KG Berlin – Az.: (3) 161 Ss 10/20 (8/20) – Urteil vom 26.02.2020
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. September 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten – Schöffengericht – hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit Anstiftung zur Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichteten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen der Staatsanwaltschaft Berlin und des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Im Urteil hat die Strafkammer die – auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, die Vorverurteilungen sowie die erlittene Untersuchungshaft betreffenden – Feststellungen des Amtsgerichts wörtlich wiedergegeben und hieran anschließend festgestellt:
„Gegen das Urteil des Schöffengerichts haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt und später jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die zitierten, den Schuldspruch tragenden Feststellungen sind damit in Rechtskraft erwachsen und für die Kammer bindend geworden.“
Gegen die Verwerfung ihrer Berufung richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft Berlin. Das Rechtsmittel hat in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
1. Nicht zu beanstanden ist, dass das angefochtene Urteil in Bezug auf die vom Angeklagten begangene Straftat keine Würdigung der Beweise enthält. Denn das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die durch die Staatsanwaltschaft und den Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten gerichteten Berufungen wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sind.
a) Allerdings sind Berufungsbeschränkungen nicht uneingeschränkt zulässig. Sie setzen nicht nur voraus, dass der nach dem Willen des Rechtsmittelführers neu zu verhandelnde Entscheidungsteil losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann, sondern erfordern auch, dass der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung so festgestellt und bewertet ist, dass er – unabänderlich und damit bindend geworden – eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts zu bieten vermag (vgl. BGH NZV 2017, 433 mwN). Im Hinblick hierauf ist eine Beschränkung von Berufung und Revision auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig. Etwas anderes gilt nur, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGH aaO mwN).
b) Nach diesen Maßgaben sind die durch die Staatsanwaltschaft und den Angeklagten erklärten Berufungsbeschränkungen wirksam. Aus den von der Revisionsführerin geltend gemachten Lücken bei den Feststellungen zur Anstiftungshandlung, ihr Bestehen unterstellt, ergibt sich nichts anderes. Denn die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen bilden auch ohne detaillierte Ausführungen zur Anstiftungshandlung eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts. Dabei ist zu beachten, dass Ausgangspunkt der Klärung, ob eine Rechtsmittelbeschränkung wirksam ist, ausschließlich das durch die Berufung angefochtene Urteil ist. Hier gegebenenfalls bestehende Lücken können in aller Regel durch das Berufungsgericht geschlossen werden. Fehlerhaft wäre es hingegen, aus Unvollständigkeiten der Berufungsentscheidung auf die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung zu schließen: Dass das Berufungsgericht es unterlassen hat, ergänzende Feststellungen zu treffen, kann die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung nicht betreffen. Daher kann hier im Ergebnis offen bleiben, ob das Landgericht ergänzende Feststellungen dazu treffen musste (und vor allem: konnte), wo, wann und unter welchen Bedingungen die Anstiftungshandlung bewirkt wurde. Dass das amtsgerichtliche Urteil hierzu keine fundierten Feststellungen enthält, berührt die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung jedenfalls nicht.
2. Dass sich die Strafkammer trotz wirksam erklärter Berufungsbeschränkungen mit dem Schuldspruch befasste, ist grundsätzlich fehlerhaft, wirkte sich hier aber nicht aus. Die wirksame Beschränkung der Berufung führte dazu, dass der Schuldspruch nicht geändert werden durfte (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 267; OLG Köln VRS 110, 120; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 318 Rn. 319), so dass sich die vom Landgericht in einem eigenständigen Akt vorgenommene rechtliche Würdigung (UA S. 6: „Dieser rechtlichen Würdigung hat sich die Kammer angeschlossen und macht sie sich zu eigen …“) zwar als überflüssig, aber, da sie sich mit dem rechtskräftig gewordenen Schuldspruch deckt, nicht als ergebnisfalsch darstellt. Auch dass sich die Richtigkeit des Schuldspruchs mit drei tateinheitlich begangenen Anstiftungshandlungen bei fünf Haupttaten nicht ohne Weiteres erschließt, wirkt sich weder auf die Zulässigkeit der Rechtsmittelbeschränkung noch auf den Bestand des Schuldspruchs aus. Denn selbst ein materiellrechtlich falscher Schuldspruch kann durch den Rechtsmittelführer akzeptiert werden und muss in der Folge regelmäßig zur Grundlage der vom Berufungsgericht vorzunehmenden Strafzumessung gemacht werden (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 267).
3. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist jedoch die von der Strafkammer vorgenommene Strafzumessung.
a) Allerdings ist die Strafzumessung Sache des Tatgerichts. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, namentlich das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht lassen oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH NStZ-RR 2019, 388).
b) Nach dieser Maßgabe liegt hier ein Rechtsfehler vor, so dass die Strafzumessung keinen Bestand hat. Das Urteil lässt schon nicht erkennen, welche persönlichen und beruflich-wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten die Strafkammer ihrer Strafzumessung zugrunde gelegt hat. Zwar teilt die Strafkammer insoweit den Wortlaut der amtsgerichtlichen Feststellungen mit. Aber abgesehen davon, dass eine Bezugnahme oder anderweitige Übernahme dieser Feststellungen in das angefochtene Urteil fehlt, liegt auch auf der Hand, dass sich seit der Verhandlung vor dem Amtsgericht Veränderungen ergeben haben, die gegebenenfalls zum Gegenstand des Berufungsurteils gemacht werden mussten. Die Gestaltung des angefochtenen Urteils lässt mit der wörtlichen Wiedergabe des erstinstanzlichen Urteils sogar besorgen, dass die Kammer sich auch in Bezug auf die persönlichen Umstände des Angeklagten irrig an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden glaubte. Damit fehlt es bereits an einer tragfähigen Grundlage der weiteren Zumessungserwägungen, denn Ausgangspunkt der Strafzumessung ist neben der Schwere der Tat der Grad der persönlichen Schuld des Täters (vgl. BGHSt 20, 266). „Personale Faktoren“ sind nicht nur schuldbestimmend (vgl. Fischer, StGB 67. Aufl., § 46 Rn. 6), sondern wirken sich auch maßgeblich auf den Strafzweck der Resozialisierung aus.
Dieser Mangel erfasst auch – und in besonderem Maße – die nach § 56 StGB getroffene Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Manifest wird dies an den aus Sicht der Kammer für eine positive Sozialprognose streitenden Erwägungen, nämlich der erlittenen Untersuchungshaft und dem Umstand, dass der Angeklagte „familiär und beruflich eingebunden“ (UA S. 7) sei. Auch hier gilt, dass unklar bleibt, ob und wie das Landgericht diese aus seiner Sicht die Bewährungsentscheidung tragenden Umstände festgestellt hat. Sollte es sich auch insoweit an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden geglaubt haben, wäre dies ebenso fehlerhaft, wie wenn es diese Feststellungen in einem Akt freier Würdigung aus dem Urteil übernommen hätte. Für seine Bewertung, der Angeklagte sei durch sein „berufliches und familiäres“ Eingebundensein sozial stabilisiert, fehlt es jedenfalls an einer Darstellung der zugrunde liegenden Tatsachen.
4. Auch wenn das Urteil nachvollziehbar gewonnene Feststellungen zu den Grundlagen der Strafzumessung enthielte, bliebe zweifelhaft, ob die Argumentation des Landgerichts in Bezug auf die familiäre und berufliche Situation des Angeklagten trägt. Denn es liegt nahe, dass diese bereits im Tatzeitraum – zumal mit deutlich kleineren Kindern – bestanden hat. Dies braucht der Senat aber ebenso wenig zu entscheiden wie die Frage, ob alleine die Verbüßung einer sechswöchigen Untersuchungshaft im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB ein besonderer Umstand „von Tat und Persönlichkeit“ ist, der die Strafaussetzung zur Bewährung bei der hier verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtfertigt. Dies erscheint gleichfalls zweifelhaft, zumal das Urteil keine Feststellungen dazu trifft, dass der offenbar gut verdienende Angeklagte, dessen Ehefrau jedenfalls im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung gleichfalls berufstätig war (UA S. 3), den durch die Tat verursachten Schaden wieder gutzumachen bemüht ist (§ 56 Abs. 2 Satz 2 StGB).
Ebenfalls offen lassen kann der Senat schließlich, ob die Strafkammer sich ausreichend damit befasst hat, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Auch wenn das Verbrechen der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht gänzlich ausschließt (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 75), erscheinen die Ausführungen hierzu mit nur einer tragenden Erwägung – die seit der Tat verstrichene Zeit – doch äußerst knapp.
5. Der aufgezeigte Mangel bei der Strafzumessung betrifft den gesamten Rechtsfolgenausspruch, weshalb der Senat diesen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufhebt und die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverweist.