Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 1 Rev 12/17 – Beschluss vom 27.06.2017
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2016 wird auf seine Kosten nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hamburg hatte den Angeklagten wegen Betruges zu einer Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen verurteilt. Auf die hiergegen jeweils unbeschränkt geführten Berufungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem hin hat das Landgericht lediglich die Tagessatzhöhe gemildert und die Rechtsmittel im Übrigen verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner unbeschränkt geführten und auf die Verletzung formellen wie sachlichen Rechts gestützten Revision.
II.
1. Schuld- und Rechtsfolgenausspruch halten – namentlich aus den zutreffenden Gründen aus Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft – sachlich-rechtlicher Überprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Näherer Erörterung bedarf allein die erhobene verfahrensrechtliche Beanstandung einer Verwertung von Videoaufzeichnungen am Tatort. Der Beschwerdeführer erblickt – soweit seine Verfahrensrüge überhaupt eine eindeutige Angriffsrichtung erkennen lässt – in einem vorgeblich unterbliebenen Hinweis auf eine im Warenkaufhaus S… vorgenommene Videoüberwachung nach § 6b Abs. 2 BDSG einen Rechtsfehler, der die Unverwertbarkeit des Beweismittels begründe. Es kann dahin stehen, ob der Beschwerdeführer insoweit sämtliche rügebegründenden Tatsachen vorgetragen hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Verfahrensbeanstandung wäre jedenfalls unbegründet.
a) Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob das Unterlassen der Kenntlichmachung von Videoaufzeichnungen zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt (BeckOK-DatenSR/Brink, 19. Ed., § 6b BDSG Rn. 91; Simitis/Scholz, BDSG, 8. Aufl., § 6b Rn. 110; Bayreuther, NZA 2005, 1038, 1040) oder entweder generell oder § 6b Abs. 2 BDSG im Einzelfall einschränkend (vgl. nur BAG, Urt. v. 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025) die Frage der Rechtmäßigkeit nicht berührt.
b) Denn ein solcher datenschutzrechtlicher Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG vermag beim Warenhausdiebstahl die Unverwertbarkeit des Beweismittels für den Strafprozess grundsätzlich nicht zu begründen.
aa) Der Strafprozessordnung sind Beweisverwertungsverbote grundsätzlich fremd. Ein Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot hat daher – auch im Falle personenbezogener Informationen (BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09, 1857/10, BVerfGE 130, 1, 29 ff.) – nicht zwingend ein prozessuales Beweisverwertungsverbot zur Folge. Es bedarf vielmehr einer umfassenden Abwägung im Einzelfall, wobei das Gewicht des Verfahrensverstoßes und die Interessen des Betroffenen ebenso in Betracht zu ziehen sind, wie das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 17. März 1971 – 3 StR 189/70, BGHSt 24, 125, 130; Beschl. v. 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 f.; Beschl. v. 20. Mai 2015 – 4 StR 555/14, NJW 2015, 2594, 2596; Urt. v. 17. Februar 2016 – 2 StR 25/15, NStZ 2016, 551, 552). Maßgeblich ist stets eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Entscheidung, ob die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit in Anbetracht der Schwere eines Verfahrensverstoßes und des Grades der Beeinträchtigung der geschützten Interessen des Angeklagten eingeschränkt werden muss. Dabei kommt es auch darauf an, ob die verletzte Vorschrift die verfahrensrechtliche Stellung eines Angeklagten sichern soll oder sich der Verstoß für ihn als unerheblich darstellt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., Einl. Rn. 55a).
bb) Auch die im Wege fehlender Kenntlichmachung gemäß § 6b Abs. 2 BDSG vorgenommene Videoaufzeichnung durch Private ist hieran zu messen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 4. Mai 2016 – 4 Ss 543/15, NJW 2016, 2280; Bäumerich, JuS 2016, 803, 807; a.A. Niehaus, NZV 2016, 551, 555). Ein solcher Verstoß erweist sich grundsätzlich als ungeeignet, im Rahmen der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen das Strafverfolgungsinteresse des Staates gegenüber den Interessen eines Beschuldigten zurücktreten zu lassen.
(1) Die vom Beschwerdeführer beanstandete datenschutzrechtliche Regelung dient nicht der Sicherung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren und ist daher nur mit begrenztem Gewicht in die Abwägung einzustellen.
(2) Die Vorschrift sichert zudem nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung; die Aufnahmen sind lediglich Bestandteil der Individualsphäre eines Beschuldigten, die hier – namentlich bei der Begehung von Straftaten – keine erhöhte Schutzbedürftigkeit aufweist. Auch wenn demjenigen, der in Kenntnis von vorhandener Videoüberwachung Geschäftsräume betritt, nicht unterstellt werden kann, er willige konkludent in die Beobachtung ein (BVerfG, Beschl. v. 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06, NVwZ 2007, 688, 690), so dass ein Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG entfiele, reduziert sich das Gewicht einer Hinweispflichtverletzung mit Blick auf das jedenfalls gedankliche Mitbewusstseins eines Betroffenen um Videoanlagen in großen Warenkaufhäusern weiter.
(3) Es liegt mit dem datenschutzrechtlichen Hinweisverstoß überdies auch kein Rechtsfehler vor, den sich die Strafverfolgungsbehörden zurechnen lassen müssten (vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 1. Dezember 2016 – 3 StR 260/16, NJW 2017, 1828, 1830 m.w.N.).
c) Nach alledem kommt einem etwaig unterblieben Hinweis in Warenkaufhäusern auf dort durchgeführte Videoüberwachungen im Strafprozess ein derart geringes Gewicht zu, dass ein Beweisverwertungsverbot unabhängig vom Tatvorwurf ausscheidet (vgl. auch Bäumerich, a.a.O.). Eine nähere tatgerichtliche – freibeweisliche – Aufklärung solcher Umstände ist daher in aller Regel auch nicht geboten (§ 244 Abs. 2 StPO).