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Auskunftsverweigerungs­recht eines Zeugen bei Verfolgungsgefahr

LG Freiburg (Breisgau) – Az.: 2 Qs 67/17 – Beschluss vom 26.01.2018

Auf die Beschwerde des Zeugen M wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.05.2017 (26 Gs 2313/16) aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Zeugen im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Der betroffene Zeuge M wurde mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 22.02.2016 (18 Ls 141 Js 500/16 jug.), rechtskräftig seit 01.03.2016, wegen versuchten Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Diebstahl zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegenstand der Verurteilung waren unter anderem ein versuchter Einbruchsdiebstahl in die Bäckerei A am 20.07.2015 sowie ein versuchter Einbruchsdiebstahl in die Bäckereifiliale K am 29.07.2015. Beide Taten beging er laut den Feststellungen im Urteil gemeinsam mit einem bzw. mehreren bislang nicht identifizierten Mittätern.

Nach Rechtskraft seiner eigenen Verurteilung sollte M bezüglich dieser Taten im Hinblick auf die Identifizierung des oder der bislang nicht bekannten Mittäter als Zeuge vernommen werden. M weigerte sich jedoch, Angaben als Zeuge zu machen, und berief sich dabei – nach Beiordnung von Rechtsanwalt X als Zeugenbeistand – auch in seiner richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Freiburg – Ermittlungsrichter – am 12.05.2017 auf sein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO.

Mit Beschluss vom 12.05.2017 (26 Gs 2313/16) setzte das Amtsgericht Freiburg gegen M daraufhin ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 €, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, fest. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Zeugen vom selben Tage, der das Amtsgericht Freiburg mit Beschluss vom 09.06.2017 nicht abgeholfen hat. Die Staatsanwaltschaft Freiburg ist der Beschwerde entgegengetreten.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 und Abs. 2 StPO zulässige Beschwerde ist begründet, da der Zeuge M sich zulässigerweise auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen konnte.

Die ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO begründende Gefahr einer Strafverfolgung setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die – nach der Beurteilung durch das Gericht – geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für die Annahme einer Verfolgungsgefahr zwar nicht aus, und eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Auch bei Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung ist eine Verfolgungsgefahr aber dann nicht auszuschließen, wenn zwischen der abgeurteilten Tat und anderen Straftaten, derentwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat die Gefahr der Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich bringt (vgl. zum Ganzen BGH NStZ 2010, 463 m.w.N.). Letzteres kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass der Zeuge durch seine Aussage die Tatbeteiligten weiterer, noch verfolgbarer eigener Delikte offenbaren müsste und damit zugleich potentielle – bislang noch nicht bekannte – Beweismittel gegen sich selbst liefern müsste. Insoweit geht dann der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch vor (vgl. BVerfG NStZ 2002, 378 sowie in Abgrenzung hierzu OLG Köln NStZ 2009, 586).

Dies ist vorliegend der Fall. So wurden im Jahre 2015 in insgesamt 154 Filialen verschiedener Bäckereien und Cafés im Bereich des Polizeipräsidiums Freiburg Einbruchsdiebstähle verübt beziehungsweise versucht. Verantwortlich für diese Einbrüche zeigten sich nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen dabei zwar nicht nur eine, sondern drei Tätergruppierungen, die nach den bisherigen polizeilichen Erkenntnissen auch nicht miteinander in Verbindung standen. So ist auch der Zeuge M nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen lediglich in einer dieser Tätergruppierungen strafrechtlich in Erscheinung getreten, die zudem nicht als die Hauptgruppierung bezeichnet werden kann und gegen die im Vergleich zu den beiden anderen Tätergruppierungen weniger Ermittlungsverfahren geführt wurden. Dennoch ist zu konstatieren, dass eine Vielzahl der verübten und versuchten Einbrüche nach wie vor nicht aufgeklärt ist und damit zugleich bislang keiner der drei Gruppierungen zugeordnet werden konnte. Auch ist nicht auszuschließen, dass noch weitere bislang unbekannte Personen an den Einbruchsdiebstählen und insbesondere auch der Tätergruppierung des Zeugen beteiligt waren. Mithin kann im Ergebnis – und dies nicht nur bloß denktheoretisch – nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge durch die von ihm verlangten Auskünfte – wenn auch nur mittelbar, insbesondere durch Benennung eines noch nicht bekannten Mittäters/“Mitglieds“ seiner Gruppierung – neue Ermittlungsansätze liefern könnte, die auch ihn hinsichtlich noch nicht aufgeklärter Bäckereieinbrüche in die Gefahr einer erneuten Strafverfolgung bringen könnten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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