LG Berlin – Az.: 506 Qs 27/22 – Beschluss vom 05.05.2022
In der Strafsache. hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Berlin als Beschwerdekammer am 5. Mai 2022 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. März 2022 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Der Beschwerdeführer wurde am 20. Dezember 2021; rechtskräftig seit dem 18. Januar 2022, durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten zu. einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je EUR 30,00 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt. Weiterhin wurde ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen und angeordnet, dass ihm vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Nachdem der Beschwerdeführer. soviel Alkohol zu sich genommen hatte, dass die ihm entnommene Blutprobe gut 2 Stunden nach der Tat 1,01 Promille Alkohol enthielt, befuhr er am 30. Oktober 2021 mit seinem Pkw den Kladower Damm, wobei er infolge seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit Schlangenlinien fuhr und wiederholt die Fahrbahnmarkierung überfuhr. Bei der Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte er erkennen können, dass er infolge des Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Der Führerschein des Beschwerdeführers wurde noch an diesem Tag sichergestellt.
Bis auf die vorgenannte Verurteilung enthält der Bundeszentralregisterauszug keine weiteren Eintragungen. Der Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 10. November. 2021 offenbart insgesamt fünf Verkehrsordnungswidrigkeiten (aus der Zeit seit dem 9. Mai 2018). Ausweislich des Registers hat der Beschwerdeführer in drei Fällen außerhalb geschlossener Ortschaften und in einem Fall innerhalb geschlossener Ortschaften die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten und in einem weiteren Fall das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage missachtet. Mit bestandskräftiger Entscheidung vom 3. März 2020—erteilte—die-zuständige Verkehrsbehörde dem Beschwerdeführer ein einmonatiges Fahrverbot, welches am 1. August 2021 abgelaufen ist.
Der Beschwerdeführer begehrt die Verkürzung der Sperrfrist und trägt unter anderem vor, dass die sich aus der Entziehung der Fahrerlaubnis ergebenden beruflichen Konsequenzen ihn zu einem nachhaltigen Umdenken und einer Änderung der. Lebensführung bewegt hätten. Der Beschwerdeführer sei Einzelunternehmer und zur Durchführung von Kundenterminen auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Er habe sich in verkehrspsychologische Beratung gegeben und seither intensiv an der Wiederherstellung seiner Fahreignung gearbeitet. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist die Kammer auf den anwaltlichen Schriftsatz vom 24. Februar 2022 und die Teilnahmebescheinigung der TÜV Nord Group vom 18. Februar 2022, aus der sich ergibt, dass der Beschwerdeführer in dem Zeitraum 18. Januar 2022 bis 18. Februar 2022 an dem online-Gruppenprogramm avanti SPV im Umfang von 16 Stunden teilgenommen hat.
Das Amtsgericht Tiergarten hat mit der angefochtenen Entscheidung vom 18. März 2022 den Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist abgelehnt und dies damit begründet, dass die Teilnahme an. dem Therapieprojekt keineswegs ausreichend sei, um zum derzeitigen Zeitpunkt die charakterliche ‚Nichteignung in entscheidender Weise anders zu sehen als zum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls, zumal einer Online-Therapieerfahrung von lediglich 16 Stunden in diesem Zusammenhang nur eine begrenzte Bedeutung beigemessen werden könne.
Gegen diesen, dem Verteidiger am 29. März 2022 förmlich zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am 5. April 2022 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Mit der er sein Begehr weiterverfolgt. Die Entscheidung des Amtsgerichts berücksichtige nicht in ausreichendem Maße, dass es sich bei der Sperrfrist um. eine Maßregel der Besserung und. Sicherung handele und ein Sicherungsinteresse entfalle, wenn davon auszugehen sei, dass die Eignungsmängel in der Person des Verurteilten nicht mehr vorlägen. Bei der insoweit anzustellenden Prognose habe das Gericht nicht ausreichend bedacht, dass der Beschwerdeführer erstmalig und fahrlässig alkoholisiert im Straßenverkehr auffällig geworden sei und es sich um einen Fall der relativen Fahruntüchtigkeit handele. Der Beschwerdeführer habe sich einsichtig gezeigt und sich unmittelbar nach der Tat in verkehrspsychologische Beratung begeben. Auch hätten die aus dem Verlust der Fahrerlaubnis resultierenden Folgen derartig nachhaltig auf ihn gewirkt, dass er sein Verhalten kritisch reflektiert und seine Einstellung geändert habe, weshalb er es nicht bei einer einmaligen Beratung belassen, sondern an einem anerkennten Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung teilgenommen habe. Dort sei aus fachlicher Sicht bestätigt worden, dass eine wesentliche Einstellungsänderung zu verzeichnen sei und eine Ungeeignetheit bei ihm nicht mehr zu erkennen sei. Die Teilnahme an einem Online-Format sei der Ausbreitung des Corona Virus geschuldet gewesen und spreche nicht gegen die Geeignetheit des Programms. Im Rahmen einer Evaluierung sei qualitativ kein Unterschied zu den ansonsten in Präsenz erfolgten Veranstaltungen festzustellen. Auch insoweit verweist die Kammer wegen der weiteren Einzelheiten auf die Beschwerdebegründung und die dem beigefügte ergänzende Teilnahmebescheinigung des Kursträgers:
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht erhoben worden.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis war nicht aufzuheben oder auf eine kürzere Frist zu reduzieren.
Gemäß § 69 a Abs.7 StGB ist die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn der Verurteilte Umstände dargetan und glaubhaft gemacht hat, die Grund zu der Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, und die Mindestdauer der Sperre von drei Monaten (§ 69a Abs. 7 S. 2 StGB) eingehalten ist. Die Aufhebung der Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis hat dementsprechend zu erfolgen, wenn eine auf neue Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird. Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit darf dabei nicht schematisch erfolgen., sondern muss sämtliche, allein täterbezogene Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Sind solche Umstände festzustellen, steht dem Gericht kein Ermessen zu.
Diese Voraussetzungen liegen zum derzeitigen Zeitpunkt nicht vor.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die erfolgreiche Nachschulung aufgrund wissenschaftlich anerkannter Modelle, d.h. der Teilnahme an einer Verkehrstherapie oder einem Aufbauseminar, als neue Tatsache im Sinne der Norm herangezogen werden kann (vgl. Fischer, StGB 69. Aufl., § 69a Rn. 44 mwN), doch kann die Feststellung der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur nach eingehender individueller Prüfung getroffen werden; allein die Teilnahme an einer Nachschulung reicht nicht aus. Vorliegend konnte eine derartige Feststellung zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere deshalb nicht getroffen werden, da das dem Beschwerdeführer ausgestellte- Teilnahmezertifikat keine ausreichenden individuellen Anhaltspunkte dafür bietet, dass der Beschwerdeführer die von ihm begangene Alkoholfahrt aufgearbeitet und sich mit den Ursachen und Folgen auseinandergesetzt hat und nunmehr aufgrund des Kurses in der Lage ist, Alkoholkonsum und die Teilnahme am Straßenverkehr strikt zu trennen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Bescheinigung sich weitestgehend in formelhaften Redewendungen erschöpft. Ausweislich dieser Bescheinigung habe der Beschwerdeführer „in intensiven Gesprächen und anleitenden Übungen (..:) im Rahmender Gruppe einvernehmlich die individuellen Gegebenheiten herausgearbeitet und. neue Ziele bestimmt“. Dabei habe der Beschwerdeführer „die für die nachfolgende Problembearbeitung notwendigen Wissensinhalte zu den Themenkreisen „Alkohol im Straßenverkehr, Alkoholwirkungen und Alkoholgefährdung“ erarbeitet und „im nächsten Schritt die erforderliche Problemeinsicht gewonnen, die motivationalen Verhaltensursachen, klären (…) und einen Zusammenhang zwischen Lebensstil, individuellen Einstellungen und Alkoholkonsum herstellen können“. Dabei habe der Beschwerdeführer“ Änderungsziele und —bereiche (…) festgelegt und bisherige Änderungsansätze ausgebaut und präzisiert.“ In einer mehrwöchigen Praxisphase des Programms habe der Beschwerdeführer „unter systematischer Beobachtung des Eigenverhaltens und der Reaktionsmuster, die angestrebten Veränderungen praktisch umgesetzt. Der Stand der Trinkgewohnheiten (…) [sei von ihm] aufgearbeitet, sinnvoll modifiziert und in Alltagsbezügen erprobt und gefestigt“ worden. Es seien „Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsentwicklung, Lebensstil und Verhaltensauffälligkeiten
Vor dem Hintergrund des Umgangs mit Alkohol deutlich“ geworden. Der Beschwerdeführer habe „sich von Beginn an einsichtig im Fehlverhalten [gezeigt], sodass in der Folge selbstkritisch individuelle Ursachen, Hintergründe, Zusammenhänge des deliktbegünstigenden Alkoholkonsums und der daraus resultierenden Verkehrsteilnahme erkannt und diese als Symptom einer teilweise ungünstigen Lebensführung identifiziert werden konnten.“ (Anmerkung der Kammer: alle Zitate stammen von S. 2 der Bescheinigung, Bl. 89 d.A.)
Bei näherer Betrachtung. erweist sich die Teilnahmebescheinigung als inhaltsleer. Die Bescheinigung, die so für jeden Kursteilnehmer ausgestellt werden könnte (und wohl auch ausgestellt wird), teilt an keiner Stelle mit, welche individuellen Gegebenheiten bei dem Beschwerdeführer vorlagen, insbesondere welche Auffälligkeiten in Lebensstil. und Verhalten bei ihm konkret existierten, welche konkreten Änderungsziele der Beschwerdeführer festgelegt und auf. welche Weise mit welchen Mitteln er hieran gearbeitet hat. Es ist aus der Teilnahmebestätigung insbesondere nicht ersichtlich, Welche konkreten Ursachen der Beschwerdeführer für seine Alkoholfahrt benennen konnte und welche konkreten Veränderungen in der Lebensführung er sich erarbeitet hat, die nunmehr eine risikobewusste Einstellung zum Verhalten im Straßenverkehr verdeutlichen könnten. Es• sind auch keine Angaben darüber enthalten, ob und wie sich die Trinkgewohnheiten des Beschwerdeführers mittlerweile. aufgrund der Aufarbeitung während des Kurses verändert haben. In Ermangelung. (zumindest rudimentärer) konkret-individueller Ausführungen zu der Person des Beschwerdeführers und der von ihm erbrachten Leistungen während des Kurses kann die Kammer nicht überprüfen, ob die seitens des Kursträgers gezogene Schlussfolgerung einer wiederbestehenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen tatsächlich zutrifft.
Auch sonst liegen keine neuen Tatsachen vor. Dass die der aus der Entziehung der Fahrerlaubnis ergebenden beruflichen Konsequenzen den Beschwerdeführer zu einem nachhaltigen Umdenken und einer Änderung der Lebensführung bewegt haben sollen, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Vielmehr hätte bereits das einmonatige Fahrverbot Anlass geboten, sein Fahrverhalten insgesamt zu überdenken. Stattdessen hat der Beschwerdeführer nur wenige Monate später die gegenständliche Tat begangen und damit deutlich gezeigt, dass die vom Fahrverbot ausgehende „Denkzettelfunktion“ seine Wirkung bei ihm verfehlt hat. Außerdem lagen die beruflichen Umstände, aufgrund der er auf die Fahrerlaubnis angewiesen war und ist, bereits bei Tatbegehung vor.
Auch unter Berücksichtigung der — bereits bei Strafbefehlserlass bekannten und bei Bemessung der Dauer der Maßregel berücksichtigten — Unbestraftheit des Beschwerdeführers und des lediglich fahrlässig begangenen Verkehrsverstoßes besteht nach Abwägung aller Umstände daher kein Raum für eine Verkürzung der — im Übrigen sehr maßvoll bemessenen — Sperrfrist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.