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Faustschlag als Notwehrhandlung gerechtfertigt

LG Bonn – Az.: 26 Ns – 227 Js 1849/15 – 65/16 – Urteil vom 19.09.2016

Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 29.02.2016, Az: 204 Ds 524/15, aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

A.

Die Staatsanwaltschaft C hat dem Angeklagten mit Anklage vom 02.12.2015 vorgeworfen, am 28.08.2015 gegen 15.45 Uhr in T2, B …, dem Zeugen Q ohne rechtfertigenden Grund zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, wodurch dieser eine Kieferwinkelfraktur rechts und eine nicht dislozierte Jochbeinfraktur links erlitt.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten deswegen mit dem angefochtenen Urteil wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger am 01.03.2016 form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt zum Freispruch des Angeklagten. Das erstinstanzliche Urteil war dementsprechend aufzuheben.

I.

( Diverse Angaben zum Lebenslauf des Angeklagten)

Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten enthält insgesamt 6 Eintragungen:

1. – 3.

19… wurde er durch das Amtsgericht T2 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt, im Jahre 20… – ebenfalls durch das Amtsgericht T2 – wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 DM. 20… verurteilte ihn das Amtsgericht L wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR, ferner wurde eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis von 3 Monaten verhängt.

4.

Mit Urteil des Amtsgerichts T2 vom ……..20…, Az. … Js …/… … Ds …/…, wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt.

Der Angeklagte hatte am 04.04.2004 als Türsteher am Haupteingang der Diskothek „T3“ in T2 den Zeugen T mit der Faust ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser sich gegen Schläge einer weiteren – unbekannt gebliebenen – Person zur Wehr gesetzt hatte. Im Anschluss daran hatte der Angeklagten mit vier weiteren unbekannten Personen auf den Zeugen T eingeschlagen, der eine Schwellung am linken Unterkiefer und am linken Auge sowie Prellungen am Rücken erlitt.

5.

Faustschlag als Notwehrhandlung gerechtfertigt
(Symbolfoto: Red Fox studio/Shutterstock.com)

Mit Urteil des Amtsgerichts C2 vom ……..20…, Az. … Ls … Js …/… … VRs, wurde der Angeklagte wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in zwei Fällen zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Der Angeklagte hatte 2007 gemeinsam mit seinem Bruder L drei rumänische Frauen „gekauft“, um diese als Prostituierte für sich arbeiten zu lassen. Zu diesem Zweck hatte Angeklagte mit seinem Bruder Mitte März 2007 zunächst eine Frau in einen Bordellbetrieb untergebracht. Weil diese aber die Erwartungen nicht erfüllt hatte und deshalb von dem Angeklagten und seinem Bruder „freigegeben“ worden war, hatten die Beiden zwei weitere Frauen „gekauft“, um nunmehr diese – ggfls. unter Einsatz von Gewalt – der Prostitution nachgehen zu lassen. In der Folgezeit hatte der Bruder des Angeklagten eine der beiden Frauen, zunächst für kurze Zeit über das Vorspiegeln einer auf Gegenseitigkeit beruhende Liebesbeziehung, später mittels Gewalt – was dem Angeklagten auch bekannt gewesen war – dazu gebracht, der Prostitution nachzugehen. Die Einnahmen aus dieser Tätigkeit hatte der Bruder des Angeklagten für sich und den Angeklagten vereinnahmt. Obwohl die Frau immer wieder darum gebeten hatte, aufhören zu dürfen, hatte sie ihre Tätigkeit fortgesetzt, insbesondere weil es aufgrund ihrer Weigerung zu einem massiven körperlichen Übergriff des Bruders des Angeklagten – von dem der Angeklagte gewusst und den dieser gebilligt hatte – gekommen war, bei dem die Frau von dem Bruder des Angeklagten geschlagen und mit einem Kissen mehrfach nahezu erstickt worden war. Dies fand erst ein Ende mit der Festnahme des Bruders des Angeklagten im Augst 2007.

Die Strafe aus dieser Verurteilung wurde mit Wirkung zum 10.04.2013 erlassen.

6.

Zuletzt wurde der Angeklagte durch Strafbefehl des Amtsgerichts F vom 30.11.2009, Az. … Js …/… … Cs …/…, wegen gemeinschaftlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 EUR verurteilt.

Der Angeklagte war am 26.05.2009 aus den Niederlanden als Beifahrer gemeinsam mit E in einem Pkw über den Grenzübergang F2/Autobahn über die Bundesautobahn … in das Bundesgebiet eingereist, wobei sie in der Mittelkonsole des Fahrzeugs insgesamt 3,6 Gramm Marihuana mit sich geführt hatten.

II.

Die Berufungshauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:

Die Zeugen Q und B2 S betrieben zur Tatzeit in T2 unter der Anschrift „B“ Gewerbebetriebe, der Zeuge Q einen Dachdeckerbetrieb und der Zeuge S eine Kfz-Werkstatt. Beide Betriebsstätten lagen – der Zeuge Q hat seinen Betrieb inzwischen verlegt – unter der Anschrift „B“ in T2 nebeneinander, wobei man zu den jeweiligen Betriebsgebäuden über einen gemeinsamen, rechteckigen, mit einer Mauer umschlossenen Innenhof gelangt. Zwischen dem zu diesem Hof gelegenen Tor der Kfz-Werkstatt und dem ebenfalls zum Hof gelegenen Tor der Werkstatt des Dachdeckerbetriebes stand zu Tatzeit ein von dem Zeugen Q benutzter großer Müllcontainer. Ferner befand sich, entlang der Hofwand einige Meter gegenüber der beiden Werkstätten stehend, ein weiterer von dem Zeugen Q aufgestellter und benutzter Müllcontainer.

Am 28.08.2015 suchte der Angeklagte gegen 15.45 Uhr mit einem gerade im Rahmen seines Kfz-Handels neu erworbenen Fahrzeug die Autowerkstatt des Zeugen S auf. Hintergrund war, dass der Wagen Motorprobleme hatte. Der Angeklagte parkte sein Fahrzeug mit der Motorhaube nach vorne vor dem Tor der Kfz-Werkstatt des Zeugen S. In der Folge standen der Angeklagte und der Zeuge S vor der geöffneten Motorhaube und sprachen über mögliche Probleme des Motors.

Währenddessen traf die jetzige Ehefrau und damalige Lebensgefährtin des Angeklagten, die Zeugin J2, vormals O, mit ihrem Fahrzeug auf dem Hofgelände ein. Sie wollte den Angeklagten, der sein Fahrzeug zur Reparatur bei dem Zeugen S lassen wollte, von dort wieder mitnehmen. Während der Zeuge S und der Angeklagte noch mit dem Fahrzeug beschäftigt waren, sah die Zeugin J auf dem Hof den an der Wand gegenüber der Werkstätten stehenden Container. Sie stieg aus dem Wagen aus und ging zu dem Container, um zu sehen, ob sie dort möglichweiser mehrere Säcke mit Plastikmüll entsorgen könnte, was sie ihrem vor der Werkstatt stehenden Mann zurief. Dies bekam der Zeuge Q mit, der gerade auf dem Weg zu seinem Fahrzeug war, das – von den Werkstätten aus gesehen – links neben dem zwischen den Werkstätten stehenden Container geparkt war. Ihm missfiel das Vorhaben. Als sie Zeugin J gerade einige Stufen, die sich an dem Container befanden, hinaufgestiegen war, und in den Container hineinsah, rief er ihr deshalb vor seinem Wagen stehend sinngemäß in aggressivem und lauten Tonfall zu, dass das kein Mischmüllcontainer sei und dort kein Müll reingeworfen werde. Die Zeugin J bekam aufgrund des lauten aggressiven Tons des Zeugen Q Angst, ging deshalb wieder zu ihrem Wagen und setzte sich hinein.

Derweil wandte sich der Zeuge Q dem Angeklagten zu, den er durch den Zuruf der Zeugin J als zu dieser gehörig identifiziert hatte, und der einige Meter entfernt von ihm immer noch an seinem Fahrzeug stand, und sprach diesen auf den Vorfall an. Daraufhin kam es zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem im Verhältnis zu diesem leichteren und auch kleineren Zeugen Q, in der Letzterer den Angeklagten als „Wichser“ beleidigte und ihm sinngemäß vorwarf, dass er hier mit dem Müll mache, was er wolle. Der Angeklagte reagierte auf diese Ansprache ebenfalls aggressiv, indem er sinngemäß antwortete, was er – der Zeuge Q – denn überhaupt wolle, er solle sich „verpissen“.

Diesen kurzen Streit hörte die Zeugin J durch ihr geöffnetes Wagenfenster. Sie stieg aus und ging zu dem Fahrzeug des Angeklagten, um den Streit zu schlichten. Dazu ging sie auf die beiden Männer zu, die sich nunmehr zwischen dem Fahrzeug des Zeugen Q und dem des Angeklagten in kurzem Abstand gegenüberstanden. Als sie diese erreichte und sich zwischen diese stellen wollte, packte der Zeuge Q mit einer Hand den Arm der Zeugin und zog diese zur Seite weg. Dem Angeklagten missfiel, dass der Zeuge Q seine Lebensgefährtin anfasste, und er nahm deshalb die Hand des Zeugen Q und zog diese von dem Arm der Zeugin weg. Daraufhin schlug der Zeuge Q mit der Faust in Richtung des Gesichts des Angeklagten. Dieser wich mit dem Oberkörper nach hinten zurück, um dem Schlag auszuweichen, wurde aber dennoch von der Faust des Zeugen Q schmerzhaft derart im Gesicht getroffen, dass er dadurch eine Rötung unterhalb des rechten Auges erlitt. Dabei bewegte sich der Zeuge Q weiter auf den Angeklagten zu, und letzterer schlug sodann – in der Erwartung, dass der Zeuge Q weiter zuschlagen würde – den Zeugen Q mit zwei schnell aufeinanderfolgenden Faustschlägen der rechten und linken Hand ins Gesicht, um weiteren Schlägen zuvor zu kommen. Dabei traf er den Zeugen im Bereich unterhalb des rechten Mundwinkels und am linken Auge und brach diesem den rechten Unterkiefer und das linke Jochbein. Außerdem erlitt der Zeuge eine Risswunde am Mundwinkel.

Der Zeuge Q ging aufgrund der Schläge des Angeklagten zu Boden und blieb, aus der Risswunde stark blutend, zunächst im Bereich zwischen den Werkstätten und dem dort stehenden Container auf dem Boden liegen. Währenddessen nahm der Angeklagte wahr, dass Mitarbeiter der beiden Betriebe auf den Vorgang aufmerksam geworden waren und sich näherten. Er bekam ob der Überzahl Angst, nahm die Zeugin J am Arm, zog diese zu deren Auto und die beiden setzen sich hinein und fuhren weg.

Der Zeuge K, der sich zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung ebenfalls auf dem Hof befunden hatte, und dort mit dem Einbau einer Batterie an einem Fahrzeug beschäftigt gewesen war, ging derweil zu dem Zeugen Q und begleitete diesen zunächst auf die Toilette der Kfz-Werkstatt. Dort stellte der Zeuge Q fest, dass er wahrscheinlich erheblich verletzt sei. Er beschloss, zunächst zur Polizei und im Anschluss daran zum Arzt zu fahren, was er dann auch selbst mit seinem Fahrzeug tat. Indessen bemerkte er schon auf dem Weg zur Polizei, dass er starke Schmerzen beim Schlucken hatte. Von der Polizeiwache wurde der Angeklagte deshalb mit dem Rettungswagen in die Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsklinik C gebracht. Dort wurde der Zeuge Q noch am selben Tag operiert, wobei ihm eine Platte in den Kieferknochen gesetzt wurde. Der Jochbeinbruch blieb unbehandelt. Der Zeuge verblieb im Anschluss an die Operation fünf Tage stationär in der Klinik. Anschließend war er ca. 4 Wochen arbeitsunfähig, in denen er seiner üblichen Tätigkeit als Dachdecker nicht nachgehen konnte, indessen konnte er – und hat dies auch getan – bereits nach 2 Wochen wieder Bürotätigkeiten in seinem Betrieb erledigen. Durch die Kieferverletzung hatte er Schwierigkeiten, Nahrung zu sich zu nehmen, was dazu führte, dass er nach dem Vorfall 10 Kilogramm Körpergewicht verlor, die er inzwischen aber größtenteils wieder zugenommen hat. Im Februar 2016 musste sich der Zeuge einer weiteren Operation unterziehen, bei der die Platte wieder aus dem Kiefer entfernt wurde. Aufgrund dieser Operation verbachte der Zeuge einige Tage in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Danach war er wiederum 2 Wochen arbeitsunfähig. Inzwischen sind die Verletzungen verheilt. Der Angeklagte hat heute aufgrund des Vorfalls noch eine ca. 2 cm lange, unauffällige Narbe, die vom Mundwinkel nach unten verläuft.

B.

I.

Der Angeklagte hat sich in der Berufungshauptverhandlung zu dem Verlauf der Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Zeugen Q wie festgestellt eingelassen.

Ferner hat der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung erklärt, der Zeuge Q habe einige Wochen nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht T2 per telefonischer Textmitteilung um ein Treffen gebeten. Er selbst habe zunächst nicht gewusst, ob er sich darauf einlassen solle, habe aber letztlich einem Treffen zugestimmt, nachdem er seinen Anwalt nicht hatte erreichen können. Der Zeuge Q sei dann zu ihm in sein Büro gekommen. Den Termin habe man per SMS vereinbart. Bei dem Treffen habe der Zeuge Q berichtet, dass er Probleme mit offenen Rechnungen habe, und ihn darum gebeten, diese Außenstände für ihn „einzutreiben“. Dafür habe er ihm der Hälfte der einzutreibenden Summen von jeweils 10.000 bis 20.000 EUR angeboten. In diesem Zusammenhang habe sich der Zeuge auch bei ihm entschuldigt. Auch habe er sinngemäß gesagt, er sei zwar „abgefuckt“ gewesen, dass er niedergeschlagen worden sei, wolle aber Freundschaft schließen. Zu einer Vereinbarung betreffend die Eintreibung der Außenstände sei es nicht gekommen, weil er selbst dies abgelehnt habe.

II.

1. Die Feststellungen zur Person zur Person beruhen auf den Angaben des Angeklagten und der Zeugin J sowie auf den zu den Vorstrafen des Angeklagten verlesenen Urkunden.

2. Die Feststellungen zur Sache beruhen hinsichtlich des – dem Streit zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Q2 vorausgehenden – Vorfalls zwischen der Zeugin J und dem Zeugen Q betreffend die Müllentsorgung auf den Angaben der Zeugen J, Q und G2.

Hinsichtlich des Verlaufs der sich anschließenden Auseinandersetzung zwischen Zeugen Q und dem Angeklagten beruhen die Feststellungen auf der Einlassung des Angeklagten. Insoweit ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung – abweichend von den Feststellungen des Amtsgerichts – zu Gunsten des Angeklagten von dessen Schilderung des Verlaufs der Auseinandersetzung auszugehen. Zwar hat der Zeuge Q abweichend von der Einlassung des Angeklagten bekundet, er sei, nachdem er sich geweigert hatte, die Zeugin J Abfall in seinen Müllcontainer entsorgen zu lassen, von dem Angeklagten unvermittelt mit Faustschlägen angegriffen worden. Indessen hat die Kammer an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben erhebliche Zweifel. Weitere Zeugen, die die Angaben des Zeugen Q zu dem von ihm behaupteten Verlauf der Auseinandersetzung bestätigen, gibt es nicht. Hingegen hat die Zeugin J den von dem Angeklagten geschilderten Verlauf der Tätlichkeiten bestätigt. Die Einlassung des Angeklagten, dass zunächst er von dem Zeugen Q mit einem Faustschlag angegriffen worden sei und sich nur verteidigt habe, lässt sich jedenfalls anhand der Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung nicht widerlegen.

Im Einzelnen:

a) Die Zeugen Q, J2 und G3 haben übereinstimmend bekundet, dass die Zeugin J zu dem Container gegangen sei, dort hineingesehen habe und – so die Zeugen G2 und Q – dem Angeklagten zugerufen habe, da könne man Müll entsorgen, was der Zeuge Q abgelehnt habe.

b) Die Feststellungen betreffend den Ablauf der sich anschließenden Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen Q und dem Angeklagten beruhen – wie oben schon dargelegt – auf der Einlassung des Angeklagten, die durch die Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung nicht widerlegt wurde. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Einlassung des Angeklagten nicht der Wahrheit entspricht, hatte die Kammer nicht.

aa) Die Einlassung des Angeklagten wird insbesondere nicht durch die Angaben des Zeugen Q widerlegt. Zwar schildert dieser den Ablauf der Auseinandersetzung anders, indessen sind seine Angaben nicht glaubhaft. Der Zeuge Q hat in der Berufungshauptverhandlung Folgendes bekundet:

Der Angeklagte sei mit seinem Fahrzeug zu der Kfz-Werkstatt von Herrn S gekommen. Dort hätten die beiden dann zunächst vor der geöffneten Motorhaube des Fahrzeuges gestanden. Kurz darauf sei auch eine Frau mit einem Auto gekommen. Sie sei zu dem Container gegangen, habe dort hineinsehen und dem Angeklagten zugerufen, dass man da Müll reinwerfen könne. Das habe er, Q, gehört, weil er gerade auf dem Weg zu seinem Auto gewesen sei, das neben dem anderen Container geparkt gewesen wäre, und er habe deshalb zu der Frau gesagt, dass da kein Müll reingeworfen werde, das sei kein Mischmüll. Daraufhin sei der Angeklagte auf ihn zugekommen, und habe sinngemäß aggressiv zu ihm gesagt, was er denn wolle. Er habe dann lediglich wiederholt, dass da kein Müll reingeworfen werde. Dabei habe er den Angeklagten auch in keiner Weise beleidigend oder aggressiv angesprochen, sondern noch gefragt, wie viele Säcke Müll sie denn hätten. Darauf habe er aber keine Antwort bekommen. Er habe dann wegfahren wollen und sich zu seinem Auto umgedreht, das zwischen dem Fahrzeug des Angeklagten und dem zwischen den Werkstätten stehenden Container gestanden habe. Dabei habe er von dem Angeklagten zwei Faustschläge ins Gesicht bekommen, einer habe ihn rechts unten am Mund getroffen und einer sofort danach am linken Auge. Aufgrund der Schläge sei er zu Boden gegangen, habe sich erst noch kurz aufgerappelt und sich dann in der Ecke von Container und Hauswand auf den Boden gesetzt. Danach habe ihn der Zeuge K auf die Toilette begleitet. Im Anschluss daran sei er zur Polizei gefahren und von dort ins Krankenhaus gebracht worden.

An der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu dem Ablauf der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten hat die Kammer erhebliche Zweifel. Zunächst ist nach der Schilderung des Zeugen ein plausibler Grund für die Faustschläge des Angeklagten in keiner Weise ersichtlich. Zwar hat der Zeuge Q die Zeugin J davon abgehalten, Abfall in den von ihm aufgestellten Container zu werfen, und danach auch zu dem Angeklagten gesagt, dass dort kein Abfall reingeworfen werden solle. Warum der Angeklagte dies allein – selbst wenn dies unfreundlich erfolgt sein sollte – zum Anlass nehmen sollte, auf den Zeugen zuzugehen und ihn mit zwei Faustschlägen niederzuschlagen, ist nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten noch gefragt haben will, wie viel Müll er denn habe, was nur als Einlenken und Angebot zur Müllentsorgung aufgefasst werden konnte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Angeklagte typischerweise dazu neigt, bei geringem oder auch ohne Anlass auf andere „loszugehen“. Der Angeklagte war zwar – wie sich aus seinen Vorstrafen ergibt – in der Vergangenheit als Türsteher tätig und auch im Rotlichtmilieu in eine Gewalttat verwickelt. Indessen liegen diese Vorstrafen rund zwölf bzw. sieben Jahre zurück. Zudem ging dem der Verurteilung durch das Amtsgericht T2 vom 05.11.2004 zu Grunde liegenden Vorfall eine körperliche Auseinandersetzung mehrerer Personen voraus, in die sich der Angeklagte eingemischt hat. Bei den der Verurteilung durch das Amtsgericht C2 zu Grunde liegenden Geschehnissen hat der Angeklagte zwar den Einsatz von – auch erheblicher – Gewalt durch seinen Bruder gebilligt, ist indessen eigenhändig nicht gewalttätig geworden. Über anderweitige Gewalthandlungen des Angeklagten ist – trotz dessen Tätigkeiten im Türsteher- und Rotlichtmilieu in der Vergangenheit – nichts bekannt.

Darüber hinaus widerspricht die Darstellung des Zeugen Q dem von ihm selbst eingeräumten Verhalten anlässlich eines späteren Treffens mit dem Angeklagten, das nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht T2 stattfand. Befragt zu einem Treffen mit dem Angeklagten nach der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht T2 hat der Zeuge ein solches zunächst verneint und erst auf Vorhalt der Angaben des Angeklagten eingeräumt, dass er diesen um ein Treffen gebeten und den Angeklagten aufgesucht habe, um diesen mit dem Eintreiben von Außenständen des Dachdeckerbetriebes zu beauftragen. Der Angeklagte sein ihm – nachdem er sich diesbezüglich umgehört habe – von einer ihm nicht näher bekannten Person „empfohlen“ worden. Zu einer entsprechenden Vereinbarung sei es aber nicht gekommen, weil ihm der Angeklagte, der jeweils die Hälfte der Forderungen für sich hätte haben wollen, zu teuer gewesen sei. Befragt dazu, ob anlässlich dieses Treffens auch über den Vorfall vom 28.08.2015 gesprochen worden sei, verneinte der Zeuge dies zunächst, räumte dann aber – wiederum erst auf Vorhalt der Angaben des Angeklagten – ein, dass er sich tatsächlich bei dem Angeklagten entschuldigt habe, allerdings nur dafür, dass er im Zuge der Auseinandersetzung möglicherweise etwas „Falsches“ gesagt habe. Was er damit gemeint habe, konnte der Zeuge auf Nachfrage nicht erläutern, räumte aber ein, dem Angeklagten auch angeboten zu haben, im Gegenzug für dessen Tätigkeit auf Schmerzensgeldforderungen zu verzichten. Darauf sei der Angeklagte aber nicht eingegangen.

Indessen ist bei Zugrundelegen der Tatschilderung des Zeugen Q nicht nachvollziehbar, warum sich dieser überhaupt bei dem Angeklagten entschuldigen sollte, da dieser ihn nach seiner Darstellung völlig unvermittelt und ohne Grund niedergeschlagen haben soll. Soweit der Zeuge dazu bekundet hat, er habe sich lediglich dafür entschuldigt, im Zuge der Auseinandersetzung etwas „Falsches“ gesagt zu haben, ist nach seiner Darstellung seiner Äußerungen schon nicht ersichtlich, was dies denn gewesen sein soll. Der Zeuge Q will danach lediglich – wenn auch etwas lauter – die Zeugin J gehindert haben, Müll in seinen Container zu werfen. Auch seine Schilderungen dessen, was er gegenüber dem Angeklagten geäußert haben will, geben zu einer Entschuldigung nicht den geringsten Anlass, im Gegenteil will er den Angeklagten kurz vor den Schlägen sogar nach der Müllmenge gefragt haben, um diesem entgegenzukommen. Dass sich der Zeuge sich bei dem Angeklagten ohne entsprechenden Anlass entschuldigt hat – etwa weil er sich der Zeuge den Angeklagten im Hinblick auf sein Ansinnen gewogen machen wollte oder Angst vor ihm hatte – ist schon deshalb nicht plausibel, weil der Zeuge von sich aus auf den Angeklagten zugegangen ist und ihm darüber hinaus im Zuge des Treffens deutlich gemacht haben will, die Forderung des Angeklagten für seine Tätigkeit sei ihm zu teuer.

Aus der von dem Zeugen eingeräumten Entschuldigung kann daher nur der Schluss gezogen werden, dass der Zeuge – entgegen seinen Angaben zu der Auseinandersetzung – gegenüber dem Angeklagten doch zumindest verbalaggressiv geworden ist. Dies bestätigt indessen die Angaben des Angeklagten zu dem den Schlägen vorausgehenden Verhalten des Zeugen Q und steht im Widerspruch zu dessen Angaben.

Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Q spricht ferner, dass seine Angaben zu dem Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung widersprüchlich sind. So soll der Angeklagte ihn mit zwei Schlägen niedergeschlagen haben, als er sich bereits von dem Angeklagten weg in Richtung seines Autos gedreht habe, um in dieses einzusteigen. Wie der Angeklagte angesichts dieser Drehung den Zeugen mit unmittelbar aufeinanderfolgenden Treffern seiner beiden Fäuste jeweils links und rechts im Gesicht hat treffen können, ohne dass dieser – so wie der Angeklagte es schildert – ihm gerade gegenüber stand, ist nicht nachvollziehbar. Zudem hatte der Zeuge noch in seiner schriftlichen Äußerung ebenso wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht bekundet, er habe zunächst einen Schlag erhalten, sei dann zu Boden gegangen und habe dann beim Hochkommen einen weiteren Schlag ins Gesicht bekommen. In der Berufungshauptverhandlung hat der Zeuge dann hingegen bekundet, die Schläge von beiden Seiten seien unmittelbar aufeinander gefolgt, was sowohl den Angaben des Angeklagten entspricht sowie auch denen des Zeugen G2, der in der Berufungshauptverhandlung bekundet hat, er habe von der anderen Seite des Containers her zwei dumpfe, schnell aufeinanderfolgende Geräusche gehört.

Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Q insgesamt spricht, dass dieser die Fragen des Gerichts zu einem weiteren Treffen mit dem Angeklagten, ebenso wie zu der Frage, ob bei dem Treffen über den Vorfall gesprochen worden sei, zunächst – fälschlicherweise – verneint hat, und beides erst auf Vorhalt der Angaben des Angeklagten eingeräumt hat, ohne dabei in seinem Verhalten in irgendeiner Weise Anzeichen von Unwohlsein oder Verlegenheit zu zeigen.

Nicht plausibel ist auch, dass der Zeuge während seiner Vernehmung mehrfach betont hat, dass er über den ganzen Vorfall mit dem Angeklagten gegenüber seinen Angestellten nicht deshalb nicht gesprochen hat, weil er als Chef diesen gegenüber ein gutes Vorbild sein wolle und deshalb Gewalt kein Thema sein solle. Warum dies dagegen sprechen soll, mit den Angestellten darüber zu sprechen, dass man willkürlich Opfer eines Angriffs geworden ist, ist nicht nachvollziehbar.

bb) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sprechen nach Überzeugung der Kammer auch die zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen bestehenden körperlichen Unterschiede keineswegs dagegen, dass der Zeuge Q2 mit dem Angeklagten eine tätliche Auseinandersetzung begonnen hat. Zwar ist der Zeuge ersichtlich kleiner und schmaler als der Angeklagte. Indessen ist er keineswegs schmächtig, sondern wirkt körperlich fit und sehnig muskulös, und man sieht ihm seine berufliche Tätigkeit als Dachdecker an, die mit erheblicher körperlicher Anstrengung verbunden ist. Im Gegensatz zu dem Angeklagten, der schwerer und größer ist, mag daher zwar ein körperliches Ungleichgewicht bestehen, indessen ist dies nicht so groß, dass es abwegig erscheint, der Zeuge würde eine Auseinandersetzung mit dem Angeklagten beginnen. Dass der Zeuge den Angeklagten nicht fürchtet, ergibt sich auch daraus, dass er keine Bedenken hatte, diesem mit einem illegalen Ansinnen gegenüberzutreten und im Zuge der Frage der Bezahlung sogar die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen anzusprechen.

cc) Darüber hinaus wird die Darstellung des Angeklagten zu dem Ablauf der Auseinandersetzung bestätigt durch die Angaben der Zeugin J. Diese hat bekundet, zu dem den Werkstätten gegenüberliegenden Container gegangen zu sein, um dort Abfall hineinzuwerfen. Dabei sei sie, als sie schon an dem Container angekommen sei, von dem Zeugen Q derart laut und aggressiv darauf hingewiesen worden, dass sie dort keinen Müll hinwerfen solle, dass sie aus Angst zurück zu ihrem Auto gegangen sei und sich dort hineingesetzt habe. Kurz danach habe sie dann laute und aggressive Stimmen gehört und die beiden Männer – ihren Mann und den Zeugen Q – am Auto stehen sehen. Sie sei deswegen ausgestiegen und zu dem Fahrzeug ihres Mannes gegangen, um den Streit zu schlichten. Sodann habe sie versucht, sich zwischen die beiden Männer zu stellen. Indessen habe sie der Zeuge Q am Arm gepackt und zur Seite gezogen. Deshalb habe dann ihr Mann dessen Hand gepackt und von ihrem Arm gezogen, woraufhin der Zeuge Q ihrem Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe. Ihr Mann habe dann den Zeugen mit zwei schnellen aufeinanderfolgenden Schlägen beider Fäuste ebenfalls ins Gesicht geschlagen. Was dann mit dem Mann gewesen sei, habe sie nicht mehr mitbekommen. Ihr Mann habe sie dann sofort mit zu ihrem Auto gezogen und sie beide seien weggefahren.

Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin J spricht, dass diese den Verlauf der Auseinandersetzung flüssig und detailliert schildern konnte. Für die Kammer waren ihre Angaben zu dem Ablauf nachvollziehbar, insbesondere vermittelte diese plausibel den Eindruck, dass sich alles sehr schnell ereignet habe und sie davon auch überrascht gewesen sei. Letzteres erklärt auch, warum sie nichts dazu sagen konnte, welche Auswirkungen die Schläge des Angeklagten auf den Zeugen Q gehabt haben. Dafür, dass die Zeugin um eine erlebnisbezogene, wahrheitsgemäße Schilderung bemüht war, spricht auch, dass sie auf die Frage, wie heftig der Schlag des Zeugen Q gewesen sei, bekundet hat, dass sie das nicht einschätzen könne. Soweit die Zeugin im Einzelnen nicht mehr genau bekunden konnte, wer wo gestanden hat, ist dies unschwer mit dem Zeitablauf sowie durch den Umstand zu erklären, dass solche Details tätlicher Auseinandersetzungen den Beteiligten aufgrund der Dynamik des Geschehens häufig nicht erinnerlich sind. Jedenfalls deckt sich die Schilderung der Zeugin in den wesentlichen Punkten mit der Einlassung des Angeklagten und entspricht auch ihren Angaben in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung.

dd) Die weiteren Zeugen waren – von den Bekundungen des Zeugen G3 betreffend den Anlass der Auseinandersetzung abgesehen (dazu noch unten) – unergiebig, weil sie sich zwar auf dem Gelände der Betriebe aufgehalten haben, indessen aber keine Angaben zu dem Ablauf des Geschehens zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Q machen konnten.

Der Zeuge K hat bekundet, dass er mit dem Austausch einer Batterie an einem Fahrzeug beschäftigt gewesen sei. Diese habe zwar – von der Autowerkstatt aus gesehen – einige Meter weit links neben dem Fahrzeug des Angeklagten gestanden. Indessen sei er mit dem Austausch der Batterie im Inneren des Fahrzeugs beschäftigt gewesen und habe von der Auseinandersetzung selbst zunächst nichts mitgekommen, zumal auch der Motor des Fahrzeugs des Angeklagten gelaufen sei. Er sei erst durch Geschrei aufmerksam geworden und habe dann den Zeugen Q blutend neben dem Container hocken sehen. Er habe diesen dann auf die Toilette begleitet. Wie es dazu gekommen sei, darüber sei später nicht gesprochen worden.

Der Zeuge S hat bekundet, dass er nichts zu dem Verlauf der Auseinandersetzung sagen könne, weil er zwischendurch in der Werkstatt gewesen sei, um ein Diagnosegerät zu holen. Zwar hat der Zeuge dazu, ob die Auseinandersetzung sich davor oder danach abgespielt hat, widersprüchliche Angaben gemacht – einmal will er nichts gesehen haben, weil die Motorhaube im Weg gewesen sei, einmal will er ein Diagnosegerät in der Werkstatt geholt haben – und zudem erklärt, dass er sich aus der Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen Q und dem Angeklagten raushalten wolle. Indessen kann die Kammer nicht ausschließen, dass der Zeuge tatsächlich zum Zeitpunkt der kurzen Auseinandersetzung in der Werkstatt war. Auch der Angeklagte und der Zeuge Q haben dazu erklärt, sie könnten nicht mehr sicher sagen, wo der Zeuge S zum Tatzeitpunkt gewesen sei.

Der Zeuge G hat bekundet, er habe sich zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung in der Halle des Kfz-Betriebes befunden und sei erst durch seinen Bruder auf den Vorfall aufmerksam geworden. Dieser sei reingekommen und habe gesagt, der Chef habe etwas ins Gesicht bekommen. Er habe seinen Chef dann durch das Fenster draußen blutend sitzen sehen. Von der Auseinandersetzung selbst habe er nichts mitbekommen.

Der Zeuge G2 hat nachvollziehbar bekundet, dass der zum Zeitpunkt des Geschehens gemeinsam mit einem Kollegen damit beschäftigt war, auf dem Hof ein Fahrzeug des Dachdeckerbetriebes rückwärts in die Halle einzuparken, wobei er den Kollegen eingewiesen habe. Er habe deshalb zwar mitgekommen, dass die Zeugin J Müll in den Container habe werfen wollen und sein Chef dies abgelehnt habe, danach habe er sich aber auf der anderen Seite des zwischen den Hallen stehenden Container befunden und nichts mehr gesehen. Er habe indessen beim Hineingehen in die Halle von der anderen Seite zwei schnell hintereinander folgende dumpfe Geräusche gehört und danach durch das Fenster der Halle seinen Chef blutend am Container sitzen sehen.

C.

Vor dem Hintergrund der in der Berufungshauptverhandlung getroffenen – von dem Anklagevorwurf abweichenden – Feststellungen war der Angeklagte aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil seine Faustschläge als Notwehrhandlung gemäß § 32 StGB gerechtfertigt waren.

Der Faustschlag des Zeugen Q in das Gesicht des Angeklagten stellte einen rechtswidrigen Angriff auf dessen körperliche Unversehrtheit dar. Dieser Angriff war zum Zeitpunkt der Verteidigungshandlung des Angeklagten auch noch gegenwärtig i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB. Letzteres ist der Fall, wenn eine Rechtsgutverletzung unmittelbar bevorsteht, d.h. das Verhalten des Angreifers jederzeit in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann. Zwar war der Faustschlag des Zeugen Q und damit die Körperverletzung des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet. Indessen bleibt ein Angriff gegenwärtig, solange die Gefahr einer Rechtsgutverletzung andauert, also auch dann, wenn eine Wiederholung der Angriffshandlung unmittelbar zu befürchten ist. Dies war hier der Fall. Der Angeklagte musste – und das hat er nach eigenen Angaben auch getan – aufgrund des Verhaltens des Zeugen Q damit rechnen, dass der Zeuge Q nach dem ersten Schlag weiter zuschlagen würde. Der Zeuge war gegenüber dem Angeklagten wegen der beabsichtigten Entsorgung des Mülls in seinen Container gegenüber dem Angeklagten verärgert und aggressiv aufgetreten, hatte die Zeugin J, die den Streit ersichtlich hatte schlichten wollen, am Arm gepackt und zur Seite gezogen und dann dem Angeklagten einen Schlag versetzt. Zudem hatte der Zeuge sich – wie der Angeklagte in seiner Einlassung nicht widerlegbar geschildert hat – nach dem Faustschlag weiter auf den Angeklagten zubewegt. Anlässlich einer solchen Situation ergab sich für den Angeklagten kein Anhaltspunkt dafür, dass der Zeuge Q sich auf einen einzigen Schlag beschränken würde.

Der Angeklagte handelte auch mit Verteidigungswillen. Er hat sich dahingehend eingelassen, der Zeuge Q habe „weitermachen“ wollen und er selbst habe deshalb zugeschlagen. Dies ist nach Überzeugung der Kammer bei Zugrundelegung der von dem Angeklagten geschilderten Situation plausibel. Selbst wenn der Angeklagte wegen des Verhaltens des Zeugen Q wütend gewesen und ihm auch hat zeigen wollen, dass er sich mit dem Falschen angelegt hat, entfiele sein Verteidigungswille dadurch nicht. Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht ohne Weiteres aus. Eine Rechtfertigung kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt werden, solange diese den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. OLG Koblenz Beschluss vom 17.01.2011, 2 Ss 234/10, juris; BGH NStZ 1983, 117 ff; NStZ 1996, 29 ff.). Für Letzteres hat die Kammer vor dem Hintergrund des festgestellten Tatherganges keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Die Faustschläge des Angeklagten gegen den Zeugen waren – entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag – als Verteidigung auch erforderlich i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB. Dies setzt voraus, dass die Verteidigungshandlung nach der objektiven Sachlage und den konkreten Umständen des Einzelfalles geeignet ist, den Angriff sofort und endgültig zu beenden, und dass Art und Maß der Verteidigung das relativ mildeste Mittel der Abwehr und damit erforderlich im engeren Sinne sind (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage, 2016, § 32, Rdnr. 28, 30).

Dass die Faustschläge des Angeklagten zur Abwendung weiterer Schläge des Zeugen geeignet waren, steht außer Frage. Zudem waren sie, auch unter Berücksichtigung der bei dem Zeugen Q eingetretenen schwerwiegenden Verletzungen, auch erforderlich im engeren Sinne. Der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Notwehr sich abspielen, insbesondere durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs sowie durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen (vgl. BGH NJW 1995, 973). Vorliegend hat sich der Angeklagten gegen einen Angriff in Form eines Faustschlages – und sich ankündigenden weiteren Schlägen – seinerseits mit Faustschlägen gewehrt. Der Zeuge Q hatte dem Angeklagten einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht, unterhalb des Auges, versetzt. Dabei hatte der Angeklagte, der den Treffer als schmerzhaft, aber nicht allzu heftig beschrieben hat, nach seiner Schilderung dem Faustschlag durch eine Rückwärtsbewegung einen Teil seiner Schlagkraft genommen. Diesem Schlag durfte der Angeklagten mit seinen beiden Faustschlägen begegnen. Dabei musste er sich auch nicht auf einen Schlag beschränken. Auch musste er weder seine Schläge auf eine andere Körperstelle richten oder die Kraft seiner Schläge beschränken. Auch wenn der Zeuge Q – wovon sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte – deutlich schmaler und auch kleiner ist als der Angeklagte, bestand zwischen beiden keinesfalls ein derartiger körperlicher Unterschied dahingehend, dass der Zeuge Q dem Angeklagten an Schlagkraft ersichtlich nicht gewachsen wäre. Im Gegenteil machte der Zeuge Q, der als Dachdecker einem körperlich anstrengenden Beruf nachgeht, eine körperlich sehr trainierten Eindruck, nach dem ohne weiteres davon auszugehen ist, dass er grds. auch einer körperlichen Auseinandersetzung einem schwereren und größeren Mann gewachsen ist. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Angeklagte einem Angreifer gegenüber sah, der körperliche Gewalt einsetzte und ihm bereits einmal ins Gesicht geschlagen hatte, und vor dem Hintergrund, dass ein Notwehrberechtigter grundsätzlich das für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen darf, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt, durfte der Angeklagte dem Zeugen auch zwei schnell aufeinanderfolgende kräftige Faustschläge ins Gesicht versetzen. Sichere Anhaltspunkte dafür, dass ein einzelner Faustschlag des Angeklagten – etwa auch an eine andere Körperstelle des Zeugen Q – den Angriff ebenso sicher beendet hätte, hat die Kammer nicht, mag dies auch aufgrund der Schlagkraft des Angeklagten möglich gewesen sein. Indessen war es dem Angeklagten nicht zuzumuten, seine Schläge gleichsam im Hinblick auf eine möglichst geringe Verletzung des Angreifers „dosiert“ zu setzen. Dies muss schon deshalb gelten, weil der Angeklagte die Schlagkraft des Zeugen nicht sicher einschätzen konnte. Anderenfalls würde dem Angeklagten das Risiko aufgebürdet, im Falle einer nicht ausreichenden Abwehrhandlung erneut geschlagen zu werden. Gerade dies musste der Angeklagte aber nicht hinnehmen.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

 

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