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Verwerfungsurteil – Begründungsanforderungen

OLG Brandenburg hebt Urteil auf: Sorgfältige Prüfung der Entschuldigungsgründe bei Ausbleiben erforderlich

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat im Beschluss vom 18. Januar 2024 (Az.: 2 ORbs 202/23) das Urteil des Amtsgerichts Strausberg aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. Im Fokus stand die unzureichende Begründung des Amtsgerichts für die Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen, der wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einer Geldbuße belegt wurde, aber zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen war. Das OLG Brandenburg betonte die Notwendigkeit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den Entschuldigungsgründen des Betroffenen, um eine nachvollziehbare und überprüfbare Entscheidung zu gewährleisten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 ORbs 202/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das OLG Brandenburg hat das Urteil des Amtsgerichts Strausberg aufgehoben.
  • Grund der Aufhebung ist die unzureichende Begründung des Amtsgerichts bei der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen.
  • Der Betroffene hatte wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße erhalten, war aber zur Hauptverhandlung nicht erschienen.
  • Das Amtsgericht muss sich mit den Entschuldigungsgründen des Betroffenen ausführlich auseinandersetzen.
  • Ziel ist es, eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Entscheidung zu treffen.
  • Das Urteil betont die Bedeutung einer detaillierten Würdigung von Entschuldigungsgründen im gerichtlichen Verfahren.
  • Die Entscheidung zeigt auf, dass eine genaue Prüfung der Gründe für das Nichterscheinen in der Hauptverhandlung erforderlich ist.
  • Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Strausberg zurückverwiesen.

Anforderungen an die Begründung von Verwerfungsurteilen

Verwerfungsurteile sind Entscheidungen, bei denen das Gericht ein Rechtsmittel verwirft, weil der Beschwerdeführer nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Anforderungen an die Begründung solcher Urteile sind hoch, denn sie bilden die Grundlage für die rechtliche Überprüfung durch höhere Instanzen.

Das OLG Hamm und das OLG Stuttgart haben in ihren Entscheidungen spezifische Anforderungen an die Begründung von Verwerfungsurteilen gestellt. Diese Rechtsprechung betont die Wichtigkeit einer detaillierten und fundierten Begründung, die nicht nur die rechtlichen, sondern auch die tatsächlichen Erwägungen umfassend darlegt. Ziel ist es, die Rechtsmittelinstanzen in die Lage zu versetzen, die Entscheidung effektiv zu überprüfen.

Wenn Sie Fragen zu einem ähnlichen Fall mit unzureichender Begründung eines Verwerfungsurteils haben, fordern Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.

Im Zentrum des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg stand die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen ein Urteil des Amtsgerichts Strausberg. Ausgelöst wurde die juristische Auseinandersetzung durch eine Geldbuße in Höhe von 200 Euro, die gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften verhängt worden war. Das Amtsgericht hatte den Einspruch des Betroffenen verworfen, da dieser ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen war.

Die Anfänge der rechtlichen Kontroverse

Die rechtliche Kontroverse nahm ihren Anfang, als der Betroffene gegen die vom Land Brandenburg – Zentraldienst der Polizei – verhängte Geldbuße Einspruch einlegte. Sein Fernbleiben von der Hauptverhandlung begründete der Betroffene damit, dass er sich im Gericht geirrt habe. Er sei statt zum Amtsgericht Strausberg zu einem anderen Gericht gefahren. Dies teilte er am Tag der Hauptverhandlung telefonisch mit und bot sogar an, noch zum richtigen Gericht zu fahren. Das Amtsgericht wertete diese Umstände jedoch nicht als genügende Entschuldigung und wies den Einspruch des Betroffenen allein aufgrund seines Nichterscheinens ab.

Kernprobleme und Herausforderungen im Verfahren

Die zentrale Herausforderung in diesem Fall lag in der Bewertung der Entschuldigungsgründe für das Nichterscheinen des Betroffenen zur Hauptverhandlung. Das Amtsgericht Strausberg nahm eine unzureichende und rechtsfehlerhafte Würdigung des Entschuldigungsvorbringens vor, was vom Betroffenen im Rahmen seiner Rechtsbeschwerde kritisiert wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg plädierte indessen für eine Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet.

Das Urteil des OLG Brandenburg und seine Begründung

Das OLG Brandenburg gab der Rechtsbeschwerde statt und hob das Urteil des Amtsgerichts Strausberg auf. Die Richter am OLG betonten, dass Urteile, durch die ein Einspruch wegen Nichterscheinens verworfen wird, so begründet sein müssen, dass eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung möglich ist. Das Amtsgericht habe es versäumt, sich mit den Entschuldigungsgründen des Betroffenen konkret auseinanderzusetzen. Insbesondere wurde kritisiert, dass das Amtsgericht keine ausreichenden Feststellungen zur Frage der genügenden Entschuldigung getroffen hatte.

Die Bedeutung der Entscheidung für die Rechtspraxis

Die Entscheidung des OLG Brandenburg unterstreicht die Wichtigkeit einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Begründung in Urteilen, die auf dem Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung basieren. Sie zeigt auf, dass das Gericht die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben entschuldigen sollen, vollständig und detailliert würdigen muss. Diese Auffassung ist konsistent mit der ständigen Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts und dient der Sicherung eines fairen Verfahrens.

Im Fazit hebt das OLG Brandenburg hervor, dass eine genügende Entschuldigung für das Nichterscheinen in der Hauptverhandlung vorliegen könnte, wenn der Betroffene glaubhaft macht, nicht rechtzeitig erscheinen zu können, und sein baldiges Erscheinen ankündigt. Die Entscheidung betont somit die Fürsorgepflicht des Gerichts, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, durch ein verspätetes Erscheinen die Folgen einer Säumnis abzuwenden.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was sind die Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil bei Nichterscheinen des Angeklagten?

Ein Verwerfungsurteil bei Nichterscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist ein rechtliches Instrument, das unter bestimmten Voraussetzungen angewendet wird. Die wesentlichen Voraussetzungen für ein solches Urteil sind im deutschen Strafprozessrecht geregelt und umfassen verschiedene Aspekte, die von der ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten bis hin zu den Anforderungen an eine Entschuldigung für das Ausbleiben reichen.

Ordnungsgemäße Ladung

Eine grundlegende Voraussetzung für ein Verwerfungsurteil ist, dass der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde. Dies beinhaltet, dass die Ladung in der vorgeschriebenen Form erfolgt ist, wie in den §§ 216, 323 Abs. 1 S. 1 StPO festgelegt. Die Ladung kann auch durch öffentliche Zustellung erfolgen (§ 40 Abs. 3 StPO), und selbst wenn die Ladungsfrist nicht eingehalten wurde, hindert dies nicht die Verwerfung der Berufung.

Anwesenheitspflicht und Vertretung

Gemäß § 329 Abs. 1 StPO wird eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache verworfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist. Die Anwesenheit des Angeklagten kann jedoch in bestimmten Fällen durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht ersetzt werden, sofern dies gesetzlich zugelassen ist.

Entschuldigung des Angeklagten

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage der Entschuldigung für das Nichterscheinen. Es reicht nicht aus, dass der Angeklagte sich selbst entschuldigt; vielmehr muss geprüft werden, ob das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist. Dies kann beispielsweise durch Vorlage eines ärztlichen Attests geschehen, wobei der ausstellende Arzt damit konkludent von seiner Schweigepflicht entbunden wird. Das Gericht muss seinen Zweifeln an der Erheblichkeit der Erkrankung von Amts wegen nachgehen.

Überprüfung und Revision

Bei einer Revision gegen ein Verwerfungsurteil ist von der Revision lückenlos all die Tatsachen vorzutragen, die das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigen oder die zeigen sollen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren. Dies umfasst auch den Nachweis, dass der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde.

Zusammengefasst erfordert ein Verwerfungsurteil bei Nichterscheinen des Angeklagten eine ordnungsgemäße Ladung, die Möglichkeit der Vertretung durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht und eine angemessene Entschuldigung für das Ausbleiben. Bei einer Revision gegen ein solches Urteil müssen alle relevanten Tatsachen, die eine Entschuldigung unterstützen oder die ordnungsgemäße Ladung belegen, detailliert vorgebracht werden.

Wie muss ein Gericht Entschuldigungsgründe im Falle des Nichterscheinens bewerten?

Wenn ein Angeklagter oder ein Betroffener in einem Gerichtsverfahren nicht erscheint, muss das Gericht die vorgebrachten Entschuldigungsgründe sorgfältig prüfen. Die Bewertung dieser Gründe hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Art des Verfahrens (z.B. Strafverfahren, Bußgeldverfahren) und der spezifischen Umstände des Einzelfalls.

Allgemeine Prinzipien

  • Grundsatz der Aufklärungspflicht: Das Gericht ist verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei auch die Gründe für das Nichterscheinen des Angeklagten oder Betroffenen zu prüfen.
  • Keine Pflicht zur Glaubhaftmachung durch den Betroffenen: Der Betroffene ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Entschuldigungsgründe glaubhaft zu machen. Es reicht aus, wenn konkrete Hinweise auf einen Entschuldigungsgrund vorliegen, denen das Gericht nachgehen muss.

Spezifische Entschuldigungsgründe

  • Erkrankung: Eine Erkrankung kann ein genügender Entschuldigungsgrund sein, wenn die damit verbundenen Einschränkungen oder Beschwerden eine Teilnahme am Verfahren objektiv unzumutbar machen. Die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen ist hierbei üblich, wobei das Gericht diese nicht ungeprüft akzeptieren muss, aber auch nicht ohne weiteres Zweifel zu Lasten des Betroffenen gehen dürfen.
  • Berufliche Verpflichtungen: Berufliche Pflichten können unter Umständen als Entschuldigungsgrund anerkannt werden, allerdings nur, wenn glaubhaft gemacht wird, dass keine andere Möglichkeit bestand, den Termin wahrzunehmen.
  • Urlaubsreisen: Urlaubsreisen werden in der Regel nicht als ausreichender Entschuldigungsgrund angesehen, insbesondere wenn die Reise nach Erhalt der Ladung gebucht wurde.

Gerichtliche Prüfung und Konsequenzen

  • Das Gericht muss bei der Prüfung der Entschuldigungsgründe alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und eine Abwägung zwischen den Belangen des Betroffenen und den Interessen der Rechtspflege vornehmen.
  • Bei ungenügenden oder nicht nachvollziehbar belegten Entschuldigungsgründen kann das Gericht verschiedene Maßnahmen ergreifen, wie z.B. die Verhängung von Ordnungsgeldern oder die Erlassung eines Haftbefehls.
  • Im Falle einer Erkrankung oder ähnlicher Umstände, die eine Teilnahme am Verfahren objektiv unzumutbar machen, liegt ein genügender Entschuldigungsgrund vor. Das Gericht muss jedoch überzeugt sein, dass die vorgebrachten Gründe tatsächlich zutreffen.

Die Bewertung von Entschuldigungsgründen im Falle des Nichterscheinens vor Gericht ist ein komplexer Prozess, der eine sorgfältige Prüfung durch das Gericht erfordert. Dabei müssen alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und gegen die Interessen der Rechtspflege abgewogen werden.

Welche rechtlichen Folgen hat eine unzureichende Begründung eines Verwerfungsurteils?

Wenn ein Gericht ein Verwerfungsurteil aufgrund des Nichterscheinens eines Angeklagten oder Betroffenen fällt, ohne die Entschuldigungsgründe ausreichend zu begründen, kann dies rechtliche Folgen haben. Ein Verwerfungsurteil muss so begründet sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann. Wenn der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen vor dem Hauptverhandlungstermin mitgeteilt hat oder sonstige Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben bestehen, muss sich das Urteil damit auseinandersetzen und erkennen lassen, warum das Gericht den vorgebrachten oder ersichtlichen Gründen die Anerkennung als ausreichende Entschuldigung versagt hat.

Eine unzureichende Begründung eines Verwerfungsurteils kann dazu führen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Entscheidung aufhebt. Die Verfahrensrüge muss dabei den Begründungsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügen und die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt. Wenn das Gericht die Entschuldigungsgründe nicht ausreichend würdigt oder das Urteil nicht die erforderlichen Feststellungen und Erwägungen enthält, kann dies als Rechtsfehler angesehen werden, der zur Aufhebung des Verwerfungsurteils führt.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Anforderungen an die Begründung einer Rechtsbeschwerde. Im vorliegenden Urteil wurde die Rechtsbeschwerde für zulässig erachtet, da die Begründungsanforderungen erfüllt waren. Es geht darum, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit haben muss, die Entscheidung des vorherigen Gerichts auf Rechtsfehler zu überprüfen.
  • § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz): Er konkretisiert die Begründungsanforderungen für die Rechtsbeschwerde im Kontext von Ordnungswidrigkeiten. Im Kontext des Urteils zeigt dieser Paragraph, dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Gründen des Nichterscheinens des Betroffenen erforderlich ist, um eine Entscheidung zu treffen.
  • § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG: Dieser Paragraph beschreibt das Verfahren zur Verwerfung eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid bei Nichterscheinen des Betroffenen zur Hauptverhandlung. Im Fall wurde kritisiert, dass das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen verworfen hat, ohne sich ausreichend mit dessen Entschuldigungsgründen auseinandergesetzt zu haben.
  • Allgemeine Fürsorgepflicht des Gerichts: Obwohl nicht in einem spezifischen Paragraphen festgehalten, spielt die Fürsorgepflicht des Gerichts eine wesentliche Rolle in der Rechtsprechung. Sie verpflichtet das Gericht, den Interessen der Prozessbeteiligten angemessen Rechnung zu tragen. Im besprochenen Fall hätte dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden müssen, zu einem späteren Zeitpunkt zu erscheinen.
  • Grundsatz des fairen Verfahrens: Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz, der in verschiedenen Gesetzen und der Rechtsprechung verankert ist, betont die Notwendigkeit eines gerechten Verfahrens für alle Beteiligten. Im vorliegenden Urteil wurde bemängelt, dass das Amtsgericht die Entschuldigungsgründe des Betroffenen nicht angemessen gewürdigt hat, was gegen diesen Grundsatz verstößt.
  • Vermutungswirkung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG: Dieser Aspekt bezieht sich auf die Annahme, dass ein Betroffener, der nicht zur Verhandlung erscheint, sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgen möchte. Die Vermutung kann entkräftet werden, wenn der Betroffene triftige Gründe für sein Ausbleiben nachweist. Im diskutierten Fall war das Gericht gefordert, diese Vermutung kritisch zu hinterfragen und nicht vorschnell von einer unzureichenden Entschuldigung auszugehen.


Das vorliegende Urteil

OLG Brandenburg – Az.: 2 ORbs 202/23 – Beschluss vom 18.01.2024

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 15. August 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Strausberg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Land Brandenburg – Zentraldienst der Polizei – verhängte gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 200 €. Den Einspruch des Betroffenen hiergegen hat das Amtsgericht Strausberg durch Urteil vom 15. August 2023 verworfen, weil der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen sei. Zur Begründung hat das Amtsgericht wie folgt ausgeführt:

„Die von den Betroffenen telefonisch am Sitzungstag um 12:00 Uhr angegebenen Gründe vermögen über das Fernbleiben nicht zu entschuldigen, weil sie offensichtlich ein Verschulden des Betroffenen begründen.“

Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er neben der Rüge der Verletzung materiellen Rechts unter näherem Vorbringen u.a. ausführt, das Amtsgericht habe sein Entschuldigungsvorbringen unzureichend und rechtsfehlerhaft gewürdigt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die vom Einzelrichter des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Die zulässig erhobene, den Begründungsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft und mit unzureichender Würdigung angenommen, das Ausbleiben des Betroffenen sei nicht genügend entschuldigt, dringt durch.

1. Nach dem Rügevorbringen hat der Betroffene am Sitzungstag um 12:00 Uhr zu Beginn der Hauptverhandlung telefonisch mitgeteilt, „dass er sich im Gericht geirrt“ habe und „zum Gericht nach („Ort 01“) in die („Adresse 01“) gefahren“ sei. Ein diesbezüglicher Telefonvermerk der Verwalterin der Geschäftsstelle ist im Termin bekannt gegeben worden. Der Betroffene habe auch „angeboten, noch zum Gericht zu fahren“ und damit seine Absicht, an der Verhandlung teilzunehmen, telefonisch bekundet. Ihm hätte deshalb die Möglichkeit gegeben werden müssen, zu einer späteren Terminsstunde zu erscheinen. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft konkrete Feststellungen zur Frage der genügenden Entschuldigung nicht getroffen.

2. Das angefochtene Urteil unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sich das Amtsgericht in den Urteilsgründen mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nicht konkret und aus sich heraus verständlich befasst hat und dies dem Rechtsbeschwerdegericht keine hinreichende Überprüfung erlaubt, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen war.

a) Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann. Hat der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen vor dem Hauptverhandlungstermin mitgeteilt, oder bestehen sonst Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen, so muss sich das Urteil mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, warum das Gericht den vorgebrachten bzw. ersichtlichen Gründen die Anerkennung als ausreichende Entschuldigung versagt hat (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 1. Dezember 2011 – 1 Ss [OWi] 207/11; Beschl. v. 21. März 2017 – [2 B] 53 Ss-OWi 124/17 [68/17]; Beschl. v. 20. Februar 2007 – 1 Ss [OWi] 45/07; Beschl. v. 30. Mai 2018 – [2 B] 53 Ss-OWi 164/18 [144/18]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285; BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98, NStZ-RR 1999, 187; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 34, 35). Da das Rechtsbeschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellung des angefochtenen Urteils gebunden ist und diese nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen darf (OLG Köln, Beschl. v. 20. Oktober 1998 – Ss 484/98 B, NZV 1999, 261, 262), ist eine tragfähige, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachprüfbare Auseinandersetzung mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen unabdingbar; das Amtsgericht ist deshalb bei der Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung gehalten, die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigen sollen, so vollständig und ausführlich mitzuteilen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung, ob zutreffend von einer nicht genügenden Entschuldigung ausgegangen worden ist, allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist (vgl. OLG Hamm VRS 93, 450, 452).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weder wird das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nachvollziehbar mitgeteilt noch ausgeführt, weshalb eine genügende Entschuldigung nicht vorliege. Die Würdigung des Amtsgerichts ist nicht aus sich heraus hinreichend verständlich dargestellt und lässt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in ausreichendem Maße zu.

3. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der unzureichenden tatgerichtlichen Würdigung des Entschuldigungsvorbringens beruht. Dies wäre lediglich dann nicht der Fall, wenn die vom Betroffenen vorgebrachten Gründe von vornherein und ohne weiteres erkennbar nicht geeignet waren, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung zu entschuldigen (BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98. NStZ-RR 1999, 187; OLG Oldenburg, Beschl. v. 31. August 2010 – 2 SsRs 170/10, NZV 2011, 96; Göhler/Seitz/Bauer, aaO. § 74 Rdnr. 48). So verhält es sich hier jedoch nicht.

Das in § 74 Abs. 2 OWiG geregelte Verfahren der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet (Karlsruher Kommentar-OWiG/Senge, 5. Aufl. § 74 Rdnr. 19). Diese Vermutungswirkung ist u.a. dann entkräftet, wenn der Betroffene noch vor oder im Termin mitteilt, nicht rechtzeitig erscheinen zu können und sein Erscheinen in angemessener Zeit ankündigt (KG, Beschl. v. 10. März 2022 – 3 Ws [B] 56/22, zit. nach Juris). Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, einen längeren Zeitraum zuzuwarten; nur wenn dem Gericht ein weiteres Zuwarten wegen anstehender weiterer Termine – auch im Interesse anderer Verfahrensbeteiligter – nicht zumutbar ist, gebührt dem Gebot der termingerechten Durchführung der Hauptverhandlung der Vorrang (KG, Beschl. v. 4. Juli 2012 – 3 Ws [B] 359/12, zit. nach Juris). Die Wartepflicht besteht unabhängig davon, ob den Betroffenen an der Verspätung ein Verschulden trifft, es sei denn ihm fällt grobe Fahrlässigkeit oder Mutwillen zur Last (KG aaO., mwN.).

Gemessen daran ist das Vorbringen des Betroffenen nicht von vornherein ungeeignet, eine genügende Entschuldigung und eine Verpflichtung des Amtsgerichts zu begründen, ihn aufgrund der bestehenden Fürsorgepflicht die Möglichkeit einzuräumen, durch ein verspätetes Erscheinen die Folgen einer Säumnis abzuwenden. Das Tatgericht wäre insofern gehalten gewesen, zu den zugrunde liegenden Einzelheiten – u.a. die Bereitschaft und der zu erwartende Zeitpunkt eines nachträglichen Erscheinens des Betroffenen, gegebenenfalls nach Rücksprache unter der von ihm angegebenen Mobilfunknummer sowie anstehende weitere Termine am Sitzungstag – konkrete Feststellungen zu treffen und diese unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens in den Urteilsgründen näher zu würdigen.

 

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