AG Reutlingen – Az.: 5 Ds 43 Js 16487/13 jug – Urteil vom 05.12.2013
Der Angeklagte ist schuldig des versuchten Raubes sowie der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung sowie eines Verstoßes gegen das Kunstrecht- und Urhebergesetz in Tateinheit mit Beleidigung.
Gegen die Angeklagte wird daher eine Jugendstrafe von elf Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Daneben wird Jugendarrest von zwei Wochen verhängt.
Von der Erhebung von Kosten und Auslagen wird abgesehen.
Angewendete Vorschriften: §§ 249 Abs. 1, 22, 23, 223 Abs. 1, 230, 185, 194, 52, 53 StG, 33, 22 Kunsturhebergesetz, 1, 3, 16a JGG
Gründe
I.
Die Angeklagte hat sich aus der bürgerlichen Gesellschaft verabschiedet. Zur Zeit der Hauptverhandlung hat sie als letzte Chance „Obdach“ in der Werkstattschule in R. gefunden, wo sie sich offenbar schwer tut. Mit der Jugendgerichtshilfe kooperiert die junge Frau eingeschränkt.
… ist seit ihrer Geburt bei ihrer Großmutter, Frau … aufgewachsen. Die Mutter von … war und ist aufgrund ihrer massiven Drogenproblematik nicht in der Lage für ihre Tochter zu sorgen. Derzeit befindet sich Frau … wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Untersuchungshaft, … hat sie dort besucht.
…
Der leibliche Vater … nicht bekannt. … beschrieb die Situation im Haushalt der … als chaotisch. Mit den Schwestern ihrer Mutter habe es oft Streit gegeben, auch körperliche Auseinandersetzungen. Sie habe bis zum Alter von 13 Jahren mit der Oma in einem Zimmer geschlafen, jetzt habe sie das Zimmer einer Tante, die ausgezogen sei, zur Verfügung. Den Unterlagen kann entnommen werden, dass … gegenüber … eine sehr verwöhnende und wenig konsequente Haltung eingenommen hat. … hat einen jüngeren Halbbruder, …, der, strafunmündig, an der Tat Ziffer 1 beteiligt war.
Der Bruder ist in einer Pflegefamilie in R. aufgewachsen. … und … haben in jüngster Zeit viel miteinander gemacht, es bestand ein großer Wunsch miteinander zu leben, allerdings war der gegenseitige Einfluss sehr negativ. In dieser Zeit war auch die Mutter vorübergehend in die Nähe der Kinder gezogen, was sehr viel Unruhe mit sich gebracht hat. … beschreibt die finanzielle Situation bei der Großmutter als sehr beengt. Eigentlich wäre nie Geld vorhanden. Esra wurde im Jahr 2010/11 in einer Tagesgruppe betreut. Außerdem war sie eine Zeitlang in Beratung einer niedergelassenen Ärztin und in einer therapeutischen Gruppe in der Erziehungsberatungsstelle, weil sie immer wieder Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen hatte. Im Frühjahr 2013 wurde eine Erziehungsbeistandschaft beschlossen, um … im Alltag zu unterstützen.
Seit dem neuen Schuljahr besucht … die Werkstattschule und ist in der Tagesbetreuung. … hat einen sehr bewegten schulischen Werdegang: bis zur 6. Klasse besuchte sie die Grund-und Hauptschule … Klasse war sie einen Monat lang Schülerin … konnte sich dort aber nicht integrieren, weshalb sie von Oktober … in E… war. Nachdem sie die Probezeit dort nicht bestanden hatte, ging sie von Februar 2013 bis April in die …. Durch Vermittlung des dortigen Rektors konnte sie in der Werkstattschule einen Probebesuch machen und dann dort aufgenommen werden.
… ist in den öffentlichen Schulen stets durch ihre Außenseiterposition aufgefallen. Sie konnte nur schwer in Kontakt zu den Mitschülern kommen, in einem Schulbericht wird beschrieben, dass sie häufig sowohl Täter als auch Opfer ist.
In der Hauptverhandlung zeigte die junge Frau sich desinteressiert, zeitweise überheblich und benahm sich ungehörig gegenüber den Geschädigten, welche sie verhöhnte.
II.
1. Am 25.07.2013 zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr beschloss die Angeklagte, dem späteren Geschädigten …, der im Rollstuhl sitzt und mit dem die Angeklagte zuvor in der Ringgaststätte in R. gesprochen hatte, nach dessen Verlassen der Gaststätte sein Bargeld notfalls mit Gewalt wegzunehmen. In Verfolgung dieses Tatplanes ging die Angeklagte gegen 23.00 Uhr im … auf den Geschädigten zu, hielt zusammen mit ihrem Bruder … den elektrischen Rollstuhl des Geschädigten fest und versuchte, dem Geschädigten den Brustbeutel mit Bargeld zu entreißen, was ihr aber nicht gelang, weil der Geschädigte den Brustbeutel festhielt. Daraufhin drohte die Angeklagte dem Geschädigten, ihn abzustechen, wenn er ihr den Brustbeutel nicht gebe. Zur Unterstreichung dieser Drohung fasste die Angeklagte in ihre Jacke und gab mit einer Wölbung der Tasche durch ihren Daumen vor, dort ein offenes Messer zu haben. Der sehr besonnene Geschädigte fuhr jedoch mit seinem Rollstuhl der Angeklagten gerechtfertigt über den Fuß und verließ die Örtlichkeit.
2. Am 20.08.2013 gegen 15.00 Uhr griff die Angeklagte am Bahnhof in … R., am Bahnsteig 1, ohne rechtfertigenden Grund die Geschädigte … an, trag dieser gegen das Schienbein, packte sie am Hals und anschließend mit einer Hand an den Haaren und zog den Kopf der Geschädigten nach unten. Sodann schlug sie mehrfach mit den Fäusten gegen Kopf und Oberkörper der Geschädigten, wodurch diese erhebliche Schmerzen erlitt. Zuletzt spuckte sie der Geschädigten ins Gesicht, um ihre Missachtung dieser gegenüber auszudrücken. Strafanträge wurden form- und fristgerecht gestellt.
3. Später am selben Tag veröffentlichte die Angeklagte ohne Einwilligung der Geschädigten … der unter Ziffer 1 angeklagten Tat, die eine ihrer Begleiterinnen gefertigt hatte, auf der Internetplattform Facebook im Profil „…“ und versah das Bild, auf welchem sie der Geschädigten ins Gesicht spuckt mit dem Kommentar „Du bis nur noch Dreck in meinen Augen … meine Kotze in dein Gesicht Schnappschuss Bitch“, um ihre Missachtung der Geschädigten gegenüber auszudrücken. Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.
III.
Die Angeklagte bestreitet die Tat Ziffer 1. Sie ist überführt durch die glaubhafte Aussage des Geschädigten. Trotz seiner körperlichen Einschränkung schilderte der Zeuge den Vorfall so eindrücklich und detailreich, dass der Eindruck besteht, dass die Angeklagte sich durch dessen körperliche Einschränkungen täuschte, was zu ihrer irrigen Annahme führt, „dem glaubt keiner“.
Die Angaben der Angeklagten zum Geschehen sind verworren und voller logischer Brüche. Die Taten Ziffer 2) und 3) räumt die Angeklagte unumwunden ein, freilich verbunden mit dem Hinweis in der Hauptverhandlung, das Opfer habe das doch „verdient“.
Aus Rechtsgründen ist ein schwerer Raub nicht gegeben (hierzu: Fischer, StGB, § 250, Rd. Ziffer 11, m. w. N. „unbekannter Gegenstand unter T-Shirt“).
IV.
Gegen die Angeklagte ist Jugendstrafe von 11 Monaten zu verhängen. Die Angeklagte ist weder durch Erziehungsmaßregeln noch durch Zuchtmittel wieder auf den rechten Weg zu bringen. Die bei ihr zutage getretenen erheblichen anlagebedingten, durch ungünstige Umwelteinflüsse und durch eine völlig unzulängliche Erziehung hervorgerufene, schon vor der Begehung der Taten entwickelte Persönlichkeitsmängel vorhanden, die auf die Taten Einfluss genommen haben und für die Zukunft weitere strafrechtlich schwere Verfehlungen befürchten lassen.
Die Angeklagte ist in verworrenen familiären Verhältnissen groß geworden, was zu der von der Jugendhilfe und dem Gericht festgestellten äußeren Verwahrlosung und der verfestigten moralischen Desorientierung (weit jenseits jeder pubertären Verwirrung) geführt hat. Die Großmutter hat einen unguten Einfluss auf sie und keinen positiven erzieherischen Zugang. Die Taten werden verharmlost. Die Angeklagte wird verwöhnt statt angeleitet oder sanktioniert. Das Tatmittel für die Taten Ziffer 2 u. 3, ein Smartphone, wurde sichergestellt. Die Großmutter stellte der Angeklagten umgehend ein neues, sehr hochpreisiges Ersatzgerät zur Verfügung.
Ein sozialethisches Grundgerüst ist bei der Angeklagten erkennbar noch nicht ausgebildet. Sie lebt in den Tag hinein und tut ihren Mitmenschen letztlich das an, was sie will. Das mag auch Ausdruck der Schwäche sein. Andererseits sind ihre positiven Anlagen nur ganz schemenhaft zu erkennen. Angesichts der Häufung von Gewalttaten muss davon ausgegangen werden, dass diese schädlichen Neigungen sich im vergangenen Jahr verstärkt haben. Verschiedene erzieherische Maßnahmen, außerhalb des strafrechtlichen Sanktionensystems, haben die Angeklagte völlig unbeeindruckt gelassen.
Zudem gebietet hier die Schwere der Schuld (Tat Ziffer 1) die Verhängung einer Jugendstrafe. Die Angeklagte ist mit ihrem strafunmündigen Bruder gegen den körperlich wehrlosen Geschädigten besonders rücksichtslos und gemein vorgegangen. Der Geschädigte wurde als „Opfer“ ausgeschaut, beobachtet, umschlichen und schließlich mit Raubmitteln angegriffen. Dabei hat die Angeklagte bewusst und zielgerichtet die körperlichen Einschränkungen des Geschädigten ausgenutzt. Dabei ließ es sich nicht nehmen, ihn durch Beschimpfungen, neben der eigentlichen Tathandlung, in seiner Würde als Mensch herabzusetzen. Um eine solche Tat gegen einen Wehrlosen zu begehen, müssen hohe Hemmungen überwunden werden. Die vorzuwerfende charakterliche Haltung und der bei der Begehung der Tat zutage getretener starke kriminelle Wille sowie der Zweck, den sie mit der Tat verfolgte, zeigen, dass ihre Persönlichkeit noch der Festigung bedarf und ihr, um ihre Sühnebereitschaft zu wecken, das von ihr begangene Unrecht deutlich mit einer Jugendstrafe vor Augen geführt werden muss.
Die Jugendstrafe kann mit Bedenken zur Bewährung ausgesetzt werden, da die junge Frau begonnen hat, sich in der Werkstattschule in Reutlingen „vorsichtig“ einzufinden und zu stabilisieren. Durch die beanstandungsfreie Erfüllung der Bewährungsauflagen kann und wird die junge Frau zeigen, dass sie gewillt ist, sich in die Gemeinschaft einzufügen und ihr bisheriges kriminelles Verhalten abzulegen. Die junge Frau ist unbeherrscht und aggressiv-gefährlich. Ein Antigewalttraining ist unbedingt erforderlich, um weitere gewalttätige Ausbrüche unwahrscheinlicher zu machen. Eine Ausgangsbeschränkung soll die junge Frau in der Zeit in der Werkstattschule und während der anstehenden Entwicklungsschritte stabilisieren und kontrollieren. Für grundrechtsrelevante Tätigkeiten können der jungen Frau Ausgangsgestattungen schriftlich vorab erteilt werden.
Die Jugendstrafe ist mit 11 Monaten zu bemessen. Die junge Frau muss im Falle des Bewährungsversagens zuförderst an einen Schulabschluss herangeführt werden. Da die Angeklagte über keinerlei Grundlagen verfügt, sind mehr als sechs Monate notwendig. Zudem bedarf es der intensiven sozialpädagogischen und erzieherischen Einflussnahme, die, sollte das nicht in Freiheit, in der Werkstattschule, für die Angeklagte machbar sein, stationär über einen längeren Zeitraum erfolgen muss, der ausreichend bemessen ist, um eine therapeutische Beziehung aufzubauen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG.