LG Münster – Az.: 10 Qs 10/20 – Beschluss vom 28.04.2020
Auf die Beschwerden der Beschuldigten vom 02.03.2020 (pp 1) bzw. 03.03.2020 (pp 2) wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020, Az. 10 OWi 7/20, rechtswidrig ist.
Der Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020, Az. 10 OWi 7/20, wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der den Beschuldigten darin erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Die Beschwerden der Beschuldigten vom 02.03.2020 (PP 1) bzw.03.03.2020 (PP 2) gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 sind zulässig und begründet.
1. Die Auswärtige Strafkammer des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt ist für die Entscheidung über die Rechtsmittel der Beschuldigten gemäß §§ 46 OWiG, 304 Abs.1 StPO, 73 Abs.1 GVG zuständig.
Indes ist zu berücksichtigen, dass für die Rechtsmittel der Beschuldigten auch das Beschwerdeverfahren nach §§ 24 Abs.1 Nr.12 OBG NRW, 42 Abs.1 S.3 PoIG NRW, 58 ff. FamFG eröffnet sein könnte. In diesem Fall wäre gemäß § 119 Abs.1 Nr.1 b) GVG das Oberlandesgericht zuständig.
Maßgeblich für die Abgrenzung ist, ob die Durchsuchung auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr oder im Bereich der Strafrechtspflege erfolgt ist, mithin präventiven (Zuständigkeit des Oberlandesgerichts) oder repressiven (Zuständigkeit der Strafkammer) Charakter hat. Dabei ist die Durchsuchung eine doppelfunktionale Maßnahme, die sowohl der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten als auch dem präventiven Schutz bedrohter Rechtsgüter dienen kann. Welches dieser Ziele im Einzelfall mit einer Durchsuchung verfolgt wird, lässt sich anhand einer isolierten Betrachtung der Durchsuchungsmaßnahme als solcher regelmäßig nicht eindeutig feststellen, da sie ihrem äußeren Erscheinungsbild nach neutral ist. Vielmehr unterliegt die Frage, ob die zuständige Behörde bei der Durchsuchung zur Gefahrenabwehr oder auf dem Gebiet der Strafrechtspflege tätig geworden ist, einer funktionellen Betrachtungsweise. Dabei ist für die Bestimmung der Rechtsnatur der Maßnahme zum einen das Schwergewicht des behördlichen Handelns und zum anderen der damit verbundene Zweck entscheidend (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.10.2015, Az. 1-3 Wx 254/15 beck online).
Nach diesen Grundsätzen war die Durchsuchung der Räumlichkeiten der Beschuldigten eine solche nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, wobei sich dem angefochtenen Beschluss — gerade vor dem Hintergrund, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Durchsuchungsvoraussetzungen nicht erfolgt ist — nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, dass tatsächlich eine Durchsuchung nach § 46 OWiG i.V.m. § 304 Abs.1 StPO angeordnet wurde.
Für eine Maßnahme im Bereich der Strafrechtspflege spricht, dass in dem Durchsuchungsbeschluss vom 05.02.2020 von Beweismitteln die Rede ist und ausgeführt wird, dass die Entscheidung auf §§ 102, 105 StPO beruhe, wobei insoweit der Verweis auf § 46 OWiG — der die Vorschriften der Strafprozessordnung im Ordnungswidrigkeitenverfahren für anwendbar erklärt — fehlt. Auch das Aktenzeichen des angefochtenen Beschlusses (10 OWi 7/20) deutet darauf hin, dass die angeordnete Durchsuchung einen repressiven Zweck (Auffinden von Beweismitteln im Ordnungswidrigkeitenverfahren) verfolgte. Andererseits spricht die Formulierung, dass Ermächtigungsgrundlage für das unangekündigte Betreten und Durchsuchen „§§ 16, 16 a, 24 Abs.3 Tiergesundheitsgesetz [Anm. d. Kammer: gemeint sein dürfte das Tierschutzgesetz] in Verbindung mit der VVVO“ seien, für einen präventiven Charakter der Durchsuchung (Gefahrenabwehr). Zudem war der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Durchsuchungsantrag des Kreises Borken vorn 03.02.2020 – der die Durchsuchung „nach Art. 13 Abs.2 GG i.V.m. § 24 Nr. 13 OBG NRW FAnm. d. Kammer: gemeint sein dürfte § 24 Abs.1 Nr.12 OBG NRW] und § 41 PoIG“ NRW beantragt — ausdrücklich auf eine präventive Maßnahme gerichtet. Dem Kreis Borken ging es ausweislich des eindeutigen Antrags darum, im Rahmen der Durchsuchung die im Besitz der Beschuldigten befindlichen Pferde und Equidenpässe aufzufinden, um das durch bestandskräftige Ordnungsverfügung vom 19.09.2018 angeordnete Pferdehaltungs- und Betreuungsverbot bzw. die Bestandsauflösung im Wege unmittelbaren Zwangs effektiv durchführen zu können.
Eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln im Ordnungswidrigkeitenverfahren – d.h. im Bereich der Strafrechtspflege – wurde vom Kreis Borken gerade nicht beantragt.
Dafür, dass das Amtsgericht Borken mit dem angefochtenen Durchsuchungsbeschluss vom 05.02.2020 tatsächlich eine Durchsuchung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (§ 46 OWiG i.V.m. §§ 102, 105 StPO) angeordnet hat, spricht jedoch insbesondere der Nichtabhilfebeschluss vom 04.03.2020, in dem ausgeführt wird, dass die Beschuldigten gegen bestehende Pferdehaltungs- und Betreuungsverbote verstoßen hätten, was eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 18 Abs.1 Nr. 20 a TierSchG darstelle.
Für die Frage, ob das Beschwerdeverfahren nach § 46 OWiG i.V.m. § 304 Abs.1 StPO oder das Beschwerdeverfahren nach §§ 24 Abs.1 Nr.12 OBG NRW, 42 Abs.1 S.3 PoIG NRW, 58 ff. FamFG eröffnet ist, kommt es nach Auffassung der Kammer auf den tatsächlichen Inhalt des angefochtenen Beschlusses an. Dass das Amtsgericht Borken Inhalt und Zielrichtung des Durchsuchungsantrags des Kreises Borken vom 03.02.2020 verkannt hat, weil dieser – wie zuvor ausgeführt – gerade nicht auf die Anordnung der Durchsuchung zu Beweiszwecken gerichtet war, ist vor diesem Hintergrund unerheblich. Nach alledem ist vorliegend das Beschwerdeverfahren nach § 46 OWiG i.V.m. § 304 Abs.1 StPO eröffnet, sodass eine Zuständigkeit der Strafkammer gegeben ist.
2. Die Beschwerden der Beschuldigten sind zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit nicht entgegen, dass die angeordnete Durchsuchung durch ihren zwischenzeitlichen Vollzug bereits erledigt und damit prozessual überholt ist. Gegen eine erledigte richterliche Anordnung ist die Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht. Dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Durchsuchung — die in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art.13 GG eingreift — regelmäßig der Fall (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 30.04.1997, Az. 2 BvR 817/90 — beck online).
3. Die Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 ist – sowohl im Hinblick auf die angeordnete Durchsuchung als auch im Hinblick auf die angeordnete Beschlagnahme – schon deshalb rechtswidrig, weil er den formellen Anforderungen nicht genügt. Insbesondere fehlt es an einer zureichenden und einzelfallbezogenen Begründung i.S.d. § 34 StPO, wobei dieser Mangel im Beschwerdeverfahren nicht mehr geheilt werden kann.
a) Art. 13 Abs.1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Hierdurch erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird. Entsprechend dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre behält Art. 13 Abs.2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 2 BvR 1710/15 — beck online).
Der Richter hat die Durchsuchungsvoraussetzungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, nach Aktenlage eigenverantwortlich zu prüfen. Dieses muss der Beschluss zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts nach Art. 13 Abs.2 GG auch erkennen lassen. Erforderlich ist eine konkret formulierte, formelhafte Wendungen vermeidende Anordnung, die zugleich den Rahmen der Durchsuchung abstecken und eine Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht ermöglichen kann. Der Tatvorwurf muss im Durchsuchungsbeschluss, soweit ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich, mittels Angaben über den tatsächlichen Lebenssachverhalt so genau wie möglich beschrieben werden, damit der äußere Rahmen, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist, abgesteckt wird. Darüber hinaus ist die Benennung von den Tatvorwurf stützenden Verdachtsgründen erforderlich, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Art und vorgestellter Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, sowie deren potenzielle Beweisbedeutung sind darzustellen. Schließlich muss der Beschluss erkennen lassen, dass sich der Richter von der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im engeren Sinne überzeugt hat. Sie muss im konkreten Fall zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Die Maßnahme muss zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. MüKo/Hauschild, 1. Auflage 2014, § 105 Rn 16 ff).
b) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
aa) Es lässt sich schon nicht sicher feststellen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Durchsuchung angeordnet wurde, da die Begründung des angefochtenen Beschlusses widersprüchlich ist. Wie bereits dargelegt, führt das Amtsgericht Borken einerseits aus, dass die Entscheidung auf §§ 102, 105 StPO beruhe, wobei insoweit bereits der Verweis auf § 46 OWiG fehlt, der die Vorschriften der Strafprozessordnung im Ordnungswidrigkeitenverfahren für anwendbar erklärt. Andererseits heißt es in dem angefochtenen Beschluss, dass Ermächtigungsgrundlage für das unangekündigte Betreten und Durchsuchen „§§ 16, 16 a, 24 Abs.3 Tiergesundheitsgesetz in Verbindung mit der VVVO“ seien. Vor diesem Hintergrund wird — insbesondere auch für die Beschuldigten — die Rechtsgrundlage für die angeordnete Durchsuchung schon nicht hinreichend deutlich.
bb) Überdies erfolgt keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der §§ 102, 105 StPO. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses besteht zu weiten Teilen aus der bloßen Widergabe des Akteninhalts und der Nennung von Rechtsnormen. Durch welches konkrete Verhalten die Beschuldigten zu welchem Zeitpunkt welche konkrete Ordnungswidrigkeit begangen haben sollen, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht hinreichend deutlich entnehmen.
cc) Der angefochtene Beschluss lässt außerdem nicht erkennen, aus welchen Gründen die aufzufindenden Pferde und Equidenpässe als Beweismittel im Ordnungswidrigkeitenverfahren von Bedeutung sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass aufgrund einer unangekündigten Kontrolle auf dem Hof der Beschuldigten vom 31.01.2020 bereits zweifelsfrei feststand, dass dort weiter Pferde gehalten werden, erschließt sich nicht ohne weiteres, warum diesbezüglich noch eine Durchsuchung erforderlich sein sollte, um die Pferde als Beweismittel zu beschlagnahmen. Die Beweisrelevanz der Equidenpässe für ein mögliches Ordnungswidrigkeitenverfahren liegt ebenfalls nicht auf der Hand und wird in dem angefochtenen Beschluss auch nicht näher begründet. Vielmehr deuten die Formulierungen des Amtsgerichts Borken, dass die Sicherstellung anzuordnen sei, weil ein Pferd nach § 44 VVVO nur dann in den Besitz übernommen werden dürfe, wenn ein entsprechender Pass vorgelegt werde, darauf hin, dass die Equidenpässe gerade nicht als Beweismittel, sondern vielmehr zur Durchsetzung der durch bestandskräftige Ordnungsverfügung vom 19.09.2018 angeordneten Bestandsauflösung im Wege unmittelbaren Zwangs sichergestellt werden sollten, damit die Pferde einer neuen Unterbringungsmöglichkeit zugeführt werden können. Dies ist indes kein zulässiger Durchsuchungszweck im Rahmen der §§ 102, 105 StPO.
dd) Schließlich lässt der angefochtene Beschluss auch nicht erkennen, dass eine konkrete und einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wurde. Eine solche ist aber gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren von ganz erheblicher Bedeutung. Insbesondere ist bei der Abwägung zwischen den durch eine Ermittlungsmaßnahme beeinträchtigten Grundrechten und dem Verfolgungsinteresse des Staates zu berücksichtigen, dass der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit stets weniger schwer wiegt als der einer Straftat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016, Az. 2 BvR 2748/14 — beck online). Gerade vor diesem Hintergrund reichte der pauschale Hinweis in dem angefochtenen Beschluss, dass mildere Mittel als die Durchsuchung nicht ersichtlich seien, um den Erfolg des Zieles gleichfalls sicherzustellen, nicht aus. Vielmehr hätte es einer vertieften und einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedurft, wobei insbesondere die Intensität des Grundrechtseingriffs und die Schwere des Tatvorwurfs gegeneinander abzuwägen waren.
ee) In Bezug auf die Beschlagnahmeanordnung enthält der angefochtene Beschluss aus den vorgenannten Gründen ebenfalls keine zureichende und einzelfallbezogene Begründung i.S.d. § 34 StPO. Bereits die Rechtsgrundlage für die angeordnete Beschlagnahme (§ 94 StPO) wird nicht genannt. Ausführungen zu den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Beschlagnahme fehlen vollständig, ebenso Ausführungen zur potenziellen Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände. Eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung wird auch in Bezug auf die Anordnung der Beschlagnahme nicht vorgenommen.
c) Die vorgenannten Begründungsmängel konnten im Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Borken vom 04.03.2020 und im Beschwerdeverfahren nicht mehr geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde anderenfalls unterlaufen. Auch kann die Begrenzung der Maßnahme, die durch die Begründungsanforderungen im Durchsuchungsbeschluss erreicht werden soll, durch eine erst nach der Durchführung ergehende Entscheidung nicht mehr erreicht werden. Daher können Mängel bei der richterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 2 BvR 1710/15 — beck online).
d) Nach alledem erweist sich der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 05.02.2020 als rechtswidrig. Daher waren — auf die Beschwerde der Beschuldigten hin — die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung festzustellen und die Beschlagnahmeanordnung aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs.1 StPO (analog).