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Strafverfahren – Rechtswidrige Verwerfung eines Richterablehnungsgesuchs

Oberlandesgericht Hamburg – Az.:  2 – 45/14 (REV) – 1 Ss 78/14 – Beschluss vom 12.09.2014

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 10, vom 18. Dezember 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den verteidigten Angeklagten am 15. März 2013 wegen „gemeinschaftlichen“ Computerbetrugs in 11 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Gegen dieses Urteil haben Staatsanwaltschaft und Angeklagter Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 18. Dezember 2013 hat das Landgericht auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das amtsgerichtliche Urteil geändert, den Angeklagten des Computerbetruges in 9 Fällen für schuldig befunden und zugleich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren vier Monaten erkannt; die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.

Hiergegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die er mit am 27. März 2014 eingegangenem Verteidigerschriftsatz – nachdem dem Angeklagten auf Grund richterlicher Zustellungsverfügung die schriftlichen Urteilsgründe durch Niederlegung am 5. März 2014 zugestellt worden waren – mit mehreren Rügen der Verletzung des formellen Rechts und einer ausgeführten Sachrüge begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf angetragen, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Die Rüge, das Landgericht habe ein gegen den Vorsitzenden der kleinen Strafkammer angebrachtes Ablehnungsgesuch zu Unrecht abgelehnt, führt bereits zur Aufhebung des Urteils.

1. Der Rüge liegt der folgende Verfahrensablauf zu Grunde:

Nachdem der Verteidiger in der Hauptverhandlung am 4. November 2013 mehrere Beweisanträge gestellt hatte, erhielt er vom Staatsanwalt außerhalb der Hauptverhandlung am 12. November 2013 einen unter dem 5. November 2013 erstellten polizeilichen „Ermittlungsvermerk“ ausgehändigt, der polizeiliche Ermittlungen zu einem der zuvor gestellten Beweisanträge enthielt. Der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer hatte ebenfalls unter dem 12. November 2013 einen handschriftlichen Vermerk verfasst und ein Telefonat mit dem Staatsanwalt dokumentiert, das ein Ersuchen an diesen enthält, das Landeskriminalamt (LKA) mit Ermittlungen zu beauftragen. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. November 2013 lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung ab, der Vorsitzende habe ohne Gewährung rechtlichen Gehörs außerhalb der Hauptverhandlung polizeiliche Ermittlungen über die Staatsanwaltschaft initiiert. In seiner dienstlichen Äußerung führte der Vorsitzende daraufhin unter anderem aus, dass er sich nicht nur für befugt, sondern nach dem Amtsaufklärungsgrundsatz auch verpflichtet fühlt, dann – in der Akte dokumentiert – Nachermittlungen zu erbitten, wenn dies zur Wahrheitsfindung erforderlich erscheint. In seiner Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch erläuterte der Staatsanwalt den Verfahrensgang zu den Nachermittlungen; eine Erklärung zur behaupteten Initiative des Vorsitzenden Richters enthielt diese Stellungnahme nicht. Mit Schreiben vom 17. November 2013 ergänzte nun der Verteidiger das Ablehnungsgesuch und führte aus, dass vorliegend Richter und Staatsanwalt hinter dem Rücken des Verteidigers agiert und vom Verteidiger benannte Zeugen polizeilich hätten vernehmen lassen mit der Absicht, dass die Vernehmungen unter faktischem Ausschluss des Verteidigers und des Angeklagten vollzogen werden könnten. Hierzu bat der Verteidiger sodann, eine ergänzende dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters einzuholen. Der Vorsitzende äußerte sich darauf mit handschriftlichem Vermerk vom 18. November 2013:

„Ich sehe mich zu einer „ergänzenden dienstlichen Äußerung“ nicht veranlasst. Ein Anspruch darauf, dass ich Auskünfte erteile, besteht nicht. Ich bin nicht die Auskunft.“

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19. November 2013 lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da der abgelehnte Richter sich verweigere, Klarheit über seine Einbeziehung in das Zustandekommen der polizeilichen Ermittlungen außerhalb der Hauptverhandlung gegenüber Verteidiger und Angeklagtem zu schaffen; der Mangel an Objektivität ergebe sich zudem aus der brüsken und polemischen Form der Verweigerung (“ich bin nicht die Auskunft“).

Mit Beschluss vom 19. November 2013 wies das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 10, die Ablehnungsgesuche zurück, ohne zuvor eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters zum zweiten Befangenheitsgesuch einzuholen.

2. Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob in der Beanstandung der Revision, die Strafkammer habe bei der Verwerfung der Ablehnungsgesuche des Angeklagten § 24 Abs. 2 StPO verletzt, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO zu finden ist, da bereits wegen Fehlens der tatsächlichen Grundlage für eine Beurteilung der Begründetheit des zweiten Ablehnungsgesuchs ein bedingter Revisionsgrund anzunehmen ist und das angefochtene Urteil deshalb aufzuheben ist, weil es möglicherweise auf diesem Verfahrensfehler beruht (§ 337 StPO).

Die in dem zweiten Ablehnungsgesuch vom 17. November 2013 behauptete Tatsache, Richter und Staatsanwalt hätten hinter dem Rücken des Verteidigers agiert mit der Absicht, Vernehmungen unter faktischem Ausschluss des Verteidigers und des Angeklagten zu vollziehen, kann – sei es für sich, sei es in Verbindung mit dem Inhalt der Erklärung des abgelehnten Richters vom 18. November 2013 – sehr wohl die Auffassung rechtfertigen, dass der Angeklagte besorgte und auch besorgen konnte, der Vorsitzende Richter sei nicht mehr unbefangen; insoweit hatte sich der Angeklagte auch in diesem Ablehnungsgesuch – wie schon zuvor – zur Glaubhaftmachung auf eine dienstliche Äußerung des Vorsitzenden Richters bezogen. Der abgelehnte Richter hatte sich deshalb nach § 26 Abs. 3 StPO hierüber dienstlich zu äußern. Der Angeklagte und sein Verteidiger waren unter den Voraussetzungen des § 33 StPO hierzu zu hören. Alles dies ist nicht geschehen. Damit fehlt dem Senat eine wesentliche notwendige Entscheidungsgrundlage. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheit, dass nach Zurückweisung einer Ablehnung eines erkennenden Richters die Revision gegen dessen Urteil dann die in § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO gemeinte „Anfechtung“ des zurückweisenden Beschlusses ist und sachlich Beschwerderecht anwendbar wird, ist der Senat nicht gehalten, insoweit nachzuholen, was das Tatgericht im Ablehnungsverfahren aus Rechts- oder Tatsachenirrtum unterlassen hat (BGHSt 23, 203; 267; 25,126; Meyer-Goßner/Schmidt § 338 Rn. 27; LR- Siolek § 26 Rn. 25; KK-Gericke § 338 Rn. 63; andererseits LR-Franke § 338 Rn. 64; offen gelassen BGH NStZ-RR 2013, 168). Denn auch im Beschwerdeverfahren besteht – unbeschadet der rechtlichen Überlagerung dieses Überprüfungsverfahrens durch die zeitliche und inhaltliche Formstrenge der Revision (vgl. Dahs, Die Revision im Strafprozess, Rn. 162,164; Hamm, Die Revision im Strafverfahren, Rn. 358) – die Möglichkeit für das Beschwerdegericht, die Sache bei fehlender Entscheidungsreife an das untere Gericht zurückzuverweisen, denn der Sinn des Beschwerderechts liegt nicht zuvörderst in der Durchführung eigener Ermittlungen, sondern in der Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen mit der Möglichkeit gemäß § 308 Abs. 2 StPO, für diese Überprüfung notwendige ergänzende Ermittlungen durchzuführen (LR -Matt § 309 Rn. 12).

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich Fall 1 laut zugelassener Anklage am 28. August 2009 ereignet haben soll, die amts- und landgerichtlichen Urteilsfeststellungen offenbar ein Tatgeschehen am 28. Juli 2009 im Blick hatten.

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