KG – Az.: 2 Ws 79/21 – Beschluss vom 30.08.2021
In der Strafsache wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 30. August 2021 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde und die Beschwerde der Staats-anwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin — 25. große Strafkammer — vom 1. Juli 2021 aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 29. April 2021 wird unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Berlin zugelassen.
3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Januar 2021 — 380 Gs 16/21 — tritt mit der Maßgabe wieder in Kraft, dass mit Ausnahme des Falles 1 des Haftbefehls dringender Tatverdacht besteht (§ 112 Abs. 1 StPO).
4. Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten mit ihrer am 6. Mai 2021 zum Landgericht Berlin erhobenen Anklage vom 29. April 2021 zur Last, in Berlin und andernorts ab einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt — in nicht rechtsverjährter Zeit, vor dem 26. März 2020 — bis zum 11. Juni 2020, teils gemeinschaftlich, teils allein, durch 16 selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln (vor allem Cannabisprodukte, MDMA-Tabletten und Amfetamin) in nicht geringer Menge (d.h. im Kilogrammbereich) unerlaubt Handel getrieben zu haben.
Für die Absprachen mit seinen Lieferanten und Abnehmern sowie mehreren mutmaßlichen Mittätern soll er sich des als besonders abhörsicher beworbenen niederländischen Kommunikationsdienstes „EncroChat“ bedient haben. Dieser bot Endgeräte (sogenannte Krypto-Handys) mit modifizierter Hardware und spezieller Software nebst Nutzungslizenzen an und ermöglichte damit über einen in Roubaix (Frankreich) stationierten Server eine Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation.
Die Anklagevorwürfe beruhen im Wesentlichen auf mutmaßlich von dem Angeklagten verfassten oder an ihn gerichteten Chat-Nachrichten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die in der Anklage beschriebenen Handelsgeschäfte zum Gegenstand hatten und im Falle ihrer Verwertbarkeit mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit seine Überführung in der Hauptverhandlung ermöglichen werden.
Die Auswertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellten Daten führte u.a. deshalb am 29. Juli 2020 zur Identifizierung des Angeklagten als mutmaßlichen Nutzer der Kennung „maliburum@encrochat.com“, weil er in einem Chat mit dem Nutzer „p.“ vom 26. März 2020 seine genaue Wohnanschrift „pp.“ angegeben und dies mit dem Hinweis darauf verbundenen haben soll, dass die Wohnung im Erdgeschoss liege und sich sein Nachname am Klingelschild befinde.
Bereits am 17. Januar 2021 hatte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin in derselben Sache einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl (380 Gs 16/21) gegen den Angeklagten wegen des dringenden Tatverdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen erlassen, die im Kern — mit Ausnahme des dortigen Falles 1. — jeweils mit den entsprechenden Fällen der Anklage übereinstimmen.
Mit Beschluss vom 1. Juli 2021 lehnte das Landgericht Berlin — 25. große Strafkammer — die Eröffnung des Hauptverfahrens ab und hob den Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten der vorgeworfenen Taten nimmt der Senat auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 29. April 2021 Bezug.
Die Strafkammer meint, die Chat-Kommunikation des Angeklagten, auf die die Anklage sich als maßgebliches Beweismittel stützt, sei aus Rechtsgründen nicht geeignet, die Schuld des Angeklagten zu belegen; sie sei im deutschen Strafverfahren nicht verwertbar.
1. Die Chat-Nachrichten stammten aus der heimlichen technischen Infiltration des Mobiltelefons des Angeklagten mit dem Ziel, längerfristig Zugriff auf darauf gespeicherte Daten zu erlangen (Online-Durchsuchung) und die laufende Kommunikation zu über-wachen (Quellen-Telekommunikationsüberwachung). Dabei handele es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen (sogenanntes IT-Grundrecht) bzw. in das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG).
2. Die Erhebung dieser Daten — durch die französischen Ermittlungsbehörden — sei (bezogen auf den Angeklagten) rechtswidrig gewesen und der darin liegende Grund-rechtseingriff somit nicht gerechtfertigt. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich bereits dar-aus, dass die Daten unter Verstoß gegen die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (im Folgenden: RL-EEA) und gegen die zu ihrer Umsetzung erlassenen Regelungen im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) erlangt worden seien. Die Maßnahme sei zudem auch deshalb rechtswidrig, weil bei ihrer Anordnung und Durchführung der nach §§ 100a, 100b StPO erforderliche qualifizierte Tatverdacht nicht vorgelegen habe.
3. Zwar ziehe eine rechtswidrige Beweiserhebung nicht in jedem Falle ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Ein solches Verwertungsverbot komme vielmehr nur ausnahmsweise sowie nach einer Abwägung aller Umstände in Betracht und setze einen besonders schwerwiegenden Rechtsverstoß voraus, der im Einzelfall das staatliche Interesse an der Wahrheitsermittlung und die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege überwiege. Ein solcher sei hier indes festzustellen.
Allein schon der von der Strafkammer angenommenen Verstoß gegen Art. 31 RL-EEA sei so gewichtig, dass er das staatliche Strafverfolgungsinteresse überwiege. Hinzu komme, dass es im Hinblick auf den Angeklagten an einem konkreten Tatverdacht gemangelt habe, der als eine grundlegende Eingriffsvoraussetzung zu gelten habe, ohne die eine heimliche Online-Durchsuchung oder Quellen-Telekommunikations-überwachung nach deutschem Rechtsverständnis als objektiv nicht mehr rechtsstaatlich angesehen werden könne.
4. Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 5. Juli 2021 (beim Landgericht am selben Tage eingegangen) begehrt die Staatsanwaltschaft Berlin die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage zur Verhandlung vor einer Strafkammer des Landgerichts Berlin.
Mit ihrer Beschwerde vom selben Tag begehrt die Staatsanwaltschaft zugleich die Aufhebung der Haftentscheidung des Landgerichts.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 210 Abs. 2 StPO) und rechtzeitig (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden, also zulässig. Sie ist auch begründet.
Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straf-tat hinreichend verdächtig erscheint. Im Rahmen der anzustellenden Beweisbarkeits-prognose gilt es zu prüfen, ob der Tatnachweis mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen werde. Bezugspunkt ist dabei nicht die richterliche Überzeugungsbildung als solche, sondern das ihr zugrundeliegende Beweismaterial als Ergebnis der Beweis-aufnahme in der Hauptverhandlung. Der Sache nach geht es darum, ob sich die im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung dergestalt reproduzieren lassen, dass darauf gestützt die Verurteilung des Angeschuldigten hin-reichend wahrscheinlich ist (vgl. KK-StPO/Schneider 8. Aufl., § 203 Rn. 7 mwN).
Zutreffend ist zunächst die Einschätzung des Landgerichts, dass maßgebliches Beweismittel zum Beleg der Tatvorwürfe aus der Anklageschrift die EncroChat-Kommunikation des Angeklagten mit mutmaßlichen Mittätern und anderen teils inzwischen namentlich bekannten, teils noch nicht identifizierten weiteren Nutzern des EncroChat-Dienstes ist, weshalb es entscheidend auf die Verwertbarkeit der diesbezüglichen Kommunikationsinhalte ankommt.
Der Senat bejaht die Verwertbarkeit im Ergebnis in Übereinstimmung mit der zu dieser Frage vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Brandenburg, Be-schluss vom 3. August 2021 — 2 Ws 102/21 [S]; 2 Ws 96/21 —; OLG Düsseldorf, Be-schluss vom 21. Juli 2021 — III 2 Ws 96/21 —; OLG Rostock, Beschluss vom 11. Mai 2021 — 20 Ws 121/21 — BeckRS 2021, 11981 = NJ 2021, 372-374; OLG Schleswig, Beschluss vom 29. April 2021 — 2 Ws 47/21 —, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 23. März 2021 — 20 Ws 70/21 —, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 — 1 Ws 2/21 —, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 18. Dezember 2020 —1 Ws 166/20 —, juris). Eine Verwertbarkeit der durch die französischen Ermittlungsbehörden erhobenen Daten setzt zumindest inzident — wenngleich nicht tragend —auch bereits der Beschluss des Kammergerichts vom 30. Dezember 2020 ([1] 161 HEs 24/20 [7-8/20]) voraus.
1. Die Staatsanwaltschaft Berlin gelangte in den Besitz der zur Ermittlung des Ange-klagten als Tatverdächtigen führenden Daten, nachdem es der Staatsanwaltschaft Lille in Frankreich im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Niederlanden, gelungen war, mittels technischer Mittel in den EncroChat-Server einzudringen und die darüber abgewickelte Kommunikation zu entschlüsseln. Die Ermittlungen wurden in Frankreich unter Beteiligung von Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 ursprünglich gegen die EncroChat-Betreiber u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen geführt.
Den in Frankreich durchgeführten und aufeinander aufbauenden Ermittlungsmaßnahmen lag ausweislich der Akten und der oben genannten obergerichtlichen Beschlüsse folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Rahmen von sieben nicht im Zusammenhang stehenden Ermittlungsverfahren — in fünf Fällen handelte es sich ausschließlich um Betäubungsmitteldelikte (436 kg Cannabisharz / 100 kg Cannabisharz / 30 kg Cannabisharz / 30 kg Cannabisharz / 12 kg Cannabiskraut, 6 kg Heroin, 1 kg Crack), in einem Fall um ein Betäubungsmitteldelikt (6 kg Cannabisharz) sowie um eine Diebstahlsserie von Luxuskraftfahrzeugen und in einem weiteren Fall um bandenmäßig organisierten Kraftfahrzeugdiebstahl — der französischen Behörden in den Jahren 2017 und 2018 wurden verschlüsselte Telefone unter „EncroChat-Lizenz“ sichergestellt.
Weitere Recherchen ergaben, dass diese Telefone auf einer frei zugänglichen Internetseite mit folgenden Produktmerkmalen beworben wurden: „Garantie der Anonymität, personalisierte Android Plattform, doppeltes Betriebssystem, allerneueste Technik, automatische Löschung von Nachrichten, schnelles Löschen, Unantastbarkeit, Kryptografie-Hardwaremodul“. Folgende Anwendungen waren auf dieser Art von Telefonen verfügbar: „EncroChat (Instant-Secure Messaging Kunde), EncroTalk (Chiffrierung der Sprachkonversationen auf IP), EncroNotes (Chiffrierung der lokal auf dem Gerät gespeicherten Notizen)“. Ein Erwerb solcher Endgeräte war jedoch nicht über die offizielle Webseite dieses Unternehmens möglich.
Auf der Verkaufsplattform eBay wurden derartige Geräte für 1.610 Euro angeboten, wobei dieser Preis eine Nutzerlizenz für die Dauer von (nur) sechs Monaten beinhaltete. Personen, die sich nach außen als Verantwortliche der Firma EncroChat präsentierten, existierten nicht. Einen offiziellen Sitz eines Unternehmens EncroChat gab es ebenfalls nicht.
Anhand der Auswertung eines der beschlagnahmten Mobiltelefone konnten die Ermittlungsbehörden aufgrund der aus- und eingehenden Datenströme feststellen, dass eine Datenverbindung zu einem in Roubaix (Frankreich) betriebenen Server bestand. Dieser Server war von der Gesellschaft „Virtue Imports“ mit Sitz in Vancouver/Kanada angemietet.
Nach Einholung eines richterlichen Beschlusses wurden am 21. Dezember 2018 die Daten des vorgenannten Servers kopiert und in der Folgezeit ausgewertet. Die Ermittlungen wurden zu diesem Zeitpunkt wegen des Verdachts der Bildung einer „kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen, die mit zehn Jahren Haft bestraft werden“ (und insbesondere Verbrechen des Betäubungsmittel-/Drogenhandels laut Artikel 222-37 des französischen Strafgesetzbuches) sowie wegen weiteren Tatbeständen im Zusammenhang mit der Lieferung, dem Transfer und dem Import eines Verschlüsselungsmittels geführt.
Die kopierten Serverdaten förderten unter anderem zutage, dass die verwendeten SIM-Karten von einem niederländischen Betreiber stammten und im System insgesamt 66.134 SIM-Karten eingetragen waren. Es konnten knapp 3.500 Dateien mit Notizen entschlüsselt werden, die nach Lage der Dinge in Verbindung mit illegalen Aktivitäten, insbesondere dem Drogenhandel, standen. So zeigten beispielsweise die Notizen eines Nutzers hochwahrscheinlich dessen Einbindung in den Drogenhandel über Häfen und dessen Möglichkeiten zur Geldwäsche in Paris durch Zahlungsströme in Richtung Marokko.
Aufgrund richterlicher Genehmigungen des Gerichts in Lille vom 30. Januar 2020 für den Einsatz einer Computerdaten-Abfangeinrichtung erfolgte sowohl auf dem Server als auch auf den mit diesem Server verbundenen Endgeräten und schließlich mangels anderweitiger Ermittlungsmöglichkeiten — ebenfalls mit richterlicher Genehmigung desselben Gerichts vom 20. März 2020 — eine Umleitung aller Datenströme (DNS-Umleitung) des vorgenannten Servers in Roubaix ab dem 1. April 2020. Dabei wurde bekannt, dass von der Datenabfangmaßnahme 32.477 Nutzer in 121 Ländern betroffen waren. Hiervon befanden sich 380 Nutzer ganz oder teilweise im französischen Hoheitsgebiet, von denen nach Einschätzung der französischen Behörden mindestens 242 Personen — mithin über 60 % — das verschlüsselte Kommunikationssystem zu kriminellen Zwecken nutzten. Das Nutzungsverhalten der übrigen Personen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgewertet oder diese waren inaktiv.
Am 7. April 2020 wurden die Ermittlungen auf Transport, Besitz, Erwerb, Anbieten oder Abgabe von Drogen/Betäubungsmitteln und den Besitz und Erwerb von Waffen ohne Genehmigung ausgedehnt, nachdem nähere Informationen zum Netzwerk der Händler der EncroChat-Telefone bekannt geworden waren. In einem an einen australischen Händler versandten „Leitfaden“ zur Vermarktung der chiffrierten Telefone, der den Ablauf der unterschiedlichen Kaufphasen bis hin zum endgültigen Verkauf an die Nutzer schilderte, wurde unter anderem auch erklärt, dass die Zahlung vorzugsweise in Kryptowährung (Bitcoin) erfolgen solle, dass man sich gegenüber der Polizei verdeckt halten und insbesondere vermeiden müsse, durch mengenmäßig zu große Lieferungen aufzufallen. Dem Händler, dessen Hauptaktivität der Kokainhandel gewesen sein soll, wurde auch versichert, dass die Geräte weder „abgehört“ noch unrechtmäßig genutzt werden könnten, wenn sie „in schlechte Hände“ fielen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass der Polizei eine Lokalisierung nicht möglich sei, wenn diese an die IMEI und die SIM des Telefons gelange.
Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden die aufgrund der richterlichen Anordnung zeitlich begrenzten technischen Maßnahmen zunächst für einen Monat ab 1. Mai 2020 und darauffolgend für weitere vier Monate ab 1. Juni 2020 — jeweils mit richterlichem Beschluss — verlängert und die Deliktstatbestände, derentwegen ermittelt wurde, er-weitert. Die Maßnahmen endeten in Frankreich jedoch bereits mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs des Unternehmens EncroChat nach ihrem Bekanntwerden am 28. Juni 2020.
Die weiteren Ermittlungen gestalteten sich wie folgt:
Zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland — als zu unterrichtender Mitgliedstaat — durch die Republik Frankreich — als überwachender Mitgliedsstaat im Sinne von Art. 31 Abs. 1 RL-EEA — dahingehend, dass sich die Zielperson der Überwachung auf deutschem Hoheitsgebiet befindet oder befunden hat, kam es zunächst nicht. Ebenso unterblieb auch eine Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 31 Abs. 3 RL-EEA, dass die Überwachung durchzuführen oder zu beenden sei.
In der Folgezeit wurden die EncroChat-Daten dem BKA in der Zeit vom 3. April bis zum 28. Juni 2020 übermittelt und dort aufbereitet. Von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main wurden sodann getrennte Ermittlungsverfahren gegen die ermittelten Nutzer eingeleitet und den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften über die jeweiligen Landeskriminalämter zugeleitet.
Vorangegangen war eine Mitteilung Frankreichs über die gewonnenen Erkenntnisse nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austausches von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Hiernach stellen nationale Strafverfolgungsbehörden den Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten Informationen und Erkenntnissen unaufgefordert zur Verfügung stellen, wenn konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass diese dazu beitragen könnten, Straftaten nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten aufzudecken, zu verhüten oder aufzuklären.
Am 2. Juni 2020 erließ die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf der Grundlage der Art. 5 ff. der erwähnten Richtlinie eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA), welche nach Art. 1 der Richtlinie auch auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaates befinden, erlassen werden kann. In Anhang A, Abschnitt C (Sonderheft Rechtshilfe, BI. 1), in welchem die erbetenen Maßnahmen mitgeteilt werden, heißt es: Das BKA sei über Europol informiert worden, dass in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten (insbesondere Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) unter Nutzung von Mobiltelefonen mit der Verschlüsselungssoftware Encro-Chat begangen werden. In diesem Zusammenhang wurden die französischen Justizbehörden ersucht, die unbeschränkte Verwendung der betreffenden Daten bezüglich der über EncroChat ausgetauschten Kommunikation in Strafverfahren gegen die Täter zu genehmigen.
Diese Genehmigung ist am 13. Juni 2020 durch die Ermittlungsrichterin in Lille erteilt und sodann die Fortsetzung der — zuvor ohne Ersuchen erfolgten — Übermittlung der nunmehr ersuchten Daten über Europol angeordnet worden. Die französischen Behör-den haben einer Verwendung der Daten im Rahmen eines jeden Ermittlungsverfahrens im Hinblick auf jedwedes Gerichts-, Strafverfolgungs- oder Untersuchungsverfahren zugestimmt.
2. Maßgeblich ist, ob die von den französischen Behörden nach französischem Recht gewonnenen und übermittelten Erkenntnisse als „Zufallsfunde“ aus einem anderen Verfahren gemäß § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im hiesigen Verfahren als Beweismittel gegen den Angeklagten verwendet und verwertet werden dürfen. Dies ist aus Sicht des Senats der Fall.
a) Die auch die Rechtshilfe umfassende justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen geprägt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht den deutschen Gerichten deshalb eine Nachprüfung der im Ausland veranlassten Maßnahmen nach dem dortigen innerstaatlichen Recht grundsätzlich nicht zu, soweit die dortige Beweiserhebung nicht auf einem deutschen Rechtshilfeersuchen beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 — 1 StR 310/12 —, BGHSt 58, 32 ff). Danach wäre es mit dem hinter dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung stehenden Gedanken des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zu vereinbaren, eine in einem Mitgliedstaat ergangene, dort nicht aufgehobene gerichtliche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung als rechtswidrig zu bewerten, die Gerichte des Entscheidungsstaates hätten ihre eigene nationale Rechtsordnung nicht eingehalten. Allein möglich ist eine beschränkte Überprüfung dahingehend, ob allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze, gemessen etwa an Art. 6 Abs. 1 EMRK oder dem ordre public, verletzt sind. Dies gilt auch dann, wenn im Ausland nach dortigem Recht zulässige Maßnahmen zur Beweisermittlung angewandt wurden, die im deutschen Recht keine Entsprechung haben (vgl. Pauli NStZ 2021, 146; a.M. Derin/Singelnstein NStZ 2021, 449).
Die danach gebotene Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des genannten eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs ergibt aus Sicht des Senats, dass die nach französischem Recht rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse, im deutschen Strafverfahren verwendet und verwertet werden dürfen.
b) Dass die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu genügen scheinen, die nach deutschem Recht an eine Überwachung des internetbasierten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet nach der zu treffenden Gesamtabwägung nicht die Verwertung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse.
Dem Landgericht ist dabei zunächst zuzugestehen, dass die deutsche Rechtsordnung im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (Art. 10, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Sachverhalts und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, während eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 —1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 —, BVerfGE 120, 274 ff.).
Die im Ausgangsverfahren erhobenen Daten sind insbesondere durch solche Ermittlungen erlangt worden, die Maßnahmen nach § 100b StPO entsprechen. Soweit die Daten teilweise auch auf Maßnahmen beruhen, die als Überwachung der Telekommunikation einem Eingriff nach § 100a StPO entsprechen, beschwert es den Angeklagten jedenfalls nicht, auch insoweit den im Verhältnis zu der sonst anzuwendenden Regelung des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO strengeren, von § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO vorgegebenen Schutzstandard anzuwenden (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 — 1 Ws 2/21 —, juris).
Der Umstand, dass ein qualifizierter Verdacht im Sinne der §§ 100a, 100b StPO zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen gegen den Angeklagten nicht bestand, ist hier jedoch unschädlich in dem Sinne, dass er jedenfalls die Verwertung der einmal gewonnenen Erkenntnisse nicht hindert.
Ersichtlich liegt zunächst kein Fall vor, bei dem deutsche Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung an der Datengewinnung im Ausland mitgewirkt hätten. Vielmehr war Deutschland an den von den französischen Ermittlungsbehörden geführten Operationen — soweit erkennbar — nicht beteiligt. Die ermittelten Daten sind anfänglich vielmehr ohne vorherige Absprache spontan an die deutsche Polizei übermittelt worden.
§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO erlaubt grundsätzlich die Verwendung von Kommunikations-daten zur Aufklärung von Straftaten aufgrund derer Überwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100b, 100c StPO hätten angeordnet werden können (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2021 — 2 Ws 102/21 [S]; 2 Ws 96/21 —).
Die primär für den Datenaustausch zwischen verschiedenen innerstaatlichen Strafverfahren konzipierte Vorschrift des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO gilt auch als Rechtsgrundlage für den grenzüberschreitenden Datenverkehr. Die Norm gestattet auch die Verwendung von Informationen aus ausländischen Strafverfahren (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 —1 Ws 2/21 —; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl. § 100e Rn. 21). Ihr Regelungsbereich betrifft die Verwendung von Zufallsfunden aus anderen Strafverfahren. In Bezug auf grenzüberschreitenden Informationsaustausch ist insoweit anerkannt, dass sich Fragen der Verwendung und Verwertung nach dem Recht des ersuchenden Staates richten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 — 1 StR 310/12 —, BGHSt 58, 32 Rn. 21), also desjenigen Staates, der das Strafverfahren führt und hierbei die aus dem ausländischen Verfahren stammenden Informationen verwenden will. Dementsprechend sind die nationalen Vorschriften auch darauf ausgerichtet, grenzüberschreitende Sachverhalte zu erfassen. Anhaltspunkte dafür, dass dies gerade im Hinblick auf § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO nicht der Fall sein sollte, bestehen nicht. Demzufolge ist die Norm dahingehend auszulegen, dass sie auch Daten erfasst, die in ausländischen Strafverfahren durch solche Maßnahmen erhoben wurden, die jenen nach § 100b StPO entsprechen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 29. April 2021 — 2 Ws 47/21 —, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 — 1 Ws 2/21 —, juris). Das ist hier in Bezug auf den Angeklagten der Fall. Ob es auch mit Blick auf andere überwachte Personen so war, berührt die Grundrechte des Angeklagten zunächst nicht.
c) Die Voraussetzungen für die Anordnung von Maßnahmen nach § 100b StPO lagen bezogen auf den Angeklagten zu dem insofern maßgeblichen Zeitpunkt vor.
Bei der Prüfung der Verdachtslage im Rahmen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO kommt es auf die Beurteilung unter Berücksichtigung des „Zufallsfundes“ ab dem Zeitpunkt an, ab dem sich das Verfahren gegen den jeweils Betroffenen gerichtet hat oder richtet, nicht darauf, ob auch ohne die Erkenntnisse aus dem anderen Verfahren gegen ihn ein entsprechender Verdacht bestanden hätte (vgl. OLG Schleswig, aaO). Andernfalls bedürfte es der Vorschrift letztlich nicht. Insoweit geht die Argumentation des Landgerichts hinsichtlich einer anlasslosen Überwachung gerade des Angeklagten fehl.
Schon die Nutzung der mit Verschlüsselungstechnik versehenen, hochpreisigen End-geräte begründete im Übrigen jedenfalls vor dem Hintergrund der französischen Ermittlungsergebnisse in den Ausgangsverfahren wegen der Beteiligung am organisier-ten illegalen Betäubungsmittelhandel einen entsprechenden Anfangsverdacht gegen die Nutzer solcher — für eine konventionelle Kommunikation eher ungeeigneter — Geräte.
Was das Landgericht zum Hintergrund des Tatverdachts in seinem Beschluss aus-führt, überzeugt nicht („Verschlüsselungstechnologien sind auch deshalb für sich gesehen kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Tatverdacht, weil ihre Nutzung aus staatlicher Sicht nicht etwa unerwünscht ist, sondern im Gegenteil zum Schutz vertraulicher Daten vor den Zugriffen Dritter gestärkt werden soll:). Der Verdacht begründet sich mitnichten vor allem — oder „für sich gesehen“ — aus der Verwendung einer effektiven Verschlüsselungstechnologie, wie sie die führenden Messengerdienste ebenfalls anbieten, sondern vor allem aus den dargelegten Gesamtumständen des Vertriebs und der Preisgestaltung der EncroChat-Geräte und den Erkenntnissen, die in den französischen Ausgangsverfahren gewonnen worden waren.
Die im vorliegenden Fall dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte stellen besonders schwerwiegende Katalogtaten im Sinne der §§ 100a, 100b StPO dar und die gewonnenen Daten berühren — soweit ersichtlich — keine den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffenden Informationen. Bei der hinsichtlich der Zulässigkeit der Beweisverwertung vorzunehmenden Abwägung ist neben der erheblichen Gefährdung der Gesundheit der Allgemeinheit auch die Bedrohung durch die mittels des illegalen Betäubungsmittelhandels geförderten und finanzierten Strukturen des organisierten Verbrechens zu berücksichtigen. Die Nichtverwertung von legal durch Behörden der Republik Frankreich — nicht nur eines Gründungsmitgliedes der europäischen Union, sondern auch eines der Mutterländer des modernen Menschenrechtsverständnisses — beschaffter Informationen über derart schwerwiegende Straftaten, verstieße auch in erheblicher Weise gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung.
3. Ebensowenig besteht ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen Art. 31 Abs. 1 lit. b) der RL-EEA. Nach dieser Vorschrift und deren nationalen Umsetzung ins französische Recht sind die französischen Behörden verpflichtet, im Falle der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs einer Zielperson mit Kommunikationsanschluss in Deutschland die zuständige deutsche Behörde davon zu unterrichten, dass sich die überwachte Person im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik befindet oder befunden hat.
Die Unterrichtungspflicht soll dem jeweils betroffenen Mitgliedstaat ermöglichen, den nach seiner Rechtsordnung garantierten Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu gewährleisten, indem er der Überwachung zustimmt oder ihr widerspricht. Die Zulässigkeit der Maßnahme richtet sich nach §§ 91b Abs. 1 Nr. 1 IRG und § 59 Abs. 3 IRG i.V.m. §§ 100a ff. StPO (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 — 1 Ws 2/21 —, juris mwN).
Dass die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates in Fällen, in denen die Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde, hätten widersprechen können, hat hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beweis-verwertung im unterrichteten Staat keine unmittelbare Bedeutung, sondern vermag nach der Konzeption der Regelung gegebenenfalls einen Beweisausschluss im über-wachenden Staat auszulösen (vgl. Wahl ZIS 2021, 452, 457).
Es spielt deshalb auch keine Rolle, ob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main zuständige Bewilligungsbehörde im Verfahren nach Art. 31 RL EEA, § 92d Abs. 1 Nr. 1 IRG war und insoweit eine nachträgliche Heilung des Richtlinienverstoßes hat herbei-führen können. Selbst, wenn die Formalien insoweit nicht eingehalten worden sein sollten, führt die an den entsprechenden Rechtsverstoß der französischen Behörden anknüpfende Abwägung aber jedenfalls nicht zu einem Verwertungsverbot (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 — 1 Ws 2/21 —, juris; OLG Bremen, Be-schluss vom 18. Dezember 2020 — 1 Ws 166/20 —, BeckRS 2020, 38311). Denn zum einen haben die deutschen Behörden durch ihr weiteres Verhalten deutlich gemacht, die Ermittlungsmaßnahmen nicht zu beanstanden. Dies kommt einer nachträglichen Heilung des Verstoßes nahe. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die deutschen Behörden der Überwachung des Angeklagten im Falle ihrer Unterrichtung zugestimmt hätten. Die durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen wären nämlich — wie oben ausgeführt — auch bei Vorliegen eines entsprechenden innerstaatlichen Sachverhalts nach § 100a, § 100b, § 100e StPO zulässig gewesen (vgl. OLG Hamburg aaO bei juris Rn. 105).
Auch ein etwaiger Verstoß im Rahmen der Einholung der Einwilligung nach § 92b IRG durch die EEA der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main begründet kein Beweis-verwertungsverbot. Der von der Verteidigung angeregten Vorlage von Fragen zur Klärung eines Verstoßes der EEA gegen die RL-EEA und weiteres Unionsrecht und nach einem daraus resultierenden unionsrechtlich determinierten Beweisverwertungsverbot an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit eines etwaigen Richtlinienverstoßes. Denn selbst wenn ein solcher in Gestalt der EEA der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main vorläge, würde daraus vorliegend kein Beweisverwertungsverbot folgen.
Der EuGH hat mehrfach ein unmittelbar aus dem Recht der Europäischen Union resultierendes Beweisverwertungsverbot verneint und die Folgen einer Unionsrechts-widrigkeit nach dem Grundsatz der mitgliedsstaatlichen Verfahrensautonomie der Beurteilung nach dem nationalen Recht überlassen, wenn die betroffene Richtlinie keine diesbezüglichen Regelungen enthält. Bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts müssen der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz eingehalten werden, die nationalen Beweisregeln müssen dem Grundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK genügen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2010 — C-511/18 juris, Rn. 221ff., La Quadrature du Net u.a., zu einem Fall unionsrechtswidriger Vorratsdaten-speicherung; EuGH, Urteil vom 10. April 2003 — C-276/01 juris, Steffensen).
Die RL-EEA enthält keine Regelungsvorgaben über die Beweisverwertung. Gemäß Art. 14 Abs. 7 Satz 2 RL-EEA stellen die Mitgliedsstaaten unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften sicher, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer EEA erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet werden. Damit richtet sich die Verwertbarkeit von mittels einer EEA erlangten Beweise nach der Rechtsordnung des ersuchenden Staates (vgl. BT-Drs. 18/9757, S. 32; Wahl ZIS 2021, 452, 454; NK-Rechts-hilfeR/Wömer, 2. Aufl., 4. Hauptteil Rn. 407).
Den Anforderungen an den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz sowie an ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK werden die deutschen Verfahrensregeln gerecht, namentlich die Grundprinzipien der freien Beweiswürdigung und des Amtsermittlungsgrundsatzes, die kein allgemeines Verwertungsverbot rechtswidrig erlangter Beweise enthalten, aber eine effektive Infragestellung der Ergebnisse rechtswidrig erlangter Beweise im Rahmen der Abwägungslehre ermöglichen.
4. Unter Berücksichtigung der von den französischen Behörden übermittelten Erkennt-nissen ist eine Verurteilung des Beschwerdeführers wahrscheinlicher als seine Freisprechung. Der hinreichende (und dringende) Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 29. April 2021 aufgeführten und zutreffend gewürdigten Beweismitteln, namentlich den gesicherten Chatverläufen.
Wie oben bereits erwähnt, führte die Auswertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellten Daten am 29. Juli 2020 zur Identifizierung des Angeklagten als mutmaßlichen Nutzer der Kennung maliburum@encrochat.com. Unter dieser Kennung lief im Zeitraum vom 26. März bis zum 13. Juni 2020 fast täglich eine Kommunikation, die die Beschaffung und/oder den Vertrieb diverser Betäubungsmittel, insbesondere MDMA, Kokain, Amfetamin, Haschisch und Marihuana zum Gegenstand hatte. Häufig kommunizierte mutmaßlich der Angeklagte parallel mit mehreren Rauschgifthändlern, um Angebote zum Kauf von Betäubungsmitteln einzuholen oder um selbst Verkaufsangebote für Betäubungsmittel zu machen. Die dabei in Rede stehenden Betäubungsmittelmengen lagen häufig im Kilogrammbereich, teilweise auch im mehrstelligen Kilogrammbereich.
Schon die erste, den Ermittlungsbehörden bekannt gewordene, Nachricht des Ange-klagten beim Messengerdienst „EncroChat“ vom 26. März 2019 (19.27 Uhr) an den Encrochatnutzer „p.“ enthielt das Wort „hash“ (Haschisch): „Ist das hash weich oder hart dicka?“
IV.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Hauptverfahren vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Berlin zu eröffnen (§ 210 Abs. 3 Satz 1 StPO). Mit ihrer ausführlich begründeten Rechtsansicht in dem angefochtenen Beschluss, die nicht nur im Widerspruch zur Ansicht des Senats, sondern auch der Oberlandesgerichte Bremen, Hamburg, Rostock, Schleswig, Düsseldorf und Brandenburg steht, hat sich die 25. Strafkammer in einer Weise festgelegt, die besorgen lässt, dass sie sich die Auffassung des Senats nicht innerlich zu eigen machen kann (vgl. BGH NStZ 2017, 420). Mithin steht zu befürchten, dass sie im Hinblick auf ihre ursprünglich abweichende Bewertung außer Stande ist, das Verfahren mit der gebotenen Objektivität fortzuführen (vgl. KK-StPO/Schneider 8. Aufl., § 210 Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 64. Aufl., § 210 Rn. 10).
V.
Auf die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft war der Beschluss des Landgerichts auch hinsichtlich der Haftanordnung aufzuheben und dadurch zugleich der Haft-befehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Januar 2021 — 380 Gs 16/21 —mit der Maßgabe wieder in Kraft zu setzen, dass — mit Ausnahme des Falles 1 des Haftbefehls — dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) hinsichtlich der im Haftbefehl aufgeführten Taten (2 bis 14) besteht. Hinsichtlich des Falles 1 hat sich der Ver-dacht nicht konkretisiert, hinsichtlich des Falles 14 bezogen sich die Pläne des Ange-klagten und seiner Mittäter mutmaßlich „nur“ auf die Herstellung von 124,25 kg Amfetamingemisch. Im Hinblick auf die daraus resultierende Straferwartung ist angesichts der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten Fluchtgefahr anzunehmen. Die im Weiteren zuständige Strafkammer des Landgerichts wird in eigener Zuständigkeit über eine etwaige Anpassung des Haftbefehls an den aktuellen Ermittlungsstand — wie von der Staatsanwaltschaft am 29. April 2021 beantragt — zu entscheiden haben.
VI.
Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil kein anderer dafür haftet.