LG Stuttgart, Az.: 17 Qs 71/15, Beschluss vom 15.12.2015
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 25.11.2015, 31 Ds 101 Js 69925/13 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Amtsgericht Stuttgart zurückverwiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit angefallenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 02.10.2013, rechtskräftig seit dem 10.10.2013, wegen Erschleichens von Leistungen u.a. zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Monaten und einer Woche bei Strafaussetzung zur Bewährung (3 Ds 101 Js 69925/13). Einbezogen wurde die im Verfahren Amtsgericht Ludwigsburg 1 Cs 136 Js 36460/13 verhängte Strafe (15 Tagessätze zu je 10,00 €).
Der Beschwerdeführer begehrt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Mit einem im Verfahren Amtsgericht Stuttgart 11 Ds 94 Js 75467/13 eingeholten Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. E… vom 09.02.2015, das zu dem Ergebnis gekommen sei, bei dem Beschwerdeführer könnten die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden, läge ein neues Beweismittel i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO vor. Aufgrund des Gutachtens sei er in vorgenanntem Verfahren freigesprochen worden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 25.11.2015 verwarf das Amtsgericht Stuttgart den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig.
Es läge keine neue Tatsache i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO vor, da das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt in der dortigen Hauptverhandlung die Krankheit des Beschwerdeführers erörtert und in den schriftlichen Urteilsgründen festgestellt habe, dass er an einer Psychose leide.
Zudem sei das vorgelegte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. E… kein neues Beweismittel. Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt habe aufgrund eigener Sachkunde keinen Sachverständigen gehört. Diese Entscheidung sei nicht durch die nachträgliche Vorlage eines Gutachtens im Wiederaufnahmeverfahren überprüfbar.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags als unzulässig gem. § 368 Abs. 1 StPO liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer hat mit dem Sachverständigen, Prof. Dr. E…, ein neues und geeignetes Beweismittel benannt.
1. Neu i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO ist grundsätzlich alles, was der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht zugrunde gelegt worden ist, auch wenn es ihr hätte zugrunde gelegt werden können (BVerfG NJW 2007, 207). Ein erstmals heranzuziehender Sachverständiger ist daher ein neues Beweismittel (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 359, RdNr. 115).
2. Eine anders lautende Entscheidung käme nur dann in Betracht, wenn das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt – erkennbar – die Einholung eines Gutachtens mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt und in nachvollziehbarer Weise sein Bewertungsergebnis aufgrund jener eigenen Sachkunde detailliert dargelegt hätte (vgl. LG Landshut, Beschl. v. 18.09.2013, 3 Qs 154/13).
Dies ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt hat hinsichtlich einer eigenen Sachkunde, die die Hinzuziehung eines Sachverständigen hätte entbehrlich machen können, in seinem Urteil nichts ausgeführt. Erst in dem vorliegend angefochtenen Beschluss wurde hierauf abgestellt.
In den schriftlichen Gründen des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt wird im Abschnitt zu den persönlichen Verhältnissen lediglich ausgeführt, der Beschwerdeführer leide „laut seinen Angaben“ unter einer Psychose. Er müsse sich hierfür zweimal die Woche in medikamentöse Behandlung begeben.
Anhaltspunkte dafür, dass sich das Amtsgericht darüber hinaus mit der Frage befasst hätte, ob die Schuldfähigkeit des Verurteilten, der spätestens seit Mitte der 1980er Jahre an einer mittlerweile chronifizierten paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie erkrankt war, ab 1990 wiederholt stationär behandelt und zudem bereits am 15.08.1995 vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt (4 Cs 1365/95) und am 26.01.1996 vom Amtsgericht Stuttgart (5 Cs 139/96) wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen worden war, aufgehoben oder zumindest erheblich eingeschränkt gewesen war, sind dagegen nicht ersichtlich. Die Urteilsgründe enthalten hierzu keine Ausführungen. Auch aus dem Sitzungsprotokoll lässt sich nicht entnehmen, dass die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB erörtert worden wären.
Der Sachverständige ist daher ein neues Beweismittel i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO.
III.
Eine eigene Sachentscheidung der Strafkammer kam nicht in Betracht. Wird der Wiederaufnahmeantrag zu Unrecht gem. § 368 StPO als unzulässig verworfen, muss die Sache zurückverwiesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 372, RdNr. 8).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog (Gieg in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 473, RdNr. 5).