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Beweiswürdigung im Urteil bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

Apotheker unter Betrugsverdacht: Aussage der drogenabhängigen Zeugin als Dreh- und Angelpunkt im Prozess um elffachen Betrug mit HIV-Medikamenten. Gerichtliche Neubewertung zwingend erforderlich, da Glaubwürdigkeit der Zeugin und Widersprüche in ihren Aussagen bisher nicht ausreichend geprüft wurden. Neue Hauptverhandlung soll Licht ins Dunkel bringen und über Schuld oder Unschuld des Apothekers entscheiden.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Es ging um den Vorwurf des Betrugs durch den Inhaber einer Apotheke, der Rezepte bei der Krankenkasse eingereicht, aber die Medikamente nicht an die Patienten ausgehändigt hat.
  • Der Berufungsprozess basierte auf widersprüchlichen Aussagen der betäubungsmittelabhängigen Zeugin und des Angeklagten.
  • Die Schwierigkeit lag in der Bewertung der Glaubwürdigkeit der Aussagen und der Abwägung verschiedener Beweismittel.
  • Das Gericht entschied, das vorangegangene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.
  • Die Entscheidung erfolgte, weil die vorherige Richterkammer wesentliche Fehler in der Beweiswürdigung gemacht hatte, insbesondere in der Bewertung der Zeugen- und Angeklagen-Aussagen.
  • Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind, dass die Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Aussagen gründlicher geprüft werden müssen, um zu einem gerechten Urteil zu gelangen.

Betrug mit HIV-Medikamenten: Zweifel an Aussage der Zeugin führen zu Urteilsaufhebung

Oft kommt es in Gerichtsverfahren vor, dass die Beweislage nicht eindeutig ist und es lediglich die Aussagen der beteiligten Parteien gibt. In solchen sogenannten „Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen“ müssen die Richter besonders sorgfältig die Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Zeugenaussagen prüfen. Sie müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen, um zu einem gerechten Urteil zu gelangen.

Hierbei spielen Faktoren wie die Persönlichkeit der Beteiligten, ihre Motivation und eventuelle Vorbelastungen eine wichtige Rolle. Auch die Übereinstimmung der Aussagen mit den sonstigen Ermittlungsergebnissen ist entscheidend. Die Richter müssen letztlich eine sorgfältige Abwägung aller Beweismittel vornehmen, um zu einer objektiven Bewertung zu kommen.

Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil vorgestellt, das sich eingehend mit der Beweiswürdigung in einer solchen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation befasst.

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Der Fall vor Gericht


Aussage der Zeugin M. führt trotz widersprüchlicher Details zur Verurteilung des Angeklagten wegen elffachen Betrugs

Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin wegen Betrugs in 11 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Angeklagte als Inhaber zweier Apotheken mit der betäubungsmittelabhängigen Zeugin M. vereinbart, ihr ärztliche Verordnungen über hochpreisige HIV-Medikamente abzukaufen. Diese reichte er dann bei den Krankenkassen ein, ohne die Medikamente tatsächlich an die Zeugin auszuhändigen. In 11 Fällen erstatteten die Krankenkassen dem Angeklagten den Verkaufspreis von insgesamt über 23.000 Euro.

Das Urteil stützt sich im Wesentlichen auf die Aussage der Zeugin M. Diese hatte den Ablauf der Taten detailliert geschildert, wobei ihre Angaben teilweise durch weitere Beweismittel wie Rezepte und Zeugenaussagen von Apothekenmitarbeitern gestützt wurden. Allerdings wies ihre Aussage auch einige Widersprüche auf. So erklärte die Zeugin zunächst, ausnahmslos alle Rezepte an den Angeklagten verkauft zu haben. Später räumte sie ein, an drei Tagen, an denen sich der Angeklagte nicht in Berlin aufhielt, die Rezepte doch selbst in der Apotheke eingelöst zu haben.

Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft und in sich widersprüchlich

Das Kammergericht Berlin hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin auf. Es beanstandete die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft und in sich widersprüchlich. So seien die Angaben der Zeugin M. über viele Seiten hinweg vollständig wiedergegeben worden, ohne die für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Auch habe das Landgericht einerseits einen Irrtum der Zeugin hinsichtlich der ihr vorgeworfenen Taten kategorisch ausgeschlossen, anderseits aber Erinnerungsfehler und sogar bewusst falsche Angaben der Zeugin in Betracht gezogen, um Widersprüche in ihrer Aussage zu erklären.

Ergebnis des Strafverfahrens gegen Zeugin für Bewertung ihrer Glaubhaftigkeit bedeutsam

Zudem rügte das Kammergericht, dass das Landgericht das Ergebnis des gegen die Zeugin geführten Strafverfahrens wegen ähnlicher Taten nur bruchstückhaft mitgeteilt habe. Dies wäre jedoch für die Prüfung ihrer Aussagemotivation und Glaubhaftigkeit von wesentlicher Bedeutung gewesen.

Neue Hauptverhandlung muss Widersprüche in Aussage der Zeugin sorgfältig aufklären

Das Kammergericht verwies die Sache daher zu neuer Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. In der neuen Hauptverhandlung wird es darauf ankommen, die Widersprüche in der Aussage der Zeugin sorgfältig aufzuklären. Dabei wird das Gericht insbesondere berücksichtigen müssen, dass die Zeugin zugleich Mittäterin war und selbst wegen ähnlicher Taten verurteilt wurde. Auch die objektiven Beweisumstände wie Rezepte und Zeugenaussagen, die die Angaben der Zeugin stützen, müssen umfassend gewürdigt werden. Nur wenn die Strafkammer in nachvollziehbarer Weise darlegt, warum sie die belastenden Angaben der Zeugin trotz der aufgezeigten Widersprüche für glaubhaft hält, kann der Angeklagte auf dieser Grundlage verurteilt werden.

Die Schlüsselerkenntnisse


Das Urteil verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige und in sich stimmige Beweiswürdigung ist, gerade wenn die Aussage eines Belastungszeugen von zentraler Bedeutung ist. Widersprüche und Ungereimtheiten in einer solchen Aussage müssen sorgsam aufgeklärt und gewürdigt werden. Dabei sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die Glaubhaftigkeit und Aussagemotivation des Zeugen in Frage stellen können, wie eine eigene Tatbeteiligung. Nur so kann ein faires, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes Urteil gefällt werden.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil unterstreicht, wie wichtig eine sorgfältige und nachvollziehbare Beweiswürdigung in Strafverfahren ist, insbesondere wenn es um widersprüchliche Aussagen geht. Für Betroffene bedeutet dies, dass Gerichte bei der Bewertung von Zeugenaussagen strenge Maßstäbe anlegen müssen.

Wenn Sie Zeuge in einem Strafverfahren sind, sollten Sie sich bewusst sein, dass Ihre Aussage genau geprüft wird. Widersprüche oder Ungereimtheiten können Ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, wahrheitsgemäß und so präzise wie möglich auszusagen.

Falls Sie selbst beschuldigt werden, zeigt dieses Urteil, dass eine gründliche Verteidigung entscheidend ist. Ein erfahrener Anwalt kann Ihnen helfen, Widersprüche in Zeugenaussagen aufzudecken und Ihre Rechte zu wahren. Auch wenn Sie sich keiner Schuld bewusst sind, kann eine ungenaue Beweiswürdigung zu einem ungerechten Urteil führen.

Dieses Urteil stärkt den Rechtsstaat und das Vertrauen in die Justiz, da es verdeutlicht, dass selbst kleine Fehler in der Beweiswürdigung schwerwiegende Folgen haben können und daher sorgfältig vermieden werden müssen. Es zeigt, dass Gerichte ihre Entscheidungen transparent und nachvollziehbar begründen müssen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.


FAQ – Häufige Fragen

Wenn Gerichte ihre Entscheidungen in Strafverfahren fällen, kommt der sorgfältigen Beweiswürdigung eine zentrale Rolle zu. Wie dieses Urteil zeigt, kann eine mangelhafte Würdigung der Beweise, insbesondere widersprüchlicher Zeugenaussagen, schwerwiegende Folgen haben. Für Bürgerinnen und Bürger, die in solche Verfahren involviert sind, bietet unsere FAQ-Sektion wertvolle Informationen dazu, wie Richter die Glaubwürdigkeit von Zeugen prüfen und welche Aspekte bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen. Mit diesem verständlichen Hintergrundwissen können Sie Ihre Rechte besser verstehen und sich gezielt mit Ihrem Fall auseinandersetzen.


Was bedeutet Aussage gegen Aussage?

Eine „Aussage gegen Aussage“-Konstellation liegt vor, wenn sich der Verdacht gegen einen Beschuldigten oder Angeklagten ausschließlich auf die Aussage eines einzigen Belastungszeugen stützt und keine weiteren, unmittelbar tatbezogenen Beweismittel vorhanden sind. Dies gilt auch, wenn der Beschuldigte schweigt und somit keine eigene Darstellung des Tatvorwurfs liefert. In solchen Fällen stehen sich zwei gegensätzliche Darstellungen eines Ereignisses gegenüber, ohne dass zusätzliche objektive Beweise wie Verletzungsbilder, DNA-Spuren oder andere Zeugenaussagen vorliegen.

In einer solchen Situation ist die Glaubwürdigkeit der Aussagen von entscheidender Bedeutung. Die Gerichte müssen eine sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung vornehmen, um zu entscheiden, welcher Aussage Glauben geschenkt wird. Dabei sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen:

  • Aussagekonstanz: Die Konsistenz der Aussage über verschiedene Zeitpunkte hinweg ist ein wichtiger Faktor. Eine Aussage, die in ihren wesentlichen Punkten konstant bleibt, wird als glaubhafter angesehen.
  • Detailliertheit und Plausibilität: Eine detaillierte und in sich schlüssige Aussage spricht für ihre Glaubhaftigkeit. Widersprüche oder logische Lücken können hingegen Zweifel an der Wahrheit der Aussage aufkommen lassen.
  • Aussagemotiv: Das Gericht prüft, ob der Zeuge ein mögliches Motiv für eine Falschaussage haben könnte, wie etwa Rache, Eifersucht oder persönliche Abneigung.
  • Aussagetüchtigkeit: Die Fähigkeit des Zeugen, den spezifischen Sachverhalt korrekt wahrzunehmen, zu speichern und wiederzugeben, wird ebenfalls bewertet. Hierbei spielen auch mögliche Beeinträchtigungen durch Alkohol, Drogen oder psychische Erkrankungen eine Rolle.
  • Vernehmungspsychologie: Die Erkenntnisse der Aussagepsychologie werden herangezogen, um die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage zu beurteilen. Dies kann die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens durch einen Sachverständigen erfordern, insbesondere bei komplexen oder emotional stark belasteten Aussagen.

Die Gerichte müssen alle diese Faktoren in einer Gesamtwürdigung berücksichtigen und ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen. Die Beweiswürdigung kann mit der Revision angegriffen werden, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.


Wie bewerten Gerichte die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen?

Gerichte bewerten die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen anhand mehrerer Kriterien, die sowohl die Person des Zeugen als auch den Inhalt der Aussage betreffen. Diese Kriterien sind besonders wichtig in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, also keine weiteren Beweismittel außer den Zeugenaussagen vorliegen.

Ein zentrales Kriterium ist die Konstanz der Aussage. Eine glaubwürdige Aussage bleibt in ihren wesentlichen Punkten über verschiedene Befragungen hinweg konsistent. Abweichungen in unwesentlichen Details sind jedoch normal und beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit nicht zwangsläufig. Gravierende Widersprüche in zentralen Punkten können hingegen Zweifel an der Glaubwürdigkeit wecken.

Die Detailgenauigkeit der Aussage spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Aussagen, die reich an Details sind und diese spontan und ohne erkennbare Steuerung durch den Zeugen wiedergeben, gelten als glaubwürdiger. Ein hohes Maß an Detailreichtum, insbesondere wenn die Details logisch und kohärent erscheinen, spricht für die Glaubhaftigkeit der Aussage.

Das Verhalten des Zeugen während der Aussage ist ein weiteres Kriterium. Ein Zeuge, der auf Nachfragen spontan und präzise antwortet, wirkt glaubwürdiger als jemand, der unsicher oder ausweichend reagiert. Auch die emotionale Beteiligung des Zeugen kann ein Indikator sein. Ein authentischer emotionaler Nachklang, der mit dem Erlebten übereinstimmt, kann die Glaubwürdigkeit stärken.

Motive für Falschaussagen werden ebenfalls berücksichtigt. Das Gericht prüft, ob der Zeuge ein mögliches Interesse daran haben könnte, die Wahrheit zu verzerren, etwa aus Rache, Angst oder anderen persönlichen Gründen. Ein Zeuge ohne erkennbare Belastungstendenzen oder persönliche Bindungen zum Angeklagten wird als glaubwürdiger eingestuft.

Die Entstehung und Entwicklung der Aussage wird ebenfalls analysiert. Das Gericht untersucht, wie die Aussage zustande gekommen ist und ob sie möglicherweise durch äußere Einflüsse oder Suggestionen verfälscht wurde. Eine Aussage, die ohne äußeren Druck und aus freien Stücken gemacht wurde, gilt als glaubwürdiger.

In der Praxis bedeutet dies, dass Gerichte eine umfassende und detaillierte Prüfung der Zeugenaussagen vornehmen müssen. Dies schließt die Analyse der Aussagegenese, die Bewertung der Aussagekonstanz und die Prüfung möglicher Motive für Falschaussagen ein. Nur durch eine sorgfältige und differenzierte Beweiswürdigung kann das Gericht zu einer fundierten Entscheidung gelangen.


Welche Rolle spielen Indizien bei der Beweiswürdigung?

Indizien spielen eine zentrale Rolle bei der Beweiswürdigung in Gerichtsverfahren, insbesondere wenn direkte Beweise fehlen. Sie sind Tatsachen oder Umstände, die auf das Vorliegen einer Haupttatsache schließen lassen, ohne diese direkt zu beweisen. Indizien können sowohl belastend als auch entlastend wirken und müssen im Kontext aller vorliegenden Beweismittel bewertet werden.

Die Überzeugungskraft von Indizien hängt maßgeblich davon ab, wie stark sie auf den zu beweisenden Sachverhalt hinweisen. Gerichte müssen Indizien zunächst als Beweismittel zulassen und dabei die grundlegenden Beweisanforderungen und das Gebot eines fairen Verfahrens beachten. Einmal zugelassen, werden Indizien im Rahmen der Beweisaufnahme erörtert und im Kontext der anderen Beweismittel bewertet.

Die Gesamtwürdigung der Indizien ist entscheidend. Einzelne Indizien dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden. Diese Gesamtschau kann die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen, selbst wenn kein einzelnes Indiz für sich allein ausreicht, um die Haupttatsache zu beweisen. Der Bundesgerichtshof (BGH) betont, dass die Bedeutung einzelner Indizien erst im Zusammenhang mit anderen Indizien deutlich wird.

Gegenindizien können die Aussagekraft von belastenden Indizien mindern oder entkräften. Wenn beispielsweise eine Person zur Tatzeit nachweislich an einem anderen Ort war, kann dies ein starkes Gegenindiz darstellen, das die Täterschaft ausschließt. Die Bewertung von Indizien ist jedoch nicht rein objektiv, sondern unterliegt auch subjektiven Einflüssen, wie der persönlichen Erfahrung und Vorprägung des Richters.

Im Strafrecht gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten). Das bedeutet, dass bei Zweifeln an der Schuld des Angeklagten dieser freigesprochen werden muss. Indizien können jedoch auch in solchen Fällen zu einer Verurteilung führen, wenn sie in ihrer Gesamtheit eine hinreichende Überzeugungskraft besitzen.

Indizienbeweise sind besonders relevant in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, wo keine direkten Beweise vorliegen. Hier können Indizien zur Stützung oder Widerlegung von Zeugenaussagen beitragen. Beispielsweise kann die Auffindung von Fingerabdrücken an einem Tatort ein starkes Indiz für die Anwesenheit einer Person sein, auch wenn keine direkten Zeugen vorhanden sind.

Die Beweislast für Indiztatsachen trägt im Zivilprozess die Partei, die auch die Haupttatsache zu beweisen hat. Im Strafprozess liegt die Beweislast in der Regel bei der Staatsanwaltschaft, die die Schuld des Angeklagten nachweisen muss. Indizien können dabei helfen, die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Haupttatsache zu erhöhen oder zu verringern.

Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen kann durch Indizien gestützt oder in Frage gestellt werden. Wenn beispielsweise ein Zeuge behauptet, zur Tatzeit an einem bestimmten Ort gewesen zu sein, und dies durch Indizien wie Videoaufnahmen oder andere Beweise bestätigt wird, erhöht dies die Glaubwürdigkeit der Aussage. Umgekehrt können widersprüchliche Indizien die Glaubwürdigkeit eines Zeugen mindern.

Indizien sind somit ein unverzichtbares Element der Beweiswürdigung, das Gerichte in die Lage versetzt, auch in komplexen Fällen ohne direkte Beweise fundierte Entscheidungen zu treffen.


Was passiert, wenn Zeugenaussagen widersprüchlich sind?

Wenn Zeugenaussagen widersprüchlich sind, müssen Gerichte eine sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung vornehmen. Dies ist besonders relevant in sogenannten Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, bei denen keine weiteren Beweismittel außer den Aussagen der beteiligten Personen vorliegen.

Gerichte sind verpflichtet, die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu prüfen. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zunächst wird die Aussagekonstanz untersucht, also ob die Aussagen des Zeugen im Laufe der Zeit konsistent geblieben sind oder ob es signifikante Abweichungen gibt. Widersprüche in den Aussagen können die Glaubwürdigkeit eines Zeugen beeinträchtigen, insbesondere wenn sie zentrale Aspekte des Tatgeschehens betreffen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Detailliertheit und Plausibilität der Aussagen. Aussagen, die viele konkrete Details enthalten und logisch zusammenhängen, werden als glaubwürdiger angesehen. Hingegen können vage oder widersprüchliche Aussagen Zweifel an der Glaubhaftigkeit wecken.

Gerichte müssen auch die Motivationslage der Zeugen berücksichtigen. Es wird geprüft, ob der Zeuge möglicherweise ein Motiv hat, den Beschuldigten falsch zu belasten. Dies kann beispielsweise in persönlichen Konflikten oder anderen Interessenkonflikten begründet sein.

In Fällen, in denen die Aussagen widersprüchlich sind, kann das Gericht auch auf die Aussagepsychologie zurückgreifen. Diese Disziplin bietet Methoden und Kriterien zur objektiven Bewertung von Zeugenaussagen. Hierbei wird untersucht, ob die Aussagen des Zeugen auf tatsächlichen Erlebnissen beruhen oder ob sie möglicherweise konstruiert wurden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Wenn die Widersprüche nicht aufgelöst werden können, muss das Gericht den Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) anwenden. Dies bedeutet, dass bei nicht behebbaren Zweifeln an der Schuld des Angeklagten dieser freigesprochen werden muss.

Die Beweiswürdigung muss in jedem Fall erschöpfend und nachvollziehbar sein. Das Gericht muss alle relevanten Umstände und Beweismittel in seine Überlegungen einbeziehen und seine Entscheidung klar begründen. Eine lückenhafte oder widersprüchliche Beweiswürdigung kann zur Aufhebung des Urteils durch ein Revisionsgericht führen.


Welche Konsequenzen hat eine fehlerhafte Beweiswürdigung?

Eine fehlerhafte Beweiswürdigung kann erhebliche Konsequenzen für das Verfahren und den Ausgang eines Falls haben. Die Beweiswürdigung ist der Prozess, bei dem das Gericht die vorgelegten Beweise bewertet und entscheidet, ob diese ausreichen, um eine bestimmte Tatsache als bewiesen anzusehen. Fehler in diesem Prozess können verschiedene Formen annehmen, wie etwa Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze.

Wenn ein Urteil auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung beruht, kann dies zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Falls an eine niedrigere Instanz führen. Dies geschieht häufig im Rahmen einer Revision, bei der das Revisionsgericht prüft, ob das erstinstanzliche Gericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler begangen hat. Ein solcher Rechtsfehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

In einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, bei der keine weiteren unmittelbar tatbezogenen Beweismittel vorliegen, sind die Anforderungen an die Beweiswürdigung besonders hoch. Das Gericht muss die Glaubwürdigkeit der Aussagen sorgfältig prüfen und alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände berücksichtigen. Dies umfasst die Prüfung der Aussagekonstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben sowie die Bewertung des Aussagemotivs.

Ein Beispiel für eine fehlerhafte Beweiswürdigung in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation wäre, wenn das Gericht die Aussagen des Belastungszeugen nicht ausreichend auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft oder wesentliche Widersprüche in den Aussagen nicht berücksichtigt. In solchen Fällen kann das Revisionsgericht das Urteil aufheben und den Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverweisen.

Die fehlerhafte Beweiswürdigung kann auch dazu führen, dass das Revisionsgericht feststellt, dass das erstinstanzliche Gericht die Anforderungen an die Beweiswürdigung nicht erfüllt hat. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn das Gericht die Aussagen der Zeugen nicht vollständig oder korrekt wiedergibt oder wenn es die Beweise nicht in ihrer Gesamtheit würdigt.

Insgesamt zeigt sich, dass eine fehlerhafte Beweiswürdigung erhebliche Auswirkungen auf das Verfahren und den Ausgang eines Falls haben kann. Sie kann zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Falls führen, was eine erneute Verhandlung und Beweisaufnahme erforderlich macht. Dies unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen und gründlichen Beweiswürdigung durch das Gericht.


Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 261 StPO (Strafprozessordnung) – Grundsatz der freien Beweiswürdigung: Dieser Paragraph erlaubt es den Richtern, Beweise nach freiem Ermessen zu würdigen, wobei sie an keine festen Regeln gebunden sind. Im vorliegenden Fall wurde die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft und widersprüchlich kritisiert, da es einerseits einen Irrtum der Zeugin ausschloss, andererseits ihre Erinnerungsfehler in Betracht zog.
  • § 337 StPO – Revision wegen Verletzung des Gesetzes: Ein Urteil kann im Revisionsverfahren aufgehoben werden, wenn das erstinstanzliche Urteil auf einer Gesetzesverletzung beruht. In dem Fall führte die Revision des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils des Landgerichts aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung und unzureichender Würdigung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage.
  • § 74 StGB (Strafgesetzbuch) – Strafzumessung und Bewährung: Dieser Paragraph regelt unter anderem die Strafzumessung und die Bewährungsaussetzung von Freiheitsstrafen. Der Angeklagte wurde ursprünglich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auch im geänderten Urteil wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
  • § 4 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) – Mandantschaft und Pflicht zur umfassenden Beratung: Die Pflicht zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Beratung gilt auch in strafrechtlichen Verfahren. Der genaue Umgang mit den Aussagen der Zeugin und die mögliche Verteidigungsstrategie hängen stark von einer fundierten Beratung des Angeklagten durch seinen Anwalt ab, insbesondere hinsichtlich der gewonnenen Beweise und ihrer Darstellung vor Gericht.
  • § 73 StGB – Einziehung von Wertersatz: Hier wird geregelt, dass Gegenstände, die aus einer Straftat herrühren, eingezogen werden können. Da dem Angeklagten vorgeworfen wird, sich durch Rezeptbetrug Gelder zu Unrecht angeeignet zu haben, ordnete das Gericht die Einziehung des Wertes des Erlangten an. Entsprechend wurde dem Angeklagten der Betrag von 23.573,43 EUR abzogen.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Glaubwürdigkeit: Glaubwürdigkeit bezieht sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer Person, insbesondere eines Zeugen. In einer gerichtlichen Beweiswürdigung wird die Glaubwürdigkeit durch須rious Hinweise auf seine Persönlichkeit, Verhaltensweise und Motivation beurteilt, um bereits mögliche Vorbelastungen zu berücksichtigen.
  • Glaubhaftigkeit: Glaubhaftigkeit beschreibt die Zuverlässigkeit und Wahrheitsgehalt einer bestimmten Aussage. Gerichte beurteilen die Glaubhaftigkeit durch eine Analyse der Aussage selbst, indem sie auf statistische und inhaltsbezogene Kriterien wie Detailreichtum, Individualität und Verflechtung der Schilderung achten.
  • Beweiswürdigung: Eine Beweiswürdigung ist der Prozess, in dem ein Richter oder Gericht die im Verfahren präsentierten Beweise auswertet und auf dieser Grundlage eine Entscheidung trifft. Die Beweiswürdigung umfasst die Beurteilung sowohl der Glaubwürdigkeit des Zeugen als auch der Glaubhaftigkeit seiner Aussage.
  • Nullhypothese: Die Nullhypothese ist ein methodischer Ansatz bei der Beurteilung von Zeugenaussagen. Hierbei wird versucht, die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu negieren, bis diese Negation nicht mehr mit den gesammelten Fakten und Indizien vereinbar ist.
  • Aussage-gegen-Aussage-Konstellation: Eine solche Konstellation tritt ein, wenn lediglich die Aussagen der beteiligten Parteien als Beweis vorliegen, ohne dass andere eindeutige Beweise existieren. In solchen Fällen müssen die Richter besonders sorgfältig die Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Aussagen prüfen.

Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: (2) 121 Ss 133/21 (34/21) – Beschluss vom 30.03.2022

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Juli 2021 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 1. Februar 2019 wegen Betruges in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und daneben die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 26.998,82 EUR angeordnet. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Berlin am 13. Juli 2021 das Urteil abgeändert und den Angeklagten wegen „elffachen Betruges“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde und von der ein Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Die Freisprechung des Angeklagten im Übrigen unterblieb aufgrund eines „Redaktionsversehens“. Daneben hat es die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 23.573,43 EUR angeordnet.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte als Inhaber der Z.-Apotheke und der M.-Apotheke in Berlin mit der betäubungsmittelabhängigen Zeugin M. überein, ihr ärztliche Verordnungen des Dr. W. über hochpreisige Medikamente zur Behandlung ihrer HIV-Infektion abzukaufen, um diese sodann bei der gesetzlichen Krankenkasse einzureichen, ohne jedoch die verordneten Medikamente an die Zeugin auszuhändigen. Der Angeklagte soll im Zeitraum zwischen Februar 2011 und März 2012 in der Z.-Apotheke insgesamt 22 Rezepte für jeweils 100,- bis 250,- EUR von der Zeugin angekauft haben und diese in elf Fällen bei der gesetzlichen Krankenkasse eingereicht haben, die ihm in der irrigen Annahme, er habe die verordneten Medikamente an die Zeugin herausgegeben, den Verkaufspreis von insgesamt 23.573,43 EUR erstattet haben soll.

Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet in formeller Hinsicht die aus seiner Sicht fehlerhafte Ablehnung zweier Hilfsbeweisanträge. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil wegen der fehlerhaften Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages auf die Verfahrensrüge aufzuheben.

II.

Die Revision hat schon mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, sodass es einer Erörterung der Verfahrensrügen nicht bedarf. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung keine tragfähige Grundlage für die getroffenen Feststellungen bietet.

1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Insbesondere ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte (vgl. BGH NStZ-RR 2017, 303, 304). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Sicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 182; NStZ-RR 2009, 210; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen (vgl. BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das Urteil muss sich nicht nur mit allen Umständen auseinandersetzen, die für oder gegen den Angeklagten sprechen, sondern es muss auch ersichtlich sein, dass der Tatrichter geprüft hat, ob alle Beweisanzeichen in einer Gesamtschau die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 275/16 –, juris; Senat, Urteil vom 11. Januar 2010 – [2] 1 Ss 331/09 [30/09] –).

2. Die Beweiswürdigung weist grundlegende Darstellungsmängel auf und entspricht damit schon nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 StPO.

a) Ebenso wie die Darstellung der tatsächlichen Feststellungen soll auch die Beweiswürdigung kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 258; Beschluss vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17 –, juris). Den gesetzlichen Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO an eine – aus sich heraus verständliche (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 22; NStZ-RR 1996, 109) – Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 18; Beschluss vom 21. Juli 2011 – 5 StR 32/11 –, juris). Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis daher nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BGH NStZ 2007, 720; Beschluss vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17 –, juris).

Das Kammergericht hat die Strafkammer bereits früher darauf hingewiesen, dass die Beweiswürdigung keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen soll, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (vgl. KG, Beschluss vom 9. August 2021 – [4] 161 Ss 49/21 [91/21] –). Zwar bedarf es in Fällen, in denen eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage eines Belastungszeugen beruht, der sich entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, einer Darstellung des Inhalts, der Entstehung und Entwicklung der Angaben des Zeugen in ihren wesentlichen Zügen, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 5 StR 223/21 –, juris; NStZ-RR 2016, 250; NStZ-RR 2013, 119). Dabei ist aber die Darstellung der Aussageunterschiede auf die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und auf erhebliche Abweichungen zu beschränken (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2009 – 2 StR 147/09 –, juris; BGH NStZ 2002, 49; BeckOK StPO/Peglau, 42. Ed. 1.1.2022, § 267 Rdn. 28; KG a.a.O.). Es ist regelmäßig verfehlt, Zeugenaussagen in allen – auch unbedeutenden – Einzelheiten sowie unter Mitteilung ihnen zugrundeliegender Vorhalte oder Nachfragen des Gerichts wiederzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2021, 114, 115; BGH, Beschlüsse vom 25. November 2021 – 4 StR 255/21 –, juris; vom 25. Juli 2017 – 3 StR 111/17 –, juris; und vom 27. September 2018 – 4 StR 191/18 –, juris).

Eben dies ist hier aber geschehen. Die Strafkammer hat vorliegend auf neun einzeilig, überwiegend absatzlos und auch im Übrigen eng beschriebenen Seiten Angaben der Zeugin M., die diese in einem früheren und im hiesigen Verfahren als Beschuldigte und später als Zeugin in beiden Instanzen getätigt hat, (vermutlich) vollständig in direkter Rede wiedergegeben. Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, sich aus einer solch überbordenden Wiedergabe der Beweisaufnahme selbst die maßgeblichen Umstände, die den Urteilsspruch stützen könnten, herauszusuchen.

b) Hinzu kommt, dass die sich anschließende Würdigung in Teilen aus sich heraus nur schwer nachvollziehbar, in anderen Teilen unverständlich und in sich widersprüchlich ist.

So folgen auf die Überschrift „(1) – Realkennzeichen -“ (UA S. 16) Ausführungen dazu, dass die Aussage der Zeugin M. zwar „detailarm“ sei, dies jedoch angesichts des langen Abstandes zu den Taten und der längeren Erkrankung der Zeugin nachvollziehbar sei. Ebenso wenig Bezug zu Realkennzeichen weist dann auch die nachfolgende Erläuterung auf, in der auf etwaige Widersprüche zwischen den verschiedenen Aussagen der Zeugin zum heutigen Konsum von Drogen und ihren früheren Verbindlichkeiten gegenüber dem Zeugen E. eingegangen wird. Gleiches gilt auch für die späteren Ausführungen zur Anzahl der Rezepte, die für die Zeugin K. ausgestellt und von der Zeugin M. eingelöst worden sein sollen (UA S. 17). Die Verständlichkeit der Ausführungen leidet weiter dadurch, dass dabei wiederholt auf (erst) nachfolgende Urteilsinhalte verwiesen wird, teilweise unter Verweis auf erst viele Seiten später zu findende Textpassagen, teilweise auch ohne nähere Kennzeichnung (so etwa UA S.17 „Wie weiter unten ausgeführt …“). Mit Blick auf die nach § 261 StPO erforderliche „Überzeugung“ ist zudem bedenklich, wenn der Umstand, dass das Tatgericht es als „unwahrscheinlich“ bewertet (UA S. 17), dass die Zeugin M. die Anzahl der für die Zeugin K. eingelösten Rezepte bewusst der Wahrheit zuwider dargestellt habe (gleichermaßen fragwürdig UA S. 20 „vielleicht wegen Urlaubs von Dr. D.“). Rechtlich und tatsächlich nicht nachvollziehbar ist ferner, wenn es dann in der Folge heißt, dass sich die Zeugin M. in dem „gegen sie gerichteten Strafverfahren“ „erst als Angeklagte und später als Zeugin“ eingelassen und ausgesagt hat (UA S. 17).

Soweit zum Beleg für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin darauf verwiesen wird, sie sei während der gesamten Vernehmung in der Lage gewesen, „auf Fragen und Nachfragen zu antworten“ (UA S. 18), ist schon unklar, auf welche konkrete Vernehmung Bezug genommen wird und welche einzelnen Passagen gemeint sind. Der Umstand, dass Fragen überhaupt beantwortet worden sind, ist zudem ohne Kenntnis des Inhalts von konkreten Fragen und Antworten für die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage weitgehend wertlos.

Die Beweiswürdigung ist auch deshalb fehlerhaft, weil sie zum Teil auf Angaben von Zeugen oder anderen Personen gestützt wird, ohne mitzuteilen, in welcher Funktion diese bestimmte Wahrnehmungen gemacht haben oder sonstwie nachvollziehbar zu machen, aus welchen Gründen die Person Relevantes mitteilen konnte. Dies betrifft etwa die Zeugen Sch. (UA S. 17, 19, 25), G.-N. (UA S. 19), P. (UA S. 22) und G. (UA S. 25). Unklar bleibt auch, in welchem Zusammenhang, weitere im Urteil genannte Personen (UA S. 10) zu den hier maßgeblichen Tatvorwürfen stehen.

c) Zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin M. – insbesondere ihrer Aussagemotivation – wäre es zudem erforderlich gewesen, das Ergebnis des gegen sie geführten Strafverfahrens vollständig darzustellen. Hier finden sich – zumal über die Urteilsgründe verteilt – nur bruchstückhafte Informationen (UA S. 7 f., 9, 24 f.). Daraus ergibt sich lediglich, dass die Zeugin wegen ähnlicher im Zusammenwirken mit einem Apotheker namens D. begangener Taten am 1. Oktober 2013 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und das hiesige Verfahren, soweit es die Zeugin (und damalige Beschuldigte) betraf, gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist. Unklar bleibt dabei, wegen welcher Vorwürfe (und ohne Angaben zur Anzahl, zum Tatzeitraum und zum Modus Operandi) sie zu welcher konkreten Strafe verurteilt wurde.

d) Nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich ist die Beweiswürdigung auch im Anschluss an eine als wahr unterstellte Beweisbehauptung aus einem Hilfsbeweisantrag des Verteidigers. Die Strafkammer hat insoweit als wahr unterstellt, dass sich der Angeklagte an drei Tagen der Rezeptabgabe in seiner Apotheke nicht in Berlin aufhielt. Das Gericht schließt daraus, dass die Zeugin die an diesen Tagen in der Z.-Apotheke abgegebenen Rezepte des Dr. W. vom 9. Mai 2011, 5. September 2011 und am 10. April 2012 nicht verkaufte, sondern tatsächlich gegen Medikamente einlöste (S. 19 UA). Dies stand indes im Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben der Zeugin M., ausnahmslos die von Dr. W. ausgestellten Rezepte dem Angeklagten verkauft zu haben. Nachdem das Landgericht zunächst „einen Irrtum der Zeugin M. hinsichtlich auch nur Teilen ihrer Aussage zu den festgestellten Tatsachen (auch wegen einzelner dieser Taten)“ ausgeschlossen hat (UA S. 17), erklärt es an anderer Stelle den aufgezeigten Widerspruch ausführlich mit denkbaren Erinnerungsfehlern (UA S. 19 f.), um schließlich der Zeugin bewusst unrichtige Angaben zu unterstellen, indem die Kammer „nicht von vornherein ausschließt“, dass die Zeugin „einzelne ihr vorgeworfene Verkäufe von W.-Rezepten an den Angeklagten bewusst unrichtig zugestand, um die Verfahrenseinstellung nicht durch eine Verkomplizierung der Sachlage zu gefährden“ (UA S. 20). Das Tatgericht ist indes überzeugt, dass der Zeugin wegen der übrigen elf festgestellten Taten kein Irrtum unterlaufen sei (UA S. 19). Die Begründung der Kammer hierzu, welche darauf abstellt, dass die Zeugin im Tatzeitraum in einigen Fällen auch Rezepte über das deutlich günstigere Medikament Norvir (unter 65,- EUR) in der Apotheke abgegeben habe, deren Verkauf sich „nicht gelohnt haben“ und die sie „deshalb eingelöst haben mag“ (UA S. 19), ist schlichtweg unverständlich. Die Begründung für einen solchen beschränkten (und als wahr unterstellten) Irrtum der Zeugin wäre möglicherweise tragfähig, wenn nur an diesen drei Tagen allein „Norvir-Rezepte“ eingelöst worden wären. Tatsächlich hat die Zeugin – nach den Feststellungen des Tatgerichts – in der Apotheke des Angeklagten an eben diesen Tagen (wie auch bei anderen abgeurteilten Taten) aber auch Rezepte zu hochpreisigen Medikamenten eingereicht. Ein nachvollziehbarer Grund, warum sich die Zeugin hinsichtlich dieser Tage geirrt, im Übrigen aber zuverlässig ausgesagt habe, ist damit nicht dargetan.

2. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler (§ 337 StPO).

III.

Aufgrund der aufgezeigten Mängel hebt der Senat das Urteil insoweit auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Nicht davon umfasst sind die Tatvorwürfe zu den Rezepten vom 5. September 2011 und 10. April 2012. Denn insoweit hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Zwar hat das Landgericht versäumt, dies in den Urteilstenor aufzunehmen. Es hat indes in den Urteilsgründen hervorgehoben (UA S. 27), dass dies allein aufgrund eines „Redaktionsversehens“ geschehen sei.

IV.

Zu den sachlich-rechtlichen Ausführungen des Revisionsführers weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Es handelt sich entgegen den Ausführungen in der Revisionsbegründung (dort S. 43) um keine „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“. Eine solche liegt nur vor, wenn ein seine Schuld bestreitender Angeklagter allein durch die Aussage eines einzelnen Zeugen belastet wird und objektive Beweisumstände fehlen (vgl. BGH Urt. v. 29.4.2015 – 2 StR 14/15, BeckRS 2015, 15313; Urteil vom 24. April 2003 – 3 StR 181/02, NStZ 2003, 498, 499). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich der Angeklagte – wie hier – nicht zur Sache eingelassen hat (BGH StV 1998, 250). Indes ist die vorliegende Beweissituation – soweit für das Revisionsgericht ersichtlich und vorbehaltlich zukünftiger Feststellungen – dadurch gekennzeichnet, dass die Angaben der Zeugin M. dem Grunde nach durch eine Vielzahl von Urkunden bestätigt wurden. Die ausgewerteten ärztlichen Verordnungen weisen darauf hin, dass der Zeugin insgesamt weit mehr als für die Behandlung ihrer Krankheit erforderlichen Medikamente – von zumal unterschiedlichen Ärzten – verschrieben worden sind (so auch UA S. 7 „System der Doppelverordnungen“) und sie die Rezepte in der Apotheke des Angeklagten eingereicht hat. Die Bekundungen der Zeugin werden weiter durch die Angaben von Mitarbeitern des Angeklagten gestützt. So gab etwa der Zeuge R. an, der Angeklagte habe Kunden mit HIV-Medikamenten selbst bedienen wollen. Die Zeugin K. bestätigte die von der Zeugin M. beschriebene Kameraüberwachung in der Apotheke (vgl. jeweils UA S. 21).

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