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Ermittlungen nach Infektionsschutzgesetz – Erkrankte ist selbst zu befragen

LG Dessau, Az.: 2 O 124/05

Urteil vom 27.06.2006

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 46.785,33 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen den Beklagten Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung seiner Ermittlungspflichten nach dem Infektionsschutzgesetz in Höhe von 43.785,33 € geltend.

Ermittlungen nach Infektionsschutzgesetz - Erkrankte ist selbst zu befragen
Symbolfoto: Tyrannosaurus/Bigstock

Am 30.03.2001 wurde bei Herrn F. Z in der Lungenklinik L eine Tuberkuloseerkrankung festgestellt. Der Befund wurde über das Gesundheitsamt J an das Gesundheitsamt A Anfang April 2001 gemeldet. Dieses setzte sich Mitte April 2001 mit der Familie Z in Verbindung. Frau H, eine Mitarbeiterin der Beklagten, befragte die Ehefrau des Herrn F. Z, Frau M. Z. nach den Kontaktpersonen ihres Mannes. Es wurde ihr ein entsprechender Ermittlungsbogen ausgehändigt. Unter der Rubrik „im Haushalt lebende Familienmitglieder“ gab sie acht Familienmitglieder, unter der Rubrik „übrige Personen aus der Umgebung des Kranken“ die Mitglieder der Multiplen Sklerose Selbsthilfegruppe, nicht jedoch die Mitglieder der Familie des Klägers an. Wegen der Einzelheiten des Ermittlungsbogens wird auf Bl. 153 d.A. Bezug genommen. Sämtliche in dem Bogen aufgeführten Personen wurden vom 11.04.2001 bis zum 23.05.2001 untersucht. Eine direkte Befragung des Herrn F. Z fand nicht statt. Ende 2001 bekam der Kläger starke Schmerzen im linken Rippenbereich. Nachdem diese in immer kürzer werdenden Abständen auftraten, wurden eine Computertomografie und eine Magnetresonanztomografie angefertigt. Am 16.05.2002 erfolgte die Einweisung des Klägers in das Städtische Klinikum D. Dort wurde nach etwa einer Woche beim Kläger eine Knochentuberkulose diagnostiziert. Diese hatte sich nicht in der Lunge ausgebreitet, sondern verkapselt und die Brustwirbelsäule angegriffen. Wegen der Einzelheiten des Krankheitsbildes wird auf die Untersuchungsberichte des Städtischen Klinikums vom 20.06.2002 bzw. vom 24.05.2002, K 1, K 2, Bl. 23, Bl. 26 d.A., Bezug genommen. Zunächst erfolgte lediglich eine medikamentöse Behandlung. Nachdem sich am vierten Finger links eine Weichteiltuberkulose gebildet hatte, wurde diese am 15.06.2002 operativ entfernt. Weitere Operationen folgten am 26.06.2002 zur Stabilisierung der Wirbelsäule in B sowie am 15.07.2002 und vom 23.02.2004 bis 29.02.2004 wiederum an der linken Hand. In den Jahren 2002 und 2003 wurden für den Kläger vier weitere Klinikaufenthalte erforderlich. Wegen der Einzelheiten des Krankheitsverlaufes wird auf die Klageschrift vom 30.01.2005, Bl. 4 ff. (Bl. 16 ff. d.A.), Bezug genommen.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei ihrer Ermittlungspflicht nach §§ 16, 25 Infektionsschutzgesetz hinsichtlich Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung nicht in hinreichender Weise nachgekommen. Die Beklagte habe zunächst pflichtwidrig unterlassen, den Kläger direkt nach Kontaktpersonen zu befragen. Durch die Vertreter des Gesundheitsamtes sei lediglich nach dem engsten Verwandtenkreis gefragt worden. Auch auf den Hinweis von Frau M. Z., dass reger freundschaftlicher Kontakt mit der Familie des Klägers gepflegt worden sei, haben die Mitarbeiter der Beklagten erklärt, dass eine Notwendigkeit der Ermittlung weiterer Kontaktpersonen nicht bestehe. Die Benennung der – neben den Verwandten – 15 weiteren Kontaktpersonen sei allein auf Initiative der Frau M. Z. erfolgt.

Der Kläger habe sich beim Zeugen Z angesteckt. Eine andere Infektionsmöglichkeit sei nicht denkbar, weil sich beide Familien vom Jahre 1995 an bis zur Erkrankung des Herrn Z mehrmals wöchentlich zum Zwecke der Nachbarschaftshilfe, jedoch auch zu Grillabenden und Geburtstagsfeiern, getroffen hätten. Dass eine Infektion vor diesem Zeitpunkt bei anderer Gelegenheit nicht erfolgt sein könne, belege der Umstand, dass sich der Kläger von 1981 an bis zum Jahre 1995 regelmäßigen Gesundheitskontrollen – 1981 (Musterung), 1983 (Einberufungsüberprüfung), 1986, 1987 und 1985 (arbeitsmedizinische Untersuchung) – unterzogen hätte. Bei diesen Gelegenheiten seien jeweils Röntgenaufnahmen der Lunge gefertigt worden. Sämtliche Untersuchungen seien ohne Befund geblieben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Untersuchungsberichte, Anlagen K 19 bis K 22, Bl. 222 bis 230 d.A., Bezug genommen. Zudem habe der Kläger im Jahre 2000/2001 unter einer Heuschnupfenerkrankung gelitten. Die hierdurch bedingte Schwächung des Immunsystems habe seine Infektanfälligkeit in dem fraglichen Zeitraum erhöht. Jedenfalls aber sei bei einer Untersuchung der Tbc-Kulturen in der Lungenklinik L festgestellt worden, dass es sich bei den Tuberkulosekulturen des Herrn F. Z um dieselben wie beim Kläger handele.

Selbst wenn jedoch eine Infektion beim Kläger vor Krankheitsausbruch bei Herrn Z vorhanden gewesen sein sollte, so hätte eine zeitnahe Behandlung den vom Kläger durchlebten Krankheitsverlauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert. Zumindest hätten ihm durch eine medikamentöse Behandlung die operativen Eingriffe erspart werden können. Der Kläger ist daher der Ansicht, dass die Beklagte sämtliche mit der Krankenbehandlung in Zusammenhang stehenden Aufwendungen sowie entsprechenden Lohnausfall zu ersetzen habe. Er meint überdies, dass ihm ein angemessenes Schmerzensgeld, das sich auf einen Betrag von mindestens 20.000,- € belaufen müsse, zustehe.

Er beantragt daher,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 23.785,33 € nebst 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.02.2004 zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden – letztere soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen – aus der Tuberkuloseerkrankung aus dem Jahr 2002 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, ihre Ermittlungspflichten nicht verletzt zu haben. Insbesondere habe sich ihre Befragung auch auf sonstige Kontaktpersonen erstreckt, was sich bereits daraus ergebe, dass Frau M. Z auch die Mitglieder der Selbsthilfegruppe und eine Physiotherapeutin in dem Ermittlungsbogen angegeben habe. Eine direkte Befragung des Zeugen Z sei auf Grund dessen gesundheitlichen Zustandes nicht möglich gewesen. Weiterhin komme eine Ansteckung des Klägers bei Herrn F. Z bereits deshalb nicht in Betracht, weil die beim Kläger festgestellte Knochentuberkulose die Folge eines Primärkomplexes meist aus der Lunge oder betroffener Lymphknoten sei. Ein derartiger Primärkomplex könne bis zu zehn Jahre vor dem Ausbruch vorhanden sein. Mithin sei davon auszugehen, dass der Kläger die Infektion bereits vor Krankheitsausbruch bei Herrn F. Z in sich getragen habe.

Auch anhand der von dem Kläger vorgelegten Untersuchungsberichte könne eine möglicherweise bereits vorhandene Infektion nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere könne den Berichten gerade nicht entnommen werden, dass anlässlich der entsprechenden Untersuchungen Röntgenaufnahmen gefertigt worden seien.

Die Kammer hat Beweis erhoben über die gegenteiligen Behauptungen der Parteien durch Vernehmung der Zeuginnen M. Z und N sowie des sachverständigen Zeugen Dr. med. L. Über das ursprünglich vorgesehene Beweisthema hinaus machte der Zeuge auf der Grundlage ihm vorliegender den Kläger sowie Herrn F. Z betreffender Krankenunterlagen sachverständige Ausführungen zu der Frage, ob und wann eine Infektion des Klägers bei dem Herrn F. Z stattgefunden haben könnte. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die mündliche Verhandlung vom 12.01.2006, Bl. 187 d.A., Bezug genommen.

Wegen des Parteienvorbringens im Übrigen wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 839 BGB, 25, 26, 16 Infektionsschutzgesetz i.V.m. Art. 34 Grundgesetz.

Es kann zunächst dahinstehen, ob die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes die Ehefrau des Herrn F. Z ausschließlich nach Kontakten zu Verwandten oder auch zu anderen Personen befragte. Jedenfalls sieht die Kammer eine Pflichtverletzung des Beklagten darin, dass zur Frage der Ermittlung der Ausbreitung der Krankheit alleine die Ehefrau des Infizierten befragt wurde. Nach der einschlägigen Kommentierung zu §§ 25, 26, 16 Infektionsschutzgesetz bzw. §§ 31, 32, 10 der entsprechenden Vorschriften des ehemaligen Bundesseuchengesetzes steht dem Gesundheitsamt zwar ein Ermessen zu, wie es seine Ermittlungen zweckmäßigerweise zu gestalten hat. Jedenfalls besteht die Verpflichtung, sich die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen, die zur Erfüllung der entsprechenden Aufgabe erforderlich sind. Demnach wäre die Befragung des Herrn F. Z als primäre und zuverlässige Auskunftsquelle unabdingbar gewesen. Denn nur so hätte der Gefahr, dass sich die Krankheit in nur diesem bekannten Lebensbereichen ausbreitet, begegnet werden können. Insoweit lag also eine Ermessensreduktion auf Null vor. Entgegen der Behauptung des Beklagten sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Herr F. Z aus gesundheitlichen Gründen nicht ansprechbar gewesen wäre oder dass zumindest nicht eine Anhörung in angemessener Zeit hätte nachgeholt werden können.

Allerdings führt diese Pflichtverletzung im vorliegenden Falle nicht zur Schadensersatzpflicht des Beklagten. Eine solche besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt; es muss sich also um Nachteile handeln, die aus dem bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist (Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Aufl., Vorbemerkung vor § 249 Rdnr. 62 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung). Daran fehlt es im vorliegenden Falle. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Pflichtverletzung des Beklagten zu dem vom Kläger geltend gemachten Schaden geführt hat. Insbesondere konnte der Kläger nicht den Nachweis führen, dass er sich bei Herrn F. Z mit Tuberkulose infiziert habe. Nach den Ausführungen des Herrn Prof. L in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2006 ist zunächst ein wissenschaftliche Klärung der Frage, ob sich der Kläger bei Herrn Z angesteckt habe, nicht mehr möglich. Dies würde nämlich einen Vergleich beider Erregerstämme voraussetzen, was bereits deshalb nicht möglich sei, weil vom Kläger zu keinem Zeitpunkt Kulturen vorgelegen hätten. Grundsätzlich lasse sich zwar auch mit Hilfe einer DNA-Analyse mit relativer Genauigkeit feststellen, ob sich ein Patient bei einem anderen angesteckt habe, jedoch seien entsprechende Bakterienstämme der Beteiligten ebenfalls nicht vorhanden.

Selbst wenn man auf Grund der Angaben der Zeuginnen Z und N davon ausgeht, dass beide Familien ab dem Jahre 1995 einen engen nachbarschaftlichen Kontakt gepflegt haben, vermag auch hieraus die Kammer nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass Herr Z als ausschließliche Ansteckungsursache in Betracht kommt. Die Kammer folgt in diesem Punkte den Ausführungen des sachverständigen Zeugen Herrn Prof. L, welcher erklärt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass die schwere Tuberkulose, wie sie bei dem Kläger im Jahre 2002 zum Ausbruch gekommen sei, eine Spätfolge einer früheren, womöglich unerkannt gebliebenen Erkrankung sei. Insbesondere sei es bei heutiger medikamentöser Versorgung der Bevölkerung im Allgemeinen schwer vorstellbar, dass eine solche massive Tuberkulose bei einem eigentlich gesunden und arbeitsfähigen Menschen alleine auf Grund einer Ansteckung vorkomme. Dem ist zu entnehmen, dass zur Begründung eines Infektionsrisikos neben dem Kontakt mit einer ansteckenden Person zusätzliche Umstände vorgelegen haben müssten, welche zu einer extremen Herabsetzung der menschlichen Immunabwehr geführt hätten. In Betracht kämen etwa ernsthafte Vorerkrankungen, ein weit fortgeschrittenes Lebensalter oder nachhaltig schlechte hygienische Bedingungen. Bei der möglicherweise vorhandenen Heuschnupfenerkrankung des Klägers handelt es sich um regelmäßig gut behandelbare, in der Bevölkerung häufig zu bestimmten Jahreszeiten auftretende Beeinträchtigungen des menschlichen Körpers. Anhaltspunkte dafür, dass hierdurch die Krankheitsabwehr des Klägers in extremer Weise herabgesetzt gewesen wäre, ergeben sich aus dem klägerischen Vorbringen nicht.

Auch die Vorlage diverser Untersuchungsberichte aus den Jahren 1981 bis 1995 führt nicht zu einer anderen Würdigung der Sachlage. Unabhängig von der Frage der Zuverlässigkeit der dort dokumentierten Untersuchungen ergibt sich die Entnahme von Tuberkulinproben bzw. die Erstellung von Röntgenaufnahmen aus den Berichten gerade nicht. Mithin kann auch in diesem Zusammenhang der sichere Ausschluss einer TBC-Infektion zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt nicht festgestellt werden. Dies gilt um so mehr, als für die Jahre 1995 bis 2001 Dokumente über den Gesundheitszustand des Klägers offensichtlich nicht vorhanden sind.

Der Kläger kann schließlich auch nicht damit gehört werden, dass bei rechtzeitiger Untersuchung die Erkrankung in jedem Falle hätte festgestellt und frühzeitig behandelt werden können. Der Nachweis der Ansteckung des Klägers durch den Herrn F. Z ist im vorliegenden Falle unabdingbare Haftungsvoraussetzung, weil sich die im Infektionsschutzgesetz geregelte Untersuchungspflicht lediglich auf die von bestimmten Personen ausgehenden Gefahren bezieht. Der Schutzzweck dieser Norm geht hingegen nicht dahin, bei den Betroffenen anderweitig vorliegende Krankheiten festzustellen.

Demnach ist ein haftungsbegründender Tatbestand im vorliegenden Falle nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung hinsichtlich des Feststellungsantrages erfolgte auf der Grundlage des § 3 ZPO in Höhe von 3.000,00 €. Dieser Wert wurde den bezifferten Klageanträgen hinzugerechnet.

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