OLG Koblenz – Az.: 1 Ss 125/13 – Beschluss vom 29.01.2014
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. Juli 2013 wird auf ihre Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als offensichtlich unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in acht Fällen – nach vorangehender Verurteilung durch das Amtsgericht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr – auf die Berufung der Staatsanwaltschaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Eine Berufung der Angeklagten hat es als unbegründet verworfen. Nach den Urteilsfeststellungen hatte die Angeklagte zusammen mit ihrem Ehemann …[A] in sieben Fällen in betrügerischer Absicht Waren über Internet-Plattformen zum Verkauf angeboten, diese – wie von Vornherein beabsichtigt – nach Erhalt einer Vorkasse aber nicht an ihre Kunden geliefert. Bei den Taten hatte sie nicht unerhebliche Bemühungen zur Verschleierung ihrer Identität entfaltet. In einem weiteren Fall hatte sie einen Rechtsanwalt mit ihrer Interessenwahrnehmung beauftragt, ohne zur Zahlung der entstehenden Gebühren bereit und in der Lage zu sein. Gegen das Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, die auf eine behauptete Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützt ist.
II.
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO). Soweit es die erhobene Sachrüge anbelangt, nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 4. September 2013. Einer näheren Erörterung bedarf allein die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Angeklagte beanstandet, dass das Landgericht frühere Aussagen ihres ehemals mitbeschuldigten Ehemannes …[A] nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt hat.
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:
Das vorliegende Verfahren richtete sich ursprünglich gegen die Angeklagte und ihren Ehemann …[A], denen die Staatsanwaltschaft – neben dem allein die Angeklagte betreffenden Betrugsvorwurf zu Lasten des Rechtsanwaltes – sieben mittäterschaftlich begangene Betrugstaten durch Internetgeschäfte zur Last gelegt hatte. Durch das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 25. Oktober 2012 wurde …[A] – neben der Angeklagten – wegen Betruges in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Verurteilung beruhte unter anderem auf der geständigen Einlassung des …[A] in der Hauptverhandlung. Das amtsgerichtliche Urteil ist hinsichtlich der Verurteilung von …[A] seit dem 19. März 2013 rechtskräftig.
Die Berufungshauptverhandlung gegen die Angeklagte fand vom 9. Juli bis zum 23. Juli 2013 statt. Der vormalige Mitangeklagte …[A] wurde in diesem Zeitraum aufgrund von anderweitigen Vollstreckungshaftbefehlen gesucht und war unbekannten Aufenthaltes. Er wurde in dem Berufungsverfahren weder vernommen, noch wurden seine früheren Angaben zu den Tatvorwürfen verwertet. Die Überzeugung von der Täterschaft der hierzu schweigenden Angeklagten stützt das Landgericht – soweit es die Betrugstaten durch Internetgeschäfte angeht – auf die Aussagen der geschädigten Kunden und weiterer Zeugen sowie auf Urkunden, durch die es die Verkaufsvorgänge und den Umstand belegt sieht, dass die dem Verkäufer benutzten Internetaccounts, die bei den Geschäften von Verkäuferseite angegebenen und genutzten Telefonverbindungen und die angegebene Anschrift der Angeklagten zuzuordnen sind.
2. Die Angeklagte meint, dass …[A] als Zeuge für das Berufungsgericht unerreichbar gewesen sei, so dass „zumindest über § 251 StPO hätte vorgegangen werden müssen“. Es hätte insoweit „der Verlesung früherer Aussagen“ des …[A] bedurft, insbesondere „eine Verlesung seiner vorherigen Einlassung als Beschuldigter erster Instanz“ (Bl. 772 d.A.). Der Zeuge …[A] – so die Revision weiter – „hätte ausgesagt, dass er die seiner Ehefrau …[B] vorgeworfenen Taten geplant hat und er es war, der an Kunden auszuliefernde Handys nicht abschickte“. …[A] hätte auch „aussagen können, in welchen Fällen seine Ehefrau …[B] von der nicht durchgeführten Auslieferung bezahlter Artikel keine Kenntnis hatte“ (ebd.).
3. Die als Beanstandung einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu wertende Rüge bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig, bliebe aber auch in der Sache ohne Erfolgsaussicht.
a) Die Rüge ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO erhoben. Der Senat hatte eine Neuzustellung des angefochtenen Urteils veranlasst, nachdem der Verteidiger der Angeklagten, an den die ursprüngliche Zustellung gerichtet war, ein nicht unterschriebenes Empfangsbekenntnis zu den Akten gereicht und auf Rückfragen des Senates nicht reagiert hatte (Bl. 741, 763f., 768 d.A.). Die erneute Zustellung ist am 18. Oktober 2013 erfolgt (Bl. 785 d.A.). Sowohl die erste, die Erhebung der allgemeinen Sachrüge umfassende Revisionsbegründung, die bereits am 13. August 2013 eingegangen war (Bl. 742 d.A.), als auch die am 30. September 2013 eingegangene Ergänzung der Revisionsbegründung um die Verfahrensrüge (Bl. 768 d.A.) sind bereits vor der Neuzustellung erfolgt. Eine solch „verfrühte“ Begründung zwischen Urteilsverkündung und nachgewiesener Zustellung ist unschädlich; sie wahrt die Frist des § 345 Abs. 1 StPO (vgl. Wiedner, in: BeckOK StPO, Ed. 17, § 345 Rdn. 1).
b) Die Verfahrensrüge genügt allerdings inhaltlich nicht den Mindestanforderungen an ihre Begründung nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Angeklagte bezeichnet – wozu sie im Rahmen einer Aufklärungsrüge gehalten wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 244 Rdn. 81 m.w.Nachw.) – bereits nicht das konkrete Beweismittel, dessen sich der Tatrichter nach ihrer Auffassung hätte bedienen müssen. Ob, bei der Gelegenheit und mit welchem Inhalt sich der Ehemann der Angeklagten in einer zur Verlesung nach § 251 StPO geeigneten Form in dem Verfahren geäußert hatte, trägt sie nicht vor. Wie die zugrunde liegenden Anklageschriften ergeben, hatte der seinerzeit mitbeschuldigte …[A] im Ermittlungsverfahren zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Im Verfahren erster Instanz vor dem Amtsgericht hatte er – wie die Revision verschweigt – lediglich Angaben zu seiner Person gemacht und am Ende der Hauptverhandlung die Tatvorwürfe pauschal eingeräumt. Anderweitige Angaben sind – zumal aus der Revisionsbegründung – nicht ersichtlich.
Zugleich fehlt es damit an der Darlegung von Umständen, die das Berufungsgericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen, und einer Begründung, inwiefern sich die unterbliebene Beweiserhebung zugunsten der Angeklagten ausgewirkt hätte. Die Ausführungen der Revision, dass …[A] als Zeuge in bestimmter Weise ausgesagt hätte, sind hierzu ungeeignet, denn die Revision vermisst nicht die Vernehmung des Zeugen, sondern die Einführung bereits vorhandener Erklärungen im Wege des Urkundenbeweises. Soweit die Angeklagte vorbringt, dass …[A] sich nunmehr in Untersuchungshaft befinde, und vor diesem Hintergrund erwägt, ob seine Vernehmung bei einem Aufschub des Verfahrens möglich gewesen wäre, ist damit eine – weitere – Aufklärungsrüge ersichtlich nicht verbunden. Die Angeklagte stellt die Unerreichbarkeit des Zeugen zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung nicht in Frage und lässt offen, ob – und welche – insoweit Aufklärungshandlungen des Gerichtes zu vermissen sind („Es mag auch dahinstehen…“, Bl. 772 d.A.).
c) Der Rüge käme – ihre Zulässigkeit unterstellt – auch in der Sache keine Erfolgsaussicht zu. Die von der Angeklagten begehrte Verlesung früherer Aussagen ihres Ehemannes wäre unzulässig gewesen. Zu einer Beweiserhebung, der rechtliche Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Tatrichter aber nicht gedrängt sein; mit einer Aufklärungsrüge kann sie nicht verlangt werden.
Die Verlesung früherer Angaben eines Zeugen oder Mitbeschuldigten bildet eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nach § 250 StPO, die nur innerhalb der von § 251 ff. StPO gezogenen Grenzen statthaft ist. Eine solche Verlesung kam hier nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 2 Nr. 1 StPO angesichts der Unerreichbarkeit des …[A] in Betracht. Dieser hatte im zurückliegenden Verfahren zwar ausschließlich die Stellung eines Beschuldigten inne, während ihm seit dem rechtskräftigen Abschluss des gegen ihn gerichteten Verfahrens die Rolle eines Zeugen zukommt (vgl. BGHSt 10, 8; 27, 138). Einer Verlesung stünde dieser Wechsel allerdings nicht entgegen. Auch die Aussage eines früheren Mitbeschuldigten aus einem abgetrennten oder bereits rechtskräftig erledigten Verfahren darf unter den Voraussetzungen von § 251 StPO in der Hauptverhandlung grundsätzlich verlesen werden (BGHSt 10, 186).
Als Ehemann der Angeklagten hatte der Zeuge …[A] allerdings das Recht, sein Zeugnis zu verweigern (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) mit der Folge, dass einer Einführung und Verwertung seiner früheren Aussage hier § 252 StPO entgegengestanden hätte. Die Verlesung der Einlassung eines früheren Mitbeschuldigten nach § 251 StPO ist in entsprechender Anwendung von § 252 StPO unzulässig, wenn dem früheren Beschuldigten ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde, falls er in der Hauptverhandlung nunmehr als Zeuge vernommen werden würde. Denn der Zeuge hatte von diesem Recht aufgrund seiner anderweitigen früheren Verfahrensstellung keinen Gebrauch machen können. Der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 252 StPO verbietet es daher auch, dass zur Überführung des Angeklagten auf Erklärungen zurückgegriffen wird, welche ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge als früherer Beschuldigter in dem auch gegen ihn gerichteten Strafverfahren allein unter dem Gesichtspunkt der Selbstverteidigung abgegeben hat (BGHSt 10, 186, 189 f.; 20, 384; BGH StV 1988, 185; NStZ 1997, 351; NStZ 2003, 217; BayObLG NJW 1978, 387). Dabei macht es im Hinblick auf die Gewährleistung der Aussagefreiheit des Zeugen keinen Unterschied, ob sich dieser in seiner nunmehrigen Verfahrensstellung bereits auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat, oder ob – wie hier – wegen der Unerreichbarkeit des Zeugen nicht feststeht, ob dies im Falle seiner Vernehmung geschehen würde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 252 Rdn. 11; Diemer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 252 Rdn. 11). Das Zeugnisverweigerungsrecht steht auch nicht zur Disposition der von § 52 Abs. 1 StPO benannten Bezugspersonen – hier: der Angeklagten –, sondern dient allein den persönlichen Belangen des Zeugen (BGHSt 45, 203).
Der Unverwertbarkeit früherer Angaben steht schließlich nicht entgegen, dass der Zeuge …[A] sich verborgen gehalten und dadurch seine Vernehmung verhindert hat. Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Flucht des Zeugen den Fortgang des gegen ihn gerichteten Verfahrens und damit zugleich verhindert hätte, dass seine Angaben während seiner fortdauernden Stellung als Mitbeschuldigter zulässigerweise (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 10 a.E.) in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnten (BGHSt 27, 139; Meyer-Goßner a.a.O.). So liegt es hier aber nicht.