LG Koblenz – Az.: 3 Qs 84/17 – Beschluss vom 10.10.2017
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Mayen vom 30.08.2017 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung vom 31.08.2017 sowie des Ergänzungsbeschlusses vom 22.09.2017 aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I. Mit Strafbefehl vom 31.05.2017 wurde dem Angeklagten zur Last gelegte, am 03.01.2017 in P. entsprechend der §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, 315b Abs. 1 Nr. 3, 52 StGB eine Nötigung in Tateinheit mit einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr begangen zu haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird bezüglich des Sachverhalts auf den konkreten Anklagesatz des Strafbefehls Bezug genommen.
Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.
Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 30.08.2017 wurde, nachdem das Gericht dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis erteilt hatte, dass eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB in Betracht komme, dem Angeklagten gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Eine Begründung des Beschlusses erfolgte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht. Die Hauptverhandlung wurde sodann ausgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 30.08.2017 wurde gegen diesen Beschluss durch den Angeklagten Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB käme weder nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch nach der Sachverhaltsbeschreibung im Strafbefehl in Betracht. Der Tatbestand des § 240 StGB sei ebenfalls nicht erfüllt. Auch für eine Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB (Vorsatz-Vorsatz-Konstellation) gäbe es weder nach Aktenlage noch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Verurteilungswahrscheinlichkeit. Es stehe Aussage gegen Aussage. Der Beschluss sei zudem ohne vorherige Anhörung des Verteidigers sowie ohne inhaltliche Begründung ergangen. Aufgrund des Zeitablaufs seit der Tat sowie des Umstands, dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei, sei der Beschluss zudem unverhältnismäßig. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.
Das Amtsgericht Mayen hat der Beschwerde mit Beschluss vom 31.08.2017 nicht abgeholfen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.
Nachdem das Amtsgericht Mayen mit Schreiben des Landgerichts Koblenz vom 12.09.2017 dazu aufgefordert worden war, die Nichtabhilfeentscheidung zu ergänzen und insbesondere auszuführen, von welchem Sachverhalt – nach vorläufiger Wertung – nach der durchgeführten Hauptverhandlung ausgegangen wird, wurde die Nichtabhilfeentscheidung durch Beschluss des Amtsgerichts Mayen vom 22.09.2017 ergänzt. Durch das Amtsgericht Mayen wurde ausgeführt, nach vorläufiger Wertung des Ergebnisses der Hauptverhandlung vom 30.08.2017 hätten die Voraussetzungen für eine mögliche Verurteilung des Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b), Abs. 3 Nr. 1 StGB vorgelegen.
Mit Schriftsatz vom 02.10.2017 nahm der Verteidiger des Angeklagten zu der Ergänzung der Nichtabhilfeentscheidung Stellung. Es wurde ausgeführt, die Staatsanwaltschaft hätte keinen Antrag auf Erlass eines Beschlusses nach § 111a StPO gestellt. Weder die Staatsanwaltschaft noch der Verteidiger seien vor Erlass des Beschlusses angehört worden. Trotz Hinweises des Landgerichts habe das Amtsgericht den angenommenen, vorläufigen Lebenssachverhalt nicht mitgeteilt. Erstmals in dem Ergänzungsbeschluss von 22.09.2017 sei nunmehr die Vorschrift des § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB benannt worden. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
II. Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Denn gemäß § 34 StPO sind die mit einem Rechtsmittel angreifbaren Entscheidungen zu begründen. Dazu reicht im Falle der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO die knappe Mitteilung des Sachverhalts, seine strafrechtliche Würdigung und die Angabe der Gründe, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (vgl. LG Zweibrücken, Beschluss vom 17.09.2010 – Qs 94/10 – juris).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss – auch unter Berücksichtigung der Nichtabhilfeentscheidung sowie des Ergänzungsbeschlusses – vorliegend jedoch nicht gerecht. Denn der der Entscheidung zugrundegelegte Lebenssachverhalt wurde bisher überhaupt nicht mitgeteilt. Die bloße Bezugnahme auf die nach Auffassung des Gerichts anwendbaren Rechtsnormen genügt insoweit nicht. Die in dem Ergänzungsbeschluss mitgeteilte rechtliche Würdigung entspricht darüber hinaus weder derjenigen in dem Strafbefehl vom 31.05.2017 noch dem rechtlichen Hinweis in der Hauptverhandlung vom 30.08.2017. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, von welchem Lebenssachverhalt das Amtsgericht bei Beschlusserlass ausgegangen ist.
Das Fehlen einer hinreichenden Begründung stellt auch einen gewichtigen Verfahrensmangel dar. Zum einen erschwert es dem Angeklagten eine sachgerechte Anfechtung der Entscheidung. Zum anderen ist es der Kammer hierdurch verwehrt, die Gründe der angefochtenen Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Die fehlende Überprüfungsmöglichkeit würde im Ergebnis auf eine Kompetenzverlagerung hinauslaufen, da die Kammer praktisch in erster Instanz tätig werden und entscheiden müsste. Eine solche Kompetenzverlagerung kommt – da sie mit dem Verlust einer Instanz für den Angeklagten verbunden wäre – nicht in Betracht.
Der angefochtene Beschluss war daher bereits aufgrund seiner unzureichenden Begründung aufzuheben.
Im Übrigen erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt. Zwar kann grundsätzlich die Fahrerlaubnis auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt vorläufig nach § 111a StPO entzogen werden. Bei einer vorläufigen Entziehung erst längere Zeit nach der Tatbegehung ist jedoch, da es sich bei § 111a StPO um eine Eilentscheidung handelt, besonders sorgfältig die Einhaltung und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen (OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2001 – 2 Ws 304/01). Dabei sind insbesondere die Schwere des Verkehrsverstoßes und der Grad der von dem Täter ausgehenden Gefahr einerseits sowie das Ausmaß einer etwaigen Verfahrensverzögerung, die Dauer des Zeitablaufs und die – etwaigen beruflichen – Belange des Angeklagten andererseits gegeneinander abzuwägen.
Nach Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber nicht verhältnismäßig. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lag die angeklagte Tat bereits nahezu 9 Monate zurück. Der Tatvorwurf erscheint – gegenüber der ursprünglich im Strafbefehl getroffenen Annahme – nach der durchgeführten Hauptverhandlung auch weniger schwerwiegend. Entgegen der rechtlichen Würdigung im Strafbefehl geht das Amtsgericht Mayen nach dem Ergänzungsbeschluss vom 22.09.2017 nämlich selbst „nur“ noch von einer Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Konstellation) aus. Der 53-jährige Angeklagte, der seine Fahrerlaubnis auch zur Ausübung seiner nebenberuflichen Tätigkeit nutzt, ist bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Auch sein Fahreignungsregister enthält keine Eintragungen. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war auf dieser Grundlage nicht geboten.
Auf die begründete Beschwerde war der Beschluss daher aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.