AG Zossen – Az.: 134 Ds 482 Js 47926/21 – Beschluss vom 12.04.2022
Die Eröffnung der Hauptverhandlung wird abgelehnt.
Gründe
Die Eröffnung der Hauptverhandlung war aus rechtlichen Gründen abzulehnen (§ 204 StPO).
Die Vorlage eines gefälschten Impfpasses gegenüber einer Apotheke war im Tatzeitpunkt nicht strafbar. Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (§ 1 StGB).
Eine Strafbarkeit nach §§ 277 ff. StGB in der Fassung bis 23. November 2021 (im Folgenden StGB a. F.) setzte voraus, dass von einem falschen Gesundheitszeugnis zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch gemacht wird. Dies ist vorliegend nicht gegeben; auch die Staatsanwaltschaft geht hiervon nicht aus. Apotheken sind keine Behörden. Die Regelungen im Infektionsschutzgesetz, hier insbesondere § 22a IfSG, geben Apothekern keine Hoheitsbefugnisse im Sinne einer Beleihung.
Eine Strafbarkeit nach § 278 StGB a. F. in mittelbarer Täterschaft kommt nicht in Betracht. § 278 StGB ist ein Sonderdelikt. Täter, auch mittelbarer oder Mittäter, kann nur ein Arzt oder eine sonstige approbierte Medizinalperson sein (Zieschang in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 278 Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, Rn. 2).
Ein Rückgriff auf § 267 StGB ist nicht möglich, da der Gesetzgeber mit §§ 277 ff. StGB a. F. speziellere Normen geschaffen hat, die § 267 StGB als allgemeinere Vorschrift verdrängen. Ein Rückgriff auf § 267 StGB ist nach ganz überwiegender Ansicht – der sich das erkennende Gericht anschließt – nicht möglich (OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21 –, juris; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 5 Qs 107/21 –, juris; LG Hechingen, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 3 Qs 77/21 –, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21 –, juris; Krell in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 277 Fälschung von Gesundheitszeugnissen, Rn. 13; BeckOK StGB/Weidemann, 51. Ed. 1.11.2021, StGB § 277 Rn. 13, beck-online; Zieschang in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 277 Fälschung von Gesundheitszeugnissen, Rn. 20; MüKoStGB/Erb, 3. Aufl. 2019, StGB § 277 Rn. 11; Schönke/Schröder, StGB § 277 Rn. 12, beck-online; a. A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 08. März 2022 – 1 Ws 33/22 –, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 –, juris).
Die Ansicht, die den Rückgriff auf § 267 StGB bejaht, konsequent zu Ende gedacht, würde dazu führen, dass die §§ 277 und 279 StGB a. F. lediglich privilegierte Fälle des Herstellens und Gebrauchens unrichtiger Urkunden, im Sinne eines minder schweren Falls, darstellen würden. Ein solcher minder schwerer Fall würde immer dann greifen, wenn die unrichtige Urkunde in einem Gesundheitszeugnis bestünde und dieses gegenüber Behörden oder Versicherungen gebraucht würde. Das erscheint nicht überzeugend. Hiergegen spricht bereits die Gesetzessystematik. Der Gesetzgeber hat die Vorschriften der §§ 277 ff. StGB a. F. nicht als Unterfall der Urkundenfälschung ausgestaltet, indem er etwa eine Formulierung wie „wird die Urkundenfälschung dadurch begangen, dass (…)“ verwendet hätte. Vielmehr hat er eigene detaillierte Tatbestände für die Fälschung von Gesundheitszeugnissen und deren Verwendung geschaffen. Damit hat der Gesetzgeber den Schutz von Gesundheitszeugnissen abschließend geregelt. Dass nicht lediglich ein minder schwerer Fall der Urkundenfälschung geschaffen werden sollte, belegt auch § 278 StGB a. F., der eine Strafbarkeit „schriftlicher Lügen“ in Gestalt unrichtiger von approbierten Medizinalpersonen ausgestellter Gesundheitszeugnisse begründet. Hier hat der Gesetzgeber den Schutz der Gesundheitszeugnisse im Vergleich zu § 267 StGB erweitert.
Ein Rückgriff auf § 267 StGB hätte im Übrigen zur Folge, dass schon die Herstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 267 StGB strafbar wäre und die Privilegierung erst dann einträte, wenn der Täter das Gesundheitszeugnis gegenüber einer Behörde oder Versicherung verwenden würde. Die Vorbereitungshandlung einer Straftat nach § 277 StGB a. F. wäre demnach als Urkundenfälschung mit höherer Strafe bedroht als die Tat selbst (vgl. LG Hechingen, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 3 Qs 77/21 –, juris). Das wäre unauflösbar wertungswidersprüchlich und kann vom gesetzgeberischen Willen schwerlich umfasst sein. Dem kann auch nicht mit einer Übertragung des geringeren Strafrahmens aus §§ 277 StGB a. F. begegnet werden. Der Gesetzgeber hätte demnach detaillierte und tatbestandlich eingeschränkte Strafvorschriften geschaffen, die letztendlich zu einer uneingeschränkten Privilegierung jedweder Fälschung und jedweden Gebrauchs von Gesundheitszeugnissen führen würde. Die detaillierte tatbestandliche Einschränkung der §§ 277 ff. StGB a. F. bliebe demnach ohne jedwede Konsequenz in der Rechtsanwendung.
Soweit das OLG Hamburg für seine Ansicht auf eine historische Auslegung bis zurück in das preußische Strafgesetzbuch abstellt, vermag diese zwar in der historischen Betrachtung, nicht aber im Ergebnis zu überzeugen. Auf die Reformbedürftigkeit des 23. Abschnitts des Strafgesetzbuchs wurde etwa schon in der ersten Auflage des Münchener Kommentars zum StGB hingewiesen (MüKoStGB/Erb, 1. Aufl. 2006, StGB § 277 Rn. 1, beck-online). Der Gesetzgeber hat das Regelungsgefüge der §§ 277 ff. StGB a. F. jedoch in Kenntnis dessen beibehalten, dass diese spezielleren Vorschriften nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur die allgemeine Strafvorschrift der Urkundenfälschung verdrängen (s. o.). Schon das Reichsgericht ist in Entscheidungen aus den Jahren 1881 und 1898 von einem Ausschluss der allgemeinen Vorschriften der §§ 267 ff. StGB ausgegangen (RGSt 6, 1; RGSt 31, 296). Auch dies spricht dafür, dass dieses Spezialitätsverhältnis dem gesetzgeberischen Willen entsprach. Denn schließlich hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung sowie der überwiegenden Ansicht in der Literatur über 140 Jahre hinweg das Regelungsgefüge nicht geändert. Hätte der Gesetzgeber die Spezialität der §§ 277 ff. StGB a. F. nicht gewünscht, wäre davon auszugehen, dass er bei einer der zahlreichen Überarbeitungen des Strafgesetzbuchs eine Korrektur vorgenommen hätte.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Auslegungsproblematik erst mit der Coronakrise virulent geworden sei. Zum einen ändert sich die Rechtslage nicht mit dem auftretenden rechtpolitischen Bedürfnis nach einer geänderten Rechtslage, sondern erst mit deren tatsächlicher Änderung. Zum andern stellte sich die hier interessierende Rechtsfrage auch schon in der Vergangenheit, etwa wenn gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Arbeitgebern vorgelegt wurden.
Auch der Gesetzgeber selbst geht offensichtlich davon aus, dass die §§ 277 ff. StGB a. F. eine Sperrwirkung entfalten. Mit Wirkung zum 24. November 2021 hat er in Reaktion auf die vorliegende Problematik den § 279 StGB dahingehend geändert, dass nunmehr die Einschränkung des Tatbestandes auf den Gebrauch gegenüber Behörden und Versicherungen entfallen ist und der Rückgriff auf andere Vorschriften des 23. Abschnitts des Strafgesetzbuchs ausdrücklich möglich wurde. Der Gesetzesentwurf der Fraktion der CDU/CSU (BT-Drs. 20/27) ist mit der bis dahin bestehenden Privilegierung der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber anderen Urkundenfälschungen begründet. Auch der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP weist darauf hin, dass der strafrechtliche Schutz von Gesundheitszeugnissen in den §§ 277 ff. StGB (a. F.) gesondert geregelt sei (BT-Drs 20/15, S. 20), wenngleich später (S. 33) vertreten wird, die §§ 277 bis 279 StGB (a. F.) entfalteten keine Sperrwirkung für die §§ 267 ff. StGB, sondern enthielten lediglich darüber hinausgehende Strafbarkeiten für spezielle Konstellationen. Letzteres erscheint indes nicht nachvollziehbar, denn wenn die §§ 277 ff. StGB a. F. lediglich einen Unterfall der Urkundenfälschung darstellten, haben sie gerade keine „darüber hinausgehenden Konstellationen“ geregelt. Die einzige „darüber hinausgehende spezielle Konstellation“, die in §§ 277 StGB a. F. geregelt war, ist die schriftliche Lüge der Medizinalperson. Hätte indes nur diese Konstellation neben § 267 StGB als Straftat erfasst werden sollen, hätte es der §§ 277 ff. StGB in ihrer damaligen Fassung nicht bedurft.