LG Leipzig – Az.: 13 Qs 4/21 – Beschluss vom 05.02.2021
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 07.12.2020 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Vollstreckung der Einziehung des Wertersatzes (S. 5 des Urteils des Amtsgerichts Leipzig vom 12.08.2020, Az.: 204 Ls 105 Js 11314/19) gem. § 459 g Abs. 5 StPO zu unterbleiben hat.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Durch Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 12.08.2020 (Az.: 204 Ls 105 Js 11314/19) ist gegen den Verurteilten wie folgt entschieden worden:
„Der Angeklagte … ist des unerlaubten vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen schuldig.
Er wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt.
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Im Übrigen wird er freigesprochen.
Die Einziehung des Wertes des Taterlöses in Höhe von 73850 Euro wird angeordnet.“
Ausweislich der Gründe ging das Amtsgericht im Rahmen seiner Entscheidung davon aus, dass der Verurteilte mit Betäubungsmitteln gehandelt habe und dabei im Rahmen der Veräußerung der Betäubungsmittel einen Erlös in Höhe von 73.850,00 Euro erlangt habe.
Mit Antrag vom 23.11.2020 begehrte der Verurteilte, dass das zuständige Gericht anordne, dass die Vollstreckung der Einziehung nach § 73 f StGB unterbleibe (§ 459 g Abs. 5 StPO).
Zur Begründung führte der Verurteilte aus, dass er bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung keine Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften (mehr) in seinem Vermögen gehabt habe. Unabhängig davon, dass der tatsächliche Erlös deutlich geringer sei als die in dem Urteil genannte Summe, da er ja auch Mittel zum Erwerb der Betäubungsmittel habe aufbringen müssen, um diese weiterveräußern zu können, seien die verbliebenen Erlöse für Eigenkonsum, Alkohol und Veranstaltungen aufgewendet worden. Mit seinem derzeitigen Vermögen von ca. 6.400,00 Euro könne er die im Urteil ausgesprochene Forderung nicht begleichen. Auch seien sämtliche derzeit in seinem Vermögen befindlichen Bestandteile erst nach den ihm zur Last gelegten Straftaten durch rechtlich nicht zu beanstandende berufliche Tätigkeit in das Vermögen gelangt.
Seine Vermögenssituation hat der Verurteilte durch eine Reihe von Unterlagen aber auch Nachweise über die berufliche Tätigkeit unter Beweis gestellt.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig ist dem Antrag des Verurteilten mit Verfügung vom 01.12.2020 entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass der Verurteilte über ein regelmäßiges Einkommen verfüge und eine Zahlung – zumindest in Raten – damit grundsätzlich realisierbar wäre.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 07.12.2020 wurde der Antrag des Verurteilten als unbegründet abgelehnt. Insoweit erachtete das Amtsgericht in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft die weitere Vollstreckung als grundsätzlich möglich, aber auch nicht unverhältnismäßig.
Gegen diese Entscheidung wandte sich der Verurteilte mit der durch Verteidigerschriftsatz vom 16.12.2020 erhobenen Beschwerde, die durch weiteren Schriftsatz vom 27.01.2021 näher begründet wurde. Dabei wurde argumentiert, dass im Sinne des § 459 g Abs. 5 S. 1 es ausreichend berücksichtigt worden sei, ob und inwieweit die der Einziehung unterlegenen Vermögenswerte oder deren Äquivalente noch im Vermögen zu finden seien. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft führe dazu, dass der Einziehung über die Strafe hinaus ein repressiver Charakter zuzuschreiben wäre, der von dem Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei.
Auf die zulässige sofortige Beschwerde war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das (vorläufige) Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen.
a) Zur Frage der Reichweite des in § 459g Abs. 5 StPO normierten Tatbestandsmerkmals der Entreicherung ist – auch nach der Kommentarliteratur (z.B. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 459 g Rdnr. 13 m.w.N.) – noch keine gefestigte Rechtsprechung entstanden. Insoweit wird insbesondere auch thematisiert, ob im Hinblick auf die mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung beabsichtigte Stärkung der Vermögensabschöpfungsmöglichkeiten (vgl. BT-Drs 18/9525) und den entsprechenden Überlegungen mit einer weitreichenden Ausgestaltung der Entreicherung Rechnung getragen werden kann.
Insoweit muss bedacht werden, dass nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes (NStZ-RR 18, 241) sich ein Verurteilter quasi stets auf Entreicherung berufen kann, sofern er über kein Vermögen verfügt. Insoweit sei es aufgrund des zwingenden Wortlautes von § 459 g Abs. 5 S. 1 StPO nicht möglich, wertende Gesichtspunkte bei der Prüfung des Wegfalls der Bereicherung einzubeziehen. Insoweit könne sich auch der Täter erfolgreich auf eine Entreicherung berufen, unabhängig davon zu welchem Zweck (vgl. BGH NStZ-RR 18, 241 m.w.N.).
Dabei weist der Bundesgerichtshof explizit auf die Trennung zwischen Anordnung der Einziehung, insbesondere des § 73 e StGB hin. Dabei sieht das Strafgesetz (zunächst) grundlegend die Einziehung vor, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Daran anschließend muss im Vollstreckungsverfahren im Einzelfall gem. § 459 g Abs. 5 StPO die Vermögenssituation geprüft werden. Dabei schreibt § 459 g Abs. 5 S. 1 StPO in der aktuellen Gesetzesfassung zwingend vor, dass eine Vollstreckung zu unterbleiben hat, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Tatbeteiligten vorhanden ist (vgl. BGH Beschluss vom 22.02.2018 – 3 StR 577/17 ), wobei eine wertende Entscheidung des zuständigen Gerichts nicht mehr möglich ist (vgl. BGH, NStZ-RR 2017, 14 m.w.N.). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an, wenngleich die im Rahmen des Gesetzesvorhabens geäußerten Überlegungen (vgl. BT-Drs 18/9525 S. 45), wonach Ziel des Gesetzgebungsverfahrens sei, mögliche Beeinträchtigungen des Vertrauens der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu begegnen, die sich dadurch ergeben könnten, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürfen, nur eingeschränkt umgesetzt werden können. Insoweit sieht die Kammer durchaus die Gefahr, dass die in § 73 f. StGB normierten (zwingenden) Einziehungsmöglichkeiten durch eine erhebliche Korrekturmöglichkeit im Rahmen des § 459 g StPO beeinträchtigt werden. Die Kammer verkennt dabei durchaus nicht, dass die Vermögenseinziehung im Falle der Entreicherung eine „erdrückende Wirkung“ – so BT-Drs. 18/9525 S. 94) haben kann.
Trotz der genannten Überlegungen und Bedenken schließt sich die Kammer dabei der am Wortlaut des § 459g StPO orientierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an.
In dem vorliegenden Fall sieht die Kammer aufgrund des Vorlegens von umfangreichen Unterlagen über die derzeitige Vermögenssituation auch keine Möglichkeit der Zurückverweisung an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht zur (umfassenden) Klärung der Vermögenssituation, da nach Aktenlage nicht zu erwarten, ist, dass im Rahmen weiterer Recherchen der Einwand der Entreicherung widerlegt werden könnte.
Nach alledem war auf das zulässige Rechtsmittel der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 467 StPO.