OLG Frankfurt – Az.: 1 Ss 95/11 – Urteil vom 19.12.2011
Das angefochtene Urteil wird im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Beleidigung der Polizeibeamten A, B und C verurteilt wurde, sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Strafrichter – Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 22.12.2010 wegen zwei Fällen der Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 8,– Euro verurteilt.
Es hat folgende Feststellungen getroffen:
„Am …. Januar 2010 gegen 04:55 Uhr begaben sich der Angeklagte und dessen Freund aus dem Restaurant „X“ auf den Querbahnsteig im …bahnhof in Stadt1.
Zwischen dem Restaurant X und dem Treppenabgang zu den S-Bahngleisen befanden sich die Geschädigten PHM D, PHM E, POK F und PMA’in G, die den Querbahnsteig des … …bahnhofs bestreiften. Der Angeklagte kam auf die Polizeibeamten zu und beleidigte diese, indem er ihnen zurief „Ihr Faschos, ihr macht nur Scheiße, sucht euch einen gescheiten Job.“ Der Angeklagte wurde aufgefordert sich auszuweisen und zur Seite zu gehen. Während der Mitnahme zur Dienststelle zwecks Identitätsfeststellung beleidigte der Angeklagte den Geschädigten D, indem er „Arschloch“ zu diesem sagte. Der Angeklagte wollte damit den Polizeibeamten gegenüber seine Missachtung zum Ausdruck bringen, was ihm auch gelang.
Auch die Geschädigten POK A, PHM B und PKA C waren am „X“ im …bahnhof, die zuvor im Gespräch mit einer anderen strafverdächtigen Person waren. Während der Identitätsfeststellung dieser Person mischte sich der Angeklagte in die polizeilichen Maßnahmen ein und unterstellte den Polizeibeamten, dass diese nur gegen „Schwarze“ vorgingen.
Der Angeklagte, der sehr aggressiv war, wurde schließlich im Festnahmegriff zur Wache gebracht, wo eine Durchsuchung vorgenommen und eine Alkoholkontrolle durchgeführt wurde. Danach wurde der Angeklagte um 05.10 Uhr wieder entlassen.“
Zur Beweiswürdigung hat es ausgeführt:
„Der Angeklagte lässt sich dahingehend ein, dass er zu den Polizeibeamten „sucht euch einen anständigen Job“ gesagt hat und bestreitet die Tat im Übrigen. Das Gericht folgt der Einlassung des Angeklagten jedoch nicht. Sie ist als Schutzbehauptung zu werten und durch die zahlreichen Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung widerlegt.
Der Zeuge D stand in unmittelbarer Nähe des Angeklagten im X und vernahm Beschimpfungen mit den Worten „Ihr Faschos, ihr macht nur scheiße, sucht euch einen gescheiten Job.“
Insbesondere wird der Angeklagte auch durch die Aussage der Zeugin G überführt, die sich ausdrücklich an den Wortlaut „Ihr Faschos, sucht euch einen richtigen Job, ihr macht doch nur Scheiße“ erinnern konnte.
Der Zeuge E sagte glaubhaft aus, dass Beleidigungen in Form von „Faschos, Arschlöcher, Scheiß Bullen, sucht euch einen gescheiten Job“ seitens des Angeklagten getätigt wurden.
Der Zeuge B konnte sich nicht an die genaue Wortwahl der Beleidigungen erinnern, da er zuvor zu einem anderen Vorfall in das Restaurant „X“ gerufen wurde und dort eine Personenkontrolle durchführte. Auf der Wache hat er jedoch am Rande mitbekommen, dass der Angeklagte weitere Beleidigungen ausgesprochen hat.
Der Zeuge Z1 konnte und wollte sich nicht an etwaige Beleidigungen des Angeklagten erinnern und schien damit seine allgemein Justizunfreundlichkeit zum Ausdruck bringen zu wollen. Er konnte lediglich beobachten, wie der Angeklagte mit auf die Wache genommen wurde…“
Für die „erste“ Beleidigung hat das Amtsgericht eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen und für die „zweite“ Beleidigung eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen verhängt und die Höhe des Tagessatzes auf 8,– Euro festgesetzt.
Gegen das Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und gleichermaßen begründete Revision des Angeklagten.
Sie führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Beleidigung der Zeugen A, B und C verurteilt wurde.
Bezüglich dieser Tat ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
Nach § 261 StPO entscheidet das Tatgericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung der geschöpften Überzeugung. Freie Beweiswürdigung bedeutet, dass es für die Beantwortung der Schuldfrage allein darauf ankommt, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht; diese persönliche Gewissheit ist für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, das sie sehr häufig möglichen Zweifeln ausgesetzt bleibt (BGH NStZ-RR 2004, 238). Aufgabe des Tatrichters ist es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu überprüfen, ob es solche an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht (vgl. BGH NJW 1957, 1039; OLG Koblenz VRS 65, 377). Da die Beweiswürdigung allein die Sache des Tatrichters ist, ist seine in der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung für das Revisionsgericht bindend. Dieses kann daher dessen Überzeugungsbildung nur im beschränkten Umfang nachprüfen (vgl. Karlsruher Kommentar-Schoreit, StPO, 6. Aufl., § 261 Rdnr. 51; BGH NStZ-RR 1999, 301; OLG Düsseldorf VRS 66, 358). Dabei schließt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung aus, dass das Revisionsgericht dem Tatrichter vorschreibt, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Überzeugung kommen muss oder nicht kommen darf (vgl. BGH NStZ 2000, 48). Insbesondere ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (vgl. Karlsruher Kommentar a. a. O.). Wenngleich die Beweiswürdigung allein eine Sache des Tatrichters ist, kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin prüfen, ob ihm hierbei Fehler unterlaufen sind (vgl. BGH VRS 63, 3940; NStZ-RR 1999, 301). Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder wenn sie Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist, sowie auch dann, wenn der Richter überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderlichen Gewissheit gestellt hat (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 301; NStZ 2002, 48; OLG Koblenz VRS 70, 18, 20).
Vorliegend ist die Beweiswürdigung bei der Tat zum Nachteil A, B und C lückenhaft. Es wird nur wiedergegeben, dass der Zeuge B sich nicht an die genaue Wortwahl der Beleidigung erinnern könne, da er zuvor zu einem anderen Vorfall in das Restaurant „X“ gerufen worden sei und dort eine Personenkontrolle durchgeführt habe. Auf der Wache habe er jedoch am Rande mitbekommen, dass der Angeklagte weitere Beleidigungen ausgesprochen habe. Damit fehlt es an jeglicher Beweiswürdigung dazu, was der Angeklagte angeblich gegenüber den Zeugen A, B und C gesagt haben soll und auf welchen Zeugenaussagen die Unterstellung gegenüber den Polizeibeamten, dass diese nur gegen „Schwarze“ vorgingen, beruhen.
Auch die Feststellungen sind insoweit unzureichend. Das Amtsgericht stellt lediglich pauschal fest, dass den Polizeibeamten unterstellt worden sei, dass diese nur gegen „Schwarze“ vorgingen, ohne dass konkret ersichtlich wird, welche Äußerungen seitens des Angeklagten gefallen sein sollen. Eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB setzt einen Eingriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe von Nicht-; Gering- oder Missachtung voraus. Die Feststellung, ob eine Erklärung einen Eingriff auf die Ehre einer anderen Person enthält, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dieser muss nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn einer Äußerung feststellen (vgl. BGHSt 40, 97, 101). Den tatsächlichen Inhalt der Äußerung hat er im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung unterliegt wie die Beweiswürdigung nur eingeschränkt der revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371, 372). Dem Revisionsgericht obliegt die Prüfung, ob die Auslegung lückenhaft ist. Der Tatrichter ist nämlich verpflichtet, im Rahmen der Auslegung die gesamten Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 40 a. a. O.). Maßgebend ist dabei nicht, was der Äußernde zum Ausdruck bringen wollte, sondern was er bei objektiver Bewertung zum Ausdruck gebracht hat. Ist eine Äußerung nicht eindeutig, so muss ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei sind alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation zu berücksichtigen, soweit sie im Wortlaut der Äußerung selbst oder im Kontext, in dessen Zusammenhang sie steht, ihren Ausdruck gefunden hat (vgl. BayObLG JR 94, 471). Bei der Auslegung der Erklärung ist dem durch das Gesetz eingeschränkten Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet zwischen allgemeinen Gesetzen und Grundrecht eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass erstere zwar dem Wortlaut nach Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen. Dazu gehört eine zutreffende Erfassung des Sinns der getroffenen Äußerung. Insbesondere dürfen die Gerichte ihr keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall von Mehrdeutigkeit nicht von einer zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8.2.2008 – Az.: 1 Ss 289/06 und 23.8.1999 – Az.: 1 Ss 141/99). Den Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Hierbei wird auch zu beachten sein, dass eine Beleidigung von Polizeibeamten regelmäßig dann ausscheidet, wenn nicht auszuschließen ist, das die vermeintliche herabsetzende Äußerung nicht den einschreitenden Polizeibeamten selbst, sondern vielmehr der Vorgehensweise der Polizei generell gegolten hat (vgl. Senatsbeschl. v. 8.2.2008 a. a. O.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 295, 296).
Wegen der aufgezeigten Mängel war das Urteil bezüglich der Beleidigung zum Nachteil der Geschädigten A, B und C aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Strafrichter – zurückzuverweisen. Die Aufhebung erfasst auch den Gesamtstrafenausspruch.
Die weitergehende Revision des Angeklagten war dagegen zu verwerfen.
Insoweit hat sich bezüglich der Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung der Geschädigten D, E, F und G kein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigungen werden den oben dargestellten Anforderungen noch gerecht. Bei dem einfach gelagerten Sachverhalt geht es nur darum, ob der Angeklagte die in Rede stehende Äußerung getätigt hat oder nicht. Für seine Überzeugungsbildung stellt das Amtsgericht auf die Aussage des in unmittelbarer Nähe befindlichen Zeugen D sowie die im Kern übereinstimmende Aussage weiterer Zeugen ab. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Bei der Strafzumessung geht das Amtsgericht zwar von einem falschen Strafrahmen aus. Für die Beleidigung ist gemäß § 185 StGB lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe – der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe bezieht sich auf die tätliche Beleidigung im Sinne des § 185 StGB – vorgesehen. Der Senat schließt dabei aus, dass das Amtsgericht eine geringere Geldstrafe bei Berücksichtigung des richtigen Strafrahmens verhängt hätte, da sich die verhängte Geldstrafe im unteren Strafrahmenbereich bewegt.