Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- OLG Bamberg: Totschlagsvorwurf nach Verkehrsunfall als Teil derselben Tat – Berufung des Nebenklägers zulässig (§ 264 StPO)
- Ausgangslage: Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach Verkehrsunfall am Amtsgericht
- Streitpunkt Berufung: Vater des Opfers fordert Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen
- Entscheidung des OLG Bamberg: Sofortige Beschwerde erfolgreich, Berufung doch zulässig
- Begründung des OLG: Unfall und Verhalten danach sind eine prozessuale Tat (§ 264 StPO)
- Konsequenz: Landgericht muss Totschlagsvorwurf inhaltlich prüfen
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „Teil derselben Tat“ im strafrechtlichen Sinne und warum ist das hier wichtig?
- Welche Pflichten hat ein Unfallverursacher nach einem Verkehrsunfall und welche Konsequenzen hat die Verletzung dieser Pflichten?
- Was ist eine Nebenklage und welche Rechte hat ein Nebenkläger in einem Strafverfahren?
- Was bedeutet „Totschlag durch Unterlassen“ und unter welchen Voraussetzungen ist dies strafbar?
- Was ist der Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz im Strafrecht und warum ist dieser Unterschied hier relevant?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 1 Ws 135/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
- Verfahrensart: Strafverfahren (Beschwerdeverfahren im Rahmen einer Berufung)
- Rechtsbereiche: Strafprozessrecht, Strafrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Nebenkläger, Vater des bei dem Unfall getöteten Opfers. Er verfolgte mit seiner Berufung das Ziel, dass der Angeklagte wegen (versuchten) Totschlags verurteilt wird, bezogen auf dessen Verhalten nach dem Unfall.
- Beklagte: Der Angeklagte. Er wurde vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall verurteilt. Er legte ebenfalls Berufung gegen dieses Urteil ein.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Angeklagte wurde nach einem Verkehrsunfall, bei dem eine Person starb und zwei verletzt wurden, wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung verurteilt. Der Nebenkläger, Vater des Getöteten, legte Berufung ein, um eine Verurteilung wegen (versuchten) Totschlags aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nach dem Unfall (unzureichende Rettungsmaßnahmen) zu erreichen. Das Landgericht verwarf die Berufung des Nebenklägers als unzulässig, da der Vorwurf des Nachtatverhaltens nicht Teil der ursprünglichen Anklage war.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale juristische Frage war, ob das Verhalten eines Angeklagten unmittelbar nach einem Verkehrsunfall, insbesondere unterlassene Rettungsmaßnahmen, als Teil derselben prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO wie der Unfall selbst anzusehen ist. Davon hing ab, ob der Nebenkläger seine Berufung auf einen Totschlagsvorwurf stützen durfte, der sich auf dieses Nachtatverhalten bezog.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Oberlandesgericht hob den Beschluss des Landgerichts auf, der die Berufung des Nebenklägers als unzulässig verworfen hatte. Es verwies die Sache zur erneuten inhaltlichen Entscheidung über die Berufung des Nebenklägers an das Landgericht zurück.
- Begründung: Das OLG erklärte, dass die Berufung des Nebenklägers zulässig sei, weil der Totschlagsvorwurf auf ein nebenklagefähiges Delikt gerichtet ist. Entscheidend war, dass nach Ansicht des OLG das Verkehrsunfallgeschehen und das direkt daran anschließende Rettungsverhalten des Unfallverursachers einen durch Tatort und Tatzeit eng umgrenzten Lebenssachverhalt und somit eine Einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO bilden. Das Gericht argumentierte, eine Aufspaltung dieses Geschehens wäre eine unnatürliche Teilung eines einheitlichen Vorkommnisses.
- Folgen: Das Landgericht muss nun die Berufung des Nebenklägers inhaltlich prüfen. Es muss dabei auch den Vorwurf des (versuchten) Totschlags berücksichtigen, der sich auf das Verhalten des Angeklagten nach dem Unfall bezieht, auch wenn dieser Vorwurf nicht explizit in der ursprünglichen Anklage genannt war.
Der Fall vor Gericht
OLG Bamberg: Totschlagsvorwurf nach Verkehrsunfall als Teil derselben Tat – Berufung des Nebenklägers zulässig (§ 264 StPO)
Ein tragischer Verkehrsunfall mit Todesfolge und die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung des Verursachers standen im Mittelpunkt eines komplexen Gerichtsverfahrens, das nun eine wichtige Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg nach sich zog.

Im Kern ging es um die Frage, ob das Verhalten eines Unfallverursachers unmittelbar nach dem Crash, insbesondere mutmaßlich unterlassene Rettungsmaßnahmen, als Teil derselben Tat im juristischen Sinne (§ 264 Strafprozessordnung – StPO) wie der Unfall selbst zu werten ist. Diese Frage ist entscheidend dafür, ob der Vater des Getöteten, der als Nebenkläger auftrat, mit seiner Berufung das Ziel verfolgen kann, den Unfallverursacher nicht nur wegen Fahrlässigkeit, sondern wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts (Totschlag) aufgrund des Verhaltens nach dem Unfall verurteilt zu sehen.
Ausgangslage: Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach Verkehrsunfall am Amtsgericht
Zunächst hatte das Amtsgericht – Schöffengericht – den Autofahrer am 30. August 2021 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt. Die Verurteilung basierte auf der Feststellung, dass der Mann den Verkehrsunfall durch Fahrlässigkeit verursacht hatte. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit diesem Urteil waren jedoch nicht alle Beteiligten einverstanden.
Streitpunkt Berufung: Vater des Opfers fordert Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen
Sowohl der verurteilte Autofahrer als auch der Vater des bei dem Unfall getöteten jungen Mannes legten gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein. Der Vater war zuvor offiziell als Nebenkläger zum Verfahren zugelassen worden, was ihm besondere Rechte, wie eben das Recht zur Berufung, einräumt. Mit seiner Berufung verfolgte der Vater ein weitreichendes Ziel: Er strebte eine Verurteilung des Autofahrers wegen (versuchten) Totschlags an.
Dieser schwere Vorwurf bezog sich jedoch nicht primär auf die Verursachung des Unfalls selbst, sondern explizit auf das Verhalten des Autofahrers unmittelbar nach dem Zusammenstoß. Der zentrale Punkt der Argumentation des Vaters war die Behauptung, der Autofahrer habe keine ausreichenden oder gar keine Rettungsmaßnahmen für das schwer verletzte Unfallopfer, seinen Sohn, eingeleitet oder versucht einzuleiten. Aus Sicht des Vaters könnte dieses Unterlassen den Tod seines Sohnes (mit-)verursacht oder zumindest dessen Überlebenschancen zunichtegemacht haben, was den Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen rechtfertigen könnte.
Das zuständige Landgericht, die nächste Instanz nach dem Amtsgericht, teilte diese Auffassung jedoch nicht, zumindest nicht hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung. Mit Beschluss vom 07. Februar 2022 verwarf das Landgericht die Berufung des Vaters als unzulässig. Die Begründung des Landgerichts: Der Vorwurf des Totschlags durch Unterlassen nach dem Unfall sei nicht Gegenstand der ursprünglichen Anklage gewesen. Sowohl die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft als auch der gerichtliche Eröffnungsbeschluss hätten sich ausschließlich auf das eigentliche Unfallgeschehen, also die fahrlässige Verursachung, bezogen. Das Verhalten nach dem Unfall sei darin nicht explizit als Straftatvorwurf formuliert worden. Folglich, so das Landgericht, richte sich die Berufung des Nebenklägers nicht auf eine Verurteilung wegen eines Delikts (hier Totschlag), das auf die ursprünglich angeklagte Tat zurückgehe. Da Totschlag aber ein Delikt ist, das zur Nebenklage berechtigt (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), war diese Einschätzung des Landgerichts entscheidend für die Zulässigkeit der Berufung.
Entscheidung des OLG Bamberg: Sofortige Beschwerde erfolgreich, Berufung doch zulässig
Gegen diesen Beschluss des Landgerichts, der ihm am 08. Februar 2022 zugestellt wurde, wehrte sich der Vater des Opfers umgehend. Er legte über seinen Anwalt am 15. Februar 2022 sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Bamberg ein. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützte die Position des Vaters und beantragte die Aufhebung des Landgerichtsbeschlusses. Die Verteidigung des Autofahrers plädierte hingegen dafür, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das OLG Bamberg gab der sofortigen Beschwerde des Vaters statt. Mit seiner Entscheidung hob das OLG den Beschluss des Landgerichts vom 07. Februar 2022 auf. Damit ist die Berufung des Nebenklägers doch zulässig. Das OLG verwies die Sache zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung des Vaters zurück an das Landgericht. Das Landgericht muss sich nun also doch mit dem Vorwurf des Totschlags durch Unterlassen auseinandersetzen. Auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens muss das Landgericht neu entscheiden.
Begründung des OLG: Unfall und Verhalten danach sind eine prozessuale Tat (§ 264 StPO)
Das OLG Bamberg begründete seine Entscheidung eingehend und stellte klar, warum die Sichtweise des Landgerichts nicht haltbar ist. Zunächst bestätigte das OLG, dass die sofortige Beschwerde des Vaters formal korrekt und fristgerecht eingelegt wurde und somit zulässig ist.
Entscheidend ist aber die Begründung, warum auch die Berufung des Vaters zulässig ist. Das OLG widersprach der Auffassung des Landgerichts, dass der Totschlagsvorwurf wegen unterlassener Hilfeleistung nach dem Unfall nicht zur „angeklagten Tat“ gehöre. Zwar ist richtig, dass eine Berufung des Nebenklägers nur zulässig ist, wenn sie auf eine Verurteilung wegen eines zur Nebenklage berechtigenden Delikts abzielt, das sich auf die angeklagte Tat bezieht (§ 400 Abs. 1 StPO). Der Vorwurf des (versuchten) Totschlags ist unstreitig ein solches nebenklagefähiges Delikt.
Der zentrale Punkt der OLG-Argumentation ist die Auslegung des Begriffs der „Tat“ im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO. Diese Vorschrift besagt, dass Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat ist, und zwar so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Das OLG betonte, dass die „prozessuale Tat“ nicht starr auf den in der Anklage formulierten Wortlaut beschränkt ist. Vielmehr umfasst sie das gesamte Verhalten des Beschuldigten, soweit es mit dem in der Anklage umrissenen geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet.
Ob verschiedene Handlungen oder Unterlassungen zu ein und derselben prozessualen Tat gehören, wird nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung danach beurteilt, ob sie trotz möglicher Veränderungen im Detail immer noch als einmaliges und unverwechselbares Geschehen („Nämlichkeit“ der Tat) erscheinen. Kriterien hierfür sind typischerweise Tatort, Tatzeit, Tatbild, Täterverhalten und das betroffene Opfer.
Angewendet auf den vorliegenden Fall stellte das OLG Bamberg fest: Das Verkehrsunfallgeschehen und das direkt daran anschließende Rettungsverhalten (oder dessen Unterlassen) durch den Unfallverursacher bilden einen solch engen Zusammenhang, dass sie als einheitlicher Lebenssachverhalt zu betrachten sind. Sie sind durch Tatort, Tatzeit und das gesamte Tatbild eng miteinander verknüpft.
Besonders relevant ist dabei laut OLG, dass – wie vom Vater vorgetragen – der Tod des Sohnes möglicherweise nicht nur durch das fahrlässige Fahren, sondern auch durch die mutmaßlich unterlassenen Rettungsbemühungen direkt nach dem Unfall verursacht worden sein könnte. In diesem Fall hätte sich im Tod des Opfers auch die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht des Autofahrers zum Handeln (sogenannte Garantenstellung nach § 13 StGB) realisiert, die gerade durch die gefährliche Handlung (Unfallverursachung) begründet wurde.
Eine künstliche Aufspaltung dieses zusammenhängenden Geschehens in zwei getrennte Taten – einerseits die fahrlässige Unfallverursachung, andererseits das (unterlassene) Verhalten danach – würde nach Auffassung des OLG eine „bei wertender Betrachtung unnatürliche Teilung eines einheitlichen Vorkommnisses“ darstellen. Es handelt sich um mehrere, zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgende Handlungen bzw. Unterlassungen derselben Person, die zum Tod desselben Opfers geführt haben könnten.
Das OLG stützte seine Auffassung auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu verwandten Delikten. Beispielsweise wird bei einer Unfallflucht (§ 142 StGB) und gleichzeitig begangener unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) regelmäßig von einer verfahrensrechtlichen Tatidentität im Sinne des § 264 StPO ausgegangen, auch im Verhältnis zu der dem Unfall vorangegangenen Straftat (z.B. gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr), die zum Unfall führte. Wenn schon bei der Unfallflucht, die oft eine räumliche Trennung vom eigentlichen Unfallort beinhaltet, von einer einheitlichen Tat ausgegangen wird, dann muss dies erst recht gelten, so das OLG, wenn dem Verursacher – wie hier – lediglich unzureichende Rettungsbemühungen direkt am Unfallort vorgeworfen werden, ohne dass er sich entfernt hätte.
Konsequenz: Landgericht muss Totschlagsvorwurf inhaltlich prüfen
Aus dieser rechtlichen Einordnung folgt zwingend: Das Landgericht ist aufgrund seiner gesetzlichen Prüfungspflicht (Kognitionspflicht nach § 264 StPO) gehalten, seine Untersuchung und Beweisaufnahme auch auf den vom Nebenkläger erhobenen Vorwurf des Totschlags durch Unterlassen zu erstrecken. Dies gilt selbst dann, wenn dieser spezielle Vorwurf nicht ausdrücklich im ursprünglichen Anklagesatz formuliert war. Die prozessuale Tat, die dem Gericht zur Entscheidung vorliegt, umfasst eben das gesamte zusammenhängende Geschehen.
Das Landgericht hätte daher die Berufung des Vaters nicht mit der Begründung abweisen dürfen, der Vorwurf bezüglich des Verhaltens nach dem Unfall gehöre nicht zur angeklagten Tat. Das OLG Bamberg hat diese Fehleinschätzung korrigiert und sichergestellt, dass der schwerwiegende Vorwurf des Vaters nun im Berufungsverfahren vor dem Landgericht inhaltlich geprüft werden muss.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Entscheidung des OLG Bamberg etabliert, dass das Verhalten eines Unfallverursachers unmittelbar nach dem Unfall (wie unterlassene Hilfeleistung) rechtlich als Teil derselben prozessualen Tat wie der Unfall selbst zu bewerten ist und nicht künstlich davon getrennt werden kann. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass ein Unfallverursacher nicht nur wegen fahrlässiger Tötung durch den Unfall, sondern auch wegen vorsätzlicher Tötung durch Unterlassen von Hilfemaßnahmen nach dem Unfall belangt werden kann. Der Fall stärkt die Rechte von Nebenklägern, die eine Verurteilung wegen schwererer Delikte anstreben, und betont die umfassende Prüfungspflicht der Gerichte für den gesamten Lebenssachverhalt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Teil derselben Tat“ im strafrechtlichen Sinne und warum ist das hier wichtig?
Im deutschen Strafrecht spricht man von „Teil derselben Tat“, wenn mehrere Handlungen eines Menschen rechtlich als eine einzige Tat betrachtet werden. Das mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, da man im Alltag meist jede einzelne Handlung für sich nimmt. Juristisch ist es aber anders: Hier geht es nicht nur darum, wann etwas passiert ist, sondern auch, wie die Handlungen miteinander zusammenhängen.
Was macht Handlungen zu „Teil derselben Tat“?
Entscheidend dafür, ob Handlungen als Teil derselben Tat gelten, ist ein enger innerer Zusammenhang. Das bedeutet, die Handlungen sind so miteinander verbunden, dass sie aus Sicht eines Beobachters als ein zusammengehöriges Geschehen erscheinen. Stellen Sie sich das wie Glieder in einer Kette vor: Jede einzelne Handlung ist ein Glied, aber weil sie fest miteinander verbunden sind und demselben Zweck dienen oder aus derselben Motivation heraus geschehen, bilden sie eine einzige Kette – also eine einzige Tat im rechtlichen Sinn.
Dieser Zusammenhang kann sich aus verschiedenen Aspekten ergeben:
- Zeitlicher und räumlicher Zusammenhang: Die Handlungen passieren kurz nacheinander am selben Ort.
- Innerer Zusammenhang: Die Handlungen sind vom Vorsatz oder den Beweggründen des Täters eng verknüpft oder bauen aufeinander auf. Zum Beispiel, wenn jemand erst eine Tür aufbricht (Handlung 1) und dann den Inhalt eines Tresors stiehlt (Handlung 2) – beides gehört zum Gesamtziel Einbruchdiebstahl und wird rechtlich oft als eine Tat gewertet.
- Derselbe Lebenssachverhalt: Die Handlungen sind Teil eines einheitlichen Geschehensablaufs.
Es ist also nicht nur die reine Abfolge wichtig, sondern vor allem die innere Verknüpfung der einzelnen Schritte.
Warum ist das im Strafrecht wichtig?
Die Einordnung als „Teil derselben Tat“ hat wichtige Auswirkungen auf das gesamte Strafverfahren:
- Rechtliche Bewertung: Es bestimmt, welche und wie viele Straftaten insgesamt vorliegen. Handlungen, die als Teil derselben Tat gelten, führen oft nur zur Verurteilung wegen einer einzigen Straftat, auch wenn technisch gesehen mehrere Gesetze verletzt wurden (man spricht dann oft von Tateinheit). Wenn Handlungen dagegen als separate Taten gewertet werden, kann dies zu mehreren Verurteilungen führen (Tatmehrheit).
- Verfahrensrechtliche Folgen: Für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten ist es entscheidend, den Umfang der Tat zu kennen. Zum Beispiel bestimmt der Begriff „dieselbe Tat“, über welchen genauen Sachverhalt das Gericht entscheiden muss. Auch Rechte von Beteiligten, wie die Zulässigkeit einer Berufung, können davon abhängen, ob sich die Berufung auf Handlungen bezieht, die als Teil der ursprünglichen Tat gelten oder nicht. Im Kontext eines Unfalls könnte es bedeuten, dass Verhaltensweisen unmittelbar nach dem Unfall (wie zum Beispiel Fahrerflucht) rechtlich als Fortsetzung oder Abschluss des gesamten Unfallgeschehens und damit als Teil derselben Tat angesehen werden. Das hat wiederum Auswirkungen darauf, wer unter welchen Voraussetzungen gegen das Urteil vorgehen kann.
Für Sie als juristischen Laien ist wichtig zu verstehen: Wenn im Strafrecht von „der Tat“ die Rede ist, meint das oft ein komplexeres Geschehen, das aus mehreren Einzelhandlungen bestehen kann, die aber aufgrund ihres engen Zusammenhangs rechtlich zusammengefasst werden. Dies ist ein Grundprinzip, um den Umfang strafrechtlicher Verantwortung und die Abläufe im Verfahren zu bestimmen.
Welche Pflichten hat ein Unfallverursacher nach einem Verkehrsunfall und welche Konsequenzen hat die Verletzung dieser Pflichten?
Nach einem Verkehrsunfall haben alle Beteiligten bestimmte Pflichten, unabhängig davon, wer den Unfall verursacht hat. Für den Unfallverursacher, also die Person, die den Unfall herbeigeführt hat, sind diese Pflichten besonders relevant und können bei Nichtbeachtung ernste Konsequenzen haben.
Sofortige Maßnahmen am Unfallort
Direkt nach einem Unfall ist schnelles Handeln gefragt, besonders wenn Personen verletzt sind. Die wichtigsten Pflichten sind:
- Anhalten und Unfallstelle sichern: Jeder, der am Unfall beteiligt ist, muss sofort anhalten. Anschließend muss die Unfallstelle gesichert werden, um Folgeunfälle zu vermeiden. Das geschieht zum Beispiel durch das Aufstellen von Warndreiecken und Einschalten der Warnblinkanlage. Das ist wichtig für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer.
- Erste Hilfe leisten: Wenn Personen bei dem Unfall verletzt wurden, ist man gesetzlich verpflichtet, sofort Erste Hilfe zu leisten. Das bedeutet, das Notwendige zu tun, um den Verletzten zu helfen, solange keine professionelle Hilfe da ist. Man muss dabei keine medizinischen Fachkenntnisse haben, sondern das tun, was im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und Kenntnisse liegt (z. B. Notruf absetzen, Verbände anlegen, Stabile Seitenlage).
- Notruf absetzen: Bei Verletzten oder größeren Schäden muss der Notruf (112 oder 110) verständigt werden. Es ist wichtig, genaue Angaben zum Unfallort, zur Art des Unfalls und zur Anzahl der Verletzten zu machen.
Folgen der Verletzung der Pflichten
Wenn diese wichtigen Pflichten nach einem Unfall nicht erfüllt werden, kann das schwerwiegende rechtliche Folgen haben. Die bekannteste Konsequenz ist oft die Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung.
Unterlassene Hilfeleistung liegt vor, wenn jemand bei einem Unglück oder einer Notlage keine Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich, zumutbar und ohne erhebliche eigene Gefahr möglich wäre. Gerade nach einem Unfall mit Verletzten ist die Hilfeleistung dringend erforderlich und in der Regel auch zumutbar. Wer hier untätig bleibt, obwohl er helfen könnte, macht sich strafbar.
Ernsthafte Konsequenzen bei schweren Folgen
Die Konsequenzen können noch weitreichender sein, besonders wenn durch das Ausbleiben der Hilfe schwere Verletzungen oder sogar der Tod einer Person verursacht oder beschleunigt werden. Juristisch kann in solchen Fällen geprüft werden, ob die Untätigkeit des Unfallverursachers rechtlich als Ursache für die schlimmen Folgen angesehen werden kann.
Stellen Sie sich vor, eine Person ist nach dem Unfall schwer verletzt, aber der Unfallverursacher lässt sie hilflos zurück, ohne Hilfe zu rufen. Wenn die Person stirbt, weil keine rechtzeitige Hilfe kam, kann dies nicht nur als unterlassene Hilfeleistung, sondern unter bestimmten Umständen sogar als ein Tötungsdelikt durch Unterlassen gewertet werden. Das bedeutet, dass die Nichthandlung rechtlich so bewertet wird, als hätte der Täter aktiv gehandelt und den Tod verursacht. Solche Fälle sind komplex und hängen von vielen Einzelheiten ab, aber sie zeigen, wie gravierend die Folgen sein können, wenn man seinen Pflichten nach einem Unfall nicht nachkommt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Pflichten nach einem Unfall sind dazu da, um Leben zu schützen und weitere Schäden zu verhindern. Wer diese Pflichten, insbesondere die Hilfeleistung bei Verletzten, ignoriert, riskiert nicht nur eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern im schlimmsten Fall auch eine Verurteilung wegen schwerer Straftaten, wenn durch die Untätigkeit Menschen sterben oder schwer verletzt werden.
Was ist eine Nebenklage und welche Rechte hat ein Nebenkläger in einem Strafverfahren?
Die Nebenklage ist ein rechtliches Instrument im deutschen Strafverfahren. Sie ermöglicht es Personen, die durch eine Straftat unmittelbar verletzt oder geschädigt wurden – den sogenannten Nebenklägern –, am Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Täter aktiv teilzunehmen. Die Nebenklage findet parallel zur Klage der Staatsanwaltschaft statt. Sie gibt dem Opfer oder in bestimmten Fällen seinen Angehörigen eine Stimme im Verfahren, das sonst hauptsächlich zwischen dem Staat (Staatsanwaltschaft) und dem Angeklagten geführt wird.
Wer kann Nebenkläger werden?
Nicht bei jeder Straftat ist eine Nebenklage möglich. Das Gesetz listet bestimmte Delikte auf, bei denen eine Nebenklage zulässig ist. Dazu gehören insbesondere schwere Straftaten, wie zum Beispiel:
- Tötungsdelikte
- Bestimmte Körperverletzungsdelikte
- Sexualstraftaten
- Straftaten gegen die persönliche Freiheit (wie z.B. Geiselnahme)
Opfer dieser Straftaten können sich als Nebenkläger dem Verfahren anschließen. Besonders wichtig: Wenn das Opfer einer solchen Straftat verstorben ist, können auch dessen nächste Angehörige (wie z.B. Ehepartner, Lebenspartner, Kinder, Eltern, Geschwister) das Recht auf Nebenklage ausüben. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, an der Aufklärung der Tat gegen ihre Liebsten mitzuwirken.
Welche Rechte hat ein Nebenkläger im Strafverfahren?
Als Nebenkläger erhalten Sie eine Reihe wichtiger Rechte, die Ihnen ermöglichen, aktiv am Verfahren teilzunehmen und Ihre Interessen zu verfolgen. Diese Rechte gehen über die bloße Anwesenheit als Zuschauer hinaus. Die wesentlichen Rechte sind:
- Recht auf Anwesenheit: Sie dürfen während der gesamten Hauptverhandlung im Gerichtssaal anwesend sein.
- Recht auf Akteneinsicht: Sie oder eine Sie vertretende Person können Einblick in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft nehmen. So erfahren Sie die Hintergründe und den Stand der Ermittlungen.
- Recht, Fragen zu stellen: Sie haben das Recht, Zeugen und Sachverständige zu befragen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Sie auch dem Angeklagten Fragen stellen.
- Recht, Erklärungen abzugeben: Sie können während der Hauptverhandlung Stellungnahmen zu Verfahrensfragen abgeben.
- Recht auf ein Plädoyer: Am Ende der Beweisaufnahme können Sie oder Ihr Vertreter ein Schlusswort halten, das sogenannte Plädoyer. Darin können Sie die aus Ihrer Sicht relevanten Punkte hervorheben und einen Antrag zum Urteil stellen (z.B. bezüglich der Schuld des Angeklagten oder der Höhe der Strafe).
- Recht auf Rechtsmittel: Sie haben das Recht, gegen das Urteil des Gerichts ein Rechtsmittel einzulegen, insbesondere die Berufung oder in manchen Fällen die Revision. Dies ermöglicht es Ihnen, das Urteil überprüfen zu lassen, wenn Sie es für falsch halten.
Durch diese Rechte wird die Position des Opfers oder seiner Angehörigen im Strafverfahren gestärkt. Die Nebenklage ermöglicht es ihnen, sich aktiv an der Suche nach der Wahrheit zu beteiligen und auf den Ausgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen.
Was bedeutet „Totschlag durch Unterlassen“ und unter welchen Voraussetzungen ist dies strafbar?
Stellen Sie sich vor, jemand stirbt nicht durch ein aktives Handeln, sondern weil eine andere Person nicht gehandelt hat, obwohl sie hätte handeln müssen, um den Tod zu verhindern. Genau das beschreibt das Konzept des „Totschlags durch Unterlassen“ im deutschen Strafrecht. Es geht also nicht um ein bewusstes Tun, sondern um ein bewusstes Nicht-Tun mit tödlichen Folgen.
Die besondere Pflicht zum Handeln: Die Garantenpflicht
Der entscheidende Punkt ist, dass nicht jedes Nicht-Helfen gleich Totschlag durch Unterlassen ist. Strafbar ist das Unterlassen nur, wenn die Person eine besondere Rechtspflicht hatte, den Tod zu verhindern. Diese Pflicht nennt man Garantenpflicht. Sie macht die Person zu einem „Garanten“ dafür, dass einem anderen kein Schaden zustößt.
Eine solche Garantenpflicht kann aus verschiedenen Gründen entstehen:
- Aus engen persönlichen Beziehungen: Zum Beispiel Eltern für ihre Kinder, Ehepartner füreinander. Hier ergibt sich die Pflicht aus der besonderen Verantwortung füreinander.
- Weil man selbst eine Gefahr geschaffen hat: Wenn jemand durch sein vorheriges Verhalten eine Gefahr für das Leben eines anderen schafft, ist er verpflichtet, diese Gefahr abzuwenden. Das kann beispielsweise nach einem Verkehrsunfall der Fall sein: Wer einen Unfall verursacht, der einer anderen Person lebensgefährliche Verletzungen zufügt, hat die Pflicht, lebensrettende Hilfe zu leisten.
- Weil man freiwillig die Verantwortung übernommen hat: Wenn jemand beispielsweise die Aufsicht über eine hilflose Person übernimmt.
Wann ist Totschlag durch Unterlassen strafbar?
Damit Totschlag durch Unterlassen strafbar ist, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:
- Es muss eine Garantenpflicht bestanden haben (eine Pflicht, den drohenden Tod zu verhindern).
- Die Person hat nicht die erforderliche Handlung vorgenommen, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre.
- Durch dieses Unterlassen ist der Tod der anderen Person tatsächlich eingetreten (das Unterlassen muss ursächlich für den Tod sein).
- Die Person, die nicht gehandelt hat, muss vorsätzlich gehandelt haben. Das bedeutet, sie wusste von der Gefahr für das Leben des anderen und von ihrer Pflicht zum Handeln und hat den Tod zumindest billigend in Kauf genommen, indem sie untätig blieb.
Im Kern bedeutet Totschlag durch Unterlassen also: Jemand stirbt, weil eine Person, die ihn rechtlich schützen musste, dies trotz Möglichkeit und Vorsatz unterlassen hat. Die Strafe ist dann grundsätzlich dieselbe wie für Totschlag durch aktives Handeln, also eine Freiheitsstrafe.
Was ist der Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz im Strafrecht und warum ist dieser Unterschied hier relevant?
Im Strafrecht kommt es stark darauf an, welche innere Einstellung eine Person zu einer Tat hatte, also ob sie etwas vorsätzlich oder fahrlässig getan hat.
Vorsatz bedeutet im Grunde, dass jemand einen bestimmten Erfolg wissentlich und willentlich herbeiführen will. Stellen Sie sich vor, jemand wirft bewusst einen Gegenstand, weil er weiß, dass dadurch etwas kaputtgehen wird, und er genau das will. Es reicht aber auch oft schon aus, wenn jemand einen möglichen Erfolg für ernsthaft möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt, auch wenn er ihn vielleicht nicht als Hauptziel hatte.
Bei der Fahrlässigkeit fehlt dieser Vorsatz. Hier führt jemand einen Erfolg durch Unvorsichtigkeit oder die Verletzung einer Sorgfaltspflicht herbei, den er gar nicht wollte und auch nicht bewusst in Kauf genommen hat. Er handelt unachtsam, obwohl er hätte erkennen und vermeiden können, dass ein Schaden entsteht. Denken Sie an jemanden, der beim Abbiegen im Straßenverkehr unachtsam ist und dadurch einen Unfall verursacht. Er wollte den Unfall nicht, aber durch seine Sorgfaltspflichtverletzung ist er passiert.
Dieser Unterschied ist im Strafrecht entscheidend, weil er bestimmt, welcher Straftatbestand erfüllt ist und welche Strafe dafür vorgesehen ist. Taten, die vorsätzlich begangen werden, sind in der Regel schwerwiegender und werden strenger bestraft als fahrlässige Taten.
Im Zusammenhang mit einem Fall, bei dem eine Person ums Leben gekommen ist, ist dieser Unterschied besonders wichtig. Die Tötung eines Menschen kann je nach der inneren Einstellung des Täters eine fahrlässige Tötung (§ 222 Strafgesetzbuch) oder ein Totschlag (§ 212 Strafgesetzbuch) sein. Fahrlässige Tötung setzt voraus, dass der Täter den Tod durch Unachtsamkeit verursacht hat. Totschlag hingegen erfordert, dass der Täter den Tod vorsätzlich herbeigeführt hat (ihn also wissentlich und willentlich oder zumindest billigend in Kauf genommen hat).
Wenn ein Nebenkläger in einem solchen Verfahren auf eine Verurteilung wegen Totschlags drängt, dann liegt das daran, dass er überzeugt ist, dass der Angeklagte den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf genommen und somit vorsätzlich gehandelt hat. Für eine Verurteilung wegen Totschlags muss das Gericht jedoch zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass Vorsatz vorlag. Diesen inneren Zustand des Täters zu beweisen, ist oft komplex und stützt sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie das Verhalten des Täters, Zeugenaussagen und Gutachten, die Rückschlüsse auf seine Gedanken und Absichten im Moment der Tat zulassen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Nebenklage
Die Nebenklage ist ein besonderes Recht im Strafverfahren, das es Personen ermöglicht, die durch eine Straftat direkt betroffen sind, aktiv am Verfahren teilzunehmen. Typischerweise sind das Opfer selbst oder deren Angehörige, wie im vorliegenden Fall der Vater des Getöteten. Als Nebenkläger hat man erweiterte Rechte, etwa das Recht auf Akteneinsicht, die Möglichkeit, Zeugen zu befragen, und das Recht, gegen Urteile Berufung einzulegen (§§ 395 ff. StPO). Die Nebenklage dient dazu, den Interessen der Verletzten mehr Gewicht im Verfahren zu geben und ihnen eine Stimme neben der Staatsanwaltschaft zu verschaffen. Im vorliegenden Fall ist die Nebenklage entscheidend, weil nur sie die Berufung des Vaters gegen den Vorwurf des vorsätzlichen Tötens (Totschlag) ermöglicht.
Tatauslegung und prozessuale Tat (§ 264 StPO)
Die prozessuale Tat bezeichnet die Tat, die Gegenstand des Strafverfahrens ist – und zwar nicht nur in der Form, wie sie in der Anklageschrift steht, sondern so, wie sie sich im Laufe der Hauptverhandlung darstellt (§ 264 StPO). Das bedeutet, verschiedene Handlungen können als Teil einer einheitlichen Tat angesehen werden, wenn sie eng miteinander verbunden sind und als ein zusammenhängendes Geschehen erscheinen. Dadurch kann etwa auch ein Verhalten nach einem Tatgeschehen noch zur ursprünglichen Tat gezählt werden, was Verfahren und Rechtsmittel beeinflusst. Im Fall des OLG Bamberg führte diese Auslegung dazu, dass das Verhalten des Unfallverursachers unmittelbar nach dem Unfall (Unterlassen von Rettungsmaßnahmen) als Teil derselben Tat wie der Unfall selbst gilt.
Beispiel: Wenn jemand bei einem Einbruch erst eine Tür aufbricht und danach den Tresor ausraubt, werden beide Handlungen trotz zeitlicher Trennung als einheitliche Tat gewertet, weil sie zusammengehören.
Garantenpflicht (§ 13 StGB)
Die Garantenpflicht ist eine besondere rechtliche Verpflichtung, die eine Person trifft, um einen bestimmten Schaden oder Tod zu verhindern. Sie entsteht etwa durch eine vorherige gefährliche Handlung oder besondere Beziehungen. Im Strafrecht ist die Garantenstellung wichtig, weil eine Person nur dann wegen Unterlassens (Nicht-Handelns) bestraft werden kann, wenn sie eine solche Garantenpflicht hat. Im hier behandelten Fall hat der Unfallverursacher durch seine Handlung den Unfall und damit eine Gefahrenlage geschaffen, weshalb er als Garant für das Unfallopfer gilt. Daraus ergibt sich die Pflicht, lebensrettende Maßnahmen einzuleiten oder Hilfe zu organisieren. Wird diese Pflicht verletzt, kann das strafrechtlich als Totschlag durch Unterlassen gewertet werden.
Beispiel: Wenn jemand ein Haus anzündet, muss er verhindern, dass Menschen verletzt werden, etwa indem er Alarm schlägt oder Feuerwehr ruft; sonst macht er sich strafbar.
Totschlag durch Unterlassen
Totschlag durch Unterlassen bezeichnet die vorsätzliche Herbeiführung des Todes, nicht durch aktives Tun, sondern durch bewusste Nicht-Handlung trotz bestehender Pflicht zum Eingreifen. Damit eine solche Unterlassung strafbar ist, muss eine Garantenpflicht bestehen, die Person muss die Möglichkeit und Pflicht zum Handeln gehabt und den Tod billigend in Kauf genommen haben. Im Gegensatz zur fahrlässigen Tötung (Unfall ohne Vorsatz) verlangt der vorsätzliche Totschlag durch Unterlassen einen sogenannten „dolus eventualis“ – also die zumindest bedingte Inkaufnahme des Todes. Im Fall des OLG Bamberg war der zentrale Streitpunkt, ob das Unterlassen der Rettungsmaßnahmen nach dem Unfall eine solche vorsätzliche Tat darstellen kann.
Beispiel: Ein Autofahrer verursacht einen Unfall und sieht, dass der Verletzte schwer blutet. Wenn er dann absichtlich keine Hilfe organisiert, obwohl er das könnte, und der Verletzte stirbt, kann dies als Totschlag durch Unterlassen gelten.
Berufung (§§ 312, 322 StPO)
Die Berufung ist ein Rechtsmittel gegen Urteile der ersten Instanz, das eine vollständige Überprüfung von Tat-und Schuldfrage durch eine höhere Instanz ermöglicht. Sowohl die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte als auch in bestimmten Fällen Nebenkläger können Berufung einlegen. Die Zulässigkeit hängt unter anderem davon ab, ob das Rechtsmittel innerhalb der gesetzlichen Frist und gegen ein Urteilsurteil eingelegt wird. Besonders wichtig ist, dass die Berufung sich auf die „ursprüngliche Tat“ beziehen muss. Im vorliegenden Fall war die zentrale Frage, ob die Berufung des Nebenklägers gegen einen Vorsatztatvorwurf zulässig ist, obwohl dieser nicht explizit in der Anklageschrift genannt wurde. Das OLG entschied, dass das Verhalten nach dem Unfall Teil der ursprünglichen Tat ist, was die Berufung zulässig macht.
Beispiel: Nach einem Schuldspruch nimmt der Angeklagte Berufung ein, weil er eine mildere Strafe oder eine Freispruch verlangt. Auch Angehörige des Opfers können unter bestimmten Voraussetzungen Berufung einlegen, wenn das Strafverfahren ihnen Rechte einräumt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 264 Strafprozessordnung (StPO): Diese Vorschrift regelt, dass Gericht und Staatsanwaltschaft sich grundsätzlich auf die in der Anklage bezeichnete Tat und deren genaue Ausgestaltung nach Hauptverhandlungsergebnis beziehen. Die „Tat“ wird dabei prozessual weit gefasst und kann auch mehrere unmittelbar zusammenhängende Handlungen oder Unterlassungen umfassen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG Bamberg stellte fest, dass das Unfallgeschehen und das Verhalten nach dem Unfall als prozessuale Tat eine Einheit bilden, wodurch auch der Totschlagsvorwurf durch Unterlassen als Teil der angeklagten Tat gilt und die Berufung zulässig ist.
- § 13 Strafgesetzbuch (StGB) – Garantenpflicht: Der Paragraph definiert die Pflicht zur Lebensrettung oder Verhinderung eines Schadens aus einer besonderen Beziehung oder vorheriger Handlung, die eine Garantenstellung begründet. Das Unterlassen dieser Pflicht kann strafbar sein. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Autofahrer hatte durch das Verursachen der gefährlichen Situation eine Garantenstellung für die verletzte Person, womit das mutmaßliche Unterlassen von Rettungsmaßnahmen den Tatbestand des Totschlags durch Unterlassen erfüllen könnte.
- § 212 StGB – Totschlag: Umfasst die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen ohne besondere Mordmerkmale. Auch durch Unterlassen kann Totschlag begangen werden, wenn eine Garantenpflicht verletzt wurde. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Vater des Opfers fordert eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen, da er zuschreibt, dass das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen den Tod seines Sohnes verursacht oder mitverursacht hat.
- § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO – Nebenklage: Regelt, dass in bestimmten schweren Straftaten eine Nebenklage zulässig ist, wodurch Betroffene eigene Rechte wie Berufung im Verfahren erhalten. Totschlag gehört zu diesen Delikten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Aufgrund der Nebenklagebefugnis darf der Vater des Opfers Berufung wegen des schweren Vorwurfs (Totschlag) einlegen, soweit dieser sich auf die „angeklagte Tat“ bezieht.
- § 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung: Strafbar macht sich, wer bei einem Unglücksfall keine Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und zumutbar wäre. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die mutmaßlich unterlassenen Rettungsmaßnahmen unmittelbar nach dem Unfall können eine strafbare unterlassene Hilfeleistung darstellen, die im Kontext der Tat als Folge des Unfalls relevant ist und zur Prüfung des Totschlagsvorwurfs beiträgt.
- § 142 StGB – Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort: Strafrechtliche Regelung über das Verlassen des Unfallortes ohne angemessene Maßnahmen; dient dem Schutz der Unfallopfer und der Strafverfolgung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG verweist auf die Rechtsprechung, dass bei Zusammenfallen von Unfallflucht und unterlassener Hilfeleistung eine Tatidentität im Sinne von § 264 StPO angenommen wird, was die rechtliche Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat im vorliegenden Fall stützt.
Das vorliegende Urteil
OLG Bamberg – Az.: 1 Ws 135/22 – Beschluss vom 24.03.2022
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