Rechtsbeistand darf bei Durchsicht von sichergestellten Daten anwesend sein
In einer bemerkenswerten Entwicklung hat das Landgericht Kiel festgestellt, dass ein Rechtsbeistand bei der Durchsicht von beschlagnahmten Daten anwesend sein darf. Diese Entscheidung betrifft einen Fall, bei dem während einer Durchsuchung umfangreiche Daten sichergestellt wurden, deren Prüfung auf Verfahrensrelevanz voraussichtlich komplex ist. Die Staatsanwaltschaft wollte den Rechtsbeistand des Betroffenen von der weiteren Teilnahme an der Durchsicht ausschließen, was zu einer rechtlichen Kontroverse führte.
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Übersicht
Präsenz des Rechtsbeistands bei Datenprüfung
Das Hauptargument für die Anwesenheit des Rechtsbeistands während der Durchsicht der sichergestellten Daten liegt in der Verhältnismäßigkeit. Obwohl die Strafprozessordnung kein ausdrückliches Anwesenheitsrecht vorsieht, kann es laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sein, den Inhaber der Daten in die Prüfung der Verfahrensrelevanz einzubeziehen.
Abwägung von Interessen in der Durchsicht von sichergestellten Daten
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht Kiel festgestellt, dass das Interesse des Betroffenen und seines Rechtsbeistands an der Anwesenheit bei der Durchsicht der Daten überwiegt. Trotz der Beanspruchung von Zeit und Ressourcen bei der Durchsicht, insbesondere bei der Einbeziehung des Rechtsbeistands, hat das Gericht befunden, dass die Verfahrensförderung und die Prozessökonomie nicht maßgeblich beeinträchtigt werden.
Prüfung der sichergestellten Daten und Auswirkungen auf die Rechte des Betroffenen
Das Gericht hat hervorgehoben, dass ein umfangreicher Datenbestand sichergestellt wurde, von dem ein Großteil vermutlich nicht relevant für das Ermittlungsverfahren ist. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Betroffene ein erhebliches Interesse daran hat, bei der Sichtung der Daten anwesend zu sein.
Ausblick auf künftige Verfahren und den Umgang mit sichergestellten Daten
Diese Entscheidung könnte einen Präzedenzfall für ähnliche zukünftige Fälle darstellen. Sie verdeutlicht die Bedeutung der Einbeziehung des Betroffenen und seines Rechtsbeistands bei der Durchsicht sichergestellter Daten, insbesondere wenn der Umfang und die Relevanz der Daten für das Verfahren unklar sind.
Das vorliegende Urteil
LG Kiel – Az.: 3 Qs 14/21 – Beschluss vom 18.06.2021
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 10.05.2021 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Kiel hat am 24.09.2020 u.a. die Durchsuchung des Arbeitsplatzes des Beschuldigten … bei dem. Betroffenen angeordnet. Die Durchsuchung fand am 28.10.2020 bei dem Betroffenen statt, wobei u.a. Daten vom Server, Arbeitsplatz des Beschuldigten … und des Arbeitsplatzes … gesichert und zur Durchsicht an Amtsstelle mitgenommen wurden. Die erste Durchsicht der sichergestellten Daten erfolgte in Anwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, Rechtsanwalt Dr. …, am 26.03.2021, die Fortsetzung am 31.03.2021. Mit Schreiben vom 09.04.2021 teilte die Staatsanwaltschaft Kiel Rechtsanwalt Dr. … mit, dass eine weitere Teilnahme an der Durchsicht insbesondere aus verfahrensökonomischen Gründen nicht mehr zugelassen werde. Mit Schriftsatz vom 13.04.2021 beantragte Rechtsanwalt Dr. … gegenüber der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel die Anwesenheit bei der Durchsicht weiterhin zuzulassen, was diese am 16.04.2021 ablehnte. Am 26.04.2021 stellte Rechtsanwalt Dr. … gegenüber dem Amtsgericht Kiel einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung und gerichtliche Anordnungen, dem Vertreter der Betroffenen auch weiterhin seine Anwesenheit bei der Durchsicht der im Rahmen der Durchsuchung vorläufig sichergestellten Daten zu gestatten. Mit Beschluss vom 10.05.2021 hat das Amtsgericht Kiel dem Rechtsbeistand des Betroffenen die Anwesenheit bei der Durchsicht der vorläufig sichergestellten Datenträger gestattet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Strafprozessordnung enthalte kein einfachgesetzliches Anwesenheitsrecht. Zudem liege auch nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kein Ausnahmefall vor, der eine Anwesenheit gebiete. Das Amtsgericht Kiel hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Amtsgericht Kiel hat zu Recht dem Rechtsbeistand des Betroffenen ein Anwesenheitsrecht bei der Durchsicht der vorläufig sichergestellten Datenträger gestattet.
Ein Recht auf Anwesenheit bei der Durchsicht im Sinne des § 110 StPO ist gesetzlich nicht normiert. Mit dem Ersten Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24.08.2004 (BGBl I S. 2198) wurde ein solches, das in § 110 Abs. 3 StPO a.F. geregelt war, ohne Begründung ersatzlos gestrichen. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es im Einzelfall zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sein, den oder die Inhaber des jeweiligen Datenbestands in die Prüfung der Verfahrenserheblichkeit sichergestellter Daten einzubeziehen. Konkrete, nachvollziehbare und überprüfbare Angaben vor allem Nichtverdächtiger zur Datenstruktur und zur Relevanz der jeweiligen Daten können deren materielle Zuordnung vereinfachen und den Umfang der sicherzustellenden Daten reduzieren. Allerdings ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, in jedem Fall eine Teilnahme an der Sichtung sichergestellter E-Mails vorzusehen. Ob eine Teilnahme bei der Durchsicht geboten ist, ist im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung einer wirksamen Strafverfolgung einerseits und der Intensität des Datenzugriffs andererseits zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009, Az. 2 BvR 902/06, Rn. 96).
Die Verhältnismäßigkeit gebietet es im vorliegenden Fall, dem Rechtsbeistand des Betroffenen die Anwesenheit bei der Durchsicht zu gestatten. Bei ihm als nicht Beschuldigtem ist ein umfangreicher Datenbestand gesichert worden, dessen Großteil an Daten keine Relevanz für das Ermittlungsverfahren haben dürfte. Damit musste er einen erheblichen Eingriff ihn seine Rechte hinnehmen; auch die Rechte der … sind berührt, soweit es um Kommunikation zwischen ihnen und dem Betroffenen geht. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Betroffene ein erhebliches Interesse daran hat, bei der Sichtung der Daten anwesend zu sein. Das gilt um so mehr, als ausweislich des Vermerks vom 29. März 2021 deutliche Differenzen zwischen der Steuerfahndung und dem Vertreter des Betroffenen über die Art und Weise sowie den Umfang der Durchsicht bestehen.
Das Interesse an der Anwesenheit tritt auch nicht hinter Zwecke der Verfahrensförderung und der Prozessökonomie zurück. Gewisse zeitliche Einschränkungen und organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Sichtung aufgrund der Hinzuziehung des Rechtsbeistands sind insoweit hinzunehmen, insbesondere wenn nicht ersichtlich ist, dass dies zu einer (nennenswerten) Verzögerung des Verfahrens führt. Es ist unbestritten, dass Rechtsanwalt Dr. … zu den vorgesehen Durchsichtterminen erschienen ist, ohne dass es zu einer Verlegung des Termins kommen musste. Vielmehr ergibt sich auch aus der Ermittlungsakte, dass der Rechtsbeistand des Betroffenen auch bei einer Ankündigung am 25.03.2021 über den Durchsichttermin am 26.03.2021 um 09:00 Uhr erschien und auch bei der Fortsetzung der Datensichtung am 31.03.2021 erscheinen konnte (vgl. Bl. 4 f. HB IV). Nach alledem überwiegt das Interesse an der Anwesenheit während der Durchsicht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.