Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Widerruf der Bewährung nach Cannabis-Legalisierung: Ein entscheidender Fall
- Der Fall vor Gericht
- Der Fall: Cannabis-Besitz und rechtliche Folgen
- Erneute Straffälligkeit und Widerruf der Bewährung
- Änderung der Rechtslage durch das Cannabisgesetz
- Rechtliche Konsequenzen und Entscheidung des Oberlandesgerichts
- Zuständigkeitsfrage und rechtliche Begründung
- Auswirkungen auf den Verurteilten
- Weiteres Verfahren und offene Fragen
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Welche Auswirkungen hat die Cannabis-Legalisierung auf bestehende Bewährungsstrafen?
- Kann meine Bewährung widerrufen werden, wenn ich während der Bewährungszeit weiterhin Cannabis konsumiere?
- Was passiert, wenn ich erneut wegen eines anderen Delikts straffällig werde, während ich auf Bewährung bin?
- Welche rechtlichen Schritte kann ich unternehmen, wenn meine Bewährung widerrufen wurde?
- Welche Auflagen muss ich während meiner Bewährungszeit erfüllen, um einen Widerruf zu vermeiden?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts betrifft den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund erneuter Straffälligkeit des Verurteilten.
- Die Entscheidung stützt sich auf eine Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln.
- Das vorherige Gericht hatte eine Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, die jedoch nach einem neuen Vergehen widerrufen wurde.
- Der Verurteilte legte gegen den Widerruf Beschwerde ein, die schließlich vom Oberlandesgericht angenommen wurde.
- Das Gericht stellte fest, dass die Grundlage für die Widerrufsentscheidung nicht mehr bestand, da eine der Einzelstrafen entfallen ist.
- Mit der Legalisierung von Cannabis wurden wesentliche Änderungen im Strafrecht wirksam, was Auswirkungen auf die Beurteilung des Falls hatte.
- Die Entscheidung hat zur Folge, dass der Verurteilte nicht mehr die volle Freiheitsstrafe verbüßen muss.
- Financial responsibility for legal costs was placed on the state treasury in this case.
- Die Maßnahme könnte vergleichbare Fälle beeinflussen und zu weiterer Rechtsprechung in Bezug auf Cannabiskonsum während der Bewährungszeit führen.
- Vor diesem Hintergrund müssen betroffene Personen die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf ihre Bewährungsauflagen sorgfältig prüfen.
Widerruf der Bewährung nach Cannabis-Legalisierung: Ein entscheidender Fall
Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland hat nicht nur gesellschaftliche, sondern auch rechtliche Auswirkungen, insbesondere im Bereich des Strafrechts. Viele Menschen, die zuvor wegen des Besitzes oder Konsums von Cannabis verurteilt wurden, könnten sich in einer neuen rechtlichen Situation wiederfinden. Ein zentraler Begriff in diesem Kontext ist der Widerruf der Bewährung. Dieser bezieht sich auf die Möglichkeit, eine ausgesetzte Strafe zurückzunehmen, wenn sich der Verurteilte nicht an die Auflagen der Bewährung hält oder gegen Gesetze verstößt.
In Anbetracht der neuen gesetzlichen Regelungen kommt der Frage nach, ob und wie sich bestehende Bewährungsstrafen ändern können, sollte ein Verurteilter beispielsweise weiterhin Cannabis konsumieren. Die rechtlichen Konsequenzen sind zahlreich und betreffen sowohl die individuellen Fälle als auch die allgemeine Rechtsprechung. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, ein Bewusstsein für die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die möglichen Folgen der Legalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen besser zu verstehen.
Im Folgenden wird ein konkreter Fall beleuchtet, der die Thematik des Widerrufs der Bewährung nach der Legalisierung von Cannabis veranschaulicht und analysiert.
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Der Fall vor Gericht
Der Fall: Cannabis-Besitz und rechtliche Folgen
Am 13. Mai 2022 verurteilte das Amtsgericht Leipzig einen Mann wegen mehrerer Drogendelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die Strafe setzte sich aus verschiedenen Einzelstrafen zusammen, darunter eine einmonatige Freiheitsstrafe für den Besitz von 0,61 Gramm Marihuana am 12. Februar 2019. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde der Rest zur Bewährung ausgesetzt, mit einer Bewährungszeit von drei Jahren.
Erneute Straffälligkeit und Widerruf der Bewährung
Während der laufenden Bewährungszeit wurde der Verurteilte erneut straffällig. Daraufhin widerrief die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz am 6. Februar 2024 die zuvor gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene am 8. März 2024 sofortige Beschwerde ein.
Änderung der Rechtslage durch das Cannabisgesetz
Am 1. April 2024 trat das neue Cannabisgesetz in Kraft, welches den Besitz geringer Mengen Cannabis für den Eigenkonsum legalisierte. Diese Gesetzesänderung hatte rückwirkende Auswirkungen auf den Fall. Die einmonatige Freiheitsstrafe für den Besitz von 0,61 Gramm Marihuana, die in die Gesamtstrafe eingeflossen war, wurde durch das neue Gesetz automatisch erlassen.
Rechtliche Konsequenzen und Entscheidung des Oberlandesgerichts
Das Oberlandesgericht Dresden befasste sich mit der sofortigen Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf seiner Bewährung. Es kam zu dem Schluss, dass die Gesamtstrafe aufgrund der Gesetzesänderung neu festgesetzt werden muss. Der Senat hob den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf, da die Grundlage für den Widerruf der Bewährung durch den Wegfall einer der Einzelstrafen nicht mehr gegeben war.
Zuständigkeitsfrage und rechtliche Begründung
Eine zentrale Frage in diesem Fall war die Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe. Das Oberlandesgericht entschied, dass nicht es selbst, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges – in diesem Fall das Amtsgericht Leipzig – für die Neufestsetzung zuständig ist. Diese Entscheidung basiert auf einer detaillierten Analyse der Gesetzgebungsgeschichte und der Funktion der Strafvollstreckungskammern. Das Gericht argumentierte, dass die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich nicht für rechtskraftdurchbrechende Entscheidungen zuständig sei, die eine neue Strafe festsetzen.
Auswirkungen auf den Verurteilten
Für den Verurteilten bedeutet diese Entscheidung, dass der Widerruf seiner Bewährung vorerst aufgehoben ist. Die Gesamtstrafe muss nun vom Amtsgericht Leipzig neu festgesetzt werden, wobei die einmonatige Freiheitsstrafe für den Cannabisbesitz nicht mehr berücksichtigt wird. Erst nach dieser Neufestsetzung kann über einen möglichen erneuten Widerruf der Bewährung entschieden werden.
Weiteres Verfahren und offene Fragen
Der Fall verdeutlicht die komplexen rechtlichen Folgen der Cannabis-Legalisierung für laufende Strafverfahren und Bewährungsfälle. Die Neufestsetzung der Strafe durch das Amtsgericht Leipzig steht noch aus. Es bleibt abzuwarten, wie sich die reduzierte Gesamtstrafe auf die Bewährungsentscheidung auswirken wird und ob die erneute Straffälligkeit des Verurteilten dennoch zu einem Widerruf der Bewährung führen könnte.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht die weitreichenden Auswirkungen der Cannabis-Legalisierung auf laufende Strafverfahren und Bewährungsfälle. Es zeigt, dass eine Gesetzesänderung rückwirkend Einzelstrafen aufheben und somit die Neufestsetzung von Gesamtstrafen erforderlich machen kann. Zudem klärt das Gericht, dass für solche rechtskraftdurchbrechenden Entscheidungen das ursprüngliche Tatgericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig ist, was die Komplexität des Strafvollstreckungsrechts unterstreicht.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie wegen eines Cannabisdelikts verurteilt wurden und sich derzeit in einer Bewährungszeit befinden, könnte dieses Urteil direkte Auswirkungen auf Ihre Situation haben. Es zeigt, dass Gerichte aufgrund der neuen Gesetzeslage verpflichtet sind, bestimmte Strafen für den Besitz geringer Mengen Cannabis neu zu bewerten. In Ihrem Fall könnte dies bedeuten, dass Ihre Gesamtstrafe reduziert werden muss, was sich positiv auf Ihre Bewährung auswirken könnte. Allerdings ist zu beachten, dass der Konsum oder Besitz von Cannabis während der Bewährungszeit weiterhin als Verstoß gegen Bewährungsauflagen gelten und somit Konsequenzen haben kann. Es ist ratsam, sich über Ihre individuelle rechtliche Situation beraten zu lassen, da jeder Fall unterschiedlich gelagert ist.
FAQ – Häufige Fragen
Die Legalisierung von Cannabis wirft viele Fragen auf. Cannabis-Legalisierung und Bewährung betreffen verschiedene Bereiche des Lebens – vom Konsum bis hin zu den Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dieser FAQ-Bereich soll Ihnen mit zuverlässigen Informationen die wichtigsten Fragen rund um das Thema beantworten.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Welche rechtlichen Schritte können eingeleitet werden, wenn Zweifel an der Fahrtauglichkeit aufgrund von Demenz bestehen?
- Wie können Betroffene ihre Fahrtauglichkeit nachweisen, wenn Zweifel bestehen?
- Welche Folgen hat die Nichtvorlage eines angeforderten Gutachtens zur Fahrtauglichkeit?
- Welche Rechte haben Betroffene bei der Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens?
- Welche Alternativen zur Fahrerlaubnis gibt es für Menschen mit Demenz, um mobil zu bleiben?
Welche Auswirkungen hat die Cannabis-Legalisierung auf bestehende Bewährungsstrafen?
Die Cannabis-Legalisierung in Deutschland hat bedeutende Auswirkungen auf bestehende Bewährungsstrafen im Zusammenhang mit Cannabis-Delikten. Das neue Cannabisgesetz sieht eine rückwirkende Überprüfung und mögliche Aufhebung von Verurteilungen vor, die nach der Legalisierung nicht mehr strafbar wären. Dies betrifft insbesondere Fälle von Besitz und Erwerb geringer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum.
Für Personen mit laufenden Bewährungsstrafen bedeutet dies, dass ihre Fälle einer automatischen Überprüfung unterzogen werden. Die Staatsanwaltschaften sind verpflichtet, relevante Fälle zu identifizieren und eine Neubewertung einzuleiten. Betroffene müssen in der Regel nicht selbst aktiv werden, da die Überprüfung von Amts wegen erfolgt.
Bei der Neubewertung wird geprüft, ob die Tat nach dem neuen Recht noch strafbar wäre. Handelte es sich beispielsweise um den Besitz einer nun legalisierten Menge Cannabis, könnte die Bewährungsstrafe aufgehoben werden. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Cannabis-bezogenen Verurteilungen automatisch aufgehoben werden. Fälle, die weiterhin strafbare Handlungen beinhalten, wie etwa der Verkauf an Minderjährige oder der Besitz größerer Mengen, bleiben von der Neubewertung unberührt.
Die Überprüfung kann zu verschiedenen Ergebnissen führen: Eine vollständige Aufhebung der Verurteilung ist möglich, ebenso wie eine Reduzierung des Strafmaßes oder eine Anpassung der Bewährungsauflagen. In einigen Fällen könnte auch eine vorzeitige Beendigung der Bewährung in Betracht kommen.
Für Betroffene ist es ratsam, die Entwicklung ihres Falles aufmerksam zu verfolgen. Obwohl die Überprüfung automatisch erfolgt, kann es in komplexeren Fällen sinnvoll sein, rechtlichen Beistand hinzuzuziehen, um den Prozess zu begleiten und sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte berücksichtigt werden.
Die Neubewertung von Bewährungsstrafen im Zuge der Cannabis-Legalisierung zielt darauf ab, das Strafrecht an die neue Gesetzeslage anzupassen und mögliche Ungerechtigkeiten zu korrigieren. Dieser Prozess kann einige Zeit in Anspruch nehmen, da die Behörden eine Vielzahl von Fällen überprüfen müssen.
Es ist zu beachten, dass die Legalisierung keinen Einfluss auf Bewährungsauflagen hat, die nicht direkt mit Cannabis in Verbindung stehen. Andere Auflagen, wie regelmäßige Meldungen beim Bewährungshelfer oder Suchtberatungen, bleiben bestehen, sofern sie nicht explizit aufgehoben werden.
Die Cannabis-Legalisierung führt auch zu einer Neubewertung des Widerrufs von Bewährungen. In Fällen, in denen der Widerruf einer Bewährung ausschließlich auf einem nun legalisierten Cannabis-Delikt basierte, kann dieser Widerruf rückgängig gemacht werden. Dies erfordert jedoch eine individuelle Prüfung des jeweiligen Falls.
Kann meine Bewährung widerrufen werden, wenn ich während der Bewährungszeit weiterhin Cannabis konsumiere?
Der Konsum von Cannabis während der Bewährungszeit kann tatsächlich zum Widerruf der Bewährung führen, auch nach der Teillegalisierung von Cannabis. Die Bewährung ist an bestimmte Auflagen und Weisungen gebunden, die das Gericht individuell festlegt. Häufig beinhalten diese die Auflage, keine Straftaten zu begehen und sich an die Gesetze zu halten.
Obwohl der Besitz und Konsum kleiner Mengen Cannabis für Erwachsene seit der Teillegalisierung grundsätzlich erlaubt ist, gelten für Personen unter Bewährung oft strengere Regeln. Das Gericht kann den Konsum von Rauschmitteln, einschließlich Cannabis, während der Bewährungszeit ausdrücklich untersagen. In diesem Fall würde ein Verstoß gegen diese Auflage als Bewährungsverstoß gewertet werden.
Selbst wenn der Cannabiskonsum nicht explizit untersagt wurde, kann er dennoch problematisch sein. Gerichte betrachten den Konsum von Rauschmitteln oft als Hindernis für eine erfolgreiche Resozialisierung und als Risikofaktor für erneute Straftaten. Dies gilt insbesondere, wenn die ursprüngliche Straftat im Zusammenhang mit Drogen stand.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Widerruf der Bewährung nicht automatisch erfolgt. Das Gericht prüft jeden Fall individuell und berücksichtigt dabei verschiedene Faktoren, wie die Schwere des Verstoßes, die bisherige Bewährungsführung und die Prognose für zukünftiges Verhalten. In manchen Fällen kann das Gericht statt eines Widerrufs auch die Bewährungsauflagen verschärfen oder die Bewährungszeit verlängern.
Für Personen unter Bewährung ist es ratsam, jeglichen Cannabiskonsum zu vermeiden, um das Risiko eines Bewährungswiderrufs zu minimieren. Die Einhaltung aller Bewährungsauflagen und -weisungen hat oberste Priorität. Bei Unsicherheiten bezüglich der spezifischen Auflagen sollte man sich an den zuständigen Bewährungshelfer wenden.
Die Rechtsprechung in diesem Bereich entwickelt sich stetig weiter, insbesondere im Licht der neuen Cannabisgesetzgebung. Gerichte passen ihre Entscheidungen an die sich ändernden gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen an. Dennoch bleibt der Grundsatz bestehen, dass die Bewährung eine Chance zur Resozialisierung darstellt und entsprechendes Verhalten erwartet wird.
Was passiert, wenn ich erneut wegen eines anderen Delikts straffällig werde, während ich auf Bewährung bin?
Eine erneute Straffälligkeit während der Bewährungszeit kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Das Gericht hat in solchen Fällen verschiedene Möglichkeiten, auf den Verstoß zu reagieren. Die gravierendste Folge ist der Widerruf der Bewährung. Dies bedeutet, dass die ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe vollstreckt wird und der Verurteilte die Haftstrafe antreten muss.
Das Gericht muss bei seiner Entscheidung über den Widerruf der Bewährung stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen. Dabei werden nicht nur die neue Straftat, sondern auch das Verhalten des Verurteilten während der bisherigen Bewährungszeit berücksichtigt. Hat sich der Verurteilte bisher an alle Auflagen gehalten und zeigt er Reue für die neue Tat, kann dies positiv in die Bewertung einfließen.
Alternativ zum vollständigen Widerruf der Bewährung kann das Gericht auch mildere Maßnahmen ergreifen. Hierzu gehören die Verlängerung der Bewährungszeit um bis zu zwei Jahre oder die Erteilung zusätzlicher Auflagen und Weisungen. Diese können beispielsweise in Form von Sozialstunden, Therapieanordnungen oder verschärften Meldeauflagen erfolgen.
Die Art und Schwere der neuen Straftat spielen eine entscheidende Rolle bei der gerichtlichen Entscheidung. Ein geringfügiges Vergehen wird in der Regel weniger schwerwiegende Folgen haben als ein schweres Verbrechen. Dennoch kann auch bei kleineren Delikten ein Widerruf der Bewährung erfolgen, insbesondere wenn es sich um wiederholte Verstöße handelt.
Es ist wichtig zu beachten, dass die neue Straftat unabhängig von der möglichen Bewährungswiderrufung separat verfolgt und bestraft wird. Dies kann zu einer Kombination aus Widerruf der alten Bewährungsstrafe und einer neuen Verurteilung führen, was die Gesamtsituation für den Betroffenen erheblich verschärfen kann.
In der Praxis zeigt sich, dass Gerichte bei der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf auch gesellschaftliche Entwicklungen und Gesetzesänderungen berücksichtigen. So kann beispielsweise die Entkriminalisierung bestimmter Handlungen dazu führen, dass ein Bewährungswiderruf, der auf einer solchen Handlung basiert, als unverhältnismäßig angesehen wird.
Für Betroffene ist es ratsam, bei einer erneuten Straffälligkeit während der Bewährungszeit umgehend mit ihrem Bewährungshelfer Kontakt aufzunehmen. Eine offene und ehrliche Kommunikation kann sich positiv auf die gerichtliche Entscheidung auswirken. Zudem sollten alle Auflagen und Weisungen weiterhin strikt eingehalten werden, um die Chancen auf eine Fortführung der Bewährung zu erhöhen.
Die Bewährungszeit stellt eine wichtige Chance dar, sich zu bewähren und eine Resozialisierung zu erreichen. Eine erneute Straffälligkeit gefährdet nicht nur diese Chance, sondern kann auch zu einer deutlichen Verschlechterung der persönlichen Situation führen. Daher ist es von größter Bedeutung, während der Bewährungszeit besonders sorgfältig darauf zu achten, keine weiteren Straftaten zu begehen.
Welche rechtlichen Schritte kann ich unternehmen, wenn meine Bewährung widerrufen wurde?
Der Widerruf einer Bewährung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Betroffene haben jedoch verschiedene rechtliche Möglichkeiten, gegen einen solchen Beschluss vorzugehen.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass ein Bewährungswiderruf durch einen richterlichen Beschluss erfolgt. Gegen diesen Beschluss kann innerhalb einer Woche nach Zustellung Beschwerde eingelegt werden. Diese Beschwerde muss schriftlich beim zuständigen Gericht eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Es ist ratsam, in der Beschwerde detailliert darzulegen, warum der Widerruf aus Sicht des Betroffenen ungerechtfertigt ist.
Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet das nächsthöhere Gericht, in der Regel das Landgericht, über den Fall. Sollte auch diese Entscheidung negativ ausfallen, besteht die Möglichkeit, eine weitere Beschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen, sofern das Landgericht diese zugelassen hat.
In besonders schwerwiegenden Fällen, bei denen eine Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird, kann nach Ausschöpfung des Rechtswegs eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Betracht gezogen werden. Dies ist jedoch ein außerordentliches Rechtsmittel und an strenge Voraussetzungen geknüpft.
Parallel zur Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gestellt werden. Dieser Antrag zielt darauf ab, den Vollzug der Freiheitsstrafe bis zur endgültigen Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen.
Es ist zu beachten, dass bei einem Bewährungswiderruf oft neue Tatsachen oder Beweise eine Rolle spielen. In solchen Fällen kann ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 359 StPO in Betracht kommen. Dies ist insbesondere relevant, wenn sich nachträglich Umstände ergeben, die den Widerruf in einem anderen Licht erscheinen lassen.
In Fällen, in denen der Widerruf auf einem Verstoß gegen Bewährungsauflagen basiert, kann unter Umständen auch ein Antrag auf nachträgliche Änderung von Bewährungsauflagen gemäß § 56f Abs. 2 StGB gestellt werden. Dies könnte beispielsweise relevant sein, wenn sich die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten wesentlich geändert haben.
Bei allen rechtlichen Schritten ist zu beachten, dass die Fristen strikt eingehalten werden müssen. Eine Versäumnis kann dazu führen, dass der Beschluss rechtskräftig wird und eine Anfechtung nicht mehr möglich ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass die rechtliche Situation im Bereich des Bewährungswiderrufs komplex sein kann und sich durch neue Rechtsprechung stetig weiterentwickelt. So können beispielsweise Änderungen in der Gesetzgebung, wie die kürzlich erfolgte Cannabis-Legalisierung, Auswirkungen auf die Bewertung von Bewährungswiderrufen haben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die individuellen Umstände jedes Falls genau zu prüfen und gegebenenfalls auf aktuelle Rechtsentwicklungen Bezug zu nehmen.
Welche Auflagen muss ich während meiner Bewährungszeit erfüllen, um einen Widerruf zu vermeiden?
Während der Bewährungszeit müssen Verurteilte verschiedene Auflagen und Weisungen befolgen, um einen Widerruf der Bewährung zu verhindern. Diese Vorgaben werden vom Gericht individuell festgelegt und zielen darauf ab, die Resozialisierung zu fördern und erneute Straftaten zu verhindern.
Zu den häufigsten Auflagen gehört die Verpflichtung, sich regelmäßig bei einem Bewährungshelfer zu melden. Dieser unterstützt den Verurteilten bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und überwacht die Einhaltung der Auflagen. Die Häufigkeit der Meldungen wird vom Gericht festgelegt und kann von wöchentlich bis monatlich variieren.
Eine weitere typische Auflage ist die Leistung gemeinnütziger Arbeit. Das Gericht legt dabei die Anzahl der zu leistenden Stunden fest. Diese Arbeit soll zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens beitragen und gleichzeitig die soziale Verantwortung des Verurteilten stärken.
Oft wird auch die Zahlung einer Geldauflage angeordnet. Diese kann entweder als Einmalzahlung oder in Raten an eine gemeinnützige Einrichtung oder die Staatskasse zu entrichten sein. Die Höhe richtet sich nach der Schwere der Tat und den finanziellen Verhältnissen des Verurteilten.
In vielen Fällen wird ein Kontakt- oder Aufenthaltsverbot ausgesprochen. Dies kann beispielsweise den Kontakt zu bestimmten Personen oder den Aufenthalt an bestimmten Orten untersagen. Solche Verbote dienen oft dem Schutz potenzieller Opfer oder sollen den Verurteilten von kriminogenen Einflüssen fernhalten.
Bei Straftaten im Zusammenhang mit Suchtmitteln kann das Gericht die Teilnahme an einer Suchtberatung oder -therapie anordnen. Der Verurteilte muss dann regelmäßig an entsprechenden Sitzungen teilnehmen und dies nachweisen. Ähnliches gilt für Anti-Aggressions-Trainings bei Gewalttätern.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Bewährung ist, dass der Verurteilte keine neuen Straftaten begeht. Dies ist zwar keine Auflage im engeren Sinne, aber eine zentrale Bedingung für den Erfolg der Bewährung.
In bestimmten Fällen kann das Gericht auch die Abgabe von Urin- oder Blutproben anordnen, um die Abstinenz von Drogen oder Alkohol zu überwachen. Dies ist besonders relevant bei Delikten, die im Zusammenhang mit Suchtmitteln standen.
Die Nichteinhaltung der Auflagen kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Bei leichteren Verstößen kann das Gericht die Auflagen verschärfen oder die Bewährungszeit verlängern. Bei schweren oder wiederholten Verstößen droht der Widerruf der Bewährung, was zur Folge hat, dass die ursprünglich verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt wird.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Auflagen individuell festgelegt werden und sich je nach Fall unterscheiden können. Sie orientieren sich an der persönlichen Situation des Verurteilten, der Art des Delikts und den Umständen der Tat.
Die strikte Einhaltung aller Auflagen ist entscheidend für den Erfolg der Bewährung. Bei Unklarheiten oder Schwierigkeiten sollten Betroffene umgehend ihren Bewährungshelfer kontaktieren, um mögliche Probleme frühzeitig zu besprechen und Lösungen zu finden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Strafvollstreckungskammer: Eine spezielle Abteilung des Landgerichts, die für die Überwachung und Durchsetzung von Strafen zuständig ist, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Sie entscheidet zum Beispiel über den Widerruf einer Bewährung oder die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.
- Bewährungsauflagen: Bedingungen, die ein Verurteilter während seiner Bewährungszeit erfüllen muss, um zu beweisen, dass er sich in die Gesellschaft wieder eingliedern kann. Dazu können beispielsweise regelmäßige Meldepflichten bei einem Bewährungshelfer oder die Teilnahme an Therapieprogrammen gehören.
- Rechtskraftdurchbrechende Entscheidung: Ein Gerichtsurteil, das eine bereits rechtskräftige Entscheidung (also eine, gegen die kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann) aufhebt oder abändert. Im vorliegenden Fall hob das Oberlandesgericht Dresden den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf, was eine rechtskraftdurchbrechende Entscheidung darstellt.
- Gesetzgebungsgeschichte: Die Dokumentation des gesamten Entstehungsprozesses eines Gesetzes, einschließlich der Diskussionen und Änderungen im Parlament. Sie dient der Auslegung von unklaren Gesetzesbestimmungen und hilft, den Willen des Gesetzgebers zu verstehen.
- Strafrest: Der Teil einer Freiheitsstrafe, der noch nicht verbüßt wurde. Im vorliegenden Fall wurde der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, nachdem der Verurteilte zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte.
- Rückwirkende Gesetzesänderung: Eine Gesetzesänderung, die auf Sachverhalte angewendet wird, die sich vor ihrem Inkrafttreten ereignet haben. Im vorliegenden Fall hat die Legalisierung von Cannabis rückwirkende Auswirkungen auf die Strafe des Verurteilten, da der zuvor strafbare Besitz von Cannabis nun straffrei ist.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO (Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung): Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen für den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe. Er besagt, dass die Strafaussetzung widerrufen werden kann, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut eine Straftat begeht oder gegen Weisungen des Gerichts verstößt. Im vorliegenden Fall wurde die Bewährung widerrufen, da der Verurteilte während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden war.
- § 311 Abs. 2 StPO (Sofortige Beschwerde): Dieser Paragraph ermöglicht es dem Verurteilten, gegen bestimmte Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren sofortige Beschwerde einzulegen. Im konkreten Fall hat der Verurteilte sofortige Beschwerde gegen den Widerruf seiner Bewährung eingelegt, was vom Oberlandesgericht Dresden als zulässig erachtet wurde.
- Art. 316p EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch): Dieser Artikel regelt die Auswirkungen des neuen Cannabisgesetzes auf bereits verhängte Strafen. Er sieht vor, dass Strafen, die nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar sind, erlassen werden, sofern sie noch nicht vollstreckt sind. Im vorliegenden Fall führte dies zum Erlass der Strafe für den Cannabisbesitz, da dieser nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar ist.
- Art. 313 EGStGB (Strafen nach neuem Recht): Dieser Artikel regelt den Erlass von Strafen, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind. Im vorliegenden Fall wurde die Strafe für den Cannabisbesitz aufgrund des neuen Cannabisgesetzes erlassen, da dieser nach neuem Recht nicht mehr strafbar ist.
- Cannabisgesetz (CanG): Dieses Gesetz legalisiert den Besitz geringer Mengen Cannabis für den Eigenkonsum. Im vorliegenden Fall führte die Legalisierung dazu, dass die Verurteilung wegen Cannabisbesitzes gegenstandslos wurde und die Strafe erlassen werden musste. Dies hatte wiederum Auswirkungen auf den Widerruf der Bewährung, da die Grundlage für den Widerruf entfallen war.
Das vorliegende Urteil
OLG Dresden – Az.: 2 Ws 95/24 – Beschluss vom 07.06.2024
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In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 07.06.2024 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen
Strafvollstreckungskammer Döbeln des Landgerichts Chemnitz vom 6. Februar
2024 aufgehoben.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
1. Das Amtsgericht Leipzig hat den Beschwerdeführer am 13. Mai 2022 (Az. 211 Ds 107 Js 41424/19) des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in drei Fällen für schuldig befunden.
a) Wegen des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (in einem Fall) hat es ihn unter Einbeziehung der (Einsatz-)Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 6. Dezember 2019 (Az. 273 Ds 37 Js 56873/19 jug) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Der einbezogenen einjährigen Freiheitsstrafe lag die Feststellung zugrunde, der Beschwerdeführer habe mit seinem gesondert verfolgten Mittäter mit Betäubungsmitteln Handel getrieben, wobei er an zwei Personen jeweils circa 1 g Marihuana für 10,- EUR verkauft habe; zusätzlich hätten sie 4,5 g zum Zwecke des Weiterverkaufs in einem Depot und in der Geldbörse aufbewahrt. Ausweislich der Gründe des amtsgerichtlichen Urteils vom 13. Mai 2022 übte der Verurteilte am 12. Februar 2019 gegen 14.30 Uhr den Besitz über 0,61 g Marihuana durchschnittlichen Wirkstoffgehalts aus; hierfür hat das Amtsgericht Leipzig eine Einzelstrafe von einem Monat Freiheitsstrafe verhängt. Weiter ist der Beschwerdeführer wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln am 3. Dezember 2019 – Beisichführen von 0,43 g Haschisch, 1,42 g Marihuana, fünf Ecstasy-Tabletten und 0,88 g Methamphetamin (Crystal) im Besucherraum der Justizvollzugsanstalt zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufs – zu der Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
b) Die wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 8. März 2021 (Az. 211 Cs 101 Js 8276/21) im selben Urteil verhängte weitere Gesamtfreiheitsstrafe von einem Monat und drei Wochen ist bereits vollständig vollstreckt.
2. Mit Beschluss vom 10. August 2022 hat das Landgericht Chemnitz – Auswärtige Strafvollstreckungskammer Döbeln – nach Vollstreckung von mehr als zwei Dritteln der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten den Strafrest zunächst zur Bewährung ausgesetzt und die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt. Nachdem der Verurteilte innerhalb laufender Bewährungszeit erneut straffällig geworden war, hat die Strafvollstreckungskammer die gewährte Strafaussetzung sodann mit Beschluss vom 6. Februar 2024 widerrufen.
Gegen die dem Verurteilten am 1. März 2024 zugestellte Entscheidung hat er am 8. März 2024 sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3, § 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung der Widerrufsentscheidung. Denn die durch das Amtsgericht Leipzig mit der zugrundeliegenden Verurteilung vom 13. Mai 2022 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe, die Grundlage der Widerrufsentscheidung war, muss nach Wegfall einer der Einzelstrafen neu festgesetzt werden.
1. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG; BGBl. 2024 I Nr. 109 S. 1 ff.) zum 1. April 2024 wurde das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch geändert und Art. 316p EGStGB eingefügt, wonach im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden ist. Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB sieht vor, dass rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen werden, soweit sie noch nicht vollstreckt sind. Enthält eine Gesamtstrafe Einzelstrafen im Sinne des Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB und andere Einzelstrafen, so ist die Strafe neu festzusetzen (Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB). So liegt der Fall hier. Die Strafe wegen des Besitzes von 0,61 g Marihuana am 12. Februar 2019 ist angesichts der geringen Menge (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) mit Inkrafttreten des neuen Rechts (ipso iure) erlassen (Art. 313 EGStGB). Die einmonatige Freiheitsstrafe war allerdings in die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten einbezogen. Da dem Widerruf somit nachträglich – was zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Strafvollstreckungskammer aber noch nicht der Fall war – die Verurteilungsgrundlage entzogen worden ist, ist zunächst eine gerichtliche Entscheidung zur Neufestsetzung der Strafe herbeizuführen (vgl. BT-Drucks. 367/23, S. 178 f.; siehe auch Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 20/8704, S. 192, die im Gesetzgebungsverfahren zu keiner Änderung führte).
2. Der Senat konnte die Strafe nicht selbst neu festsetzen, da er hierfür nicht zuständig ist. Dies obliegt dem Gericht des ersten Rechtszuges. Die Frage der Zuständigkeit für Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 EGStGB ist nicht eindeutig geregelt. So werden auch in der Rechtsprechung bislang verschiedene Lösungsansätze vertreten. Unter Verweis auf den Wortlaut „neu festsetzen“ und die Ähnlichkeit zur Gesamtstrafenbildung hat das Landgericht Aachen – Große Strafkammer – seine Zuständigkeit als Gericht des ersten Rechtszuges angenommen (Beschluss vom 29. April 2024 – 69 KLs 17/19, Rn. 38 ff., juris). Demgegenüber haben einige Strafvollstreckungskammern die eigene Zuständigkeit bejaht und neue Gesamtstrafen gebildet (vgl. LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 20 StVK 228/24; LG Trier,
Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, jeweils juris; Zuständigkeit in Jugendstrafvollstreckungssachen Vollstreckungsleiter: OLG Hamm, Beschluss vom 23. April 2024 – 4 OGs 10/24, juris; AG Heinsberg, Beschluss vom 26. April 2024 – 42 VRJs 79/23, www.burhoff.de).
Der Senat hat seiner Zuständigkeitsentscheidung folgende Überlegungen zugrunde gelegt:
a) Gemäß Art. 313 Abs. 5 EGStGB gelten bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4 die §§ 458 und 462 StPO sinngemäß. Die Vorschriften über gerichtliche Entscheidungen bei Strafvollstreckung (§ 458 StPO) und das Verfahren bei gerichtlichen Entscheidungen sowie deren Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde (§ 462 StPO) enthalten wiederum selbst keine Zuständigkeits-, sondern nur Verfahrensregelungen. Eine Verweisung auf den die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts normierenden § 462a StPO ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 313 Abs. 5 EGStGB hingegen nicht.
b) Dass Art. 313 Abs. 5 EGStGB nur auf §§ 458 und 462 StPO und gerade nicht auch auf § 462a StPO verweist, spricht gegen die Anwendbarkeit dieser Zuständigkeitsvorschrift. Zwar wird teilweise vertreten, dass § 462a StPO mittelbar herangezogen werden müsse, weil § 462a StPO Regelungen für Entscheidungen nach § 462 StPO enthalte (vgl. Böhme/Günnewig, DRiZ 2024, 144, 145 f.; LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, Rn. 16 ff, juris). Allerdings handelt es sich vorliegend um Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 Abs. 3 oder Abs. 4 EGStGB, für die (nur) die in §§ 458 und 462 StPO enthaltenen Verfahrensregeln sinngemäß gelten sollen.
c) Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum Cannabisgesetz lassen sich für die Frage der Zuständigkeit keine weiteren Erkenntnisse gewinnen. Der Gesetzgeber hat lediglich allgemein die bestehende Regelung des Art. 313 EGStGB und eine herbeizuführende gerichtliche Entscheidung zur Neufestsetzung der Strafe in verschiedenen Konstellationen in den Blick genommen, sein Augenmerk aber nicht auf die Zuständigkeit oder Einzelheiten des Verfahrens gerichtet (vgl. BT-Drucks. 367/23, S. 178 f. BT-Drucks. 20/8763; BT-Drucks. 20/102426).
d) Die Entstehungsgeschichte des Art. 313 EGStGB deutet nicht auf die Anwendbarkeit des § 462a StPO für die vorliegende Konstellation. Art. 313 EGStGB ist seit dem Inkrafttreten mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) am 9. April 1974 (vgl. Art. 326 Abs. 3 EGStGB) im Wortlaut nicht verändert worden. Dies erklärt auch den missverständlichen Verweis in Art. 313 Abs. 3 Satz 1 EGStGB auf „§ 73 Abs. 2 des Strafgesetzbuches in der bisherigen Fassung“. Denn nach dem 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 651) war die heute in § 52 Abs. 2 StGB (Tateinheit) zu findende Regelung in § 73 Abs. 2 StGB normiert. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 313 EGStGB hatte § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO folgenden Wortlaut: „Die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen (§§ 458 bis 461) werden von dem Gericht des ersten Rechtszuges ohne mündliche Verhandlung erlassen.“ Hieraus folgt allerdings keine Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber den Strafvollstreckungskammern, die es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab. Die Vorschrift des § 462a StPO regelte die Strafgewalt des Amtsgerichts bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung. Die Strafvollstreckungskammern wurden erst durch Art. 22 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 520) mit dem neuen § 78a Abs. 1 GVG eingeführt, dessen Regelung am 1. Januar 1975 in Kraft trat (vgl. Art. 326 Abs. 1 EGStGB). Zum selben Zeitpunkt erlangte § 462a StPO mit dem noch heute geltenden Abgrenzungskonzept Geltung; § 462 StPO wurde geändert.
Die Gesetzesmaterialien zum Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (BT-Drucks. 7/550) geben zur Zuständigkeitsfrage mit Blick auf die Regelung zu Art. 313 EGStGB (im Entwurf noch Art. 290 E-EGStGB) zunächst keinen Aufschluss. Hierzu ist lediglich festgehalten, dass die Regelung dem Art. 97 des 1. StrRG und dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drucks. VI/3521) entspreche und die bereits gewonnenen Erfahrungen zugrunde gelegt worden seien (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 464). Auch hier wird die Zuständigkeit nicht explizit erörtert. Der in Bezug genommene Art. 97 des 1. StrRG (gültig seit 1970) verwies in Abs. 2 u.a. auf § 8 des Gesetzes über die Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (BGBl. I S. 773), der wiederum in Abs. 3 auf die §§ 458, 462, 462a StPO verwies. § 462 StPO postulierte auch in der 1970 gültigen Fassung die Zuständigkeit der Gerichte erster Instanz, wobei die Strafvollstreckungskammern noch nicht existierten. Der historische Gesetzgeber wollte indes nach der Gesetzesbegründung 1974 das bisherige Regelungskonzept fortgelten lassen, das die Zuständigkeit der Gerichte des ersten Rechtszugs vorsah. Ein Hinweis darauf, dass er eine Zuständigkeit der zum 1. Januar 1975 mit demselben Einführungsgesetz vom 2. März 1974 eingerichteten Strafvollstreckungskammern (BGBl. I 469, 517 ff.) begründen wollte, ergibt sich nicht. Eine Verweisung auf die neu geschaffene Zuständigkeitsnorm des § 462a StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB ist unterblieben. Vielmehr sollte es bei der geltenden Konzeption bleiben (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 464 zu Art. 290 E-EGStGB). Obwohl das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch bereits mehrfach und nun erneut durch Art. 13 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) eine Änderung erfahren hat, ist die Regelung des Art. 313 EGStGB beibehalten worden. Daraus, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen zu sein scheint, dass mit der Neuschaffung der Strafvollstreckungskammern und der Regelung des § 462a StPO alle Zuständigkeitsfragen für im Vollstreckungsverfahren zu treffende Entscheidungen geklärt sind und über § 462a StPO gelöst werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 1976 – 2 ARs 179/76, Rn. 3 f., juris, BGHSt 26, 352), lässt sich für die Frage der Zuständigkeit für Fragen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 EGStGB noch nichts ableiten.
e) Entscheidend gegen die funktionale Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer streitet aber, dass diese grundsätzlich für eine rechtskraftdurchbrechende, Strafen neu festsetzende Entscheidung nicht zuständig ist (vgl. auch Senatsbeschluss vom 3. August 2007 – 2 Ws 329/07, BeckRS 2007, 14894; aA iE Böhme/Günnewig, DRiZ 2024, 144, 145 f.; vgl. § 462a Abs. 3 Satz 1, § 460 StPO; §§ 359 ff. StPO, § 140a GVG; § 79 BVerfGG iVm §§ 359 ff. StPO). Die auf der Schuld des Täters gründende Strafzumessung (§ 46 StGB) ist typischerweise dem Erkenntnisverfahren und nur ausnahmsweise dem Nachtragsverfahren, für das aber das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig ist (§ 462a StPO), vorbehalten. Soweit § 458 Abs. 1 StPO Zweifel bei der Auslegung eines Strafurteils und Berechnung der erkannten Strafe nennt, bezieht sich dies auf die Strafzeitberechnung hinsichtlich der bereits erkannten Strafe (§§ 37 ff. StVollstrO). Dies ist mit der Festsetzung einer neuen Strafe nicht vergleichbar. Bestand und Rechtmäßigkeit des Urteils dürfen bei Einwendungen gemäß § 458 StPO grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 458 Rn. 9 mwN). Dem Gesetzgeber ging es darum, dass die Strafvollstreckungskammern „abgesehen von der in Absatz 3 geregelten Sonderzuständigkeit für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung – für alle in demselben Strafverfahren zu treffenden nachträglichen Entscheidungen“ zuständig sein sollten, „also nicht nur für diejenigen Entscheidungen, die sich unmittelbar auf die Vollstreckung der Freiheitsstrafe beziehen, um die Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns zu gewährleisten“ (BT-Drucks. 7/550, S. 312). Dies berührt indes nicht die Festsetzung der der Vollstreckung zugrundeliegenden Strafe. Diese ist vielmehr notwendige Voraussetzung und Grundlage der Strafvollstreckung und so auch des Tätigwerdens der Strafvollstreckungskammer. Für die Festsetzung der Strafe selbst ist nicht sie, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig.
f) Der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft, der sich auf die Vollstreckung des Strafrestes aus der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Leipzig vom 13. Mai 2022 in Verbindung mit dem Bewährungsbeschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer Döbeln des Landgerichts Chemnitz vom 10. August 2022 bezog, ist gegenstandslos geworden.
III.
Die Kostenentscheidung erging mangels eines anderen Kostenschuldners zu Lasten der Staatskasse (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 473 Rn. 2).