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Aussage-gegen-Aussage-Konstellation – Beweiswürdigung

KG – Az.: (2) 121 Ss 100/21 (24/21) – Beschluss vom 5.11.2021

In der Strafsache wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 5. November 2021 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 11. Juni 2021 aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe:

1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 11. Juni 2021 wegen gefährlicher Körperverletzung und (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten (Einzelstrafen von sieben Monaten und 100 Tagessätzen zu je 40 Euro) verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

2. Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen die folgenden Feststellungen getroffen:

„Die Zeugin C. und der Angeklagte führten seit etwa 2012/2013 eine Be-ziehung. 2014 zogen sie gemeinsam nach Berlin. Der Angeklagte trat der Zeugin gegenüber schon seit Beginn der Beziehung verbal aggressiv auf. Im Jahr 2016 wechselte die Zeugin, die zunächst in einem Geschäft, welches nur einige Minuten von der gemeinsamen Wohnung entfernt lag, arbeitete, ihre Arbeitsstelle und musste täglich 11 Kilometer zur Arbeit fahren. Dies missfiel dem Angeklagten, auch weil er der Zeugin die Arbeitsstelle in der Nähe der Wohnung organisiert hatte. Auch vermutete der Angeklagte, die Zeugin habe ein Verhältnis mit ihrem Filialleiter und weiteren Kollegen. Die verbalen Anfeindungen nahmen zu, auch schlug und trat er die Zeugin bei unterschiedlichen Gelegenheiten, was diese nicht anzeigte. Im Jahr 2018 ging der Angeklagte eine Beziehung mit einer St. ein und wollte die Zeugin verlassen. Die Zeugin C. setzte sich mit St. in Verbindung und teilte dieser Einzelheiten über ihre Beziehung mit dem Angeklagten mit, was den Angeklagten verärgerte. Der Angeklagte verprügelte die Zeugin das erste Mal. Der Angeklagte und die Zeugin kamen wieder zusammen. Die Gewalt in der Beziehung nahm zu.

Sowohl der Angeklagte als auch die Zeugin konsumierten regelmäßig, d.h. täglich Cannabis. Während der Taten stand weder der Angeklagte noch die Zeugin unter dem Einfluss von Cannabis.

[1.]

Am 24.10.2019 ging die Zeugin zur Arbeit und führte mehrere Telefongespräche mit dem Angeklagten. Grund war, dass die Zeugin, der es oblag, die Rechnungen für den gemeinsamen Haushalt zu bezahlen, die Strom-rechnung nicht gezahlt hatte und daher der Strom abgestellt worden war. Der Angeklagte machte der Zeugin erhebliche Vorwürfe. Die Zeugin kam gegen 22:15 [Uhr] nach Hause. Der Angeklagte erwartete sie an der Tür und forderte sie auf, zunächst zum Briefkasten zu gehen und zu schauen, ob Post vom Stromanbieter gekommen sei. Dies tat die Zeugin. Als die Zeugin zur Wohnungstür gelangte, versetzte er ihr eine Ohrfeige in das Gesicht, pack[t]e sie und zog sie in die Wohnung. Dort versetzte er ihr einen weiteren Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht. Sodann zog der [Angeklagte] die Zeugin an den Haaren, die sie zum Zopf gebunden hatte, in die Küche, die höher als der Eingangsbereich liegt und über acht Stufen zu erreichen ist. Der Angeklagte versetzte der Zeugin weitere vier bis fünf Schläge in das Gesicht – mit der Faust und mit der flachen Hand – und boxte ihr zwei Mal in den Magen, so dass sie auf dem Boden fiel. Er trat ihr zweimal gegen den Oberschenkel und schlug ihr mit der Faust auf den Rücken. Sodann schlug er der Zeugin mit ihrem Handy – einem Iphone 8 oder 9 – mit der Unterkante auf den Kopf. Sodann forderte er die Zeugin auf, sich an den Tisch zu setzen, was diese auch tat. Die Zeugin teilte mit, dass sie sich gern trennen würde, der Angeklagte verbot ihr dies und teilte ihr mit, dass er nunmehr die Finanzen verwalte und er ihr ein Taschengeld geben würde. Sie würden nach Tegel ziehen, ihr[e] Arbeitsstelle müsse sie wechseln. Er nahm die EC Karte und den Pass der Zeugin an sich. Während dieses Gesprächs, dass bis etwa 2:00 [Uhr] nachts andauerte, versetzte er ihr weitere Schläge mit der flachen Hand oder zog sie an den Haaren. Die Zeugin erlitt mehrere Hämatome und Quetschungen an den Beinen, am Rücken und eine Schwellung am Kopf.

2. Am Morgen des 25.10.2019 weckte der Angeklagte die auf der Couch schlafende Zeugin C. gegen 7:20 Uhr und schlug ihr grundlos und in Verletzungsabsicht mit beiden Handrücken über Kreuz einmal in das Gesicht und forderte die Zeugin auf, Kaffee einkaufen zu gehen. Die Zeugin erlitt Schmerzen. (…)“

Das Amtsgericht hat die Tat zu 1. als mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangene gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet, da es sich bei dem iPhone 8 oder 9 um ein eher „großes“ Modell handele und der Schlag mit der unteren Kante des Mobiltelefons geeignet sei, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Hinsichtlich der Tat zu 2. hat es bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens des § 223 Abs. 1 StGB strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte die Zeugin C. durch die Schläge ins Gesicht geweckt habe und sie bei der Körperverletzung daher besonders arglos gewesen sei.

II.

Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO) und fristgerecht erhobene (§ 341 StPO), Sprungrevision des Angeklagten hat auf die allgemeine Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, so dass es auf die von ihm erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil es keine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung des (möglichen) verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 – und vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08 –, jeweils juris). So liegt es hier.

1. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zu der Tat zu 1. tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht. Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte der Zeugin mit der Unterkante ihres Smartphones, eines iPhones 8 oder 9, auf den Kopf geschlagen und dass die Zeugin durch das Tatgeschehen neben Hämatomen und Quetschungen an den Beinen und am Rücken eine Schwellung am Kopf davongetragen hat. Eine Zuordnung der Schwellung zu dem Schlag mit dem Smartphone fehlt jedoch ebenso wie Angaben zur Intensität des Schlages. Dass ein als Schlagwerkzeug eingesetztes Mobiltelefon grundsätzlich geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 27. November 2019 – 1 Ss 44/19 –, juris), reicht für die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung allein nicht aus. Ein solcher Gegenstand ist vielmehr nach der Rechtsprechung ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB nur dann, wenn er nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (std. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 05. September 2006 – 4 StR 313/06 –, juris). Unter erheblichen Verletzungen sind dabei nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzungen oder Gesundheitsschädigungen zu verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2014 – 2 StR 275/13 –, juris). Bei einem leichten Schlag mit dem Mobiltelefon auf den Kopf, selbst wenn er mit der Kante des Telefons geführt wird, sind indes in der Regel keine erheblichen Verletzungen zu erwarten. Angesichts dessen hätte es für die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung einer näheren Darlegung der Art und Weise der Ausführung des Schlages und gegebenenfalls einer konkreten Tatfolge bedurft. Daran fehlt es hier.

2. Die Feststellungen zu der Tat zu 2. sind in sich widersprüchlich. Die im Rahmen der Strafzumessung straferschwerend gewertete Feststellung, der Angeklagte habe die Zeugin durch die Schläge ins Gesicht geweckt, steht im Widerspruch zu der Darstellung des konkreten Tatablaufs unter II.2., nach der der Angeklagte die schlafende Zeugin am Morgen des Tattages weckte und ihr – erst dann – grundlos und in Verletzungsabsicht mit beiden Handrücken ins Gesicht schlug, mithin zwei eigenständige Handlungen vornahm. Die schriftlichen Urteilsgründe bilden eine Einheit, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich – wie hier – in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08 – juris). Aus der Gesamtheit der Urteilsgründe muss sich eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Würdigung entnehmen lassen. Der aufgezeigte Widerspruch kann vorliegend nicht im Wege der Auslegung der Urteilsgründe ausgeräumt werden. Die widersprüchlichen Feststellungen führen vielmehr dazu, dass hinsichtlich der Tat zu 2. unklar bleibt, welchen konkreten Sachverhalt der Tatrichter dem Urteil zugrunde gelegt hat. Hätte der Angeklagte (entsprechend der Darstellung in der Strafzumessung) die noch schlafende Zeugin mit beiden Handrücken geschlagen, hätte zudem im Einzelnen dargestellt werden müssen aufgrund welcher Umstände die Tat so detailliert festgestellt werden konnte. Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der zu seiner Aufhebung führt.

3. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Gegen die von dem Angeklagten mit seiner Revision ebenfalls angegriffene Beweis-würdigung des angefochtenen Urteils bestehen unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsgrundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1997 – 5 StR 178/97 –, juris) keine durchgreifenden Bedenken. Die Annahme der Revision, dass eine Aus-sage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt, trifft hier schon deshalb nicht zu, weil – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – in Gestalt der bei der Anzeigenaufnahme gefertigten Lichtbilder und des ärztliche Attests des Dr. med. P. vom 20. Januar 2020 weitere unmittelbar tatbezogene, sachliche Beweismittel vorlagen, die die Angaben der Zeugin stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 – 5 StR 451/19 – juris; Senat, NStZ 2019, 360). Der Anwendung der vom BGH (allein) für die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ entwickelten besonders strengen Beweiswürdigungsregeln (vgl. BGHSt 44, 153; 44, 257) bedurfte es somit nicht.

III. Der Senat hebt das angefochtene Urteil daher gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück.

Über die Kosten der Revision und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten wird der neue Tatrichter im Lichte der von ihm zu treffenden Sach-entscheidung insgesamt zu befinden haben.

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