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Strafaussetzung zur Bewährung – Bewährungswiderruf trotz positiver Prognose

KG Berlin – Az.: 2 Ws 60/14 – 141 AR 47/14 – Beschluss vom 14.02.2014

Die sofortigen Beschwerden der Verurteilten gegen die gleichlautenden Beschlüsse des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 2. Januar 2014 werden verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte die Beschwerdeführerin am 9. Januar 2004 wegen Diebstahls in drei Fällen sowie wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Weiterhin verhängte dasselbe Gericht am 14. Juni 2001 wegen Diebstahls und Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Hausfriedensbruchs eine Jugendstrafe von sechs Monaten mit Bewährung. Nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung verbüßte die Verurteilte beide Strafen teilweise, bis die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin die restlichen Freiheitsstrafen durch Beschluss vom 18. Januar 2006 ab dem 9. Februar 2006 auf die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aussetzte. Während des Laufes der Bewährungszeit wurde die Beschwerdeführerin erneut straffällig und deshalb vom Amtsgericht Tiergarten am 1. Dezember 2006 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 19. März 2007 wegen Diebstahls (Tatzeit 1. März 2006) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Im Hinblick darauf verlängerte die Strafvollstreckungskammer die Bewährungszeit durch Beschluss vom 19. Juli 2007 um ein Jahr. Weiterhin verurteilte das Amtsgericht Tiergarten die Beschwerdeführerin am 3. März 2009 wegen Betruges in elf Fällen (Tatzeit Februar 2007 bis Dezember 2007) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung. Daraufhin verlängerte die Strafvollstreckungskammer am 23. Juni 2009 die Bewährungszeit um weitere zwei Jahre. Am 6. September 2013 (rechtskräftig seit 14. September 2013) verurteilte das Amtsgericht Tiergarten die Beschwerdeführerin wegen Betruges (Tatzeit Juli 2010 bis März 2011) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung. Im Hinblick auf diese Straftaten hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin mit dem angefochtenen Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.

1. Die sofortigen Beschwerden der Verurteilten sind zulässig, insbesondere statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO), haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.

a) Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB sind gegeben. Die Beschwerdeführerin hat innerhalb der Bewährungszeit erneut Straftaten begangen und dadurch gezeigt, dass sich die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung, sie werde sich gesetzestreu verhalten, nicht erfüllt hat.

Die neuen Taten sind als Widerrufsgrund geeignet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts genügt dafür jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Oktober 2008 – 2 Ws 494/08 – und vom 15. Juni 2005 – 5 Ws 285/05 – juris – jeweils mit weit. Nachweisen). Die verhängten Einzelfreiheitsstrafen von neun und zehn Monaten sowie die Geldstrafe bringen die Erheblichkeit des jeweils abgeurteilten Sachverhalts hinreichend zum Ausdruck.

b) Mildere Maßnahmen als der Widerruf (§ 56f Abs. 2 StGB) reichen nicht aus. Sie wären nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts nur dann eine angemessene Reaktion auf das erneute Versagen der Verurteilten, wenn objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass diese künftig ein straffreies Leben führen wird (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2006 – 5 Ws 215/06 – juris). Die günstige Prognose setzt dabei mehr voraus als den Willen, sich künftig straffrei zu führen. Es muss auch die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu stützen; sie darf nicht unterstellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 30. März 2010 – 2 Ws 74/10 – mit weit. Nachweisen). Dabei ist von Bedeutung, dass der Widerruf nicht der Ahndung des Bewährungsbruchs dient, sondern dass auf der Grundlage der aktuellen Lebenssituation prognostisch bewertet werden muss, ob der Verurteilte seine kriminelle Lebensführung geändert hat oder mit einer solchen Änderung aufgrund nachvollziehbarer Tatsachen höchstwahrscheinlich zu rechnen ist (Senat a.a.O. mit weit. Nachw.). An derartigen Tatsachen fehlt es hier.

Die Begehung und Ahndung von Straftaten zieht sich seit ihrem 15. Lebensjahr wie ein roter Faden durch das Leben der Beschwerdeführerin. Vorwiegend wegen Diebstahls und Körperverletzung erfolgte jugendrechtliche Maßnahmen – darunter auch Jugendarrest – verfehlten ihre Wirkung. Denn die Beschwerdeführerin verübte sodann (zunächst) die dem hiesigen Verfahren zugrunde liegenden Straftaten. Selbst die Strafvollstreckung in dieser Sache sowie die Vollstreckung einer wegen Diebstahls verhängten zweimonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. März 2003 konnten die Verurteilte nicht zu einem rechtstreuen Verhalten bewegen.

Nicht einmal einen Monat nach ihrer Haftentlassung verübte die Beschwerdeführerin die erste in die Bewährungszeit fallende Straftat. Dieses kriminelle Verhalten setzte sie sodann in der Zeit von Februar 2007 bis Dezember 2007 fort, in dem sie Waren mit ihrer EC-Karte einkaufte, obwohl sie weder willens noch imstande war, die Artikel zu bezahlen, weil ihr Konto keine Deckung aufwies. Das Amtsgericht stellte der Beschwerdeführerin in seinem Urteil vom 3. März 2009 ungeachtet dessen eine günstige Prognose, da ihr eindringlich vor Augen geführt worden sei, welche Konsequenzen bei weiteren Straftaten drohen und sie eine Ausbildung absolvierte. Auch die Strafvollstreckungskammer wies sie in ihrem Verlängerungsbeschluss darauf hin, dass jeder weitere Bewährungsbruch den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge hat. Gleichwohl wurde die Beschwerdeführerin ab Juli 2010 wieder einschlägig straffällig. Tatsachen, die dennoch eine günstige Vorausschau ermöglichen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt das Ausbildungsverhältnis der Verurteilten keine andere Beurteilung. Diese Ausbildung plante sie bereits im Jahre 2006, also vor acht Jahren. Seither ist es ihr immer wieder gelungen, diese Ausbildung als günstigen Prognosefaktor vorzuschieben; sie wurde trotzdem immer wieder straffällig. Obwohl sie diese Ausbildung im Juli 2010 – offensichtlich ohne Abschluss – beendet hatte, teilte sie dies der Arbeitsagentur nicht mit, sondern bezog bis März 2011 weiter unberechtigt Ausbildungsbeihilfe. In der Anhörung vom 8. Oktober 2011 gab die Beschwerdeführerin an, durch die Prüfung gefallen zu sein und diese im März 2012 wiederholen zu wollen. Gleichwohl beendete sie diese Ausbildung nicht, sondern hielt sich eigenen Angaben nach mehrere Monate in Spanien auf. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich nicht, wieso dieses Arbeitsverhältnis nunmehr eine stabilisierende Wirkung haben könnte.

c) Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf einer Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem aufgrund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 – 2 Ws 498/13 – und vom 12. April 2010 – 2 Ws 175/10 – mit weit. Nachweisen), steht einem Widerruf vorliegend nicht entgegen. Denn dieser Grundsatz gilt nur dann, wenn dessen Prognose durch neue Tatsachen nachvollziehbar belegt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Juni 2003 – 5 Ws 263/03 – und 21. Mai 2003 – 5 Ws 177/03 – mit weit. Nachweisen).

Daran fehlt es hier. Die Bewährungsentscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten überzeugen nicht. Dass ihr keineswegs – wie im Urteil vom 3. März 2009 ausgeführt – (jedenfalls ohne bleibenden Erfolg) eindringlich vor Augen geführt wurde, welche Konsequenzen bei weiteren Straftaten drohen, ergibt sich bereits daraus, dass sie bereits kurze Zeit später wieder straffällig wurde. Auch die dort angeführte Ausbildung hinderte ihr kriminelles Tun nicht. Angesichts des Werdeganges der Verurteilten, die im Jahre 2011 auch den Kontakt zu ihrem Bewährungshelfer abgebrochen hat, ist die erneute Bewährungsentscheidung des Amtsgerichts vom 6. September 2013 schlicht nicht nachvollziehbar. Aufgrund der festgestellten Mängel in den Begründungen der Prognoseentscheidungen stehen die beiden jüngsten Bewährungsentscheidungen dem Widerruf nicht entgegen.

2. Eine Frist innerhalb der der Widerruf erfolgen muss, sieht das Gesetz nicht vor, insbesondere § 56g Abs. 2 Satz 2 StGB ist nicht entsprechend anwendbar (vgl. OLG Hamm NStZ 1998, 478, 479; Senat NJW 2003, 2468, 2469). Grundsätzlich hindert der Ablauf der Bewährungszeit den Widerruf nicht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. BGH NStZ 1998, 586; OLG Hamm a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ 1988, 501; Senat, Beschluss vom 15. August 2001 – 5 Ws 437/01 -). Der dafür maßgebliche Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein festlegen; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das Kriterium (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Februar 1996 – 5 Ws 471/95 -). Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte, oder ob das Verfahren ohne einen solchen ungebührlich verzögert wurde. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss(vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 1996 – 5 Ws 7/96 -).

Die Prüfung des Einzelfalls ergibt, dass das Widerrufsverfahren hier noch ausreichend zügig betrieben wurde. Im Mai 2012 wurde die Verurteilte darauf hingewiesen, dass vor Entscheidung über den Straferlass noch der Ausgang eines Verfahrens abgewartet wird. Im September 2013 wurde das zum Widerruf führende Verfahren abgeschlossen, so dass sich ein Vertrauenstatbestand nicht bilden konnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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