BGH – Az.: 4 StR 347/13 – Urteil vom 19.12.2013
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers Z. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt Freispruch, hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Der Nebenkläger Z. strebt eine Verurteilung we-gen Totschlags (§ 212 StGB) an. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen getroffen:
In der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 war der Angeklagte zusammen mit G., M. und S. auf dem Weg zur Wohnung seines Vaters, wo sie von D. und Y. erwartet wurden. Kurz vor dem Erreichen der Wohnung trafen sie auf den später getöteten F. und die Zeugen Fe., O., Su., Ga. und Gr. . Die Stimmung in der Gruppe um F. war alkoholbedingt ausgelassen bis gereizt. F. und Fe. beschimpften den Angeklagten und G. als „Hurensöhne“ und bezeichneten M. und S. als „Schlampen“. Dabei tat sich der eine körperliche Auseinandersetzung suchende F. besonders hervor. Während der Angeklagte und seine weiblichen Begleiterinnen auf die Provokationen nicht eingingen, reagierte G. mit Beleidigungen in Richtung des F. und seiner Begleiter und gab diesen zu verstehen, sie sollten wenige Minuten abwarten, „dann würden sie schon sehen“.
Sodann begaben sich der Angeklagte und seine Begleiter in die nahe gelegene Wohnung. Dort berichtete G. den wartenden D. und Y. , dass sie auf der Straße vor dem Haus „angemacht“ worden seien und draußen Leute warten würden, die auf eine Schlägerei aus seien. Man solle hinuntergehen, um die Sache zu klären. Der Angeklagte, der dieser Aufforderung nicht ausschließbar nur widerwillig nachkam, entnahm aus einer Schublade zwei Küchenmesser und übergab diese Y. , der sie an D. und G. weiterreichte. Y. hatte zudem eine Shisha-Zange bei sich. Dem Angeklagten und seinen Begleitern war dabei bewusst, dass sie sich in eine alkoholbedingt aufgeladene Situation begeben würden, bei der auch mit Tätlichkeiten ernstlich zu rechnen war.
Als der Angeklagte und seine drei männlichen Begleiter unter der Führung von D. vor das Haus traten, wurden sie von der im Halbkreis aufgestellten Gruppe um F. erwartet. Während sich die als Wortführer auftretenden D. und F. zunächst ein Wortgefecht lieferten, trennten sich einzelne Personen aus den jeweiligen Gruppen heraus. Dabei kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen G. einerseits und Gr. und S. andererseits, bei der G. eines der Küchenmesser als Drohmittel einsetzte. Der Angeklagte und Fe. führten ein wenig abseits stehend ein Gespräch, bei dem sie übereinkamen, dass eine Schlägerei überflüssig sei und die Streitenden auseinandergebracht werden müssten. Nachdem es unterdessen zwischen einigen Mitgliedern der beiden Gruppen bereits zu Schubsereien gekommen war, wobei sowohl F. , als auch D. zu Boden gingen, trat der Angeklagte wieder hinzu, um D. von einer tätlichen Auseinandersetzung abzuhalten. Dies gelang ihm jedoch nicht. Stattdessen kam es zu einer „heftigen Schlägerei“ zwischen D. und F. , bei der der Angeklagte daneben stand und das Geschehen beobachtete.
Weil sie möglicherweise der Mut verlassen hatte, ergriffen G., D. und Y. die Flucht in Richtung eines nahe gelegenen Spielplatzes und ließen den Angeklagten alleine vor dem Wohnhaus zurück. Im Weglaufen drückte ihm D. noch mit dem Wort „hier“ eines der Küchenmesser in die Hand. Unterdessen flog eine zuvor von dem Angeklagten auf dem Boden abgestellte Wodkaflasche in Richtung der Gruppe um F. . Ob die Flasche von einem der Flüchtenden aus der Gruppe des Angeklagten geworfen wurde, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Die Gruppe um F. lief nun – von ihm angeführt – auf den allein auf einer Rasenfläche stehenden Angeklagten zu, um ihn anzugreifen. F. stürzte sich auf den Angeklagten und versetzte ihm ein bis zwei Schläge und Tritte. In dieser Situation führte der Angeklagte das Messer einmal „ziellos nach vorne“ in die Richtung des ihn angreifenden F. , um erwartete weitere Schläge und Tritte abzuwehren und sich zu verteidigen. Den Eintritt eines Verletzungserfolges nahm er dabei billigend in Kauf. Er traf F. mit dem Messer im Bereich des Halses und fügte ihm eine 11 cm tiefe Stichverletzung zu. Einen gezielten Stich in den Halsbereich und die billigende Inkaufnahme von für möglich gehaltenen tödlichen Verletzungen hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Auch hat es sich nicht davon überzeugen können, dass es dem Angeklagten in der konkreten Situation möglich gewesen wäre, sich befürchteten weiteren Tätlichkeiten des Getöteten durch mildere Mittel oder ein Weglaufen zu entziehen.
Nach dem Stich ließ F. von weiteren Tätlichkeiten ab. Der Angeklagte hob das zunächst fallengelassene Messer wieder auf und lief zu D., G. und Y. , die sich auf dem Spielplatz gesammelt hatten. Nachdem er an dem Messer Blutantragungen bemerkt hatte, äußerte er auf der sich anschließenden gemeinsamen Flucht vom Tatort: “Ich hab wohl einen abgestochen“.
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 StGB gewertet. Zwischen F. und den Zeugen D. , G. , Su. und Ga. sei es zu wechselseitigen Körperverletzungen, mithin zu einer Schlägerei i.S.d. § 231 Abs. 1 StGB gekommen. An dieser Schlägerei sei der Angeklagte beteiligt gewesen, obgleich er selbst nicht geschlagen habe. Der Angeklagte habe sich in Kenntnis der Tatsache, dass auf der Straße eine gewaltbereite, überzählige Gruppe wartete, mit seiner Gruppe dorthin begeben, um die Sache zu klären. Damit habe er sich wissentlich in eine Situation begeben, in der unmittelbar mit Tätlichkeiten zu rechnen gewesen sei. Dieses Gesamtgeschehen reiche aus, um eine psychische Beteiligung des Angeklagten von Beginn der Auseinandersetzung an zu begründen (UA 19).
Eine Bestrafung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB scheide aus, weil die Tat durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei (§ 32 Abs. 2 StGB). Der Messerstich sei zur Abwehr des noch andauernden Angriffs des F. geeignet und erforderlich gewesen, da dem Angeklagten keine wirksameren Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Ob sein Notwehrrecht wegen eines zu missbilligenden Vorverhaltens eingeschränkt gewesen sei, könne dahinstehen, da er sich der Notwehrlage auch nicht durch ein Weglaufen habe entziehen können (UA 24). Das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes hat das Landgericht unter anderem mit der Erwägung verneint, dass der Angeklagte das Messer „ziellos“ nach vorne geführt habe und durch einen Verteidigungs- und nicht durch einen Tötungswillen motiviert gewesen sei (UA 21).
II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die Verurteilung wegen Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
Eine Schlägerei im Sinne des § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB ist eine mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirken (BGH, Urteile vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; vom 21. Oktober 1982 – 4 StR 526/82, BGHSt 31, 124, 125; vom 21. Februar 1961 – 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils ergeben nicht, dass es im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens zu Tätlichkeiten unter mindestens drei Personen gekommen ist.
a) Als eine für das Tatbestandsmerkmal Schlägerei konstitutive Tätlichkeit können neben zu vollendeten Körperverletzungen führenden Handlungen auch solche in Betracht kommen, die auf deren Herbeiführung abzielen (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1959 – 5 StR 289/59, GA 1960, 213; LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., § 231 Rn. 4; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 231 Rn. 3 mwN). Eine Tätlichkeit in diesem Sinn verübt auch, wer sich in Ausübung seines Notwehrrechts gegen einen Angriff in „Trutzwehr“ wendet (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; Urteil vom 21. Februar 1961 – 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370 f.; Küper, Strafrecht BT, 5. Aufl., S. 246).
Daran gemessen begegnet die Annahme einer Schlägerei durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, dass es zu wechselseitigen Körperverletzungen zwischen F. und den Zeugen D., G., Su. und Ga. gekommen sei, findet sich dafür in den Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung nur in Bezug auf F. und D. („heftige Schlägerei“) ein ausreichender Beleg. Hinsichtlich G. und Su. ist lediglich eine „verbale Auseinandersetzung“ festgestellt, an der auch noch Gr. beteiligt war. Zudem drohte G. beiden mit einem Messer. Dass in diesem Zusammenhang auch Tätlichkeiten verübt wurden, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die zu den „Schubsereien“ getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, ob es dabei zu Körperverletzungen oder darauf abzielenden Handlungen gekommen ist. Zudem bleibt offen, ob neben den dabei zu Boden gegangenen D. und F. noch weitere Personen beteiligt waren. Die Feststellungen zum Wurf der Wodkaflasche reichen für eine Beurteilung als tatbestandskonstitutive Tätlichkeit einer dritten Person nicht aus, da er nicht ausschließbar von D. ausgeführt worden sein kann.
b) Mit der Frage, ob es sich bei dem abschließenden Geschehen, bei dem es zu (weiteren) Tätlichkeiten zwischen F. (ein bis zwei Schläge und Tritte) und dem Angeklagten (Messerstich) kam, um einen Teilakt einer bereits zuvor begonnenen und noch fortdauernden einheitlichen tätlichen Auseinandersetzung handelte, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Dies versteht sich indes nicht von selbst.
Die für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Schlägerei erforderlichen wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehr als zwei Personen müssen nicht gleichzeitig begangen werden (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369). Eine Schlägerei im Sinne des § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB kann vielmehr auch anzunehmen sein, wenn nacheinander jeweils nur zwei Personen gleichzeitig wechselseitige Tätlichkeiten verüben, zwischen diesen Vorgängen aber ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass eine Aufspaltung in einzelne „Zweikämpfe“ nicht in Betracht kommt und die Annahme eines einheitlichen Gesamtgeschehens mit mehr als zwei aktiv Beteiligten gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369; vgl. RG, Urteil vom 24. Februar 1925 – I 61/25, RGSt 59, 107, 108 f. zum von mehreren verübten Angriff; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 231 Rn. 2; NK-StGB/Paeffgen, 3. Aufl., § 231 Rn. 5; Pichler, Beteiligung an einer Schlägerei, 2010, S. 47). Allerdings verliert eine tätliche Auseinandersetzung zwischen mehr als zwei Personen den Charakter einer Schlägerei, wenn sich so viele Beteiligte entfernen, dass nur noch zwei Personen verbleiben, die aufeinander einschlagen oder in anderer Weise gegeneinander tätlich sind (RG, Urteil vom 27. September 1938 – 4 D 646/38, JW 1938, 3157; Eisele, ZStW 110 [1998], S. 69, 72; Henke, Jura 1985, 585, 586; Saal, Die Beteiligung an einer Schlägerei, 2005, S. 44).
Ob ein einheitliches Gesamtgeschehen bis zum Ende vorlag, hätte der Prüfung durch die Strafkammer bedurft. Daran fehlt es indes. Das Schwurgericht hat in seiner rechtlichen Würdigung zwar darauf verwiesen, dass „eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen“ sei. Es hat dabei aber nicht – wie geboten – darauf abgestellt, ob in diese auch der Messerstich des Angeklagten einzubeziehen ist, sondern allein darauf, ob „eine Beteiligung des Angeklagten … von Beginn der Tätlichkeiten an“ vorlag (UA 19).
2. Die Sache bedarf daher auf die Revision des Angeklagten neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass dabei Feststellungen getroffen werden können, die eine Bestrafung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer Schlägerei rechtfertigen.
III.
Die Revision des Nebenklägers Z. hat ebenfalls Erfolg.
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte könne nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB bestraft werden, weil der tödliche Stich zur Angriffsabwehr erforderlich und deshalb durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 449/13 Rn. 6; Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Dabei geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes dabei jedoch keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274).
b) Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht. Für die Annahme, dem Angeklagten wäre eine erfolgversprechende Androhung des Messereinsatzes nicht möglich gewesen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.
Das Landgericht hat sich außerstande gesehen, konkrete Feststellungen zum Geschehen unmittelbar vor dem tödlichen Stich zu treffen und deshalb seiner Entscheidung die unwiderlegte Einlassung des Angeklagten zugrunde gelegt. Dieser – in einer gebilligten Verteidigererklärung liegenden – Einlassung lässt sich zum äußeren Geschehen jedoch lediglich entnehmen, dass F. dem Angeklagten vor dem tödlichen Stich mindestens zwei Schläge und einen Tritt versetzte, der Angeklagte das Messer zu diesem Zeitpunkt bereits in der Hand hielt und der tödliche Stich von ihm „ziellos“ nach vorne geführt wurde (UA 12). Eine nähere Beschreibung der „Kampflage“, die für eine objektive Bewertung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten herangezogen werden könnte, enthalten diese Angaben nicht.
Zwar darf sich das Fehlen von sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973), doch hätte das Landgericht an dieser Stelle in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte auch behauptet hat, den tödlichen Stich nur geführt zu haben, „um sein Gegenüber zu erschrecken“ und dadurch von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten (UA 12). Diese Einlassung deutet darauf hin, dass er selbst in der Androhung des Messereinsatzes eine realistische Verteidigungsmöglichkeit gesehen hat. Warum diese Einschätzung bei objektiver Betrachtung unzutreffend ist, obgleich die Auseinandersetzung bis dahin nur auf – offenkundig folgenlose – Schläge und Tritte begrenzt war, hätte näherer Darlegung bedurft. Die Feststellung, dass die gesamte Gruppe um F. in Angriffsabsicht auf den Angeklagten zugelaufen sei, findet in der zugehörigen Beweiswürdigung keine Stütze. Nach der zugrunde liegenden Einlassung des Angeklagten wurde nur F. tätlich. Auch hat er nur damit gerechnet, von diesem verprügelt zu werden (UA 12).
2. Dieser Rechtsfehler führt dazu, dass das angegriffene Urteil auch auf die Revision des Nebenklägers aufzuheben ist.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
a) Sollte der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangen, dass sich der Angeklagte auf eine einvernehmliche Prügelei eingelassen hat, bei der sich Angriffe und Abwehrhandlungen aneinanderreihen, wird er zu bedenken haben, dass sich in Ermangelung eines Verteidigungswillens nicht auf Notwehr berufen kann, wer dabei zum Messer greift und auf seinen Gegner einsticht, weil er den Kürzeren gezogen hat (BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – 5 StR 106/90, NStZ 1990, 435; Urteil vom 25. August 1977 – 4 StR 229/77, bei Holtz, MDR 1978, 109 mwN). Allerdings kann sich auch für den Beteiligten an einer einvernehmlichen Prügelei eine Notwehrlage ergeben, wenn er zu erkennen gegeben hat, dass er den Kampf nicht fortsetzen will und danach zum allein Angegriffenen wird (BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – 5 StR 106/90, NStZ 1990, 435; Urteil vom 6. Juli 1965 – 1 StR 204/65, bei Dallinger, MDR 1966, 23).
b) Ergeben die neuen Feststellungen, dass sich der Angeklagte bei der Ausführung des Messerstichs gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigt hat, wird zu prüfen sein, ob er mit Blick auf die Rechtsprechung zur Notwehrprovokation (vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333; vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f.; vom 7. Februar 1991 – 4 StR 526/90, Rn. 22; vom 15. Mai 1975 – 4 StR 71/75, BGHSt 26, 143, 145) nur eingeschränkt von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen durfte. Hierzu wird dann Anlass bestehen, wenn sich (wiederum) ergibt, dass der Angeklagte seine Begleiter durch die Bereitstellung der Messer und seine Teilnahme an der Konfrontation mit der Gruppe um F. in ihrer Streitlust bestärkt hat und sich der spätere Angriff auf ihn als eine adäquate und voraussehbare Folge des von ihm mit ausgelösten Geschehens erweist.
c) Der neue Tatrichter wird auch zu bedenken haben, dass ein bedingter Tötungsvorsatz nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden kann, der Angeklagte sei durch einen Verteidigungs- und nicht durch einen Tötungswillen motiviert gewesen. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445; Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Die Absicht, sich verteidigen zu wollen, steht daher der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Hat der Täter – wie vom Angeklagten behauptet – „panische Angst“, kann dies sogar eher für als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechen. Ferner wird zu berücksichtigen sein, dass ein „ziellos“ geführter Messerstich zwar einen direkten, nicht aber ohne Weiteres einen bedingten Tötungsvorsatz ausschließt. Schließlich hat der in der Gesamtwürdigung enthaltene Hinweis auf die bei der Tötung eines anderen Menschen bestehende besondere Hemmschwelle – für sich genommen – kein argumentatives Gewicht (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 31 ff.).