LG Stade, Az.: 132 Qs 112 Js 13902/18 (88/18), Beschluss vom 04.07.2018
Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB
Die Beschwerde vom 21. Juni 2018 gegen den die Fahrerlaubnis entziehenden Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 22. Mai 2018 (Aktenzeichen 2 Ds 112 Js 13902/18) wird auf Kosten des Beschwerdeführers, der auch seine notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren zu tragen hat, als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme seines Führerscheins.
Die Staatsanwaltschaft Stade erhob am 8. Mai 2018 Anklage gegen den Beschwerdeführer. Ihm wird zur Last gelegt, am 16. Januar 2018 in Hollenstedt vorsätzlich im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen zu schnell gefahren zu sein und an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn eingehalten zu haben und dadurch fahrlässig Leib oder Leben eines anderen Menschen und fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben, sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer nicht mit angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt zu haben, um eine größtmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch fahrlässig Leib oder Leben eines anderen Menschen und Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben, und durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht zu haben.
Mit dem angegriffenen Beschluss entzog das Amtsgericht Tostedt dem Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Dieser half das Amtsgericht Tostedt mit Beschluss vom 22. Juni 2018 nicht ab und legte die Akten dem Landgericht über die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vor.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 304, 305 S. 2 StPO zulässig, aber unbegründet.
Das Amtsgericht hat dem Beschwerdeführer zu Recht seine Fahrerlaubnis entzogen und die Beschlagnahme seines Führerscheins angeordnet.
Einem Beschuldigten kann bereits im Ermittlungsverfahren die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 111a Abs. 1 Satz 1 StPO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die Verurteilung wegen einer rechtswidrigen Tat, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen wird, zieht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Beschuldigte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Handelt es sich um ein Vergehen der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB, so stellt die Entziehung der Fahrerlaubnis den Regelfall dar (§ 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB). So liegt es hier.
Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den überzeugenden und schlüssigen Angaben der Zeugen S und K sowie der Zeuginnen H und T. Der Zeuge S hat ausgesagt, dass der Beschwerdeführer auf der M Straße zunächst einen Sprinter überholt habe. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Fahrzeug aber nicht zwischen dem überholten Sprinter und seinem Fahrzeug eingeschert, sondern habe auch ihn überholt. Die Fahrzeuge hätten sich bereits kurz vor einer Kurve befunden. Als sich der Beschwerdeführer auf der Höhe seines Fahrzeugs befunden habe, sei Gegenverkehr gekommen. Er habe eine Vollbremsung eingeleitet und der Beschwerdeführer sei mit den entgegenkommenden Fahrzeugen kollidiert. Die Zeugin H hat übereinstimmend bekundet, dass sich die Fahrzeuge des Beschwerdeführers und des Zeugen S bereits kurz vor einer Kurve befunden hätten, als der Beschwerdeführer den Zeugen S überholt habe. Auch der Zeugen K und die Zeugin T haben angegeben, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug des Zeugen S im Bereich einer Kurve überholt habe.
Die Kammer hat bei der gebotenen vorläufigen Betrachtung keinerlei Anlass an der Richtigkeit der Angaben der Zeugen zu zweifeln.
In Anbetracht dieser Umstände besteht derzeit eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dem Verdacht entsprechende Feststellungen in Bezug auf eine Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB getroffen werden können, sodass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO erforderlich und im Übrigen auch verhältnismäßig ist.
Nach vorläufiger Bewertung hat der Beschwerdeführer allerdings den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht verwirklicht. Die Tathandlung muss von der Absicht getragen sein, eine „höchstmögliche Geschwindigkeit“ zu erreichen (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 16). Diese Tatbestandsvoraussetzung soll insbesondere dem Erfordernis des Renncharakters gerecht werden. Hingegen sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen – auch wenn sie erheblich sind – nicht von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst sein (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6; Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 9 – beck-online). Strafbar soll sein, wer „objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt“ (vgl. BT-Drs. 18/12936, S. 2). Nach Auffassung der Kammer dient der Kraftfahrzeugverkehr und ein Überholvorgang regelmäßig dem „möglichst“ schnellen Vorankommen (vgl. auch Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 18), sodass für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zum bloßen zügigen Überholen ein Fahren mit Renncharakter hinzukommen muss. Ein Renncharakter ist gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. Hierfür sieht die Kammer nach vorläufiger Würdigung des Akteninhalts keine ausreichenden Anhaltspunkte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.