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Wenn der Dolmetscher im Strafverfahren befangen ist: BGH klärt „anwesend“ vs. „abwesend“

Körperlich anwesend, rechtlich abwesend? Was klingt wie ein juristisches Paradox, wurde für einen Angeklagten zur letzten Hoffnung – und für den Bundesgerichtshof zur explosiven Frage: Kann ein vermeintlich befangener Dolmetscher ein ganzes Urteil kippen? In einem Fall, der die Strafjustiz aufhorchen lässt, zogen die Richter nun eine klare Linie.

Dolmetscherin und Strafverteidigerin in einer Person redet mit Angeklagten? Gilt das als Befangenheit?
BGH-Senatsgebäude in Karlsruhe, in dem das Urteil zur Dolmetscherbefangenheit im Strafverfahren gefällt wurde. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Im Strafprozess muss ein Dolmetscher nicht nur körperlich anwesend, sondern auch unparteiisch sein.
  • Streitpunkt war eine Dolmetscherin, die gleichzeitig als Verteidigerin eines Mitangeklagten auftrat.
  • Der Bundesgerichtshof sah darin keinen zwingenden Aufhebungsgrund: Die Doppelrolle führte weder zu einer fehlerhaften Übersetzung noch zu einer Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte.
  • Ein bloß theoretischer oder entfer­n­ter Interessenkonflikt genügt nicht, um ein Urteil zu verwerfen. Entscheidend ist, ob die Übersetzungsleistung oder die Fairness des Verfahrens tatsächlich gelitten hat.
  • Für Angeklagte mit geringen Deutschkenntnissen heißt das: Nur gravierende Verstöße bei der Dolmetscherauswahl – etwa offene Parteilichkeit oder unverständliche Übertragung – können eine Neuverhandlung erzwingen.
  • Die Entscheidung liefert damit einen klaren Maßstab für zukünftige Fälle und verhindert, dass Urteile allein aufgrund abstrakter Bedenken aufgehoben werden.

Quelle: Bundesgerichtshof (BGH) Az. 3 StR 249/24 vom 6. März 2025

Dolmetscher anwesend, Verfahren gerettet? BGH zieht klare Linie bei heikler Prozessfrage

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor Gericht. Die Anklage wiegt schwer, es geht um Jahre hinter Gittern. Doch Sie sprechen kaum Deutsch. Ihr wichtigstes Werkzeug, um dem Prozess zu folgen und sich zu verteidigen, ist der Dolmetscher an Ihrer Seite. Was aber, wenn genau diese Person, die Ihre Worte übersetzen soll, möglicherweise nicht ganz unparteiisch ist? Kann ein Dolmetscher körperlich anwesend sein, aber rechtlich als „abwesend“ gelten und damit das ganze Urteil kippen? Genau diese explosive Frage musste der Bundesgerichtshof (BGH) klären – mit weitreichenden Folgen für Angeklagte und die Strafjustiz.

Es ist ein Albtraum für jeden, der sich im Ausland vor Gericht verantworten muss: Man versteht die Sprache nicht, ist auf Gedeih und Verderb auf eine Übersetzung angewiesen. So erging es auch Herrn K., einem niederländischen Staatsbürger, der sich vor dem Landgericht Trier verantworten musste. Die Vorwürfe waren massiv und komplex.

Ein Fall von Großdiebstahl und nächtlichen Überfällen: Worum es für Herrn K. ging

Das Landgericht Trier sah es nach der Beweisaufnahme als erwiesen an: Herr K. war kein unbeschriebenes Blatt. Im Mai 2022 soll er mit drei Komplizen in eine Lagerhalle eingedrungen sein. Die Methode: Scheibe einschlagen, durchs Fenster klettern.

Die Beute: Waren im Wert von über 660.000 Euro. Dazu kam ein Sachschaden von 5.000 Euro an der Halle. Die gestohlenen Güter wurden laut Gericht später verkauft.

Doch damit nicht genug. Nur etwa eine Woche später, so die Feststellungen des Gerichts, war Herr K. erneut auf Diebestour, dieses Mal mit einem anderen Mittäter. Auf einem Rastplatz schlitzten sie die Planen von neun Lastwagen auf, in der Hoffnung auf wertvolle Fracht. Sie fanden nichts, wurden aber noch am Tatort von der Polizei überrascht. Ihre Fahrzeuge wurden durchsucht, Mobiltelefone sichergestellt.

Das Urteil des Landgerichts vom 15. Januar 2024 fiel entsprechend hart aus: Fünf Jahre Gesamtfreiheitsstrafe wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls mit Waffen (vermutlich das Werkzeug zum Aufschlitzen der Planen) in Tateinheit mit Sachbeschädigung in neun Fällen. Tateinheit bedeutet hier, dass mehrere Straftaten durch eine einzige Handlung begangen wurden und als eine Tat bestraft werden. Zusätzlich ordnete das Gericht die Einziehung seines Mobiltelefons und die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 536.245,11 Euro an. Einziehung bedeutet, dass der Staat Vermögenswerte, die aus Straftaten stammen oder zur Begehung genutzt wurden, gewissermaßen beschlagnahmt. Herr K. sollte also nicht nur ins Gefängnis, sondern auch einen erheblichen Geldbetrag an den Staat zahlen.

Der Strohhalm Revision: ein Formfehler als letzte Hoffnung?

Gegen dieses Urteil legte Herr K. Revision beim Bundesgerichtshof ein. Die Revision ist ein Rechtsmittel im deutschen Strafprozess, bei dem das Urteil der Vorinstanz (hier des Landgerichts) nur auf Rechtsfehler überprüft wird, nicht aber die Tatsachen erneut festgestellt werden. Herr K. rügte sowohl Fehler im Verfahrensablauf (formelles Recht) als auch Fehler bei der rechtlichen Bewertung der Tat und der Strafzumessung (materielles Recht).

Im Zentrum seiner Hoffnungen stand jedoch eine spezielle Verfahrensrüge, ein vermeintlicher schwerwiegender Fehler im Prozessablauf. Er argumentierte, die Hauptverhandlung sei teilweise ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Dolmetscher durchgeführt worden. Das klingt zunächst seltsam, denn es war doch unstreitig ein Dolmetscher anwesend, da Herr K. Niederländisch sprach. Der Teufel steckte jedoch im Detail – und in der Person der Dolmetscherin am ersten Verhandlungstag.

Das pikante Detail: Die Dolmetscherin mit der Doppelrolle

Der Vorsitzende Richter hatte am ersten Tag der Hauptverhandlung eine Rechtsanwältin als Dolmetscherin für die niederländische Sprache bestellt. Das Brisante daran: Dieselbe Anwältin war zuvor einem Mitangeklagten von Herrn K. als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden. Ein Pflichtverteidiger ist ein Anwalt, der einem Beschuldigten vom Gericht bestellt wird, wenn dieser sich keinen eigenen Anwalt leisten kann oder in bestimmten schwerwiegenden Fällen eine Verteidigung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Für den ersten Verhandlungstag, an dem unter anderem die Personalien von Herrn K. aufgenommen und die Anklageschrift verlesen wurde, fungierte diese Anwältin also als Dolmetscherin. Damit sie diese Rolle übernehmen konnte, wurde ihr für diesen Tag die Pflichtverteidigung des Mitangeklagten entzogen und einem anderen Anwalt übertragen. An allen weiteren Verhandlungstagen war sie dann wieder als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten tätig, während eine andere Person für Herrn K. dolmetschte.

Hier witterte die Verteidigung von Herrn K. einen entscheidenden Verfahrensfehler. Die Argumentation: Die Dolmetscherin sei aufgrund ihrer vorherigen und späteren Tätigkeit als Verteidigerin des Mitangeklagten potenziell befangen gewesen. Sie könnte Informationen oder Interessenkonflikte gehabt haben, die ihre Unparteilichkeit als Dolmetscherin beeinträchtigten. Diese potenzielle Befangenheit sei so gravierend, dass sie rechtlich so behandelt werden müsse, als sei sie gar nicht anwesend gewesen.

Der absolute Revisionsgrund: Ein Trumpf im Prozessrecht

Dieser Vorwurf zielte auf einen der schärfsten Schwerter im Revisionsrecht: den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 der Strafprozessordnung (StPO). Die StPO ist das Gesetzbuch, das den Ablauf eines Strafverfahrens in Deutschland regelt. § 338 listet bestimmte, besonders schwerwiegende Verfahrensfehler auf. Liegt einer dieser Fehler vor, muss das Urteil zwingend aufgehoben werden – unabhängig davon, ob der Fehler das Urteil tatsächlich beeinflusst hat.

§ 338 Nr. 5 StPO besagt, dass ein Urteil immer dann aufzuheben ist, wenn die Hauptverhandlung „in Abwesenheit einer Person“ stattgefunden hat, „deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt“. Dazu gehört bei einem Angeklagten, der die Gerichtssprache nicht versteht, zwingend ein Dolmetscher (§ 185 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG).

Die Verteidigung argumentierte also: Die Dolmetscherin war zwar körperlich da, aber wegen ihrer potenziellen Befangenheit rechtlich als „abwesend“ zu betrachten. Das sei ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO, das Urteil müsse fallen. Bemerkenswerterweise schloss sich sogar der Generalbundesanwalt (GBA) – die höchste Anklagebehörde Deutschlands, die in Revisionsverfahren eine eigene Stellungnahme abgibt – dieser Sichtweise an und beantragte ebenfalls die Aufhebung des Urteils. Das verlieh der Rüge erhebliches Gewicht.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Klartext aus Karlsruhe (Az. 3 StR 249/24)

Der 3. Strafsenat des BGH machte der Hoffnung von Herrn K. jedoch einen Strich durch die Rechnung. In seinem Urteil vom 6. März 2025 (veröffentlicht etwas später) stellten die obersten deutschen Strafrichter klar: Die Revision ist in diesem Punkt unbegründet. Der Kernsatz der Entscheidung, der auch als offizieller Leitsatz veröffentlicht wurde, lautet:

„Hat ein gerichtlich bestellter Dolmetscher als solcher an der Verhandlung tatsächlich teilgenommen, ist seine Abwesenheit nicht deshalb zu fingieren, weil Ablehnungsgründe gegen seine Person vorgelegen haben.“

Mit anderen Worten: Physische Anwesenheit schlägt potenzielle Befangenheit, wenn es um den absoluten Revisionsgrund der „Abwesenheit“ nach § 338 Nr. 5 StPO geht.

Warum Anwesenheit nicht fiktiv sein kann: Die BGH-Begründung im Detail

Die Richter des BGH begründeten ihre Entscheidung mit mehreren Argumenten, die tief in die Logik des Prozessrechts eintauchen:

  • Der Wortlaut zählt: Der BGH betonte, dass das Gesetz in § 338 Nr. 5 StPO von „Abwesenheit“ spricht. Es sei dem Wortsinn nach fernliegend, eine Person, die tatsächlich im Gerichtssaal sitzt und ihre Funktion ausübt (hier: dolmetscht), als „abwesend“ zu betrachten. Tatsächliche Anwesenheit ist tatsächliche Anwesenheit.
  • Zwei Paar Schuhe: Anwesenheit vs. Eignung: Der Senat trennte sauber zwischen der Tatsache der Anwesenheit und der Frage der Eignung oder Unparteilichkeit des Dolmetschers. Ob die Dolmetscherin hier möglicherweise befangen war, sei eine Frage ihrer Eignung. Das berühre aber nicht die Tatsache, dass sie physisch präsent war und übersetzte.
  • Der richtige Weg: Der Ablehnungsantrag: Für Bedenken gegen die Eignung oder Unparteilichkeit eines Dolmetschers sieht das Gesetz ein eigenes Verfahren vor. Nach § 191 GVG gelten für Dolmetscher die Regeln zur Ablehnung von Sachverständigen (§ 74 StPO). Wenn eine Prozesspartei – also Anklage, Verteidigung oder auch der Angeklagte selbst – der Meinung ist, ein Dolmetscher sei befangen, muss sie einen förmlichen Ablehnungsantrag stellen. Dies muss während der Hauptverhandlung geschehen, sobald der Ablehnungsgrund bekannt wird. Das Gericht prüft dann diesen Antrag und entscheidet darüber. Dieses Verfahren würde umgangen, so der BGH, wenn man einen anwesenden Dolmetscher wegen möglicher Befangenheit einfach als „abwesend“ im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO behandeln würde. Wer den Ablehnungsantrag versäumt, kann dies nicht später über den Umweg des absoluten Revisionsgrundes „heilen“.
  • Keine „Fingierte Abwesenheit“: Die Richter lehnten die Konstruktion einer „fingierten Abwesenheit“ ab. Zwar könne man in extremen Ausnahmefällen darüber nachdenken (etwa wenn ein Dolmetscher während der Verhandlung plötzlich schwer erkrankt und nicht mehr arbeiten kann). Das bloße Vorliegen von Gründen, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten, reiche dafür aber nicht aus.
  • Vergleich mit Richtern: Der BGH zog einen Vergleich zu Richtern. Für Richter gibt es in § 338 Nr. 2 StPO einen eigenen absoluten Revisionsgrund, wenn ein Richter mitwirkt, der von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist (z.B. wegen Verwandtschaft mit dem Angeklagten). Dies zeigt, dass der Gesetzgeber bewusst unterscheidet: Bei Richtern führt ein gesetzlicher Ausschlussgrund automatisch zur Revisibilität. Bei anderen Prozessbeteiligten wie Dolmetschern reicht die bloße Möglichkeit eines Ablehnungsgrundes nicht aus, um ihre Anwesenheit zu „negieren“.

Experten-Wissen: Absoluter vs. Relativer Revisionsgrund

Im deutschen Strafrecht gibt es zwei Arten von Revisionsgründen:

Absolute Revisionsgründe (§ 338 StPO): Dies sind besonders schwerwiegende Verfahrensfehler (z.B. Gericht falsch besetzt, Hauptverhandlung ohne Angeklagten, eben auch Abwesenheit einer nötigen Person wie des Dolmetschers). Liegt ein solcher Fehler vor, muss das Urteil aufgehoben werden. Es spielt keine Rolle, ob das Urteil ohne den Fehler anders ausgefallen wäre.

Relative Revisionsgründe (§ 337 StPO): Dies sind alle anderen Verstöße gegen Rechtsnormen. Hier muss das Urteil nur aufgehoben werden, wenn es auf diesem Fehler beruht. Das heißt, es muss zumindest die Möglichkeit bestehen, dass das Urteil ohne den Fehler anders (z.B. milder oder Freispruch) ausgefallen wäre. Die Revision muss dies darlegen.

Die Verteidigung von Herrn K. versuchte, den Fall über den „sicheren“ Weg des § 338 Nr. 5 StPO zu gewinnen. Der BGH hat dies verwehrt und klargestellt: Mögliche Befangenheit eines anwesenden Dolmetschers fällt nicht unter diesen absoluten Grund.

Und das faire Verfahren? Kein Verstoß laut BGH

Die Verteidigung argumentierte auch mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens, der im Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK) verankert ist. Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK garantiert jedem Angeklagten, der die Gerichtssprache nicht versteht, das Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher.

Der BGH sah hier jedoch keinen Verstoß. Entscheidend war für die Richter: Herrn K. stand während der gesamten Hauptverhandlung stets eine Dolmetscherin zur Verfügung. Es wurde von der Verteidigung auch nicht behauptet, dass die Qualität der Übersetzung am ersten Tag mangelhaft gewesen sei oder dass Herr K. deshalb dem Verfahren nicht folgen oder seine Rechte nicht wahrnehmen konnte. Die bloße Möglichkeit einer Befangenheit reichte dem BGH nicht aus, um einen Verstoß gegen das faire Verfahren anzunehmen, solange die Kernfunktion – die Verständigung – gewährleistet war.

Was bedeutet das Urteil für die Praxis? Augen auf im Gerichtssaal!

Die Entscheidung des BGH hat erhebliche praktische Konsequenzen, insbesondere für Verteidiger, aber auch für Angeklagte, die auf Dolmetscher angewiesen sind:

  • Hohe Hürde für § 338 Nr. 5 StPO: Der BGH bestätigt: Der absolute Revisionsgrund der Abwesenheit (§ 338 Nr. 5 StPO) greift bei Dolmetschern nur, wenn tatsächlich niemand anwesend ist oder der Anwesende objektiv völlig untätig bleibt (z.B. einschläft oder die Arbeit verweigert). Die reine Sorge wegen möglicher Befangenheit genügt nicht.
  • Prozessuale Wachsamkeit ist Pflicht: Das Urteil unterstreicht: Wer Bedenken gegen einen Dolmetscher hat – sei es wegen Befangenheit, mangelnder Sprachkenntnisse oder sonstiger Eignungsmängel – muss sofort handeln.
  • Der Königsweg: Der Ablehnungsantrag: Das Mittel der Wahl ist der förmliche Ablehnungsantrag (gemäß § 191 GVG, § 74 StPO) direkt in der Hauptverhandlung. Dieser Antrag zwingt das Gericht, die Bedenken zu prüfen und darüber zu entscheiden. Wird der Antrag zu Unrecht abgelehnt, kann diese Entscheidung später mit der Revision angegriffen werden (dann aber als relativer Revisionsgrund).
  • Dokumentation ist alles: Wenn Zweifel an der Qualität der Übersetzung bestehen (nicht nur an der Person), ist es ratsam, konkrete Beispiele für Fehler oder Probleme während der Verhandlung zu dokumentieren und gegebenenfalls auf eine Protokollierung hinzuwirken. Dies kann später wichtig sein, um einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) als relativen Revisionsgrund (§ 337 StPO) geltend zu machen. Man muss dann aber darlegen können, dass das Urteil auf diesen Übersetzungsmängeln beruhen kann.

Experten-Wissen: Dolmetscher im Strafprozess – Die rechtlichen Grundlagen

Die Rolle des Dolmetschers im Strafverfahren ist gesetzlich klar geregelt:

Recht auf Dolmetscher (§ 185 GVG): Jeder, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, hat das Recht auf einen unentgeltlichen Dolmetscher, um sich mit dem Gericht zu verständigen und seine Rechte wahrzunehmen. Dies ist ein zentraler Bestandteil des fairen Verfahrens.

Vereidigung (§ 189 GVG): Dolmetscher müssen grundsätzlich vereidigt werden, bevor sie tätig werden. Sie schwören, treu und gewissenhaft zu übertragen. Ausnahmen gibt es für allgemein beeidigte Dolmetscher oder wenn alle Beteiligten (Vorsicht!) auf den Eid verzichten. Eine fehlende Vereidigung ist aber meist nur ein relativer Revisionsgrund (siehe BGH, Beschl. v. 09.09.2024, Az. 2 StR 431/23).

Ablehnung (§ 191 GVG, § 74 StPO): Dolmetscher können aus denselben Gründen abgelehnt werden wie Sachverständige, insbesondere wegen Besorgnis der Befangenheit. Dies muss aber aktiv durch einen Antrag geltend gemacht werden.

Das aktuelle BGH-Urteil (3 StR 249/24) fügt sich in dieses System ein, indem es klarstellt, dass die Frage der Befangenheit (Ablehnungsgrund) getrennt von der Frage der physischen Anwesenheit (§ 338 Nr. 5 StPO) zu behandeln ist.

Nur eine kleine Korrektur: Die Sache mit der Haftung

Die Revision von Herrn K. war aber nicht gänzlich erfolglos, wenn auch nur in einem Nebenaspekt. Der BGH überprüfte auch die Einziehungsentscheidung des Landgerichts. Grundsätzlich hielt sie stand, aber den Richtern in Karlsruhe fiel ein Detail auf: Das Landgericht hatte vergessen anzuordnen, dass Herr K. für den eingezogenen Wert der Taterträge (die über 536.000 Euro) nur als Gesamtschuldner haftet.

Was bedeutet das? Da Herr K. die Taten laut Urteil gemeinsam mit Mittätern begangen hatte, die ebenfalls von der Beute profitierten, haften sie alle gemeinsam für den Schaden bzw. den Wert der Beute. Der Staat kann sich aussuchen, von wem er das Geld (ganz oder teilweise) fordert, darf es aber insgesamt nur einmal bekommen. Die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung verhindert eine unzulässige doppelte Belastung. Der BGH korrigierte das Urteil daher gemäß § 354 Abs. 1 StPO in diesem Punkt von Amts wegen – eine Formsache, die an der Verurteilung und der Höhe der Strafe für Herrn K. nichts änderte. Seine Hauptverfahrensrüge bezüglich des Dolmetschers blieb erfolglos, ebenso wie andere Rügen (z.B. zur Anrechnung von Auslieferungshaft, die als unzulässig verworfen wurde). Die Kosten der Revision musste Herr K. daher weitgehend selbst tragen.

Fazit: Wachsamkeit statt Formalismus

Das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall 3 StR 249/24 ist eine wichtige Klarstellung für die Strafrechtspraxis. Es zieht eine scharfe Trennlinie zwischen der physischen Anwesenheit eines Dolmetschers und dessen möglicher Befangenheit. Für den knallharten absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zählt allein die tatsächliche Präsenz und Tätigkeit.

Das bedeutet nicht, dass die Unparteilichkeit oder Qualität eines Dolmetschers unwichtig wären – im Gegenteil, sie sind essenziell für ein faires Verfahren. Aber das Gesetz sieht für Zweifel daran einen anderen Weg vor: den rechtzeitigen Ablehnungsantrag in der Hauptverhandlung. Wer diesen Weg versäumt, kann sich später nicht darauf berufen, der Dolmetscher sei quasi „nicht da“ gewesen.

Für Angeklagte und ihre Verteidiger heißt das: Augen auf im Gerichtssaal! Bei den geringsten Anzeichen für Probleme mit dem Dolmetscher – sei es Befangenheit, mangelnde Verständigung oder offensichtliche Fehler – muss sofort reagiert und dies formal gerügt werden. Sich allein auf die Hoffnung zu verlassen, ein möglicher Eignungsmangel könnte später automatisch zur Aufhebung des Urteils führen, ist nach dieser BGH-Entscheidung ein Irrweg. Die Verantwortung liegt klar bei den Prozessbeteiligten, die Fairness des Verfahrens aktiv einzufordern und Mängel konkret zu benennen, während der Prozess läuft.

FAQ: Häufige Fragen zur Dolmetscher-Problematik im Strafprozess

Was genau ist ein „absoluter Revisionsgrund“?

Das ist ein besonders schwerwiegender Verfahrensfehler, der im Gesetz (§ 338 StPO) genau aufgelistet ist. Wenn ein solcher Fehler nachgewiesen wird, muss das Urteil aufgehoben werden, selbst wenn der Fehler das Ergebnis vielleicht gar nicht beeinflusst hat. Die physische Abwesenheit eines gesetzlich vorgeschriebenen Dolmetschers gehört dazu.

Mein Dolmetscher war im Prozess anwesend, aber ich glaube, er war parteiisch. Kann ich das Urteil anfechten?

Ja, aber wahrscheinlich nicht mit der Begründung, er sei „abwesend“ im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO gewesen, wie der BGH jetzt klargestellt hat. Sie (bzw. Ihr Anwalt) hätten während des Prozesses einen Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit stellen müssen. Wurde dieser Antrag gestellt und zu Unrecht abgelehnt, kann diese Ablehnung mit der Revision angegriffen werden (als relativer Revisionsgrund). Ohne einen solchen Antrag ist es sehr schwierig.

Was ist, wenn der Dolmetscher gar nicht vereidigt wurde?

Das ist ein Verstoß gegen § 189 GVG. Nach der Rechtsprechung ist dies in der Regel aber kein absoluter, sondern nur ein relativer Revisionsgrund (§ 337 StPO). Sie müssten in der Revision darlegen, dass das Urteil auf diesem Fehler beruhen kann, z.B. weil wesentliche Teile der Verhandlung unvereidigt gedolmetscht wurden und Zweifel an der Richtigkeit bestehen.

Ich habe während meines Prozesses den Dolmetscher oft nicht richtig verstanden. Was hätte ich tun sollen?

Sie hätten dies sofort Ihrem Verteidiger mitteilen müssen. Dieser hätte dann das Gericht darauf hinweisen und ggf. beantragen können, dass der Dolmetscher langsamer spricht, anders formuliert oder im Extremfall ausgetauscht wird. Wichtig ist, solche Probleme sofort anzusprechen und idealerweise im Protokoll vermerken zu lassen.

Bedeutet das neue BGH-Urteil, dass die Qualität der Übersetzung egal ist, solange nur irgendjemand da ist?

Nein, absolut nicht. Eine gravierend mangelhafte Übersetzung, die dazu führt, dass Sie dem Verfahren nicht folgen oder sich nicht verteidigen können, verletzt Ihr Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK). Dies kann ein relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO sein. Der Unterschied ist: Sie müssen dann konkret darlegen, wo die Übersetzung schlecht war und dass das Urteil deswegen möglicherweise falsch ist. Das BGH-Urteil betrifft nur den speziellen* absoluten Revisionsgrund der „Abwesenheit“ (§ 338 Nr. 5 StPO) im Hinblick auf potenzielle Befangenheit.

Wer bezahlt den Dolmetscher im Strafprozess?

Für den Angeklagten ist die Hinzuziehung des notwendigen Dolmetschers grundsätzlich kostenlos, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens (§ 185 Abs. 1 GVG). Die Kosten trägt die Staatskasse.

Kann ich mir meinen Dolmetscher selbst aussuchen?

Nein, der Dolmetscher wird vom Gericht bestellt. Sie haben aber das Recht, einen Dolmetscher abzulehnen, wenn Gründe zur Besorgnis der Befangenheit vorliegen (siehe Frage 2).

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