AG Koblenz – Az.: 33 Ds 2010 Js 19175/19 (2) – Beschluss vom 31.03.2020
In dem Strafverfahren hat das Amtsgericht Koblenz am 31.03.2020 beschlossen:
Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin pp. vom 10.03.2020 wird der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichtes Koblenz vom 28.02.2020 abgeändert und die zu erstattenden Auslagen insgesamt auf 843,89 € inkl. Mehrwertsteuer festgesetzt.
2. Gerichtskosten fallen nicht an. Im Übrigen ist das Verfahren gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Koblenz warf der Angeklagten mit Anklageschrift vom 07.06.2019 vor, sich eines Diebstahls schuldig gemacht zu haben (Bl. 79 d.A.).
Das Hauptverfahren wurde mit Eröffnungsbeschluss vom 12.07.2019 eröffnet (BI. 85 d.A.) und gemäß Verfügung des Gerichtes vom 12.07.2019 (BI. 86 d.A.) der Termin zu Hauptverhandlung für Dienstag, den 01.10.2019 anberaumt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.07.2019 an das Amtsgericht Koblenz bestellte sich Rechtsanwältin pp. als Wahlverteidigerin der Angeklagten und wies darauf hin, dass sich die Angeklagte seit dem 17.07.2019 anlässlich des von Staatsanwaltschaft Saarbrücken geführten Ermittlungsverfahren zu dem Aktenzeichen 02 Js 1124/19 in Untersuchungshaft befindet und beantragte ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin (BI. 90 d.A.).
Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Koblenz ordnete das Amtsgericht Koblenz mit Beschluss vom 23.08.2019 Rechtsanwältin pp. gemäß §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO als Pflichtverteidigerin bei (BI. 101 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 04.09.2019 übersandte die Pflichtverteidigerin pp. dem Amtsgericht Koblenz den Haftbefehl des Amtsgerichtes Saarbrücken vom 17.07.2019 zu dem Geschäftszeichen ZBG-AR 1052/19 und regte mit Blick auf die in dem dortigen Verfahren zu erwartende Strafe an, das vor dem Amtsgericht Koblenz geführte Strafverfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen (BI. 108 ff. d.A.).
Nach erfolgter Zustimmung seitens der Staatsanwaltschaft Koblenz erging durch das Amtsgericht Koblenz unter dem 16.09.2019 folgender Beschluss:
„1. Das Verfahren wird hinsichtlich der Angeklagten pp. auf Antrag der Staatsanwaltschaft im Falle einer zu eiwartenden Strafe im Verfahren vor dem Amtsgericht Saarbrücken zu dem Aktenzeichen 02 Js 1124/10 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Die Angeklagte hat ihre not-wendigen Auslagen selbst zu tragen.“
Aufgrund der Verfahrenseinstellung vom 16.09.2019 fand der Hauptverhandlungstermin am 01.10.2019 nicht statt.
2. Mit Festsetzungsbeschluss vom 29.02.2020 setzte das Amtsgericht Koblenz die an die Pflichtverteidigerin pp. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 686,81 brutto fest (BI. 140 d.A.). Abgesetzt hat das Amtsgericht Koblenz die Gebühr Nr. 4141 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG in Höhe von 132,00 netto (nebst die auf diese Gebühr gemäß Nr. 7008 VV RVG anfallende Mehrwertsteuer) und damit dem Festsetzungsantrag der Pflichtverteidigerin pp. vom 30.09.2019 (BI. 128 d.A.), gemäß dem beantragt wurde, die Gebühren und Auslagen in Höhe von 843,89 € festzusetzen, nicht gänzlich entsprochen. Zur Begründung führt das Amtsgericht Koblenz aus, dass es sich bei der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO lediglich um eine vorübergehende Einstellung handele, so dass die Voraussetzungen Nr. 4141 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG nicht vorliegen.
Der Erinnerung der Pflichtverteidigerin pp. vom 10.03.2019 (BI. 145 d.A.) gegen den Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichtes Koblenz vom 28.02.2020 half der Rechtspfleger nicht ab.
Die angehörte Bezirksrevisorin trat der Erinnerung gemäß Schreiben vom 19.03.2020 (BI. 148 d.A.) nicht entgegen.
II.
Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin pp. ist der Festsetzungsbeschluss des Amts-gerichtes Koblenz vom 28.02.2020 abzuändern. Die zu erstattenden notwendigen Auslagen sind – wie beantragt – auf 843,89 € inkl. Mehrwertsteuer festzusetzen.
1. Die (form- und fristgerechte) Erinnerung ist statthaft, § 464b S. 3 StPO i.V.m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 Abs. 2 RPfIG.
2. Die Erinnerung hat in der Sache Erfolg.
Dem Wortlaut der Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG nach entsteht die Gebühr, wenn die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird, weil das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.
a) Zunächst ist festzustellen, dass die für den 01.03.2020 anberaumte Hauptverhandlung aufgrund der Mitwirkung der Pflichtverteidigerin pp. entbehrlich wurde.
Als Mitwirkungshandlung ausreichend ist jede zur Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit (BGH 18. 9. 2008 — IX ZR 174/07). Die Übersendung eines Antrages auf Erlass eines Haftbefehls mit der Anregung das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen ist eine solche die Erledigung des Verfahrens fördernde Handlung. Diese Anregung führte auch zu der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, so dass die Durchführung der Hauptverhandlung am 01.10.2019 entbehrlich wurde.
b) Bei der Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO handelt es sich nicht um eine nicht nur vorläufige Verfahrenseinstellung i.S.d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG.
Zwar handelt es sich dem Wortlaut des § 154 Abs. 2 StPO nach um eine „vorläufige“ Einstellung. Gleichwohl wird angenommen, dass auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i. S. d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG ist (vgl. OLG Köln 18.10.2017 – III-2 Ws 673/17; LG Saarbrücken 06.03.2015 – 4 KLs 22/13; OLG Stuttgart 08.03.2010 – 2 Ws 29/10; Kremer in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10 Aufl. VV 4141, Rn. 12; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl., VV 4141, Rn. 17).
Auch losgelöst von der Frage, ob es sich bei der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO um eine Einstellung Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG handelt, die die Gebühr auslöst, ist allgemein anerkannt, dass es sich bei § 154 Abs. 2 StPO – entgegen dem Wortlaut – um eine endgültige Einstellung des Strafverfahrens handelt (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn. 17 m.w.N.; Teßmer in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 154, Rn. 65; Diemer in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl., § 154, Rn. 24). Begründet wird diese Sichtweise mit den zutreffenden Erwägungen, dass mit der Einstellung eines Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO die gerichtliche Anhängigkeit des Verfahrens beendet ist und die Entscheidung in (beschränkte) materielle Rechtskraft erwächst. Der Einstellungsbeschluss schafft somit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Prozesshindernis, dass nur unter den Voraussetzungen des § 154 Abs. 3 – Abs. 5 StPO beseitigt werden kann. Dementsprechend hat der erkennende Spruchkörper des Gerichtes gemäß § 464 StPO eine – verfahrensabschließende – Kostenentscheidung getroffen (vgl. zu diesem Erfordernis Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn. 18 sowie § 464, Rn. 6).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Wirkungen einer Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO ist der allgemeinen Sichtweise beizupflichten, dass die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i. S. d. Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG ist. Denn die Gebühr Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG soll gerade honorieren, dass das bei Gericht anhängige Verfahren ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erledigt wird. In dem anhängigen Strafverfahren entsteht dementsprechend auch keine Termingebühr nach Nr. 4108 VV RVG. Diese Erfolge treten mit der Beseitigung der Anhängigkeit bei Gericht endgültig ein, unabhängig davon, ob das Verfahren auf der Grundlage eines Wiederaufnahmebeschlusses gemäß § 154 Abs. 5 StPO erneut gerichtlich anhängig werden sollte.
c) Da die Gebühr Nr. 4147 VV RVG nicht entstanden ist, ist die Festsetzung der Gebühr Nr. 4141 VV RVG letztlich auch zulässig, wie Nr. 4141 Abs. 2 S. 2 VV RVG bestimmt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 S. 1 GKG sowie § 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG.