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Anforderungen an Feststellung des Tatbestandes der Verletzung der Unterhaltspflicht

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OLG 2 Ss 46/18 – Beschluss vom 16.10.2018

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. (kleinen) Strafkammer vom 28. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) hat den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Seine Berufung hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil als unbegründet verworfen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts; das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

I.

Dem angefochtenen Urteil liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

1.

Der in Italien geborene und im Alter von ca. 13 Jahren nach Deutschland gekommene Angeklagte hat im Jahr 1998 die Zeugin K. geheiratet und mit dieser gemeinsam den am 1. Februar 2004 geborenen J. als Sohn adoptiert. Die Ehe wurde durch Beschluss des Familiengerichts vom 18. November 2010 – rechtskräftig – geschieden; das Kind lebte ab dem 24. März 2014 bis zum Jahr 2018 im Haushalt der Zeugin K.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2015 verpflichtete das Amtsgericht – Familiengericht – Frankenthal (Pfalz) den Angeklagten, rückwirkend ab dem 1. April 2014 den monatlichen Mindestunterhalt für seinen Adoptivsohn zu zahlen. Gleichwohl leistete er im Zeitraum vom 1. April 2014 bis zum 31. Mai 2017 keinerlei Unterhalt für das Kind. Dessen Unterhalt musste in jener Zeit von der Zeugin K. durch Mehrarbeit bestritten werden, ergänzt durch Unterhaltsvorschussleistungen des Jugendamtes; phasenweise wurde der Unterhalt auch vollständig aus öffentlichen Mitteln geleistet. Hierdurch ist „im Tatzeitraum ein Schaden von 11.786,– EUR zzgl. Kosten“ (UA S. 3) entstanden.

Das Landgericht ist in seiner rechtlichen Würdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der seit dem Jahr 2011 ohne wirtschaftlichen Erfolg ein Maklerunternehmen betrieb und von Sozialleistungen lebte, während des gesamten Tatzeitraums nicht leistungsfähig gewesen war. Die fehlende Leistungsfähigkeit habe der Angeklagte indes selbst verschuldet, weil er seiner gesteigerten Erwerbspflicht nicht nachgekommen sei. Insoweit sei es ihm bei ausreichenden Bemühungen auch möglich gewesen, mit zumutbarer Arbeit ein Einkommen zu erzielen, durch welches er den Mindestunterhalt hätte bestreiten können. Das Landgericht hat dieser Wertung die Einschätzung des Zeugen P., einem Mitarbeiter des Jobcenters Grünstadt, zugrunde gelegt, wonach der Angeklagte aufgrund seiner Ausbildung als CNC-Dreher und beruflichen Erfahrung als Inhaber von Personalleasing- und Maklerunternehmen „im gesamten Tatzeitraum Arbeitsstellen [hätte] finden können, mit denen er jedenfalls mehr als 1.000,– EUR monatlich hätte verdienen können und somit leistungsfähig gewesen wäre“ (UA S. 7).

2.

Wegen der fortdauernden Nichtleistung von Unterhalt erstattete die Zeugin K. mit Schriftsatz ihres Rechtsanwalts W. vom 29. August 2016 gegen den Angeklagten Strafanzeige. Am 16. September 2016 schrieb dieser an die Zeugin eine SMS mit folgendem Inhalt: „Zieh die Strafanzeige zurück, e levati definitamente dai miei coglioni“, wobei der in italienischer Sprache gefasste Halbsatz sinngemäß bedeutete: „und geh´ mir nicht auf den Sack“. Sodann versandte er eine weitere SMS an die Zeugin mit dem Inhalt „…und, das gilt für Dich und den Mao Mao welcher wie ein Penner aussieht“.

Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte mit der zweiten SMS, die er nach unwiderlegten Angaben ca. 23 Minuten nach der ersten Mitteilung versendet hat, Rechtsanwalt X. in der Ehre herabwürdigen wollte.

II.

Die hierzu getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, für den Zeitraum 1. April 2014 bis 31. Mai 2017 eine Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Angeklagten zu belegen.

1.

Anforderungen an Feststellung des Tatbestandes der Verletzung der Unterhaltspflicht
(Symbolfoto: Von New Africa/Shutterstock.com)

Die Entscheidung begegnet bereits deshalb rechtlichen Bedenken, weil der Tatrichter keine hinreichenden Feststellungen zur tatsächlichen Höhe der Unterhaltspflicht des Angeklagten getroffen hat. Der pauschale Verweis auf den vom Angeklagten geschuldeten Mindestunterhalt reicht nicht aus, um den Umfang der Leistungspflicht nachvollziehbar zu machen.

a) Der Tatbestand des § 170 StGB setzt eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Täters im Sinne des bürgerlichen Rechts voraus, welche der Strafrichter eigenständig und ohne Bindungen an zivil- bzw. familiengerichtliche Entscheidungen zu ermitteln und festzustellen hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 05.04.2006 – 1 Ss 36/06, juris Rn. 19). Die zur Nachvollziehbarkeit von Grund und Höhe der Berechnung erforderlichen Feststellungen sind im Urteil mitzuteilen (KG Berlin, Beschluss vom 13.12.2001 – 1 Ss 313/01, juris Rn. 8). Weder genügt eine schlichte Bezugnahme auf tabellarisch ermittelte Regelsätze (OLG Celle, Beschluss vom 15.05.1998 – 22 Ss 21/98, juris Rn. 4), noch der Verweis auf existierende familienrechtliche Erkenntnisse (Ritscher in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 170 Rn. 31). Der Tatrichter hat vielmehr selbst unter Berücksichtigung der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten einerseits sowie der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners andererseits im Einzelnen zu ermitteln, ob und in welcher Höhe eine Unterhaltspflichtverletzung des Täters im Tatzeitraum bestand (Saarländisches OLG, Beschluss vom 03.12.2009 – Ss 104/2009, juris Rn. 16 m.w.N.).

b) Die Feststellung, eine Unterhaltspflicht des Angeklagten habe im Tatzeitraum (zumindest) in Höhe des Mindestunterhalts bestanden, sowie eines „Schadens“ von 11.786 EUR, reicht nach diesen Grundsätzen nicht aus, den Umfang der dem Schuldvorwurf zugrunde gelegten Unterhaltspflicht nachvollziehbar zu machen. Denn sie lässt nicht erkennen, ob das Landgericht die Höhe des jeweiligen Mindestunterhalts zutreffend bestimmt hat. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Bezugnahme auf den von der Zeugin K. vorgelegten Forderungskonto-Auszug (UA S. 7) lässt zudem besorgen, dass das Landgericht die darin enthaltenen Angaben nicht selbst nachvollzogen und auf ihrer Richtigkeit überprüft hat. Konkretisierende Feststellungen in den schriftlichen Urteilsgründen hierzu wären hier im Übrigen auch deshalb erforderlich gewesen, weil die gesetzliche Ausgestaltung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder (§§ 1612a bis 1612c BGB) wesentliche Änderungen im Verlaufe des Tatzeitraums erfahren haben. Während die bis 31. Dezember 2015 geltende Fassung des § 1612a BGB an den steuerrechtlichen Kinderfreibetrag anknüpfte, ergibt sich die Bezugsgröße seit dem 1. Januar 2016 unmittelbar aus einer Verordnung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (§ 1612a Abs. 4 BGB n.F.; zum Ganzen: Hammermann in: Erman, BGB, 15. Aufl., 2017, § 1612a BGB, Rn. 4).

c) Wird die Leistungsfähigkeit nur mit erzielbaren Einkünften begründet, müssen in den Urteilsgründen die sich aus den beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Verhältnissen ergebenden Beschäftigungsmöglichkeiten mitgeteilt werden. Aus den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes muss konkret für den Tatzeitraum ermittelt werden, welche Beträge der Unterhaltsschuldner durch zumutbare Arbeit hätte verdienen können (KG Berlin, Beschluss vom 13.12.2001 – 1 Ss 313/01, juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund reicht die Wiedergabe der pauschalen Einschätzung des Zeugen P., wonach der Angeklagte „mit seiner Ausbildung und seiner beruflichen Erfahrung“ hätte „im gesamten Tatzeitraum Arbeitsstellen finden können“ nicht aus. Denn ohne Mitteilung der dieser Einschätzung zugrundeliegenden Beurteilungsgrundlagen, namentlich betreffend Art und Verfügbarkeit einer möglichen Arbeitsstelle und der Höhe des dadurch erzielbaren Einkommens, kann nicht nachvollzogen werden, dass Bewerbungsbemühungen zum Erfolg geführt und ein über dem Selbstbehalt liegendes Einkommen erbracht hätten.

2.

Rechtlichen Bedenken begegnet auch die Begründung des subjektiven Tatbestandes. Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe Kenntnis von seiner gesteigerten Erwerbspflicht besessen, ersichtlich auf den dem Angeklagten bekannten Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankenthal (Pfalz) vom 9. Januar 2015 gestützt. Darin war der Angeklagte darauf hingewiesen worden, dass er durch die von ihm bis dahin verfassten 21 Bewerbungen keinesfalls seiner gesteigerten Erwerbspflicht genüge getan habe. Diese Rechtsauffassung war durch das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken im Beschluss vom 17. Mai 2016 (6 WF 79/16) bestätigt worden, der nähere Vorgaben zum Umfang der Erwerbspflicht enthielt. Aufgrund welcher Umstände der Angeklagte jedoch auch für den davor gelegenen Tatzeitraum ab dem 1. April 2014 Kenntnis vom Umfang seiner gesteigerten Erwerbspflicht gehabt hatte, begründet das Landgericht nicht. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil eine Kenntnis des Angeklagten vom tatsächlichen Umfang seiner Erwerbspflicht jedenfalls nicht auf der Hand lag.

3.

Zudem hat das Landgericht rechtsfehlerhaft versäumt, den sich aus § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ergebenden notwendigen Selbstbehalt des Angeklagten sowie zu berücksichtigende Verbindlichkeiten bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten erkennbar in Ansatz zu bringen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 05.04.2006 – 1 Ss 36/06, juris Rn. 9). Der Selbstbehalt gilt für Eltern gegenüber minderjährigen Kindern im Allgemeinen als Untergrenze der Inanspruchnahme. Er beträgt nach der derzeit gültigen Fassung der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland, nach denen sich auch die Familiensenate des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken orientieren, für Erwerbstätige 1.080,– EUR (vgl. Nr. 21.2 SüdL). Die auf die Angabe des Zeugen P. gestützte Feststellung, der Angeklagte hätte „im gesamten Tatzeitraum Arbeitsstellen finden können, mit denen er jedenfalls mehr als 1.000,– EUR monatlich hätte verdienen können“ ist vor diesem Hintergrund nicht geeignet, einen über dem Selbstbehalt liegenden Umfang erzielbarer Einkünfte zu belegen.

III.

Der Schuldspruch wegen Beleidigung zum Nachteil des Rechtsanwalts W. begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1.

Der äußere Tatbestand der Beleidigung ist (erst) vollendet, wenn ein anderer von der ehrenrührigen Kundgabe Kenntnis genommen und diese in ihrem ehrenrührigen Sinn auch verstanden hat (BGH, Urteil vom 12.01.1956 – 4 StR 470/55, BGHSt 9, 17, 19 = NJW 1956, 679; Hilgendorf in LK, 12. Aufl., § 185 Rn. 19 und 26 m.w.N.). Gibt es in dem vom Täter vorgestellten Kreis der Empfänger der Äußerung niemanden, der diese als beleidigend versteht, ist der Achtungsanspruch der herabgewürdigten Person nicht gefährdet und ein Kundgabeerfolg nicht eingetreten. Eine Äußerung in einer für den Empfänger unverständlichen Sprache genügt mithin nicht (Regge/Pegel in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 185 Rn. 35).

2.

Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte den Rechtsanwalt der Zeugin K. durch die Verwendung des Begriffs „Mao Mao“ in der Ehre herabgewürdigt hat.

a) Das Landgericht hat aufgrund sachverständiger Beratung zwar festgestellt, dass dieser Begriff in Süditalien als abwertende Bezeichnung für dunkelhäutige Ausländer, in letzter Zeit insbesondere für Flüchtlinge aus Nordafrika verwendet wird. Welches Verständnis die Zeugin K. als Empfängerin der Erklärung bzw. der Geschädigte Rechtsanwalt X. diesem Begriff beigegeben hat, teilt das Landgericht jedoch nicht mit. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil das Landgericht selbst davon ausgegangen ist, dass die Zeugin, die kein Italienisch spricht, diesen Begriff nicht als Schimpfwort kannte und ihn für eine Neuschöpfung des Angeklagten hielt. Ob und in welchem Sinne die Zeugin die Bezeichnung „Mao Mao“ als ehrenrührige Äußerung verstanden hat, und inwiefern der Angeklagte dies in seinen Vorsatz aufgenommen hatte, bleibt daher offen.

b) Zwar kann auch die Wendung „…der wie ein Penner aussieht“ je nach dem Gesamtzusammenhang, in den sie gestellt ist (vgl. OLG Celle, Urteil vom 18. 2. 2003 – 2 Ss 101/02, NStZ-RR 2004, 107), beleidigenden Charakter haben (vgl. ArbG Oberhausen, Urteil vom 17.01.2002 – 4 Ca 2534/01, juris). Maßgebend hierfür ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerung versteht (Regge/Pegel aaO. § 185 Rn. 10; s.a. OLG Hamm, Beschluss vom 28.04.2016 – III-3 RVs 37/16, juris Rn. 13 [„Zigeuner“]). Abzustellen ist auf den objektiven Sinngehalt der Äußerung, der wesentlich bestimmt wird durch die Kenntnisse und Anschauungen der potentiellen Erklärungsempfänger, die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene. Eine Auslegung der Äußerung „.. der aussieht wie ein Penner“ kann daher nicht losgelöst von der Ermittlung des Sinngehalts erfolgen, den der Angeklagte und die Zeugin K. die Bezeichnung „Mao Mao“ beigegeben haben. Weil der Tatrichter somit den Erklärungsgehalt der Äußerung nicht tragfähig festgestellt hat, kann sie den Beleidigungsvorwurf nicht tragen.

IV.

Weil in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen möglich erscheinen, die geeignet sind, einen Schuldspruch zu tragen, kam eine Freisprechung des Angeklagten durch den Senat, wie vom Beschwerdeführer beantragt, nicht in Betracht (§ 354 Abs. 1 StPO). Die Sache war vielmehr nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gem. § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

 

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