➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 203 StRR 571/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Vorbestrafter Dieb: Landgericht setzt Strafe zur Bewährung aus – Oberste Gericht hebt Urteil auf
- ✔ Der Fall vor dem Landgericht Amberg
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Was sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung?
- Welche Rolle spielt die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Entscheidung über eine Bewährung?
- Wie wirkt sich eine Therapie auf die Entscheidung über eine Bewährung aus?
- Was bedeutet „günstige Legalprognose“ im Zusammenhang mit einer Bewährung?
- Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Gericht die Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung nicht ausreichend prüft?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Amberg
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Amtsgericht Amberg verurteilte den Angeklagten wegen Diebstahls und anderer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr.
- Das Landgericht Amberg setzte die Strafe zur Bewährung aus und berücksichtigte dabei eine laufende Therapie des Angeklagten.
- Hauptschwierigkeit: Die Erfolgsaussichten der laufenden Therapie waren zum Zeitpunkt des Urteils ungewiss.
- Gericht entschied: Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wurde das Urteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung an eine andere Strafkammer verwiesen.
- Kernaussage: Eine Therapie kann nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen wurde.
- Grund für Entscheidung: Die zukünftigen Erfolgsaussichten und positive Veränderungen durch die Therapie waren zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht sicher.
- Auswirkung: Die Strafaussetzung zur Bewährung kann nicht auf ungewisse Therapieverläufe gestützt werden; erneute Bewertung durch ein anderes Gericht erforderlich.
Vorbestrafter Dieb: Landgericht setzt Strafe zur Bewährung aus – Oberste Gericht hebt Urteil auf
Eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist ein wichtiges Rechtsinstitut im deutschen Strafrechtssystem. Es bietet Straftätern unter bestimmten Voraussetzungen die Chance, ihre Strafe außerhalb des Gefängnisses zu verbüßen und sich so auf eine Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu konzentrieren.
Die rechtlichen Grundlagen und Kriterien, die für eine Strafaussetzung zur Bewährung erfüllt sein müssen, sind komplex und erfordern eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. Dazu zählen unter anderem die Schwere der Tat, die Persönlichkeit des Täters, seine Sozialprognose sowie die Frage, ob die Resozialisierung des Verurteilten durch eine Freiheitsstrafe oder eine Bewährungsauflage besser gefördert wird.
Im Folgenden wird ein konkreter Gerichtsfall beleuchtet, in dem die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung eingehend geprüft und diskutiert wurden.
Ihr Recht auf Bewährung: Wir stehen Ihnen zur Seite
Die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist ein komplexes Verfahren mit weitreichenden Konsequenzen. Wir verstehen die Unsicherheiten und Ängste, die damit einhergehen. Die Kanzlei Kotz verfügt über langjährige Erfahrung im Strafrecht und kennt die Feinheiten der Bewährungsaussetzung. Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Einschätzung Ihrer individuellen Situation und lassen Sie uns gemeinsam Ihre Rechte wahren.
✔ Der Fall vor dem Landgericht Amberg
Verurteilter Dieb legt Berufung ein – Landgericht setzt Strafe zur Bewährung aus
Das Amtsgericht Amberg verurteilte den Angeklagten im August 2022 wegen Diebstahls und anderer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung gegen das Urteil ein, beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch. Das Landgericht Amberg änderte daraufhin in der Berufungsverhandlung im August 2023 das erstinstanzliche Urteil ab und verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, setzte aber die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus.
Staatsanwaltschaft legt Revision ein – Beschränkung auf Bewährungsaussetzung unwirksam
Gegen die Entscheidung des Landgerichts, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Sie beschränkte die Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Die Generalstaatsanwaltschaft vertrat jedoch die Auffassung, dass diese Beschränkung unwirksam sei. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) gab der Revision statt und hob das Urteil des Landgerichts auf.
Das BayObLG begründete dies damit, dass das Landgericht trotz entsprechender Feststellungen des Amtsgerichts eine mögliche erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund von Alkoholisierung und Alkoholabhängigkeit nicht erörtert habe. Dies wäre jedoch nicht nur für die Strafzumessung, sondern auch für die Bewährungsentscheidung relevant gewesen. Aufgrund der lückenhaften Erwägungen sei eine widerspruchsfreie Entscheidung nicht möglich, weshalb der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufgehoben werden müsse.
Voraussetzungen für Bewährungsaussetzung nicht ausreichend belegt
Das BayObLG stellte zudem fest, dass die Entscheidung des Landgerichts, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, den Anforderungen nicht genüge. Für eine günstige Legalprognose im Sinne von § 56 StGB reiche es nicht aus, dass sich der erheblich vorbestrafte und unter laufender Bewährung stehende Angeklagte zwei Monate vor der Berufungsverhandlung auf eine stationäre Soziotherapie eingelassen habe.
Nach gefestigter Rechtsprechung könne eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen wurde – nicht aber, wenn der erhoffte Behandlungserfolg zum Zeitpunkt des Hauptverhandlungsendes noch völlig ungewiss ist. Dies gelte selbst dann, wenn aus Sicht des Tatrichters gute Gründe für eine positive Veränderung durch die Therapie sprächen.
Urteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen
Da das Landgericht somit bereits die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht ausreichend belegt habe, komme es auf die weiteren Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung bei Strafen über einem Jahr nicht mehr an. Das BayObLG hob das angefochtene Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurück.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung des BayObLG stellt klar, dass für eine positive Legalprognose bei der Bewährungsaussetzung der bloße Beginn einer Therapie nicht ausreicht. Vielmehr muss die Therapie bereits erfolgreich abgeschlossen sein, um die Annahme zu rechtfertigen, dass der Verurteilte künftig ein straffreies Leben führen wird. Das Urteil betont die hohen Anforderungen an eine günstige Sozialprognose und mahnt zu einer sorgfältigen Prüfung und Begründung der Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewährung.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Angeklagte: Das Urteil unterstreicht, dass eine laufende Therapie allein nicht ausreicht, um eine Bewährungsstrafe zu rechtfertigen. Der Erfolg der Therapie und die damit verbundene positive Veränderung müssen zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung klar erkennbar sein. Dies bedeutet, dass eine frühzeitige und intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Suchtproblematik entscheidend für eine positive Prognose sein kann.
Für Angehörige: Das Urteil kann für Angehörige von Straftätern bedeuten, dass sie sich aktiv in den Therapieprozess einbringen sollten, um den Erfolg der Behandlung zu unterstützen und so die Chancen auf eine Bewährungsstrafe zu erhöhen.
Für die Allgemeinheit: Das Urteil stärkt das Vertrauen in die Rechtsprechung, da es zeigt, dass Gerichte sorgfältig prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Bewährungsstrafe erfüllt sind. Es unterstreicht auch die Bedeutung einer erfolgreichen Therapie für die Resozialisierung von Straftätern.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist ein komplexes, aber entscheidendes Thema, das viele Menschen interessiert. Unsere sorgfältig zusammengestellten FAQs bieten Ihnen einen präzisen Überblick über die rechtlichen Voraussetzungen und den Entscheidungsprozess. Informieren Sie sich jetzt, um besser einschätzen zu können, wie ein Gericht in Ihrem Fall entscheiden könnte.
- Was sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung?
- Welche Rolle spielt die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Entscheidung über eine Bewährung?
- Wie wirkt sich eine Therapie auf die Entscheidung über eine Bewährung aus?
- Was bedeutet „günstige Legalprognose“ im Zusammenhang mit einer Bewährung?
- Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Gericht die Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung nicht ausreichend prüft?
Was sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung?
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung sind im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Gemäß § 56 StGB kann das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verwarnung zur Auflage genügen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
Für eine Bewährungsstrafe müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Die Freiheitsstrafe darf nicht mehr als ein Jahr betragen. Bei Strafen über einem Jahr ist eine Bewährung grundsätzlich ausgeschlossen.
Es muss zu erwarten sein, dass der Verurteilte sich schon durch die Verwarnung und die Erteilung von Auflagen zur Bewährung bessern lässt. Das Gericht muss zu der Überzeugung gelangen, dass der Täter durch die Strafaussetzung zur Bewährung von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten wird.
Der Täter darf keine einschlägigen Vorstrafen haben, die auf eine Neigung zu Straftaten schließen lassen. Insbesondere schwere Vorstrafen können einer Strafaussetzung entgegenstehen.
Die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und seiner Tat muss ergeben, dass die Aussetzung der Strafe verantwortet werden kann. Dabei sind die Beweggründe und das Vorleben des Verurteilten, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen.
Das öffentliche Interesse darf der Strafaussetzung nicht entgegenstehen. Schwere Straftaten, die das Rechtsgefühl der Allgemeinheit erheblich erschüttern, können eine Bewährungsstrafe ausschließen.
Erfüllt der Verurteilte die Bewährungsauflagen nicht, kann das Gericht die Strafaussetzung widerrufen und den Rest der Strafe vollstrecken lassen. Bewährt sich der Täter hingegen, wird die Strafe erlassen und das Verfahren eingestellt.
Welche Rolle spielt die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Entscheidung über eine Bewährung?
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten spielt eine zentrale Rolle bei der Entscheidung über eine Bewährungsstrafe. Gemäß § 20 StGB ist ein Täter schuldunfähig und damit nicht strafbar, wenn er aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer Bewusstseinsstörung oder einer Intelligenzminderung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. In diesem Fall kommt keine Strafe, sondern allenfalls eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt in Betracht.
Ist die Schuldfähigkeit zwar nicht vollständig ausgeschlossen, aber erheblich vermindert, kann sich dies nach § 21 StGB strafmildernd auswirken. Das Gericht kann dann die Strafe mildern, ist dazu aber nicht verpflichtet. Voraussetzung ist, dass eine der in § 21 StGB genannten Störungen vorlag und diese ursächlich für die Tat war.
Für die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 StGB ist die Schuldfähigkeit insofern relevant, als das Gericht eine positive Sozialprognose stellen muss. Dazu gehört die Erwartung, dass der Täter auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Liegt eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vor, kann dies Zweifel an dieser Prognose begründen und eine Bewährung ausschließen.
Daher muss das Gericht die Schuldfähigkeit sorgfältig prüfen und seine Erwägungen dazu im Urteil darlegen. Geschieht dies nicht, kann dies zur Aufhebung des Urteils führen. Insgesamt zeigt sich, dass die Schuldfähigkeit nicht nur für die Strafbarkeit, sondern auch für die Strafaussetzung zur Bewährung von großer Bedeutung ist.
Wie wirkt sich eine Therapie auf die Entscheidung über eine Bewährung aus?
Eine Therapie kann sich in mehrfacher Hinsicht positiv auf die Entscheidung über eine Bewährungsstrafe auswirken:
Zunächst zeigt eine Therapie, dass der Verurteilte ernsthaft an seiner Resozialisierung arbeitet und die Bereitschaft zur Verhaltensänderung mitbringt. Dies spricht für eine positive Legalprognose, also die Erwartung, dass der Täter in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird. Eine laufende Therapie kann daher ein wichtiges Argument für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung sein.
Darüber hinaus kann eine Therapie dazu beitragen, die Ursachen der Straffälligkeit zu behandeln und dem Verurteilten Strategien an die Hand geben, um ein straffreies Leben zu führen. Gerade bei Straftaten im Zusammenhang mit Suchterkrankungen, wie Beschaffungskriminalität, ist eine Therapie oft unerlässlich, um die Legalprognose zu verbessern.
Allerdings ist eine laufende Therapie allein kein Garant für eine Bewährungsstrafe. Entscheidend sind letztlich die Gesamtumstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwere der Tat, die Persönlichkeit des Täters und die Erfolgsaussichten der Therapie. Auch wenn eine Therapie begonnen wurde, kann das Gericht zu dem Schluss kommen, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht verantwortet werden kann.
Was bedeutet „günstige Legalprognose“ im Zusammenhang mit einer Bewährung?
Eine günstige Legalprognose bedeutet, dass das Gericht die begründete Erwartung hat, dass der Angeklagte in Zukunft keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Sie ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass eine verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Bei der Prüfung einer günstigen Legalprognose berücksichtigt das Gericht verschiedene Faktoren:
- Die Art und Schwere der Straftat
- Die Persönlichkeit des Angeklagten
- Ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind
Liegen die Voraussetzungen für eine günstige Legalprognose vor, muss das Gericht bei Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten die Vollstreckung zur Bewährung aussetzen. Bei Strafen zwischen 6 Monaten und 1 Jahr ist zusätzlich erforderlich, dass die Verteidigung der Rechtsordnung der Aussetzung nicht entgegensteht.
Bei Freiheitsstrafen über 1 Jahr bis zu 2 Jahren kann das Gericht die Vollstreckung zur Bewährung aussetzen, wenn neben einer günstigen Legalprognose auch besondere Umstände vorliegen und die Verteidigung der Rechtsordnung dem nicht entgegensteht.
Eine günstige Legalprognose ist somit in allen Fällen einer Bewährungsstrafe zwingend erforderlich. Sie ist Ausdruck des Resozialisierungsgedankens im Strafrecht und soll dem Angeklagten eine zweite Chance geben, sich straffrei zu bewähren.
Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Gericht die Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung nicht ausreichend prüft?
Wenn ein Gericht die Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung nicht ausreichend prüft, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben. In einem solchen Fall kann das Urteil aufgehoben und der Fall zur erneuten Verhandlung an das Gericht zurückverwiesen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass Gerichte bei der Prüfung einer Bewährungsaussetzung nach § 57 StGB der Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unterliegen. Dazu gehört, dass alle für die Entscheidung relevanten Umstände sorgfältig ermittelt und gewürdigt werden müssen.
Wird diese Pflicht verletzt, indem das Gericht beispielsweise wichtige Tatsachen nicht berücksichtigt oder fehlerhafte Annahmen zugrunde legt, kann dies einen Verstoß gegen das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen. In einem solchen Fall ist die Entscheidung verfassungswidrig und muss aufgehoben werden.
Das Gericht muss dann den Fall erneut verhandeln und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts über die Bewährungsaussetzung entscheiden. Dabei darf es keine Umstände unberücksichtigt lassen, die für die Prognoseentscheidung von Bedeutung sind.
Eine unzureichende Prüfung der Voraussetzungen für eine Bewährungsaussetzung kann somit dazu führen, dass ein Urteil aufgehoben und der Fall unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben neu verhandelt werden muss. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung durch die Gerichte bei dieser folgenschweren Entscheidung.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 56 StGB – Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung: Regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Hier muss insbesondere eine günstige Legalprognose vorliegen, d.h. die Erwartung, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird. Im Fall war die Frage zentral, ob die laufende Therapie des Angeklagten eine solche Prognose stützen kann.
- § 46 StGB – Grundsätze der Strafzumessung: Gibt die allgemeinen Kriterien der Strafzumessung vor, darunter die Schuld des Täters und die Auswirkungen der Tat. In diesem Fall wurde diskutiert, ob diese Kriterien ausreichend berücksichtigt wurden, besonders im Hinblick auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten.
- § 67 StGB – Anrechnung von Untersuchungshaft: Relevant für die Entscheidung, ob eine bereits verbüßte Untersuchungshaft auf die Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird. Dieses Gesetz ist im Kontext des Falles insofern von Bedeutung, als es die Berechnungsweise der tatsächlich zu verbüßenden Strafe beeinflusst.
- § 337 StPO – Revision: Beschreibt die Gründe und Verfahren einer Revision, also der Überprüfung eines Urteils auf Rechtsfehler. Die Revision der Staatsanwaltschaft in diesem Fall zielte darauf ab, die Rechtsfehler in der Entscheidung des Landgerichts Amberg bezüglich der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung zu korrigieren.
- § 349 StPO – Entscheidung des Revisionsgerichts: Erklärt die möglichen Ergebnisse eines Revisionsverfahrens, eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung oder die Zurückverweisung an eine andere Strafkammer. Im vorliegenden Fall hat das BayObLG entschieden, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückzuverweisen.
- § 55 StGB – Gesamtstrafe: Regelt die Bildung einer Gesamtstrafe bei mehreren Straftaten. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, was in der Entscheidung des Landgerichts Amberg eine Rolle spielte, insbesondere hinsichtlich der bilanzierten Strafe von 1 Jahr und 3 Monaten.
- Art. 103 GG – Rechtliches Gehör: Ein Grundrecht, dass jede Person vor Gericht angehört wird. Dies spielt in Revisionsverfahren eine wichtige Rolle, da behauptet werden kann, dass das rechtliche Gehör im ursprünglichen Verfahren verletzt wurde. Die Staatsanwaltschaft könnte argumentiert haben, dass nicht alle entscheidenden Argumente ausreichend gewürdigt wurden.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Amberg
BayObLG – Az.: 203 StRR 571/23 – Urteil vom 19.02.2024
Leitsatz:
Im Rahmen der Entscheidung über die kann eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wurde, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte.
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 16. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Amtsgericht Amberg hat den Angeklagten am 2. August 2022 wegen Diebstahls und anderer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt. Auf die jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Amberg mit dem angegriffenen Urteil vom 16. August 2023 das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verhängt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung richtet. Die Generalstaatsanwaltschaft M. vertritt die Revision der Staatsanwaltschaft und beantragt die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung. Sie ist der Rechtsauffassung, dass die Beschränkung der Revision nicht wirksam ist.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Sie ist gemäß § 333 StPO statthaft und entsprechend §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden. Sie ist auch begründet. Das Rechtsmittel umfasst den gesamten Rechtsfolgenausspruch des Landgerichts und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit seinen Feststellungen.
1. Grundsätzlich kann die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung isoliert angefochten werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 – 1 StR 189/71 –, BGHSt 24, 164-166 Rn. 2; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 344 Rn. 12 m.w.N.). Voraussetzung ist, dass die erstinstanzlichen Feststellungen derart vollständig und widerspruchsfrei sind, dass sie eine ausreichende Grundlage für die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB bieten (st. Rspr., vgl. BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 – 5St RR 182/04 –, juris Rn. 12 f., BGH, Urteil vom 30. November 2017 – 3 StR 385/17 –, juris Rn. 12 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 19. Oktober 2015 – (3) 161 Ss 195/15 (107/15) –, juris Rn. 6).
Dies ist hier nicht der Fall. Die Strafkammer hat, obgleich die Feststellungen des Amtsgerichts zur Alkoholisierung und zur Alkoholabhängigkeit des Angeklagten dies geboten hätten (vgl. Urteil Amtsgericht Amberg S. 14 und 15), eine sucht- oder rauschbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht erörtert. Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB wäre jedoch ein Umstand, der nicht nur für die Strafzumessung, sondern auch für die Frage der Bewährung eine Rolle spielen kann. Denn als besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB gelten auch Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 202 StRR 49/23 –, juris). Danach erweist sich die Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung hier als unwirksam. Um eine widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen, ist es geboten, den auf lückenhaften Erwägungen beruhenden Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 8. November 2018 – (5) 121 Ss 167/18 (75/18) –, juris Rn. 26).
2. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
a. Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.
b. Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 3). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 6). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).
Die Ausführungen des Landgerichts für seine Erwartung, der nach den Feststellungen erheblich vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende und strafhafterfahrene Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Dass sich der Angeklagte am 28. Juni 2023, also knappe zwei Monate vor der anstehenden Berufungshauptverhandlung, auf eine von der Berufungskammer bezüglich ihrer Ausgestaltung nicht näher dargestellte stationäre Soziotherapie eingelassen hat, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6).
c. Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB rechtsfehlerhaft in ungenügender Weise auseinandergesetzt hat.
3. Das angefochtene Urteil unterliegt daher mit den Feststellungen der Aufhebung.