurteilung wegen Betruges, führen.
Wichtige Punkte des Urteils:
- Sozialleistungsbezieher sind verpflichtet, relevante Änderungen ihrer Verhältnisse sofort zu melden.
- Das Hauptproblem war die Bestimmung des genauen Zeitpunkts der Mitteilungspflicht.
- Der Begriff „schuldhaftes Zögern“ spielte eine zentrale Rolle bei der Bestimmung dieses Zeitpunkts.
- Ein Versäumnis der Mitteilung kann als Betrug gewertet werden, insbesondere wenn Zahlungen in Kenntnis der Änderung angenommen werden.
- Das Gericht entschied, dass der Angeklagte die Änderungen nicht rechtzeitig gemeldet hatte.
- Der Angeklagte zahlte den überzahlten Betrag erst nach Aufforderung der Behörde zurück.
- Die Entscheidung des Gerichts basierte auf dem Vorsatz im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB.
- Das Urteil setzt einen Präzedenzfall für zukünftige ähnliche Fälle und betont die Wichtigkeit der rechtzeitigen Mitteilung.
Übersicht
Der Vorwurf: Versäumnis der Änderungsmitteilung
Im vorliegenden Fall wurde ein Angeklagter beschuldigt, trotz einer Änderung in seinen Verhältnissen, die Behörde nicht rechtzeitig informiert zu haben. Dies führte dazu, dass er Sozialleistungen erhielt, die ihm möglicherweise nicht mehr zustanden. Das rechtliche Problem und die Herausforderung in diesem Fall bestanden darin, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Angeklagte die Änderung hätte mitteilen müssen. Hierbei spielte der Begriff des „schuldhaften Zögerns“ eine zentrale Rolle. Es wurde diskutiert, wann es für den Bezieher ohne schuldhaftes Zögern möglich war, die erforderlichen Angaben zu machen.
Die Konsequenzen des Versäumnisses
Die Zusammenhänge sind klar: Wenn ein Bezieher von Sozialleistungen Änderungen in seinen Verhältnissen nicht rechtzeitig meldet, kann dies zu unrechtmäßigen Zahlungen führen. Dies kann wiederum als Betrug gewertet werden, insbesondere wenn der Bezieher die Zahlungen in Kenntnis der Änderung und ohne die Absicht zur Rückzahlung annimmt.
Das Gericht entschied, dass der Angeklagte die Änderungen nicht rechtzeitig gemeldet hatte und in Kenntnis seiner Mitteilungspflicht auch nicht gewillt war, dies zu tun. Er zahlte den überzahlten Betrag erst nach Aufforderung der Behörde zurück. Darüber hinaus wurde die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin als offensichtlich unbegründet verworfen, und er wurde verpflichtet, die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Die Begründung des Gerichts
Die Entscheidung des Gerichts basierte auf mehreren Gründen. Erstens wurde festgestellt, dass der Angeklagte wegen Betruges verurteilt werden konnte, da er trotz Kenntnis seiner Pflicht zur Änderungsmitteilung diese nicht erfüllte. Zweitens wurde klargestellt, dass der Vorsatz im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblich ist und dass der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen muss, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören.
Schlussfolgerung und Auswirkungen des Urteils
Die Auswirkungen dieses Urteils sind weitreichend. Es setzt einen klaren Präzedenzfall für ähnliche Fälle in der Zukunft und betont die Wichtigkeit der rechtzeitigen Mitteilung von leistungsrelevanten Änderungen für Bezieher von Sozialleistungen. Es unterstreicht auch die ernsten rechtlichen Konsequenzen, die sich aus einer Unterlassung ergeben können.
Das Fazit des Urteils ist klar: Bezieher von Sozialleistungen müssen leistungsrelevante Änderungen ihrer Verhältnisse unverzüglich mitteilen, und das Versäumnis, dies zu tun, kann zu schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen führen, einschließlich der Verurteilung wegen Betruges. Es ist eine deutliche Erinnerung an die Verantwortlichkeiten und Pflichten, die mit dem Bezug von Sozialleistungen einhergehen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Pflicht zur Änderungsmitteilung bei Bezug von Sozialleistungen
Empfänger von Sozialleistungen in Deutschland sind verpflichtet, Änderungen in ihren Verhältnissen, die für den Bezug der Sozialleistungen relevant sein könnten, umgehend den zuständigen Behörden mitzuteilen. Diese Pflicht beginnt ab dem Tag der Antragstellung auf Sozialleistungen und dauert in der Regel bis zum Ende des Leistungsbezuges. Veränderungen, die mitgeteilt werden müssen, umfassen beispielsweise Änderungen in den Einkommensverhältnissen, die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung, geplante Umzüge oder die Beantragung bzw. den Bezug anderer Sozialleistungen.
Die Nichtbeachtung der Mitteilungspflicht kann ernste Folgen haben. Unter anderem kann es zur Rückforderung zu Unrecht erhaltener Leistungen kommen. Die Pflicht zur Änderungsmitteilung ist im §60 des Sozialgesetzbuch I (SGB I) geregelt, wo es heißt, dass Änderungen unverzüglich mitzuteilen sind. Die Mitteilungspflicht bezieht sich dabei auch auf Änderungen, die während des Bewilligungszeitraums eintreten und die Höhe der Geldleistungen beeinflussen können.
Es gibt spezifische Formulare für die Veränderungsmitteilung, die von den Leistungsempfängern ausgefüllt und an das Jobcenter übermittelt werden müssen. Diese Veränderungsmitteilung (VÄM) muss in der Regel innerhalb von 3 Tagen nach Eintreten der relevanten Änderung erfolgen, um eine korrekte Anpassung der Sozialleistungen zu gewährleisten.
Eine bestimmte gesetzliche Frist für die Abgabe der Änderungsmitteilung ist nicht festgelegt, allerdings wird durch Verwaltungsakt eine unverzügliche Mitteilung verlangt. Bei Nichtbeachtung dieser Pflicht können Sanktionen verhängt werden, jedoch wurden Sanktionen bei Pflichtverletzungen bis Mitte 2023 ausgesetzt.
- § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I: Dieser Paragraph bezieht sich auf das Sozialgesetzbuch I und regelt die Meldepflichten von Empfängern sozialer Leistungen. Gemäß diesem Paragraphen ist jeder Empfänger von Sozialleistungen dazu verpflichtet, jede Änderung in seinen persönlichen oder finanziellen Verhältnissen, die die Leistung beeinflussen könnten, unverzüglich zu melden. Diese Änderungen könnten zum Beispiel eine neue Anstellung, eine Erbschaft oder eine Änderung des Familienstandes sein. Wer diese Meldepflicht nicht erfüllt, kann seine Leistungen verlieren und sogar strafrechtlich belangt werden.
- § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB: Dieser Abschnitt des Strafgesetzbuches bezieht sich auf den Vorsatz bei Straftaten. Der Vorsatz bezeichnet hierbei das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Das bedeutet, dass der Täter die Umstände kennt, die seinen Handlungen strafrechtliche Bedeutung geben, und er will, dass seine Handlung diese Umstände verwirklicht. In Bezug auf das „schuldhafte Zögern“ kann argumentiert werden, dass der Vorsatz bereits bei Beginn der Handlung vorliegen muss und nicht erst im Nachhinein entstehen kann. Ein „schuldhaftes Zögern“ könnte also darauf hindeuten, dass der ursprüngliche Vorsatz nicht vorlag und die Tat somit nicht strafbar ist.
- § 349 Abs. 2 StPO: Dieser Paragraph gehört zum Strafprozessrecht und regelt die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil. Wenn ein Angeklagter gegen ein Urteil Revision einlegt, überprüft ein höheres Gericht das Urteil auf Rechtsfehler. Gemäß § 349 Abs. 2 StPO kann das Revisionsgericht die Revision ohne mündliche Verhandlung verwerfen, wenn es diese für offensichtlich unbegründet hält. Das bedeutet, dass das Gericht keine Rechtsfehler im Urteil sieht, die eine Aufhebung rechtfertigen würden. Für den Angeklagten hat dies zur Folge, dass das ursprüngliche Urteil rechtskräftig bleibt.
§ Relevante Rechtsbereiche für dieses Urteil:
- Sozialgesetzbuch (SGB I), insbesondere § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I: Diese Vorschrift regelt die Verpflichtung von Beziehern von Sozialleistungen, relevante Änderungen ihrer Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Hier geht es darum, wer diese Verpflichtung hat und wann sie besteht.
- Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB: Dieser Paragraph behandelt den Vorsatz bei Straftaten. Die Erläuterung sollte auf den Zeitpunkt des Vorsatzes abzielen und wie dieser im Kontext des Strafrechts relevant ist.
- Strafprozessordnung (StPO), genauer gesagt § 349 Abs. 2 StPO: Diese Regelung betrifft die Revision eines Angeklagten und legt fest, unter welchen Umständen eine Revision als „offensichtlich unbegründet“ verworfen wird und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
➨ Rechtliche Unterstützung bei Sozialleistungen
Benötigen Sie rechtliche Unterstützung im Zusammenhang mit Sozialleistungen? Unser Team von erfahrenen Rechtsanwälten steht Ihnen zur Verfügung, um Ihre Fragen zu beantworten und Sie durch den Prozess zu führen. Wir verstehen die Komplexität dieser Angelegenheiten und können Ihnen bei der Bewertung Ihrer Situation, der Prüfung Ihrer Verpflichtungen und der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen helfen. Kontaktieren Sie uns noch heute, um eine Ersteinschätzung zu erhalten und herauszufinden, wie wir Sie unterstützen können. Ihre rechtlichen Anliegen sind unser Fachgebiet, und wir sind hier, um Ihnen zu helfen.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 3 ORs 20/23 – Beschluss vom 04.05.2023
Leitsatz
Ist ein Bezieher von Sozialleistungen nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist für den Zeitpunkt des Vorsatzes im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblich, wann es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich war, die erforderlichen Angaben zu machen.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Januar 2023 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Ergänzend merkt der Senat lediglich an:
1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges. Die Auffassung des Verteidigers, der Eintritt eines Schadens sei dann zu verneinen, wenn der Täter von Anfang an von einer „Kompensation seiner Unterlassung“ ausgeht und von vornherein bereit ist, den Erfolg zu beseitigen, und dass ein solcher Täter mangels „Beendigungsvorsatzes“ ohne Bereicherungsabsicht handele, vermag nicht zu überzeugen.
a) Soweit der Verteidiger die Auffassung vertritt, es sei kein Schaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB eingetreten, verkennt er, dass dieser bereits mit der täuschungsbedingt erfolgten ersten unberechtigten Überweisung der Sozialleistung eingetreten und die Tat dadurch vollendet worden ist. Dass der Angeklagte – wie von ihm behauptet – darauf vertraut hat, die Behörde werde ihn im Anschluss daran zur Rückzahlung auffordern, und er den überzahlten Betrag nach deren Aufforderung zurückgezahlt hat, ist folglich für den Schadenseintritt und den darauf bezogenen Vorsatz ohne Bedeutung. Bezeichnenderweise spricht der Verteidiger in diesem Zusammenhang von einer Bereitschaft des Täters, den Erfolg zu beseitigen.
b) Wie sich aus § 16 Abs. 1 StGB ergibt, muss der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Als maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei (allein) auf die Vornahme der tatbestandlichen Handlung abzustellen (vgl. BGHSt 63, 88 m.w.N.; NStZ 2018, 27; NJW 2015, 3178; Vogel in StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl.; § 15 Rdn. 53 m.w.N.; Fischer, StGB 70. Aufl., § 16 Rdn. 2). In Fällen des Betruges durch Unterlassen ist daher maßgebend, wann der Täter verpflichtet gewesen wäre, die rechtlich gebotene Handlung vorzunehmen. Da ein Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet ist, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich ist, die erforderlichen Angaben zur Änderung seiner (Arbeits-) Verhältnisse zu machen, und sind darauf bezogene Feststellungen durch das Tatgericht zu treffen. Das Erfordernis eines auf die Tatbeendigung gerichteten und bis dahin andauernden Vorsatzes kennt das Gesetz demgegenüber nicht; Feststellungen dazu sind entbehrlich.
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, indem mitgeteilt wird, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt eigenständig die Veränderung seiner Verhältnisse mitgeteilt hat und in Kenntnis seiner Mitteilungspflicht dazu auch nicht gewillt war, sondern den überzahlten Betrag erst nach entsprechender Aufforderung der Behörde zurückgezahlt hat.
2. Gegen die vom Landgericht verhängte Rechtsfolge einer unbedingten Freiheitsstrafe ist von Rechts wegen nichts zu erinnern. Wieso es – so die Verteidigung – strafmildernde Berücksichtigung finden soll, wenn das Tatopfer im Nachgang zur Tat bemerkt, geschädigt worden zu sein, und sodann aktiv wird, um vom Täter Ausgleich des von ihm verursachten Schadens zu erlangen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 2. Mai 2023 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor, rechtfertigt aber keine abweichende Entscheidung.