LG Verden – Az.: 4 Qs 88/21 – Beschluss vom 09.09.2021
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 15.07.2021 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung unterliegt keiner weiteren Anfechtung (§ 310 Abs. 2 StPO).
Gründe
Die Beschwerde des Beschuldigten vom 20.08.2021 (Bl. 42 d.A.) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 15.07.2021 (Bl. 17 d.A.) ist statthaft gem. § 304 Abs. 1 StPO und auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen des § 111b Abs. 1 StPO liegen vor.
Danach können Gegenstände durch Beschlagnahme nach § 111c StPO sichergestellt werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzung für ihre Einziehung gegeben sind. Dies ist vorliegend bei dem beschlagnahmten PKW Audi A5, amtliches Kennzeichen XXX, FIN: XXX, der Fall. Denn die Einziehungsvoraussetzungen liegen sowohl gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 3 StVG als auch gemäß § 315f StGB vor.
1.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand besteht gegen den Beschuldigten jedenfalls der dringende Tatverdacht des verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG.
a)
Der Beschuldigte hat über seinen Verteidiger eingeräumt, am 13:06.2021 in der Zeit von 02:00 Uhr bis ca. 02:16 Uhr das gegenständliche Fahrzeug geführt zu haben. Er wurde zudem nach Halt von PHK K. angesprochen.
Ausweislich des Auszugs aus dem Fahreignungsregister vom 06.08.2021 wurde dem Beschuldigten am 23.11.2010 erstmalig die Fahrerlaubnis gemäß § 3 StVG aufgrund mangelnder Eignung wegen der Neigung zu einer Rauschgiftsucht durch gelegentlichen Cannabiskonsum, wobei keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgte, entzogen. Am 04.05.2015 wurde dem Beschuldigten gemäß § 20 Abs. 1 FeV eine neue Fahrerlaubnis erteilt. Auf die neu erteilte Fahrerlaubnis verzichtete der Beschuldigte am 07.01.2020. Seitdem ist er nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis.
b)
Die Strafvorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt in objektiver Hinsicht ein Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit voraus, das sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Die grobe Verkehrswidrigkeit des Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit kann sich allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen. Die Tathandlung muss ferner im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht braucht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen (vgl. BGH Beschl. v. 29.4.2021 – 4 StR 165/20, BeckRS 2021, 11911 Rn. 8).
So liegt es hier. Die Einlassung des Beschuldigten, er sei „aus purer Angst vor der Staatsgewalt geflohen“, er habe aus einem „ihn ergreifende[n] Schwall der Furcht, nicht jedoch [aus] ein[em] Gefühl der Erhabenheit über andere Verkehrsteilnehmer“ gehandelt, ist nach derzeitigem Ermittlungsstand als – noch dazu unerhebliche – Schutzbehauptung zu werten. Darüber hinaus zeigt die Einlassung eine rechtsfeindliche Gesinnung des Beschuldigten.
Ausweislich des Berichts von POK W. (Bl. 3 ff. d.A.) sollte der Beschuldigte gegen 02:00 Uhr einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen werden. Nach Zeigen des Haltesignals sei der Beschuldigte zunächst auf das Gelände der bft-Tankstelle, XXX, in N. gefahren. Nachdem die eingesetzten Beamten POK W. und PKin G. etwa auf Höhe des Fahrzeughecks befindlich waren, sei der Beschuldigte mit „hoher Geschwindigkeit“ in Richtung Bahnhof gefahren. Hierbei habe er die „Rot“ zeigende Lichtzeichenanlage XXX Ecke XXX überfahren. Der Fluchtversuch habe sich zunächst im Stadt- bzw. Wohngebiet N.s zugetragen und sei mit verschiedenen ordnungsrechtlichen Verstößen einhergegangen. Für die Einzelheiten wird Bezug genommen auf den zuvor genannten Bericht von POK W.. Der Beschuldigte sei sodann auf den Zubringer zur B6 gefahren, die er über mehrere Kilometer – bei Geltung einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h bzw. 70 km/h – mit einer Geschwindigkeit von ca. 220 km/h befuhren haben soll. Etwa ab Höhe H. hätten POK W. und PKin G. den Sichtkontakt zum Fahrzeug des Beschuldigten verloren. Auf der B6 sei der Beschuldigte zudem von dem zivilen Einsatzfahrzeug, besetzt mit den Beamten PHK K. und PKin J., verfolgt worden. Ausweislich des Berichts von PKin J. (Bl. 6 ff. d.A.) habe diese ihren Einsatzwagen auf eine Geschwindigkeit von 190 km/h beschleunigt, wobei sich der Abstand zum Fahrzeug des Beschuldigten schnell vergrößert habe und sie nach einer Wegstrecke von etwa 6km bei der Einmündung XXX den Sichtkontakt zum Fahrzeug des Beschuldigten verloren hätten. Sie hätten die B6 an der Ausfahrt XXX verlassen und seien auf der B6 zurück in Fahrtrichtung B. gefahren, als das Fahrzeug des Beschuldigten sie zwischen dem XXX und XXX mit einer Geschwindigkeit von etwa 170 km/h bis 180 km/h überholt habe. Gegen 02:16 Uhr habe sich schließlich ein weiteres Einsatzfahrzeug auf der XXX vor das Fahrzeug des Beschuldigten setzen und diesen anhalten können. Insgesamt seien an der Verfolgungsjagd sieben Einsatzfahrzeuge der Polizei beteiligt gewesen sein.
Das Tun des Beschuldigten stellt sich mithin nach Aktenlage schon angesichts der massiven Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten als grob verkehrswidrig dar. Nach den Berichten der eingesetzten Beamten handelte er durch Überfahren roter Lichtzeichenanlangen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch gleichgültig gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern um seines schnelleren Fortkommens Willen, mithin rücksichtslos. Schließlich war die unter maximaler Beschleunigung unternommene Fahrt auf der B6 mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Absicht getragen, nach seinen Vorstellungen über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies auf der Strecke in Fahrtrichtung H., um auf diese Weise den ihn verfolgenden Polizeistreifen zu entkommen, in Fahrtrichtung B. sogar ohne unmittelbaren Verfolgungsdruck, da er die ihn verfolgenden Einsatzfahrzeuge bereits abgeschüttelt und seine Fahrtrichtung geändert hatte.
c)
Letztlich besteht gegen den Beschuldigten auch noch ein Anfangsverdacht wegen einer tateinheitlich begangenen Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB.
Die dem Beschuldigten gegen 02:54 Uhr entnommene Blutprobe wies ausweislich des Gutachtens der Medizinischen Hochschule H. vom 18.06.2021 (Bl. 33 f. d.A.) eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 g ‰ auf. Ausweislich der toxikologischen Untersuchung der Medizinischen Hochschule H. vom 12.07.2021 wurden darüber hinaus Kokainabbauprodukte im Blut des Beschuldigten festgestellt (169 ng/ml Benzoylecgonin und 8.2 ng/ml Ecgoninmethylester). Eine Fahruntüchtigkeit ist nach dem Konsum von Drogen in der Regel nicht allein aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut zu begründen. Der Nachweis der relativen Fahruntüchtigkeit kann grundsätzlich nur aufgrund des konkreten rauschmittelbedingten Leistungsbildes des Betreffenden im Einzelfall geführt werden.
Ein Motoriktest ist mit dem Beschuldigten vor Ort nicht durchgeführt worden (Bl. 8 d.A.). Auch sind keinerlei alkohol- oder drogeninduzierte Ausfallerscheinungen im Rahmen der Anhaltesituation vermerkt. Möglicherweise deutet jedoch das Fahrverhalten des Beschuldigten vor der Ausfahrt N. Mitte auf eine intoxikationsbedingte Fahruntüchtigkeit hin. So soll er dort zunächst geblinkt und kurz auf den Verzögerungsstreifen gefahren sein, bevor er seine Fahrt auf der B6 in Fahrtrichtung B. fortgesetzt haben soll. Für dieses Fahrmanöver bestand nach Aktenlage keine Veranlassung in Bezug auf eine Polizeiflucht, da es sich bei dem Fahrzeug der diese Beobachtungen vermerkenden Beamtin PKin J. um einen zivilen Streifenwagen handelte.
2.
Es liegen dringende Gründe vor, dass der betroffene Pkw auch der Einziehung gemäß §§ 21 Abs. 3 Nr. 3 StVG und 315f StGB unterliegt.
Ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs vom 16.08.2021 erließ das Amtsgericht Sulingen am 30.09.2020 gegen den Betroffenen einen Strafbefehl wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 15.08.2020. Ausweislich des Vermerks von PHK B. vom 14.06.2021 (Bl. 10 d.A.) erfolgte auch diese Fahrt mit dem hier gegenständlichen Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX.
3.
Die Eigentumsverhältnisse des beschlagnahmten Audi A5 sind der Akte nicht zu entnehmen. Aufgrund seines Besitzes wird indes vermutet, dass der Beschuldigte auch Eigentümer des Fahrzeugs ist, § 1006 BGB.
4.
Die vorläufige Einziehung verstößt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zwar liegen zum Alter des Fahrzeugs keine Informationen vor, der Pkw weist jedoch bereits eine Laufleistung von über 143.000 km (Bl. 9 d.A.) auf und dürfte auch aufgrund der Beschädigungen am Radkasten links nur noch zwischen 15.000 bis 25.000 Euro wert sein.
Die Ausführungen des Verteidigers des Beschuldigten verfangen im Übrigen nicht. Hinsichtlich der subjektiven Gegebenheiten des Tatgeschehens wird auf obige Ausführungen verwiesen. Soweit der Verteidiger vorträgt, es handele sich um das einzige Fahrzeug der Familie, mag dies zutreffen. Gleichwohl ist nicht vorgetragen, weshalb die Frau des Beschuldigten zwingend auf das Fahrzeug angewiesen sein sollte. Die Verteidigung verhält sich weder zu Arbeitsstätte noch zu Arbeitszeiten der Frau des Beschuldigten. Ausweislich google maps befinden sich in unmittelbarer Nähe der Wohnanschrift des Beschuldigten und somit fußläufig zu erreichen sowohl Lebensmittelgeschäfte als auch Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. Diese mag die Familie nutzen.
Demgegenüber steht der oben skizzierte Verdacht des erheblichen Verstoßes gegen gleich einen ganzen Schwall verwirklichter Strafvorschriften und die Tatsache, dass der Beschuldigte bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist (Nr. 1 des Bundeszentralregisterauszuges).
Ob und inwiefern die Praxis von der Möglichkeit einer Einziehung gemäß § 74 StGB Gebrauch macht, ist insofern ebenfalls nicht von Belang, zumal der Gesetzgeber die Einziehungsvorschrift des § 315f StGB mit dem 56. StÄG neu geschaffen hat, um Mitglieder der „Raser-Szene“, die sich über die Geschwindigkeit ihrer Fahrzeuge definieren, hierdurch besonders nachhaltig zu beeindrucken (vgl. BT-Dr. 18/12964, S. 7) und die angefochtene Entscheidung mithin der gesetzgeberischen Intention folgt.