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Umfang Akteneinsichtsrechts im Strafverfahren – staatsanwaltschaftliche Beiakten

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 7 Qs 96/10 – Beschluss vom 12.01.2011

I. Die Beschwerde des Angeklagten … vom 02.12.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 14.10.2010, mit dem eine beschränkte Telefonerlaubnis für ein Telefonat mit seiner Lebensgefährtin gestattet wurde, weitere Telefongenehmigungen aber verweigert wurden, wird als unbegründet verworfen.

II. Der Beschwerdeführer hat insoweit die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen zu tragen.

III. Die Beschwerde vom 08.12.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 07.12.2010, mit dem die am selben Tag beantragte Akteneinsicht in die Akte 203 AR 231674/10 abgelehnt wurde, hat sich durch prozessuale Überholung erledigt. Eine Kostenentscheidung ergeht insoweit nicht.

Gründe

I.

1.

Der Beschwerdeführer wurde am 18.03.2010 gegen 03.10 Uhr von Beamten der Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte auf Höhe des Anwesens … in Nürnberg vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Nürnberg erließ am 19.03.2010 gegen ihn sowie die anderweitig Verfolgten …, … und … Haftbefehl. Diesem liegt zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 18.03.2010 zwischen 01.35 Uhr und 01.39 Uhr gemeinsam mit …, … und … in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken auf Grund eines gemeinsamen Tatplans einen Einbruch in das Juweliergeschäft … verübt haben soll, um daraus Stehlenswertes zu entwenden. Am 08.06.2010 erhob die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage wegen dieses Sachverhalts (Bl. 413-418 d. A.).

2.

Umfang Akteneinsichtsrechts im Strafverfahren - staatsanwaltschaftliche Beiakten
(Symbolfoto: Von Kzenon/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 06.09.2010 (Bl. 534 f. d. A.) beantragte der Verteidiger des Angeklagten … die Erteilung einer Genehmigung, alle zwei Wochen seine Lebensgefährtin … und die gemeinsamen Kinder (9 Monate bzw. 3 Jahre) anrufen zu dürfen. Mit weiterem Schriftsatz vom 02.10.2010 (Bl. 604 f. d. A.) ergänzte er den Antrag um den Hinweis, dass die Lebensgefährtin und Mutter der gemeinsamen Kinder mitgeteilt habe, dass hinsichtlich eines Umzuges eine kurzfristige Entscheidung getroffen werden müsse. Die Justizvollzugsanstalt Nürnberg trat mit Schreiben vom 13.09.2010 (Bl. 536 f.) der Genehmigung eines einmaligen Telefonats von maximal 15 Minuten nicht entgegen, darüber hinaus gehende Telefonerlaubnisse stellten jedoch für die Justizvollzugsanstalt einen nicht zu leistenden personellen und organisatorischen Aufwand dar. Das Amtsgericht Nürnberg bewilligte mit Beschluss vom 14.10.2010 (Bl. 676-678) ein 15-minütiges, durch die Polizei überwachtes Telefongespräch mit der Lebensgefährtin auf Kosten des Antragstellers, den weiteren Antrag auf regelmäßige zweiwöchentliche Telefongespräche mit der Lebensgefährtin und den Kindern wies es zurück. Der Antragsteller habe bereits am 08.08.2010 Gelegenheit gehabt, mit seinen Kindern zu telefonieren, ein weiteres Gespräch sei (noch) nicht genehmigungsfähig. Regelmäßige zweiwöchige Gespräche mit der Lebensgefährtin und den Kindern kämen wegen des Ausnahmecharakters von Telefongesprächen aus der Untersuchungshaft nicht in Betracht.

Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger des Antragstellers … mit Schreiben vom 02.12.2010 (Bl. 840-845) Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss aufzuheben und die beantragten Telefonate zu gewähren. Dem Antrag auf Durchführung der Telefonate sei stattzugeben, die Anordnung der Überwachung durch die Kriminalpolizei sei rechtswidrig, der Beschwerde sei unter anderem aus folgenden Gründen stattzugeben: Soweit der Beschluss Telefonate der Kinder betreffe, verkenne das Amtsgericht, dass diese aufgrund ihres Alters nicht in der Lage seien, mit dem Vater Briefkontakt zu halten. Ein regelmäßiger Besuch scheide im Hinblick auf deren Wohnsitz, deren Alter und die finanziellen Möglichkeiten aus. Der Beschluss des Amtsgerichts verletze Art. 6 GG und führe dazu, dass der Kindesumgang durch die Inhaftierung praktisch ausgeschlossen werde, der Bindungsumgang für Kleinkinder werde von der Entscheidung des Amtsgerichts in keiner Weise berücksichtigt. Es sei nicht ausreichend, ein einziges Telefonat mit den Kindern im Zeitraum vom 19.03. bis Dezember 2010 zu bewilligen. Aufgrund des Alters der Kinder seien diese auch nicht in der Lage, Verdunkelungsmaßnahmen durchzuführen, so dass eine polizeiliche Überwachung dieser Gespräche unverhältnismäßig sei. Im Übrigen sei der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht Gegenstand des Haftbefehls, das Amtsgericht benenne keine konkret zu befürchtenden Verdunkelungsmaßnahmen. Auch sei der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren geständig gewesen. Organisatorische Gründe dürften den beantragten Telefonaten nicht entgegenstehen. Der Staat könne sich nicht darauf berufen, er habe den Vollzug nicht so ausgestattet, wie es zur Wahrung des in Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzauftrages erforderlich wäre. Hinsichtlich der Telefonate mit seiner Lebensgefährtin bestehe ebenfalls keine Veranlassung einer polizeilichen Überwachung. Es sei nicht erkennbar, welche Verdunkelungsmaßnahmen aus Rumänien betrieben werden könnten, nachdem der Beschwerdeführer bereits im Ermittlungsverfahren geständig gewesen sei. Eine polizeiliche Überwachung von Telefongesprächen sei auch in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg nicht üblich. Im Übrigen folge aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art 1 GG, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, dass eine Regelmäßigkeit bei Telefonaten gewährleistet sein müsse, auf die sich auch der Gesprächspartner einlassen könne. Die Untersuchungshaft dürfe nicht dazu führen, dass dem Untersuchungsgefangenen aufgrund der Haft die Familie kaputt gemacht werde, weil eine Kontaktaufnahme faktisch nicht möglich sei. Schriftverkehr ersetze den verbalen Austausch nicht. Es erscheine ferner nicht praktikabel, dass für jedes Gespräch ein eigener, schriftlich zu begründender Antrag gestellt werden müsse.

3.

Am 07.12.2010 beantragte der Verteidiger des Angeklagten … in der Hauptverhandlung unter anderem Akteneinsicht in die Beiakte 203 AR 231674/10 (Anlage 5 zum Protokoll vom 07.12.2010). Das Amtsgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom selben Tag zurück (Bl. 849 d. A.). Die Beiakte sei erst nach Gewährung der letzten Akteneinsicht von Rechtsanwalt … zu den Hauptakten gelangt, die Vorsitzende habe von dieser erstmals am 23.08.2010 Kenntnis erlangt. Bisher seien keinerlei Bestandteile aus dieser Beiakte in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Der Akteninhalt der Beiakte sei erst dadurch bedeutsam geworden, dass die Verteidigerseite die im Computer festgehaltenen Daten der Eincheckzeit der Angeklagten … und … in das … ermittelt haben wollten. Es habe sich dann herausgestellt, dass sich ein solcher Ausdruck bereits in der Beiakte 203 AR 231674/10 befinde. Die Vorsitzende habe die Beiakte bis zu diesem Zeitpunkt lediglich grob durchgesehen gehabt, da sie davon ausgegangen sei, dass die Staatsanwaltschaft durch deren Übersendung lediglich habe dokumentieren wollen, es sei zu der Behauptung des Angeklagten …, ihm seien nach der Festnahme 3.000,00 Euro weggekommen, Ermittlungen getätigt worden. Soweit beantragt worden sei, vollständige Akteneinsicht in die Beiakten zu gewähren, sei dem Gericht hierüber eine Entscheidung verwehrt, da es sich um rein staatsanwaltschaftliche Akten handle. Insofern wäre ein Akteneinsichtsgesuch an die Staatsanwaltschaft zu richten.

Hiergegen legte der Verteidiger des Angeklagten … mit Schreiben vom 08.12.2010 (Bl. 851 f. d. A.) Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss aufzuheben und die beantragte Akteneinsicht zu gewähren. Die Akte sei seit August 2010 von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zum Verfahren nachgereicht worden. Die Akte enthalte erkennbar verfahrensbezogene Unterlagen, das polizeiliche Aktenzeichen entspräche dem des hiesigen Verfahrens. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Akte nicht Bestandteil der Hauptakte geworden und warum nicht vollständige Akteneinsicht auch in diese Akte erteilt worden sei. Es sei fehlerhaft, wenn das Gericht von der Staatsanwaltschaft Akten übermittelt bekäme und diese nicht als Aktenbestandteil führe, andererseits bei den Hauptakten belasse und in der Hauptverhandlung ankündige, Auszüge hieraus in die Hauptakte übernehmen zu wollen. Es sei bereits aus Beschleunigungsgrundsätzen nicht akzeptabel, dass Verteidiger die Akte bei der Staatsanwaltschaft anfordern müssten, die diese zunächst wiederum vom Gericht zurückfordern müsste.

4.

Das Amtsgericht Nürnberg half am 09.12.2010 mit einem ergänzenden Vermerk (Bl. 857 f. d. A.) den Beschwerden vom 02.12.2010 und 08.12.2010 nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gewährte dem Verteidiger des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 10.12.2010 Akteneinsicht in die Akte 203 AR 231674/10 – die Beiakte ging am 22.12.2010 zur Akteneinsicht ein (Bl. 118 der Beiakte) – und beantragte zugleich, „die Beschwerde“ als unbegründet zu verwerfen (Bl. 876). Bei der Akte 203 AR 231674/10 handle es sich um eine staatsanwaltschaftliche (Vor)Ermittlungsakte, die dem Amtsgericht erst nachträglich zur Kenntnis zugeleitet worden sei. Die Akte sei dem Gericht nicht gemeinsam mit der Anklage vorgelegt worden. Über eine Akteneinsicht habe daher die Staatsanwaltschaft und nicht das Amtsgericht zu entscheiden. Der Verteidiger des Beschwerdeführers teilte mit Schreiben vom 20.12.2010 mit, dass die Beschwerde aufrecht erhalten bleibe. Die Akteneinsicht sei durch das Amtsgericht Nürnberg zu bewilligen und zu erteilen gewesen. Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass Akteneinsicht gewährt werden solle, ändere daran nichts.

II.

Die Beschwerde vom 02.12.2010 ist gem. § 304 StPO zulässig, aber unbegründet.

Gem. § 119 Abs. 3 StPO a. F. dürfen dem Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Anzuwenden ist § 119 StPO a. F., nach § 13 EGStPO gilt § 119 StPO a. F. in den Bundesländern, die bis zum 01.01.2010 noch keine landesgesetzlichen Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft getroffen haben, bis zum Inkrafttreten solcher Regelungen, längstens jedoch bis zum 31.12.2011, neben der ab dem 01.01.2010 geltenden Fassung fort. Bayern hat bislang noch keine Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft getroffen, so dass dort § 119 Abs 3 a. F. StPO und die bisherige, einheitlich von den Ländern erlassene Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) weiterhin Gültigkeit hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 119 Rn 1). Die „Ordnung in der Vollzugsanstalt“ im Sinne des § 119 Abs. 3 StPO a. F. soll die Sicherheit – und zwar nicht nur ein Mindestmaß – sowie das Funktionieren des Ablaufs des Lebens in der Anstalt gewährleisten (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 119 Rn 13 m. w. N.).

Zwar dürfen Untersuchungsgefangenen nach dem insoweit weiter gültigen § 119 Abs. 3 StPO a. F. nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Justizvollzugsanstalt erfordert. Dabei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen ist (BVerfG NJW 1976, 1311). Zu diesen unvermeidlichen Beschränkungen gehören zwangsläufig auch alle diejenigen Begrenzungen der persönlichen Freiheit, die sich im Hinblick auf die vollzugstechnischen Gegebenheiten mit den Erfordernissen der Wahrung der Sicherheit und Ordnung der Justizanstalt ergeben. Ferngespräche mit Personen außerhalb der Haftanstalt stellen wegen des damit verbundenen organisatorischen Aufwandes regelmäßig einen erheblichen Eingriff in den üblichen Ablauf des Vollzugsdienstes dar, so dass eine beliebige Ausnutzung des Anstaltstelefons durch den Gefangenen zu überwachten Gesprächen den Vollzugsdienst organisatorisch und personell überfordern und grundsätzlich dem Haftzweck widersprechen würde (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 17.12.2002 – 1 Ws 443/02). Angesichts dieser Umstände und der gebotenen Gleichbehandlung von Gefangenen ist es deshalb erforderlich, Telefongespräche von diesen mit Personen außerhalb der Anstalt, auch mit nahen Angehörigen, nur eingeschränkt zuzulassen und nur dann zu genehmigen, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Untersuchungsgefangenen an einer telefonischen Kommunikation besteht (vgl. OLG Stuttgart StV 1995, 260; OLG Frankfurt StV 1992, 281).

Das Vorliegen eines solchen besonders berechtigten Interesses muss jeweils im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Gefangenen und seiner nahen Angehörigen sowie andererseits des Haftzwecks und den Gegebenheiten der Vollzugsanstalt festgestellt werden. Dem Bedürfnis und dem Anspruch des Gefangenen auf Kontakt mit der Außenwelt wird in der Regel hinreichend durch die Möglichkeit von Besuchen und Briefwechsel Rechnung getragen (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1996, 303, 304; OLG Düsseldorf NStZ 1995, 152).

Daran gemessen begegnet die Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg keinen Bedenken.

Hinsichtlich des Kontaktes zur Lebensgefährtin ist grundsätzlich die Möglichkeit von Briefwechseln ausreichend. Da die Lebensgefährtin allerdings nicht widerlegbar aufgrund ihres Wohnortes und ihrer finanziellen Mittel nicht in der Lage ist, den Beschwerdeführer zu besuchen, sind ausnahmsweise bei begründetem Anlass Telefongespräche zuzulassen. Diesem Erfordernis ist das Amtsgericht durch die Genehmigung eines einmaligen Telefonats nachgekommen. Da vor der Genehmigung derartiger Telefongespräche jeweils das besondere berechtigte Interesse des Antragstellers im konkreten Einzelfall darzulegen ist, kann indes kein regelmäßig wiederkehrender Anspruch auf Telefongespräche alle zwei Wochen – wie vom Antragsteller beantragt – bestehen (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 119 Rn 13 m. w. N.). Mit gleicher Begründung des Beschwerdeführers könnten ansonsten auch wöchentliche oder mehrmals wöchentliche Telefongespräche begehrt werden. Bei der dem Gericht bekannten Vielzahl von Untersuchungsgefangenen mit Familie im Ausland führte eine derartige Genehmigung für alle diese Untersuchungshäftlinge zu einer organisatorischen und personellen Überforderung der Justizvollzugsanstalten und liefe daher dem Zweck der Untersuchungshaft zuwider. Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg ist daher auch aus Gleichbehandlungsgründen gerechtfertigt. Es besteht ferner keine grundgesetzliche Veranlassung der öffentlichen Hand, die Justizvollzugsanstalten personell so auszustatten, dass regelmäßig wiederkehrende Telefonate der Untersuchungsgefangenen mit deren Familien im Ausland ermöglicht werden können. Auch in Deutschland wohnhafte Familienangehörige von Untersuchungsgefangenen haben nach der in Bayern fortgeltenden UVollzO keinen Anspruch auf wiederkehrenden zweiwöchigen Kontakt. Nach Nr. 24 Abs. 1 S. 3 UVollzO berechtigt eine Besuchserlaubnis grundsätzlich zu einem Besuch von dreißig Minuten Dauer, in der Regel wird nach Nr. 25 UVollzO mindestens alle zwei Wochen ein Besuch zugelassen, wobei nach Nr. 26 Abs. 1 UVollzO zum Besuch eines Gefangenen regelmäßig nicht mehrere Besucher gleichzeitig zugelassen werden sollen. Folge dieser Regelung ist, dass nicht jedes engere Familienmitglied Anspruch auf einen wiederkehrenden zweiwöchigen Besuch hat.

Die Anordnung der Überwachung der Gespräche durch Polizeibeamte begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Gem. Nr. 38 Abs. 1 UVollzO werden Gespräche in vollem Umfang mitgehört. Auch nach der Neufassung des § 119 StPO wird in der Regel bei Zustimmung zur Telekommunikation die vollständige Überwachung des Gespräches angeordnet (Meyer-Goßner, a. a. O., § 119 Rn 17). Im Übrigen besteht vorliegend durchaus die konkrete Gefahr von Verdunkelungsmaßnahmen, die bisherige geständige Einlassung des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren vermag hieran nichts zu ändern. Den Angeklagten liegt gemeinschaftlicher Diebstahl mit Sachbeschädigung zur Last, die weiteren Angeklagten waren nach Aktenlage entweder gar nicht oder jedenfalls nicht vollumfänglich geständig. Wie der Beschwerdeführer anlässlich seiner Beschuldigtenvernehmung am 18.03.2010 (Bl. 16-20 d. A.) bekundet hat, kam er – wie zuvor beabsichtigt und besprochen – gemeinsam mit den Angeklagten … und … mit dem Flugzeug nach Deutschland und wurde dort vom Angeklagten … abgeholt. Die Angeklagten kannten sich folglich bereits aus Rumänien, so dass es naheliegt, dass sich auch die Partnerinnen der Angeklagten kennen. Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Angeklagten über Vermittlung ihrer Partnerinnen eine der Verdunkelung dienende Verteidigungsstrategie absprechen. Dem steht auch die bisherige geständige Einlassung des Beschwerdeführers nicht entgegen, da das Geständnis jederzeit widerrufen oder abgeändert werden kann. Letztlich kann der konkreten Gefahr von Verdunkelungsmaßnahmen über Telefongespräche mit Rumänien nur durch polizeiliche Überwachung der Gespräche vorgebeugt werden. Dass der Haftbefehl von Verdunkelungsgefahr ausgeht, ist für eine derartige Anordnung nicht erforderlich (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 119 Rn 15).

Bezüglich der mit seinen – mittlerweile ein Jahr und drei Jahre alten – Kindern beantragten Telefonaten weist die Beschwerdekammer zunächst darauf hin, dass diese nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers bei ihrer Mutter, der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, wohnhaft sind und daher ein Telefonat mit diesen regelmäßig mit einem fernmündlichen Gespräch mit der Partnerin einhergehen dürfte. Ebenso wenig besteht wohl die Möglichkeit und die Veranlassung, bei bewilligten Telefonaten mit der Lebensgefährtin eine Unterredung mit den Kindern zu unterbinden, so dass letztlich sämtliche bewilligte Gespräche solche mit Mutter und Kindern sein dürften. Hinsichtlich von „Telefonaten“ mit einem einjährigen und dreijährigem Kleinkind ist darüber hinaus gerichtsbekannt, dass solche aufgrund deren eingeschränkten Kommunikations- und Aufnahmefähigkeit nicht geeignet sind, eine Vater-Kind-Bindung aufrecht zu erhalten oder zu festigen. Dies gilt besonders bei einem noch nicht einjährigen Kleinkind, das üblicherweise sprechunkundig und – unfähig ist, aber auch bei einem dreijährigen Kind sind die fernmündlichen Kommunikationsmöglichkeiten beschränkt. Das Scheitern von Beziehungen oder Ehen ist bedauerlicherweise häufig Folge des Vollzugs von Untersuchungshaft, dies beschränkt sich indes nicht auf Untersuchungsgefangene mit Familien im Ausland. Letztlich bestehen keinerlei Erfahrungswerte dafür, dass häufigere Telefonate geeignet wären, einem solchen Scheitern entgegenzuwirken, so dass auch aus verfassungsrechtlichen Gründen keine andere Entscheidung zu erfolgen hatte. Es fehlt derzeit folglich an dem besonderen rechtlichen Interesse des Beschwerdeführers, die von ihm beantragten Telefonate mit seinen Kindern zu gewähren, wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat. Aus Sicht des Beschwerdegerichts liegt es aufgrund des Alters der Kinder nahe, zukünftig gemeinsame Telefonate für die Lebensgefährtin und die gemeinsamen Kinder zu bewilligen.

III.

Die Beschwerde vom 08.12.2010 gegen die verweigerte Einsichtsgewährung in die Akte 203 AR 231674/10 hat sich durch ein erledigendes Ereignis – die erfolgte Akteneinsicht am 22.12.2010 – prozessual überholt, so dass die für die Zulässigkeit erforderliche Beschwer nachträglich entfallen ist und die Beschwerde daher als erledigt zu erklären war (vgl. LR-Matt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn 56; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., vor § 296 Rn 8; Meyer-Goßner, a. a. O., vor § 296 Rn 17). Gegen Maßnahmen, die aufgehoben oder sonst unwirksam oder gegenstandslos geworden sind, fehlt es im Normalfall an der für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlichen Beschwer (LR-Matt, a. a. O., § 304 Rn 53). Eine Feststellung der Rechtswidrigkeit einer überholten richterlichen Entscheidung als Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG kommt nur bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen wie bei Durchsuchungen von Wohn- oder Redaktionsräumen in Betracht (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163; NJW 1998, 2131, 2132). Für die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde trotz prozessualer Überholung ist zu prüfen, ob ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen besteht, d. h. ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vorliegt, eine zu kurze Zeitspanne nach dem typischen Verfahrensablauf besteht, um vollen gerichtlichen Rechtsschutz während der direkten Belastung zu erlangen und gegebenenfalls bei nicht tiefgreifenden Grundrechtsverletzungen oder ausreichender Zeitspanne ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme beispielsweise wegen Wiederholungsgefahr, Rehabilitierungsinteresse oder Willkür besteht (LR-Matt, a. a. O., § 304 Rn 54). Hieran fehlt es. Eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung wegen verweigerter Akteneinsicht durch das Amtsgericht und Verweis an die Staatsanwaltschaft als zuständige Behörde liegt nicht vor. Ein besonderes Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit beispielsweise wegen Wiederholungsgefahr, Rehabilitierungsinteresse oder Willkür ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat die von ihm beantragte Akteneinsicht erhalten, eine wesentliche rechtsstaatswidrige Verzögerung durch die Bewilligung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft und nicht das Gericht ist weder vorgetragen noch erkennbar, eine willkürliche Entscheidung des Amtsgerichts liegt nicht vor, auch besteht kein Rehabilitierungsinteresse des Beschwerdeführers. Es liegt daher kein Grund vor, eine Ausnahme von der Regel vorzunehmen, dass mit Erledigung und Überholung einer richterlichen Maßnahme die für die Zulässigkeit erforderliche Beschwer entfällt.

In der Sache ist die Verweisung des Amtsgerichts zur Entscheidung über eine Akteneinsicht an die Staatsanwaltschaft indes zu Unrecht erfolgt. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Nürnberg war die in Rede stehende Beiakte Gegenstand des Akteneinsichtsrechts nach § 147 Abs 1 StPO. Dieses Recht auf Aktenvollständigkeit bezieht sich auf die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle der Anklage gem. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO vorzulegenden Akten. In einer Prozesslage, wie sie bei Stellung des Antrags der Verteidigung bestand, erfasst der Aktenbegriff der Vorschrift des § 147 Abs. 1 StPO die mit der Anklageschrift vorgelegten Akten, die in Fortführung der Ermittlungskaten nach der Anklageerhebung entstanden Aktenbestandteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der Staatsanwaltschaft beigezogenen Beiakten (BGH NStZ 1981, 361, 362; Meyer-Goßner, a. a. O., § 147 Rn 15). Bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, welche Akten nach Anklageerhebung nachzureichen sind, ist im Interesse der Verteidigung eine großzügige Handhabung angebracht (BGH NStZ 1983, 228). Es muss jedenfalls das gesamte vom ersten Zugriff der Polizei an gesammelte Beweismaterial, einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen nebst hiervon gefertigter Verschriftungen, zugänglich gemacht werden, das gerade in dem gegen den Angeklagten gerichteten Ermittlungsverfahren angefallen ist (BGH StV 2000, 228, 230; Schäfer, NStZ 1984, 203). Ein Akteneinsichtsrecht besteht sogar in die Akten, die die Staatsanwaltschaft an das Gericht herausgegeben hat, obwohl sie diese zunächst nach § 147 Abs. 2 StPO gesperrt hatte (KK-Laufhütte, a. a. O., § 147 Rn 4). Nicht der Akteneinsicht unterliegen lediglich Unterlagen oder Daten, denen eine allein innerdienstliche Bedeutung zukommt (BGH StV 2010, 228, 230; Meyer-Goßner, a. a. O. § 147 Rn 13 m. w. N.).

Daran gemessen bestand ein Akteneinsichtsrecht der Verteidigung in die in Rede stehende Beiakte 203 AR 231674/10 seit Übersendung durch die Staatsanwaltschaft an das Gericht im August 2010. Die Akte ist in diesem Ermittlungsverfahren angefallen und beinhaltet zumindest auch Beweismaterial in dem Verfahren gegen die vier Angeklagten eben wegen der angeklagten prozessualen Tat. Das polizeiliche Aktenzeichen ist konsequenterweise identisch mit dem der Hauptakte. Gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtungen hat die Staatsanwaltschaft diese Akten nach Anklageerhebung dem erkennenden Gericht nachgereicht. Mit dieser Übersendung an das Gericht ist ein unmittelbares Akteneinsichtsrecht der Verteidigung gegenüber dem Gericht entstanden. Diese Akteneinsicht ist vom Gericht und nicht von der Staatsanwaltschaft zu gewähren, da die Beiakte mit der Übersendung Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Staatsanwaltschaftliche (Vor)Ermittlungsakten, die nicht der vom Gericht zu gewährenden Akteneinsicht unterliegen, kennt das Akteneinsichtsrecht nicht. Da die Beiakte Ermittlungstätigkeiten der Polizei zum Gegenstand hat, enthält sie auch keine Unterlagen von nur innerdienstlicher Bedeutung. Inhaltlich sind der Akte keinerlei Gründe zu entnehmen, die eine Sperrung der Akten rechtfertigen könnten. Im Ergebnis hat das Amtsgericht eine Akteneinsicht daher zu Unrecht verweigert, eine Entscheidung in der Sache hatte indes – wie dargelegt – nicht zu erfolgen.

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich, soweit die Beschwerde vom 02.12.2010 als unbegründet verworfen wurde, aus § 473 StPO. Hinsichtlich der wegen der zwischenzeitlich erteilten Akteneinsicht prozessual „überholten“ Beschwerde vom 08.12.2010 hatte keine Kostenfolge zu ergehen. Nur wenn die Beschwerde bereits im Zeitpunkt ihrer Einlegung überholt war, ist sie mangels Beschwer kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen; tritt das überholende Ereignis aber erst später ein, so ist die Beschwerde ohne Kostenentscheidung für erledigt zu erklären (LR-Matt, a. a. O., § 304 Rn 56; Meyer.-Goßner, a. a. O., vor § 296 Rn 17). Da die Akteneinsicht nach der Einlegung der Beschwerde erfolgte, war die Beschwerde folglich ohne Kostenentscheidung für erledigt zu erklären.

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