Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Nachträgliche Straffestsetzung nach Erkennung einer Straftat
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Wie kann eine nachträgliche Anpassung einer Freiheitsstrafe erreicht werden?
- Welches Gericht ist für die Neufestsetzung einer Strafe zuständig?
- Welche rechtlichen Grundlagen ermöglichen die nachträgliche Strafanpassung?
- Was passiert, wenn ein Gericht sich für unzuständig erklärt?
- Welche Folgen hat die Neufestsetzung einer Strafe für den Verurteilten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ravensburg gegen die Entscheidung des Landgerichts Amberg abgewiesen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse, ebenso wie die notwendigen Auslagen des Verurteilten.
- Der Verurteilte war wegen Beleidigung und Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt worden, wobei die Strafe für den Erwerb von Betäubungsmitteln nun straffrei geworden ist.
- Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Neufestsetzung der Strafe ohne die Einzelstrafe für das Betäubungsmitteldelikt.
- Das Landgericht Amberg wies den Antrag als unzulässig zurück, da es nicht zuständig sei.
- Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung und betonte, dass nur das erkennende Gericht für die Neufestsetzung zuständig ist.
- Die Entscheidung basiert auf der Interpretation der relevanten gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit klar dem erkennenden Gericht zuweisen.
- Für die Betroffenen bedeutet dies, dass Anträge auf Neufestsetzung von Strafen bei geänderten gesetzlichen Grundlagen nur beim ursprünglichen Gericht gestellt werden können.
- Dies stellt sicher, dass das erkennende Gericht, welches die ursprüngliche Strafe verhängt hat, auch die neuen Umstände bewertet.
- Die Klarstellung der Zuständigkeit soll Verfahrensfehler vermeiden und Rechtssicherheit gewährleisten.
Nachträgliche Straffestsetzung nach Erkennung einer Straftat
Das Strafrecht sieht vor, dass die Strafe für eine Straftat angepasst werden kann, wenn sich nachträglich Umstände ergeben, die eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich machen. So kann beispielsweise ein Gericht die Strafe nachträglich erhöhen, wenn sich herausstellt, dass die ursprüngliche Strafe zu mild war, oder die Strafe herabsetzen, wenn sich nachträglich mildernde Umstände ergeben haben. Die Neufestsetzung der Strafe ist jedoch streng geregelt und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Einer der Fälle, in denen die Neufestsetzung der Strafe in Betracht gezogen werden kann, ist die sogenannte „Erkennung“ einer Straftat. Dies bedeutet, dass die Tat erst nachträglich durch das Gericht festgestellt wird, obwohl sie bereits begangen wurde. Ein Beispiel hierfür wäre der Fall, dass ein Betrüger über einen längeren Zeitraum hinweg Geld von verschiedenen Personen ergaunert hat, ohne dass dies zunächst bemerkt wurde. In diesem Fall könnte die Strafe nachträglich festgesetzt oder angepasst werden, nachdem das Gericht die Tat als solche erkannt hat.
Doch wie genau funktioniert die Neufestsetzung der Strafe im Falle der Erkennung? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Strafe nachträglich angepasst werden kann? Diese Fragen werden nun am Beispiel eines konkreten Gerichtsurteils beleuchtet.
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Der Fall vor Gericht
Zuständigkeitsstreit bei nachträglicher Strafanpassung nach Cannabis-Legalisierung
Der Fall dreht sich um die Frage, welches Gericht für die nachträgliche Anpassung von Strafen im Zuge der Cannabis-Legalisierung zuständig ist. Konkret geht es um einen Verurteilten, gegen den das Amtsgericht Ravensburg im Juni 2020 wegen Beleidigungsdelikten und Erwerb von 4,18 Gramm Marihuana eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt hatte. Nachdem der Verurteilte vier Monate verbüßt hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft Ravensburg Anfang April 2024, die Strafe für den Cannabiserwerb aufzuheben und eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten festzusetzen. Dies geschah vor dem Hintergrund des am 27. März 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis.
Uneinigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer
Es entstand ein Konflikt darüber, welches Gericht für diese Entscheidung zuständig ist. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg sah sich als unzuständig an und verwies auf das ursprünglich erkennende Gericht, das Amtsgericht Ravensburg. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hingegen argumentierte für die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und legte Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Amberg ein.
OLG Nürnberg bestätigt Unzuständigkeit der Strafvollstreckungskammer
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat nun in seinem Beschluss die Position der Strafvollstreckungskammer bestätigt. Es entschied, dass für die Neufestsetzung einer Strafe nach den relevanten Artikeln des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch das erkennende Gericht – in diesem Fall das Amtsgericht Ravensburg – und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig ist.
Ausführliche Begründung des OLG unter Berufung auf OLG Stuttgart
In seiner Begründung stützt sich das OLG Nürnberg maßgeblich auf einen Beschluss des OLG Stuttgart vom 6. Juni 2024. Demnach sprechen sowohl der Wortlaut des Gesetzes als auch systematische, historische und teleologische Erwägungen für die Zuständigkeit des ursprünglich erkennenden Gerichts.
Besonders betont wird, dass es sich bei der Neufestsetzung der Strafe um eine Strafzumessungsentscheidung handelt, die typischerweise dem erkennenden Gericht und nicht der Strafvollstreckungskammer obliegt. Die Strafvollstreckungskammer sei primär für Entscheidungen während des Vollzugs zuständig, setze aber eine bereits erkannte Strafe voraus.
Das OLG verweist auch auf die Gesetzgebungshistorie, die keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer liefert. Im Gegenteil deute die Beibehaltung früherer Regelungskonzepte darauf hin, dass der Gesetzgeber von einer fortbestehenden Zuständigkeit des erkennenden Gerichts ausgegangen sei.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Entscheidung des OLG Nürnberg klärt eine wichtige Zuständigkeitsfrage bei der nachträglichen Strafanpassung infolge der Cannabis-Legalisierung. Sie bekräftigt, dass für die Neufestsetzung von Strafen das ursprünglich erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig ist. Dies unterstreicht den Charakter der Strafneufestsetzung als genuine Strafzumessungsentscheidung und wahrt die Kontinuität in der gerichtlichen Zuständigkeit. Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit und eine klare Verfahrensordnung für ähnliche Fälle.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie von einer nachträglichen Strafanpassung betroffen sind, etwa aufgrund der Cannabis-Legalisierung, ist es wichtig zu wissen, dass nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das ursprünglich urteilende Gericht für die Neufestsetzung Ihrer Strafe zuständig ist. Dies bedeutet für Sie, dass das Gericht, das Sie ursprünglich verurteilt hat, Ihren Fall erneut prüfen und die Strafe anpassen wird. Dieser Prozess kann mehr Zeit in Anspruch nehmen, da das erkennende Gericht alle Umstände Ihres Falls erneut berücksichtigen muss. Es ist ratsam, sich in solchen Fällen an einen Rechtsanwalt zu wenden, der Sie durch diesen Prozess begleiten und Ihre Interessen vertreten kann. Beachten Sie, dass dieses Verfahren automatisch eingeleitet werden sollte, Sie aber auch selbst aktiv werden können, wenn Sie glauben, dass Ihre Strafe angepasst werden sollte.
FAQ – Häufige Fragen
Wer hat Anspruch auf eine nachträgliche Strafanpassung? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Und wie sieht das Verfahren konkret aus? Diese und weitere Fragen rund um dieses komplexe Rechtsgebiet beantworten wir in unseren FAQs.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Wie kann eine nachträgliche Anpassung einer Freiheitsstrafe erreicht werden?
- Welches Gericht ist für die Neufestsetzung einer Strafe zuständig?
- Welche rechtlichen Grundlagen ermöglichen die nachträgliche Strafanpassung?
- Was passiert, wenn ein Gericht sich für unzuständig erklärt?
- Welche Folgen hat die Neufestsetzung einer Strafe für den Verurteilten?
Wie kann eine nachträgliche Anpassung einer Freiheitsstrafe erreicht werden?
Eine nachträgliche Anpassung einer Freiheitsstrafe kann unter bestimmten Umständen erreicht werden, insbesondere wenn sich die rechtliche Lage nach der Verurteilung geändert hat. Der Weg zur Anpassung führt über einen Antrag beim zuständigen Gericht.
Grundsätzlich ist für die Neufestsetzung einer Strafe das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Dies bedeutet, dass der Antrag bei dem Gericht gestellt werden muss, das ursprünglich das Urteil gefällt hat. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus den Bestimmungen des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), insbesondere aus den Artikeln 316p und 313.
Der Antrag auf Neufestsetzung der Strafe muss vom Verurteilten selbst oder seinem rechtlichen Vertreter gestellt werden. Dabei ist es wichtig, die Gründe für die beantragte Anpassung detailliert darzulegen. Diese Gründe können sich beispielsweise aus Gesetzesänderungen ergeben, die bestimmte Handlungen entkriminalisieren oder die Strafbarkeit reduzieren.
Im Falle von Änderungen im Betäubungsmittelrecht, insbesondere in Bezug auf Cannabis, kann Artikel 316p EGStGB relevant sein. Dieser Artikel sieht vor, dass Strafen, die wegen Taten verhängt wurden, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind, angepasst werden können. Das Gericht muss dann prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der Strafe vorliegen.
Der Antrag sollte präzise formuliert sein und alle relevanten Informationen enthalten. Dazu gehören:
– Das ursprüngliche Urteil mit Aktenzeichen
– Die verhängte Strafe
– Die gesetzlichen Änderungen, die eine Neufestsetzung begründen
– Eine Darlegung, warum die Strafe im konkreten Fall angepasst werden sollte
Es ist zu beachten, dass die Strafvollstreckungskammer in bestimmten Fällen ebenfalls eine Rolle bei der Anpassung von Strafen spielen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um Fragen der Strafvollstreckung geht.
Der Prozess der Neufestsetzung einer Strafe ist komplex und erfordert eine genaue Prüfung des Einzelfalls. Das Gericht wird alle relevanten Umstände berücksichtigen, einschließlich der ursprünglichen Verurteilung, der neuen Rechtslage und der individuellen Situation des Verurteilten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede Gesetzesänderung automatisch zu einer Anpassung bereits verhängter Strafen führt. Die Gerichte haben einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfang eine Strafe angepasst wird.
Der Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe kann ein wirksames Mittel sein, um eine verhängte Freiheitsstrafe an veränderte rechtliche Rahmenbedingungen anzupassen. Es handelt sich um einen formellen juristischen Prozess, der sorgfältig vorbereitet und durchgeführt werden muss.
Welches Gericht ist für die Neufestsetzung einer Strafe zuständig?
Die Zuständigkeit für die Neufestsetzung einer Strafe liegt grundsätzlich beim Gericht des ersten Rechtszuges. Dies ergibt sich aus der Strafprozessordnung, insbesondere aus § 462a StPO. Das bedeutet, dass jenes Gericht, welches ursprünglich das Urteil gefällt hat, auch für nachträgliche Entscheidungen bezüglich der Strafe verantwortlich ist.
In der Praxis kann diese Zuordnung jedoch komplexer sein. Bei Verurteilungen durch ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug bleibt dieses zuständig, hat aber die Möglichkeit, die Entscheidung ganz oder teilweise an die Strafvollstreckungskammer abzugeben. Diese Abgabe ist bindend, kann jedoch vom Oberlandesgericht widerrufen werden.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Situation bei der Neufestsetzung von Strafen im Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Cannabislegalisierung. Hier kommt Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) zur Anwendung. Diese Vorschriften regeln die rückwirkende Anwendung von Neuregelungen im Betäubungsmittelrecht auf bereits verhängte Strafen.
In solchen Fällen muss das zuständige Gericht prüfen, ob und inwieweit eine Anpassung der Strafe erforderlich ist. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen neben Cannabis-bezogenen Delikten auch andere Straftaten Teil der Verurteilung waren. Die Herausforderung besteht darin, die Gesamtstrafe unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage neu zu bewerten.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Neufestsetzung nicht automatisch erfolgt. In der Regel muss ein Antrag gestellt werden, wobei die Staatsanwaltschaft oder der Verurteilte selbst die Initiative ergreifen können. Das Gericht wird dann im Einzelfall entscheiden, ob und in welchem Umfang eine Anpassung der Strafe angemessen ist.
Die Komplexität dieser Materie zeigt sich auch in aktuellen Gerichtsentscheidungen. So hat beispielsweise das Oberlandesgericht Stuttgart kürzlich in einem Fall entschieden, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB zuständig ist. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer genauen rechtlichen Prüfung bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts.
Bei der Neufestsetzung von Strafen müssen die Gerichte eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen. Dazu gehören nicht nur die veränderte Rechtslage, sondern auch die Verhältnismäßigkeit der Strafe und die Gesamtumstände des Falls. Dies erfordert oft eine sorgfältige Abwägung und kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls.
Welche rechtlichen Grundlagen ermöglichen die nachträgliche Strafanpassung?
Die nachträgliche Strafanpassung basiert auf mehreren rechtlichen Grundlagen im deutschen Strafrecht. Eine zentrale Norm hierfür ist § 55 des Strafgesetzbuches (StGB), der die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe regelt. Diese Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn eine Person rechtskräftig verurteilt wurde und anschließend wegen einer weiteren Straftat verurteilt wird, die sie vor der ersten Verurteilung begangen hat.
Der Zweck dieser Regelung ist es, einen Ausgleich zu schaffen für Situationen, in denen mehrere Taten theoretisch gemeinsam hätten abgeurteilt werden können, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht geschehen ist. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Täter durch getrennte Verurteilungen schlechter gestellt wird, als er es bei einer einheitlichen Aburteilung gewesen wäre.
Für die Anwendung des § 55 StGB müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die neu abzuurteilende Tat muss zeitlich vor der früheren Verurteilung liegen. Zudem muss die frühere Verurteilung bereits rechtskräftig sein. Eine weitere wichtige Bedingung ist, dass die Strafe aus der früheren Verurteilung noch nicht vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sein darf.
In der praktischen Anwendung bedeutet dies, dass ein Gericht bei einer neuen Verurteilung die Möglichkeit hat, eine Gesamtstrafe zu bilden, die sowohl die neue Tat als auch die bereits rechtskräftig abgeurteilte Tat berücksichtigt. Dies führt in der Regel zu einer günstigeren Gesamtstrafe für den Verurteilten, als wenn beide Strafen unabhängig voneinander verhängt würden.
Neben § 55 StGB gibt es weitere rechtliche Grundlagen für nachträgliche Strafanpassungen. So ermöglicht § 460 der Strafprozessordnung (StPO) die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durch einen gesonderten Beschluss. Dies kann zum Beispiel relevant werden, wenn erst nach der Verurteilung bekannt wird, dass die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung vorliegen.
Es ist wichtig zu betonen, dass die nachträgliche Strafanpassung nicht nur eine Möglichkeit, sondern in vielen Fällen eine rechtliche Verpflichtung darstellt. Gerichte und Staatsanwaltschaften sind gehalten, von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vorliegen.
In der Praxis kann die Anwendung dieser Vorschriften erhebliche Auswirkungen auf das Strafmaß haben. Ein anschauliches Beispiel wäre der Fall eines Täters, der wegen eines Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wurde. Wird er kurz darauf wegen einer weiteren Tat verurteilt, die er vor dem ersten Urteil begangen hat, könnte das Gericht unter Anwendung des § 55 StGB eine Gesamtstrafe bilden, die deutlich niedriger ausfällt als die Summe beider Einzelstrafen.
Die rechtlichen Grundlagen für nachträgliche Strafanpassungen reflektieren das Prinzip der Einzeltatschuld im deutschen Strafrecht. Dieses Prinzip besagt, dass die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zur Schuld des Täters stehen muss. Die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung stellt sicher, dass dieses Verhältnis auch dann gewahrt bleibt, wenn Taten aus prozessualen Gründen in getrennten Verfahren abgeurteilt werden.
Für Betroffene ist es ratsam, bei mehreren Verurteilungen innerhalb eines kürzeren Zeitraums die Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu prüfen. Dies kann in vielen Fällen zu einer erheblichen Reduzierung der Gesamtstrafe führen.
Was passiert, wenn ein Gericht sich für unzuständig erklärt?
Wenn ein Gericht sich für unzuständig erklärt, hat dies erhebliche Auswirkungen auf das weitere Verfahren. Die Unzuständigkeitserklärung führt dazu, dass das angerufene Gericht die Sache nicht inhaltlich prüft und entscheidet. Stattdessen wird der Antrag als unzulässig zurückgewiesen.
In solch einem Fall haben die Betroffenen mehrere Handlungsmöglichkeiten. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass die Unzuständigkeitserklärung nicht das Ende des Rechtswegs bedeutet. Vielmehr eröffnet sie neue Wege, um das Anliegen vor das zuständige Gericht zu bringen.
Eine Option besteht darin, gegen die Unzuständigkeitserklärung Beschwerde einzulegen. Dies ist sinnvoll, wenn der Antragsteller der Meinung ist, dass das angerufene Gericht tatsächlich zuständig ist und sich irrtümlich für unzuständig erklärt hat. Die Beschwerde muss innerhalb der gesetzlichen Frist beim ursprünglich angerufenen Gericht eingereicht werden.
Alternativ kann der Antragsteller den Antrag bei dem Gericht einreichen, das seiner Ansicht nach zuständig ist. Dies ist besonders dann ratsam, wenn die Unzuständigkeitserklärung auf einer klaren gesetzlichen Grundlage beruht und eine Beschwerde wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Bei der erneuten Antragstellung sollten die Gründe für die vorherige Unzuständigkeitserklärung berücksichtigt und der Antrag entsprechend angepasst werden.
In manchen Fällen verweist das sich für unzuständig erklärende Gericht die Sache direkt an das zuständige Gericht. Dies geschieht gemäß § 281 ZPO, wenn das angerufene Gericht der Ansicht ist, dass ein anderes Gericht sachlich oder örtlich zuständig ist. In diesem Fall muss der Antragsteller nicht selbst tätig werden, da die Sache automatisch an das zuständige Gericht weitergeleitet wird.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Unzuständigkeitserklärung auch Auswirkungen auf Fristen haben kann. Wenn der Antrag innerhalb einer bestimmten Frist gestellt werden musste, gilt diese Frist in der Regel als gewahrt, wenn der Antrag rechtzeitig beim unzuständigen Gericht eingegangen ist. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 2 GVG, der eine fristwahrende Wirkung vorsieht, wenn ein unzuständiges Gericht angerufen wurde.
Im Kontext der nachträglichen Strafanpassung, insbesondere bei der Neufestsetzung von Strafen nach Art. 316p und Art. 313 EGStGB, ist die Frage der Zuständigkeit besonders relevant. Das erkennende Gericht ist in der Regel für die Neufestsetzung zuständig. Sollte ein anderes Gericht angerufen werden, wird es sich höchstwahrscheinlich für unzuständig erklären und den Fall an das ursprünglich erkennende Gericht verweisen.
Für die Betroffenen ist es in solchen Situationen ratsam, sorgfältig zu prüfen, welches Gericht tatsächlich zuständig ist, bevor sie einen Antrag stellen. Dies kann unnötige Verzögerungen und mögliche Fristversäumnisse vermeiden. Im Zweifelsfall kann es hilfreich sein, sich vorab über die genauen Zuständigkeitsregelungen zu informieren oder rechtlichen Rat einzuholen.
Welche Folgen hat die Neufestsetzung einer Strafe für den Verurteilten?
Die Neufestsetzung einer Strafe kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebenssituation des Verurteilten haben. Bei einer Neufestsetzung prüft das zuständige Gericht, ob und inwieweit die ursprünglich verhängte Strafe aufgrund von Gesetzesänderungen oder anderen rechtlichen Gründen angepasst werden muss.
Eine wesentliche Folge kann die Verkürzung der Haftdauer sein. Wenn beispielsweise bestimmte Tatbestände durch eine Gesetzesänderung nicht mehr oder milder bestraft werden, kann dies zu einer Reduzierung der Gesamtstrafe führen. In manchen Fällen kann dies sogar bedeuten, dass der Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen wird, wenn die neu festgesetzte Strafe bereits durch die verbüßte Zeit abgegolten ist.
Die Neufestsetzung kann auch Auswirkungen auf bestehende Bewährungsauflagen haben. Wird die Strafe reduziert und fällt unter eine bestimmte Grenze, kann das Gericht die Vollstreckung zur Bewährung aussetzen. In diesem Fall werden neue Bewährungsauflagen festgelegt, die der Verurteilte erfüllen muss. Diese können beispielsweise regelmäßige Meldungen beim Bewährungshelfer, Suchtberatungen oder gemeinnützige Arbeit umfassen.
Ein wichtiger Aspekt ist die mögliche Änderung der rechtlichen Einordnung der Tat. Durch die Neufestsetzung kann sich die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens ändern, was Auswirkungen auf das Führungszeugnis und damit auf die beruflichen und sozialen Perspektiven des Verurteilten haben kann. In manchen Fällen kann eine Herabstufung der Straftat zu einer schnelleren Tilgung aus dem Bundeszentralregister führen.
Die Neufestsetzung kann auch finanzielle Konsequenzen haben. Wurde ursprünglich eine Geldstrafe verhängt, kann diese durch die Neufestsetzung reduziert werden. In einigen Fällen kann sogar eine vollständige Aufhebung der Geldstrafe erfolgen, wenn die zugrundeliegende Handlung nicht mehr strafbar ist.
Für den Verurteilten bedeutet die Neufestsetzung oft eine Phase der Unsicherheit. Das Verfahren zur Neufestsetzung kann einige Zeit in Anspruch nehmen, während der der Betroffene über seine zukünftige Situation im Unklaren ist. Dies kann psychische Belastungen mit sich bringen, insbesondere wenn es um die Frage einer möglichen vorzeitigen Haftentlassung geht.
Die Neufestsetzung kann auch Auswirkungen auf laufende Resozialisierungsmaßnahmen haben. Wird die Strafe verkürzt, müssen möglicherweise Bildungs- oder Therapieprogramme im Strafvollzug angepasst oder vorzeitig beendet werden. Dies kann einerseits positiv sein, wenn der Verurteilte früher in Freiheit kommt, andererseits aber auch Herausforderungen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft mit sich bringen.
In Bezug auf das Strafregister kann die Neufestsetzung zu einer Änderung der Eintragungen führen. Fällt die neue Strafe unter bestimmte Grenzen, kann dies die Dauer der Eintragung im Führungszeugnis verkürzen. Dies kann für den Verurteilten von großer Bedeutung sein, insbesondere im Hinblick auf zukünftige Arbeitsverhältnisse oder Wohnungsanmietungen.
Die Neufestsetzung kann auch Auswirkungen auf zivilrechtliche Ansprüche haben. Wenn die ursprüngliche Verurteilung als Grundlage für Schadensersatzforderungen diente, kann eine Neufestsetzung möglicherweise zu einer Neubeurteilung dieser Ansprüche führen. Dies kann im Einzelfall bedeuten, dass der Verurteilte weniger Schadensersatz leisten muss oder dass Vereinbarungen zur Schadenswiedergutmachung angepasst werden müssen.
Für Verurteilte, die sich in Untersuchungshaft befinden, kann die Neufestsetzung besonders relevant sein. Wird die Strafe so weit reduziert, dass sie durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt ist, kann dies zu einer sofortigen Freilassung führen. Dies erfordert oft schnelle Anpassungen in der Lebensplanung des Betroffenen.
Die Neufestsetzung kann auch Auswirkungen auf behördliche Entscheidungen haben, die auf der ursprünglichen Verurteilung basierten. Dies kann beispielsweise Aufenthaltstitel, Führerscheinentzug oder berufliche Zulassungen betreffen. In solchen Fällen müssen die zuständigen Behörden ihre Entscheidungen möglicherweise überprüfen und anpassen.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Neufestsetzung der Strafe: Dies bedeutet, dass eine bereits verhängte Strafe nachträglich angepasst wird, wenn sich die gesetzlichen Grundlagen oder wesentliche Umstände ändern. Ein Beispiel ist die Anpassung einer Strafe nach der Legalisierung von Cannabis.
- Erkennendes Gericht: Das ist das Gericht, das ursprünglich die Verurteilung ausgesprochen hat. Im Kontext der Neufestsetzung einer Strafe nach einer Gesetzesänderung ist dieses Gericht oft zuständig für die erneute Bewertung und Anpassung der Strafe.
- Strafvollstreckungskammer: Diese Kammer ist für Entscheidungen während des Vollzugs einer Strafe zuständig, z.B. Bewährungsentscheidungen. Sie kann jedoch nicht über die Neufestsetzung einer Strafe entscheiden, wenn dies die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts erfordert.
- Unzuständigkeit: Ein Gericht erklärt sich unzuständig, wenn es der Meinung ist, dass es nicht die rechtliche Befugnis hat, über einen bestimmten Fall zu entscheiden. Dies war im vorliegenden Fall der Streitpunkt zwischen der Strafvollstreckungskammer und der Staatsanwaltschaft.
- Cannabis-Legalisierung: Eine Gesetzesänderung, die den Erwerb und Besitz von Cannabis entkriminalisiert. Diese Änderung hat direkte Auswirkungen auf vorherige Verurteilungen wegen Cannabiserwerbs, wodurch Strafen möglicherweise neu bewertet werden müssen.
- § 462a StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Zuständigkeit von Gerichten bei Entscheidungen über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen, insbesondere bei der Aussetzung zur Bewährung. Er wurde im vorliegenden Fall diskutiert, um die Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe zu klären.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 462a StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Zuständigkeit für Entscheidungen im Strafvollzug, insbesondere bei Entscheidungen über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung oder die Aussetzung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Im vorliegenden Fall wurde § 462a StPO herangezogen, um zu argumentieren, dass entweder das erkennende Gericht oder die Strafvollstreckungskammer für die Neufestsetzung der Strafe zuständig sein könnte.
- Art. 316p EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch): Dieser Artikel regelt die Neufestsetzung von Strafen im Zusammenhang mit Gesetzesänderungen. Im vorliegenden Fall geht es um die Neufestsetzung einer Strafe aufgrund der Legalisierung von Cannabis. Art. 316p EGStGB sieht vor, dass Strafen, die aufgrund eines Gesetzes verhängt wurden, das sich nachträglich geändert hat, angepasst werden können.
- Art. 313 EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch): Dieser Artikel regelt die Anwendung des Strafgesetzbuches auf Taten, die vor seinem Inkrafttreten begangen wurden. Im vorliegenden Fall ist Art. 313 EGStGB relevant, da die ursprüngliche Verurteilung vor der Legalisierung von Cannabis erfolgte und nun geprüft werden muss, ob die Strafe aufgrund der Gesetzesänderung angepasst werden kann.
- § 29 Abs. 1 BtMG (Betäubungsmittelgesetz): Dieser Paragraph definiert den Strafrahmen für den unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln. Im vorliegenden Fall wurde der Verurteilte ursprünglich nach § 29 Abs. 1 BtMG verurteilt, da der Erwerb von Marihuana zum damaligen Zeitpunkt noch strafbar war.
- §§ 458, 462 StPO (Strafprozessordnung): Diese Paragraphen regeln das Rechtsmittel der Beschwerde im Strafverfahren. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf Grundlage dieser Paragraphen zugelassen.
Das vorliegende Urteil
OLG Nürnberg – Az.: Ws 420/24 – Beschluss vom 26.06.2024
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1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ravensburg gegen den Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 30.04.2024 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Ravensburg vom 09.06.2020, rechtskräftig seit 09.06.2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Zugrunde lagen Beleidigungsdelikte und Erwerb von Betäubungsmitteln, namentlich der Erwerb von 4,18 Gramm Marihuana. Das Amtsgericht hat für das Betäubungsmitteldelikt den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt und eine Einzelstrafe von vier Monaten festgesetzt, während für die drei Beleidigungsdelikte jeweils Einzelstrafen von zwei Monaten verhängt wurden.
Der Verurteilte hat vier Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bis 31.03.2024 verbüßt. Seit 01.04.2024 befindet er sich in Strafhaft in anderer Sache.
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat mit Verfügung vom 03.04.2024 beantragt, unter Wegfall der Einzelstrafe für das Delikt des Erwerbs von Betäubungsmitteln eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten festzusetzen, weil die Einzelstrafe aufgrund nunmehr – nach Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – straflosen Verhaltens festgesetzt worden sei.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg hat mit Verfügung vom 10.04.2024 die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Festsetzung einer neuen Einzelstrafe und die Entscheidung über die Höhe der Gesamtstrafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts falle und die Strafvollstreckungskammer unzuständig sei.
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat mit Verfügung vom 16.04.2024 ihren Antrag aufrechterhalten und um Erlass einer rechtsmittelfähigen Entscheidung gebeten.
Mit angefochtenem Beschluss vom 30.04.2024 hat das Landgericht – Kleine Strafvollstreckungskammer – Amberg den Antrag der Staatsanwaltschaft als unzulässig zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer unter anderem dargelegt, dass von einer bindenden Abgabe der Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs nach § 462a Abs. 1 S. 3 StPO abgesehen werde, weil eine solche die nicht gegebene Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer voraussetze. Zur Begründung der Unzuständigkeit hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass sich eine Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, mithin des Amtsgerichts Ravensburg, aus der analogen Anwendung des § 462a Abs. 3 StPO ergebe.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Ravensburg mit ihrer am 03.05.2024 eingegangenen Beschwerde vom 02.05.2024. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer aus der in Art. 313 Abs. 5, 316p EGStGB vorgesehenen sinngemäßen Anwendung der §§ 458, 462 StPO ergebe. Diese umfasse auch die Anwendung des § 462a Abs. 1 S. 2 StPO. Eine analoge Anwendung des § 462a Abs. 3 StPO sei nicht erforderlich.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 21.05.2024 die Akten zur Entscheidung vorgelegt und ausgeführt, dass die Entscheidung über die Neufestsetzung der Strafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts des ersten Rechtszugs falle.
II.
Die Strafvollstreckungskammer hat lediglich über ihre nicht bestehende sachliche Zuständigkeit und nicht in der Sache selbst entschieden. Dagegen ist entgegen §§ 458, 462 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 462 Rz. 5 m.w.N). Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe zu Recht wegen ihrer Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen.
Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht – hier das Amtsgericht Ravensburg – und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S), juris; im Ergebnis wie hier: LG Aachen, Beschluss vom 29.04.2024, 69 KLs 17/19, juris; aA LG Trier, Beschluss vom 03.04.2024, 10 StVK 189/24, juris; aA ohne Begründung LG Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2024, 20 StVK 228/24, juris; Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; aA offenbar auch AG Köln, Beschluss vom 16.05.2024, 583 Ds 135/22, juris Rn. 11, das von einer Zuständigkeit nach § 462a StPO ausgeht; vgl. auch zur Zuständigkeit des Richters, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen, gemäß § 66 Abs. 2 S. 4 JGG: OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2024, 4 OGs 10/24, juris).
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in seinem Beschluss vom 06.06.2024 ausgeführt:
„Weder Art. 316p EGStGB noch Art. 313 EGStGB enthält – anders als beispielsweise § 11 Abs. 2 S. 2 des Straffreiheitsgesetzes 1954 (BGBl. I 203 <205>), wonach das erkennende Gericht zuständig ist, oder als Art. 316e Abs. 3 S. 3 EGStGB, der „das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht“ zur Entscheidung beruft – eine ausdrückliche Regelung zur Zuständigkeit, weshalb die dem Gesetz zugrunde liegende Regelungskonzeption im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058 <1062 Rn. 66 mwN>).
b) aa) Der Wortlaut von Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB trägt die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Der Begriff „das Gericht“ lässt ohne Weiteres die Auslegung zu, dass damit das erkennende Gericht gemeint ist. Art. 313 Abs. 3 S. 3 EGStGB legt diese Auslegung sogar nahe, weil dort mit derselben Bezeichnung unzweifelhaft das Gericht benannt wird, das auf die Strafe „erkannt“ hat. Auch der Wortlaut des Art. 313 Abs. 4 EGStGB schließt dieses Verständnis nicht aus. Im Gegenteil legt der Wortlaut der Handlungsbefehle in den Absätzen 3 und 4, „die Strafe neu festzusetzen“, die Zuständigkeit des Gerichts nahe, das auf die Strafe erkannt hat. Die Straffestsetzung bedingt eine Strafzumessungsentscheidung, welche dem erkennenden Gericht obliegt.
bb) Gesetzessystematische Erwägungen sprechen ebenfalls nicht gegen ein solches Verständnis.
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 Abs. 5 EGStGB erklärt „bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4“ die §§ 458 und 462 StPO für sinngemäß anwendbar.
§ 458 StPO geht von einem Selbstentscheidungsrecht der Vollstreckungsbehörde aus und normiert Ausnahmen einer gerichtlichen Entscheidung in den in den Absätzen 1 und 2 aufgezählten Fällen. Ohne Art. 313 Abs. 5 EGStGB hätte die Vollstreckungsbehörde über Zweifel der Rechtsfolgen aus Art. 313 Abs. 1 und 2 EGStGB selbst zu entscheiden und könnte keine gerichtliche Entscheidung einholen (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 458 Rn. 8; aA in Bezug auf das Straffreiheitsgesetz 1954 [BGBl. I 203 <205>], das keine Regelung bei Zweifeln über die Rechtsfolgen vorsah, offenbar LG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 1955 – 501a Qs 274/55 – 54 Ms 65/52, JR 1955, 394). Die gerichtliche Entscheidungskompetenz für Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB ergibt sich demgegenüber bereits unmittelbar aus den genannten Absätzen des Art. 313 EGStGB, so dass sich der Regelungsgehalt der sinngemäßen Geltung von § 458 StPO insoweit auf dessen Absatz 3 beschränken dürfte, wonach der Fortgang der Vollstreckung nicht gehemmt wird, das Gericht einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen und eine einstweilige Anordnung treffen kann.
§ 462 StPO enthält Verfahrensregelungen, konkret zum Beschlussverfahren (Abs. 1), zum rechtlichen Gehör (Abs. 2) und zu Rechtsschutzmöglichkeiten (Abs. 3), deren sinngemäße Anwendung auch bei gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB eingängig ist.
Zur Zuständigkeit für die gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB lassen sich hingegen den sinngemäß anwendbaren Vorschriften keine Erkenntnisse ableiten. Gesetzessystematisch streitet jedoch der Umstand, dass nur auf §§ 458 und 462 StPO und gerade nicht auf § 462a StPO – die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Abschnitts „Strafvollstreckung“ im 7. Buch der StPO, nach der die Strafvollstreckungskammer zuständig ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird – verwiesen wird, gegen eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Soweit hingegen vertreten wird, dass § 462a StPO mittelbar herangezogen werden müsse, weil § 462a StPO Regelungen für Entscheidungen nach § 462 StPO enthalte (vgl. Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; so auch ohne nähere Begründung LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, juris Rn. 16 ff. und AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 583 Ds 135/22, juris Rn. 11), überzeugt dies nicht. Bei den hier in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen handelt es sich um keine Entscheidungen nach § 462 oder § 458 StPO, sondern um originäre Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 Abs. 3 oder Abs. 4 EGStGB, für die nur die in § 458 (Abs. 3) und § 462 StPO enthaltenen Verfahrensregeln sinngemäß anzuwenden sind.
cc) Für dieses Verständnis streitet auch die historische Auslegung.
Den Gesetzesmaterialien kommt für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NJW 2018, 2542 <2548 Rn. 74>). Hinsichtlich des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) sind diese allerdings unergiebig. Die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 20/8704, S. 155), der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogene Stellungnahme des Bundesrats (insbesondere Ziffer 77 der Ausschussempfehlung BR-Drs. 367/1/23, vgl. BR-Plenarprotokoll 1036, S. 259), die darauf bezogene Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 20/8763, S. 13) sowie die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drs. 20/10426) enthalten allesamt keinerlei Ausführungen oder Anhaltspunkte zur Zuständigkeit für die Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB.
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 EGStGB wurde bereits mit dem Einführungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469 <642>) geschaffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) soll diese Vorschrift Art. 97 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645 <679>) und Art. 6 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drs. VI/1552, S. 7 f.; wobei Art. 6 Abs. 6 als Art. 7 Abs. 6 des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 in Kraft getreten ist, vgl. BGBl. I 1725 <1733 f.>) entsprechen. Wille des historischen Gesetzgebers war es demnach, insoweit das bisherige Regelungskonzept aufrecht zu erhalten. Art. 97 Abs. 2 1. StrRG erklärte unter anderem § 8 des Gesetzes über die Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (BGBl. I 773 <774>) für sinngemäß anwendbar. § 8 Abs. 3 Straffreiheitsgesetz 1968 bestimmte wiederum, dass für das Verfahren die §§ 458, 462, 462a StPO gelten. Art. 7 Abs. 6 4. StrRG regelte die sinngemäße Geltung von §§ 458 und 462 StPO bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 bis 3 ergebenen Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 4 und 5. Zu den beiden Regelungszeitpunkten in den Jahren 1969 und 1973 war § 462a StPO a.F. noch keine Zuständigkeitsnorm, sondern enthielt Regelungen zur Strafgewalt bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und § 462 Abs. 1 S. 1 StPO a.F. war ausdrücklich zu entnehmen, dass die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen von dem Gericht des ersten Rechtszugs erlassen werden. Wenn der historische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung 1974 das bisherige Regelungskonzept fortgelten lassen wollte, so ist er von einer Zuständigkeit der Gerichte des ersten Rechtszugs ausgegangen. Hätte er hierfür eine Zuständigkeit der erst zum 1. Januar 1975 mit demselben Einführungsgesetz vom 2. März 1974 eingerichteten Strafvollstreckungskammern (BGBl. I 469 <517 und 520>) schaffen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies – als Abkehr von der bisherigen Konzeption – durch ausdrückliche Regelung in beispielsweise Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB oder zumindest durch Aufnahme einer Verweisung auf die neu geschaffene Zuständigkeitsnorm des § 462a StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB zum Ausdruck gebracht hätte. Stattdessen ist der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) das Gegenteil zu entnehmen, wonach es bei der bisherigen Konzeption und damit der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts bleiben soll. Seither wurde das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch häufig, zuletzt durch Art. 13 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) geändert, ohne dass aufgrund etwaiger gewandelter Bedingungen Änderungen an Art. 313 EGStGB vorgenommen oder auf anderem Wege der Wille zur Änderung der Regelungskonzeption zum Ausdruck gekommen wäre.
dd) Schließlich und maßgeblich widerstreiten Sinn und Zweck einer Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und streiten für ein Verständnis, wonach das erkennende Gericht die Strafen nach Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB neu festzusetzen hat.[…]
In der Sache geht es nicht um Zweifel über die Berechnung einer bereits „erkannten Strafe“ (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und zweifellos dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen. Auch das Verfahren zur nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei dem eine Gesamtstrafe neu festzusetzen ist, ist dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen, was angesichts der hierfür erforderlichen Strafzumessungsentscheidung auf der Hand liegt und zweckmäßig ist.
Zielrichtung des Gesetzgebers bei Einrichtung von Strafvollstreckungskammern war hingegen, dass die während einer freiheitsentziehenden Maßnahme notwendigen Entscheidungen im Interesse der Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns ortsnah bei einem Spruchkörper konzentriert werden (BT-Drs. 7/550, S. 312). Dieser Zweck ist nicht berührt, soweit es um die Festsetzung der Ausgangsstrafe geht, nachdem die Strafvollstreckung und das Tätigwerden der Strafvollstreckungskammer das Vorliegen einer erkannten Strafe denknotwendig voraussetzen. Wenn der Gesetzgeber – wie hier mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – eine rechtskraftdurchbrechende Amnestieregelung schafft, muss das erkennende Gericht nach Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB neu auf eine Strafe erkennen und eine valide Grundlage für die Strafvollstreckung schaffen.“
Dem schließt sich der Senat an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 S. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 473 Rz. 17).