KG Berlin – Az.: (4) 121 Ss 56/16 (69/16) – Beschluss vom 06.05.2016
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den bislang unbestraften Angeklagten nach Erlass eines Strafbefehls, gegen den dieser rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, am 19. Januar 2016 wegen Urkundenfälschung und (jeweils) gleichzeitigen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 35,- Euro verurteilt und daneben ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt.
In den schriftlichen Urteilsgründen hat das erkennende Gericht zum Sachverhalt und dessen rechtlicher Würdigung Folgendes ausgeführt:
„II.
1. Der Angeklagte befuhr am 09.11.2014 gegen 5.59 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen B-AI … unter anderem die Holzhauser Straße in Berlin. Dabei hatte er über dieses zutreffende Kennzeichen das zuvor entwendete Kennzeichen B-W … angebracht, um unentdeckt zu bleiben. In der Holzhauser Straße 34 entschloss er sich auf die Tankstelle der Firma J. zu fahren, um den Pkw mit Super 95-er Benzin mit 32,43 Litern zum Preis von 48,94 EUR zu betanken. Anschließend verließ er – wie von Anfang an beabsichtigt – das Tankstellengelände ohne den Kaufpreis für das Benzin bezahlt zu haben.
2. Am 15.11.2014 gegen 4.27 Uhr befuhr der Angeklagte mit demselben Pkw und erneut unter Verwendung der entwendeten Kennzeichen B-W … unter anderem die Märkische Allee in Berlin. Da sein Tank seit der Tat zu 1. fast leer gefahren war, entschloss er sich erneut, zu tanken, fuhr er auf in Höhe der Grundstücksnummer 246 auf das Tankstellengelände der Firma J. und betanke den Wagen mit 36,33 Litern Super-Benzin zu einem Verkaufspreis von 54,46 Euro. Anschließend verließ er – wie von Anfang an beabsichtigt – das Tankstellengelände ohne den Kaufpreis für das Benzin bezahlt zu haben.
3. Am 16.12.2014 gegen 21.58 Uhr befuhr er mit demselben Pkw und erneut unter Verwendung der entwendeten Kennzeichen B-W … unter anderem den Zabel-Krüger-Damm in Berlin. Da sein Tank auch diesmal fast leer gefahren war, entschloss er sich wiederum erneut zu tanken, fuhr er in Höhe der Grundstücksnummer 20 auf das Tankstellengelände der Firma H. und betanke den Wagen mit 48,96 Litern Super-Benzin zu einem Verkaufspreis von 62,62 Euro. Dabei wusste er, dass er nicht in der Lage war, den Verkaufspreis zu zahlen. Er hatte lediglich 15,00 EUR an Bargeld bei sich und das EC- bzw. Kreditkartenkonto wies keinerlei Deckung auf.
Die Feststellungen beruhen auf dem vom Verteidiger des Angeklagten für diesen abgegebenen Geständnis. Danach haben sich alle drei Taten so zugetragen, wie sie angeklagt worden sind. Das Geständnis ist glaubhaft, da es sowohl dem Ermittlungsergebnis als auch der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit entspricht.
III.
Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte in drei selbständigen, tatmehrheitlich zu bewertenden Fällen wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug gem. §§ 263 Abs. 1, 267 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Ob der Angeklagte neben der Nutzung und des Betankens des Kraftfahrzeugs am 09.11.2014 auch die Fahrt am 15.11.2014 und vom 16.12.2014 schon beim Anbringen der Kennzeichen in einen konkreten Gesamtvorsatz mit der Folge aufgenommen hatte, dass möglicherweise eine tateinheitliche Begehungsweise anzunehmen wäre, konnte nicht festgestellt werden, da sich der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung nicht anwesend war, dazu nicht, und zwar auch nicht über seinen Verteidiger geäußert hat. Von seinem Verteidiger wurde allein das Tatgeschehen so wie es angeklagt ist, eingeräumt.
Außerdem erscheint es als nicht lebensnah, dass der Angeklagte bereits am 09.11.2014 den konkreten Vorsatz gehabt hat, das Fahrzeug auch konkret am 15.11. und 16.12.2014 zu nutzen und zu betanken, da sich am 09.11.2014 für ihn noch nicht absehen ließ, wann der Tank leer gefahren sein würde und ob danach ein erneuter Entschluss für eine weitere konkrete Tat zu treffen ist.“
Mit seiner gegen den Schuldspruch insgesamt gerichteten (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt er näher aus, dass nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils lediglich eine Tat der Urkundenfälschung vorliege, zu der die übrigen Delikte, die lediglich als versuchte Betrugstaten anzusehen seien, in Tateinheit stünden. Auch der Strafausspruch sei (den angefochtenen Schuldspruch zugrunde gelegt) rechtsfehlerhaft erfolgt; insbesondere sei die Verhängung des zweimonatigen Fahrverbots gegen den Angeklagten zu beanstanden.
1. Die auf die Sachrüge gestützte (Sprung-)Revision, die gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässig ist, hat (vorläufigen) Erfolg. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil die vom Amtsgericht Tiergarten getroffenen Feststellungen lückenhaft sind und den Schuldspruch nicht tragen.
a) Das Amtsgericht hat seine Feststellungen im Wesentlichen auf der Grundlage der geständigen Einlassung getroffen, die der Angeklagte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung über seinen gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO schriftlich zur Vertretung bevollmächtigten Verteidiger vortragen ließ. Hiernach ist es ausweislich der Urteilsgründe zu der Überzeugung gelangt, dass sich das durch den Angeklagten erfolgte Anbringen der (zuvor in ungeklärter Weise entwendeten) Kennzeichenschilder an seinem Pkw als einmaliger Vorgang darstellte und nicht (wie nach dem Wortlaut der zugrunde liegenden Anklageschrift ebenfalls vorstellbar) jeweils nur vorübergehend erfolgte, um anlässlich der inkriminierten Tankvorgänge die Wahrnehmbarkeit der an dem Fahrzeug rechtmäßig angebrachten Kennzeichen zu verhindern. Welche Vorstellungen sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt von der weiteren Nutzung seines Fahrzeugs machte, wird in dem angefochtenen Urteil lediglich dahin ausgeführt, dass ein konkreter Vorsatz, den Pkw auch „am 15.11. und 16.12.2014 zu nutzen und zu betanken“ durch das Amtsgericht im Ergebnis negiert wurde. Eine zutreffende Erörterung der innertatbestandlichen Konkurrenzverhältnisse ermöglichen die erstinstanzlich getroffenen Feststellungen zur inneren Tatseite hiernach nicht.
Indem der Angeklagte, wovon das Amtsgericht in seinem Urteil ausgegangen ist, an seinem Pkw amtliche Kennzeichen angebracht hat, die für ein anderes Fahrzeug ausgegeben waren, hat er gemäß § 267 Abs. 1 zweite Alt. StGB eine echte (zusammengesetzte) Urkunde verfälscht. Hiernach gebrauchte er die verfälschte Urkunde dadurch, dass er am 9. November, 15. November und 16. Dezember 2014 das mit den falschen amtlichen Kennzeichen versehene Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr und während des Tankens nutzte, so dass er anderen Verkehrsteilnehmern und ggf. dem Tankstellenpersonal die unmittelbare Kenntnisnahme der am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen ermöglichte (§ 267 Abs. 1 dritte Alt. StGB). Wird eine verfälschte Urkunde mehrfach gebraucht und entspricht dieser mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden Gesamtvorsatz des Täters, so liegt indes nur eine Urkundenfälschung vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15 – und 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15 – sowie NJW 2014, 871; jeweils mwN). Die hieraus resultierenden Anforderungen an den das einheitliche Urkundsdelikt konstituierenden konkreten Gesamtvorsatz hat das Amtsgericht vorliegend verkannt, indem es eine isolierte Betrachtung der Nutzung des Fahrzeugs durch den Angeklagten anlässlich der angeklagten Betrugstaten vorgenommen hat. Maßgeblich wäre demgegenüber, da die an diesen Tagen erfolgten Tankvorgänge eine auch in der Zwischenzeit erfolgte Nutzung des Fahrzeugs implizierten, ob/inwieweit beim Anbringen der falschen Kennzeichen ein grundsätzlicher Wille des Angeklagten bestand, nachfolgend mit dem Pkw am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Sollte der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt den Vorsatz gefasst haben, das manipulierte Fahrzeug im gesamten Tatzeitraum mit den falschen Kennzeichen zu nutzen, würden alle verfahrensgegenständlichen Taten als tatbestandliche Handlungseinheit eine Tat der Urkundenfälschung bilden und damit auch die weiteren Delikte, die während der angeklagten Fahrten begangen wurden, hierzu in Tateinheit stehen, und zwar auch wenn sich der Angeklagte zu deren Begehung erst später entschlossen haben mag (vgl. BGH, jeweils aaO).
b) Zutreffend beanstandet der Revisionsführer darüber hinaus, dass die Feststellungen des Amtsgerichts Tiergarten auch insofern lückenhaft sind, als dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen ist, ob die einzelnen Tankvorgänge vom anwesenden Tankstellenpersonal bemerkt wurden. Denn es liegt lediglich ein versuchter Betrug vor, wenn ein Täter an einer Selbstbedienungstankstelle tankt, ohne vom Tankstelleninhaber oder dessen Mitarbeitern bemerkt zu werden (vgl. BGH NJW 2012, 1092; wobei in dem dortigen Fall eine bloße Änderung des Schuldspruchs erfolgte, die vorliegend schon wegen der konkurrenzrechtlichen Problematik nicht in Betracht kam).
2. Das angefochtene Urteil war daher gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückzuverweisen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bei einer erneuten Verurteilung des Angeklagten auch die (erneute) Verhängung eines Fahrverbots in Betracht käme. Die angeklagten Taten stehen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs, wobei der Begriff der Zusammenhangstat in § 44 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. StGB ebenso wie in § 69 Abs. 1 StGB weit auszulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2005 – GSSt 2/04 -). Danach besteht ein verkehrsrechtlicher Bezug sowohl hinsichtlich der Urkundenfälschung(en) als auch hinsichtlich der (versuchten) Betrugstaten, die der Angeklagte während seiner Fahrten mit den falschen Kennzeichen beim Betanken seines Pkw begangen haben soll. Für die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe ist es darüber hinaus nicht erforderlich, dass die der Verurteilung zugrunde liegende Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zuließe, dass der Täter ausweislich seines Verhaltens bereit sei, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen. Eine derartige Einschränkung gilt lediglich, anders als der Revisionsführer meint, für die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs nach § 69 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. StGB, nicht aber für die Anordnung eines Fahrverbots.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis stellt eine Maßregel der Besserung und Sicherung dar (§ 61 Nr. 5 StGB), die ihre Rechtfertigung aus dem Sicherungsbedürfnis der Verkehrsgemeinschaft bezieht. Der allgemeine Rechtsgüterschutz kann dabei ein wünschenswerter Nebeneffekt (ein „Schutzreflex“) sein, ist jedoch nicht das Ziel der Maßregel des § 69 StGB (vgl. BGH, aaO). Demgegenüber handelt es sich bei dem Fahrverbot nach § 44 StGB um eine Nebenstrafe, die das Unrecht einer Straftat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs pönalisiert, ohne die charakterliche Ungeeignetheit des Täters hierfür vorauszusetzen.