LG Ellwangen – Az.: 1 Qs 98/10 – Beschluss vom 04.01.2011
In der Strafsache gegen … wegen mittelbarer Falschbeurkundung u. a. wird die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ellwangen vom 09. September 2010, soweit darin die Beschlagnahme seines ungarischen EU-Führerscheins mit der Nr. … angeordnet worden ist, mit der Maßgabe kostenpflichtig als unbegründet verworfen, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Ellwangen die Durchsuchung der Wohnung und der Fahrzeuge des Beschuldigten zur Suche seines ungarischen EU-Führerscheins an und verfügte zugleich dessen Beschlagnahme nach §§ 94, 98, 111 b, 111 c, 111 e StPO, weil der Beschuldigte im Verdacht stehe, sich eines Vergehens des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen sowie der mittelbaren Falschbeurkundung gemäß §§ 276 Abs. 1 Nr. 2, 271 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht zu haben und der Führerschein als Beweismittel von Bedeutung sein könne.
Am 24.09.2010 wurde der oben bezeichnete ungarische Führerschein des Beschuldigten durch Polizeibeamte des Polizeireviers Bad Mergentheim beschlagnahmt. Dem Beschuldigten wurde dabei eröffnet, dass ihm ein Vergehen der mittelbaren Falschbeurkundung, des Verschaffens von falschen Ausweisen sowie des Fahrens ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen werde. Ihm wurde zudem bescheinigt, dass der Führerschein der Einziehung unterliege und als Beweismittel beschlagnahmt werde.
Der Beschuldigte hat gegen die Beschlagnahme über seinen Verteidiger Beschwerde eingelegt und beantragt, diese aufzuheben und den Führerschein an ihn herauszugeben.
Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 StGB entzogen werden wird. Es erschien daher angemessen, dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen (§§ 111 a Abs. 1 S. 1, 111 Abs. 4 StPO).
1.
Nach den Ermittlungen der Kriminalpolizeiinspektion Passau besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte im Oktober 2008 bei der Führerscheinstelle in Budapest/Ungarn unter Vorlage eines gefälschten russischen Führerscheins (Nr. …) die Umschreibung der nichtexistenten russischen Fahrerlaubnis in eine ungarische Fahrerlaubnis beantragte. Dem Beschuldigten wurde daraufhin ein ungarischer EU-Führerschein (Nr. …) ausgestellt.
2.
Es besteht damit gegen den Beschuldigten der dringende Tatverdacht einer Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB (Gebrauch einer unechten Urkunde), die zwar in Ungarn begangen wurde, die jedoch gemäß § 7 Abs. 2 NR. 1 StGB der deutschen Strafgewalt unterliegt, weil der Beschuldigte deutscher Staatsangehöriger ist und das Gebrauchen unechter Urkunden auch in Ungarn mit Strafe bedroht ist.
3.
Demgegenüber sieht die Kammer den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung bzw. des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen (§§ 271 Abs. 1, 267 Abs. 1 StGB) nicht als erfüllt an. Hierzu müsste der ungarische Führerschein – wie von der Verteidigung zu Recht vorgetragen – hinsichtlich der Existenz der russischen Fahrerlaubnis mit Beweiskraft für und gegen jedermann ausgestattet sein. Dies kann auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zu deutschen Fahrerlaubnissen, die durch Umschreibung gefälschter ausländischer Führerscheine erlangt wurden, jedenfalls nicht ohne weiteres angenommen werden (BGHSt 33, 190).
Auch ein Fahren ohne Fahrerlaubnis des Beschuldigten gemäß § 21 StVG scheidet aus, da er bei seinen Fahrten im Besitz einer gültigen EU-Fahrerlaubnis war. Auf Grund der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von in EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen (Art.1 Abs. 2 der 2. EG-Führerschein-Richtlinie 91/439/EWG), ist es deutschen Behörden verwehrt, die ordnungsgemäße Erteilung der Fahrerlaubnis durch EU-Mitgliedstaaten zu überprüfen. Eine der vom EuGH zu-gelassenen Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen (EUGH NJW 2006, 2173 ff Rn. 38; NJW 2007, 1863 ff Rn. 35; NJW 2008, 2403 ff Rn. 70-72) liegt nicht vor.
4.
Der dringende Tatverdacht der Urkundenfälschung rechtfertigt zwar nicht die weitere Beschlagnahme des ungarischen Führerscheins als Beweismittel; denn hierzu genügt dessen Kopie, die sich zwischenzeitlich in der Akte befindet. Jedoch begründet die verfahrensgegenständliche Straftat die Annahme, dass dem in Deutschland wohnhaften Beschuldigten im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 StGB entzogen und sein Führerschein gemäß §§ 69 Abs. 3 S. 2, 69b Abs. 2 S. 1 StGB eingezogen werden wird.
Die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat steht „im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges“. Der Begriff des Zusammenhangs i. S. des § 69 Abs. 1 StGB wurde seit je her weit gefasst. So kommt es nicht darauf an, ob die Fahrt vor, während oder nach der Tat unternommen wird. Wesentlich ist vielmehr, dass das Führen des Kraftfahrzeugs dem Täter für die Vorbereitung oder Durchführung der Straftat oder anschließend für ihre Ausnutzung oder Verdeckung dienlich sein soll (BGH Beschluss vom 27.04.2005 – GSSt 2/04 – Rn 15, 18, zitiert nach juris). Der BGH hat dort allerdings auch einschränkend ausgeführt, dass § 69 StGB nicht der Verhinderung allgemeiner Kriminalität, sondern dem Schutz der Verkehrssicherheit dient.
Im vorliegenden Fall beabsichtigte der Beschuldigte, sich durch die von ihm begangene Urkundenfälschung eine ungarische EU-Fahrerlaubnis zu erschleichen und sich auf diese Weise den Zugang zur aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr unter Umgehung jeglicher Eignungsprüfungen, wie sie z. B. in der Vergangenheit in Deutschland u. a. vom Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen von ihm verlangt wurden, zu verschaffen. Dabei ging es ihm darum, Kraftfahrzeuge in Deutschland führen zu können, da er dort auch zum Zeitpunkt der Tat im Herbst 2008 wohnhaft war (vgl. den ihn betreffenden Fragebogen zur Erlangung des EU-Führerscheins, Bl. 12 d. A.). Tatsächlich hat der Beschuldigte in der Folgezeit in Deutschland von dieser Fahrerlaubnis auch Gebrauch gemacht: Ausweislich des Auszuges aus dem Verkehrszentralregister vom 05.11.2010 hat er am 13.05.2009 gegen 11.47 Uhr in M. B. als Führer eines Pkws die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 26 km/h überschritten. Auch am Tage der Beschlagnahme seines ungarischen Führerscheins führte der Beschuldigte den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …-… … auf der B 290 in Edelfingen in Fahrtrichtung Bad Mergentheim.
Dass der Beschuldigte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, ergibt sich auch unter Berücksichtigung der restriktiveren Auslegung des § 69 Abs. 1 S. 1 StGB seit dem Beschluss des Großen Senats des BGH vom 27.04.2005 (aaO) vorliegend “aus der Tat“. Die Kammer geht davon aus, dass der Beschuldigte jedenfalls charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Die verfahrensgegenständliche Tat selbst lässt nämlich – unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und des Vorlebens des Beschuldigten – tragfähige Rückschlüsse darauf zu, dass der Beschuldigte bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Interessen unterzuordnen (BGH aaO Rn 27).
Der vielfach vorbestrafte Beschuldigte hat seit über 17 Jahren keine deutsche Fahrerlaubnis.
Durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.05.1993 wurde er der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr sachlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlichen Fahrens trotz sichergestellten Führerscheins in zwei Fällen schuldig gesprochen. Unter Einbeziehung von Strafen aus einer Vorverurteilung wurde gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt. Eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde bis zum 01.12.1993 angeordnet. Mit Verfügung der Stadt Nürnberg vom 30.01.1995 wurde ihm die Fahrerlaubnis Klasse 3 versagt, da das erforderliche MPU-Gutachten nicht beigebracht wurde. Durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 15.10.1996 wurde der Beschuldigte des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen und deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit Verfügung der Stadt Nürnberg vom 29.01.1998 wurde abermals die Fahrerlaubnis für die Klassen 5 und 3 versagt, da das erforderliche MPU-Gutachten nicht beigebracht wurde. Am 27.07.1998 wurde der Beschuldigte durch das Amtsgericht Nördlingen – Zweigstelle Donauwörth – wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis abermals zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 02.02.1999 verurteilte ihn dasselbe Gericht u. a. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 3 Fällen unter Einbeziehung der vorgenannten Geldstrafe zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten. Zugleich wurde eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis zum 09.02.2001 angeordnet. Das Landratsamt Main-Tauber-Kreis als Fahrerlaubnisbehörde hat mit Schreiben vom 30.11.2010 mitgeteilt, dass ein Antrag des Beschuldigten auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 03.09.2002 eingereicht worden sei. Nach Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen, wurde ein Gutachten nicht erstellt. Der Antrag wurde daher unerledigt zu den Akten genommen.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte den gefälschten russischen Führerschein zwecks Umschreibung bei den ungarischen Behörden vorlegte, um auf diese Weise jegliche Eignungsprüfung deutscher Behörden oder anderer EU-Behörden zu umgehen, und zwar in der Annahme, dass im Falle einer Prüfung seine Eignung nicht festzustellen sei und er deshalb Gefahr laufe, keine Fahrerlaubnis zu erhalten. Da die Eignungsprüfung aber der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dient, belegt die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat zugleich, dass er die Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Interessen an der Teilnahme desselben unterordnet.
Nach alledem liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis im Hauptverfahren entzogen werden wird (vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschluss vom 16.05.2008 – 81 Ss 17/08, zitiert nach juris; OLG Hamm VRS 63, 346ff). Angesichts der dreisten Rücksichtslosigkeit des Beschuldigten gegenüber den Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs, wie sie in der Tat zum Ausdruck kommt, hat die Kammer von dem ihr in § 111a Abs. 1 StPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Der Beschuldigte wird darauf hingewiesen, dass die Führung eines Kraftfahrzeuges trotz entzogener Fahrerlaubnis mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden kann, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG.