Beleidigung gegen Obergerichtsvollzieher: Persönlichkeitsrecht trifft auf Meinungsfreiheit
In einem aufsehenerregenden Fall hat das Bayerische Oberste Landesgericht München (BayObLG) kürzlich entschieden, dass die Beleidigung eines Obergerichtsvollziehers durch den Angeklagten nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist. Der Angeklagte hatte den Obergerichtsvollzieher während einer rechtmäßigen Dienstausübung als „Wichser“ und „Schwuchtel“ bezeichnet. Das Gericht musste eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten vornehmen. Das Hauptproblem lag in der Frage, ob die Äußerungen des Angeklagten als gerechtfertigt angesehen werden könnten oder ob sie eine unzulässige Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellen.
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Übersicht
Die Rolle des Persönlichkeitsrechts
Das Gericht stellte fest, dass die Äußerungen des Angeklagten eine klare Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Obergerichtsvollziehers darstellten. Der Angeklagte hatte die Beleidigungen in Anwesenheit Dritter und über einen längeren Zeitraum ausgesprochen. Das Gericht betonte, dass solche Äußerungen nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt sind, insbesondere wenn sie dazu dienen, die Ehre einer anderen Person zu verletzen.
Meinungsfreiheit vs. Beleidigung
Das Gericht ging auch auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit ein. Es stellte klar, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat, insbesondere wenn sie dazu verwendet wird, das Persönlichkeitsrecht einer anderen Person zu verletzen. Der Angeklagte hatte versucht, seine Äußerungen durch den Zusatz „meiner Meinung nach“ zu relativieren, was jedoch vom Gericht als unzureichend angesehen wurde.
Die Rolle der Generalstaatsanwaltschaft
Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Das Gericht folgte dieser Auffassung teilweise und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurück.
Gesellschaftliche Implikationen
Das Urteil hat weitreichende Implikationen für die Auslegung des Persönlichkeitsrechts und der Meinungsfreiheit in Deutschland. Es stellt klar, dass die Meinungsfreiheit nicht als Deckmantel für Beleidigungen oder Angriffe auf die Menschenwürde dienen kann. Insbesondere in einer Zeit, in der die Grenzen der Meinungsfreiheit immer wieder diskutiert werden, liefert dieses Urteil wichtige Leitlinien für zukünftige Fälle.
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Das vorliegende Urteil
BayObLG München – Az.: 204 StRR 292/23 – Beschluss vom 15.08.2023
Leitsätze:
1. Sofern weder eine Schmähung oder Schmähkritik noch eine Formalbeleidigung noch ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegen, die eng umgrenzte Ausnahmekonstellationen darstellen, ist eine Einzelfallabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten erforderlich.
2. Wenn der Angeklagte einen Obergerichtsvollzieher während dessen rechtmäßiger Dienstausübung bei Anwesenheit Dritter über einen längeren Zeitraum als „Wichser“ und „Schwuchtel“ beschimpft, liegt eine nicht gerechtfertigte Beleidigung vor.
3. Unzulässige Gesichtspunkte im Rahmen des § 47 Abs. 1 StGB.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 9. Februar 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Schwabach hat den Angeklagten am 21.09.2022 wegen Beleidigung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 09.02.2023 als unbegründet verworfen.
Gegen dieses am 21.03.2023 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seiner Pflichtverteidigerin vom 15.02.2023, eingegangen am selben Tag, Revision eingelegt. Mit der Revisionsbegründung seines Wahlverteidigers vom 31.03.2023, eingegangen am selben Tag, rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 22.06.2023, die Revision des Angeklagten kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
Hierauf erwiderte der Angeklagte mit der Gegenerklärung seines Wahlverteidigers vom 11.07.2023.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als der Rechtsfolgenausspruch aufzuheben ist (s. unten 2.). Soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, war sie als unbegründet zu verwerfen (s. unten 1.).
1. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat den Angeklagten – jedenfalls im Ergebnis – zutreffend wegen Beleidigung (§ 185 StGB) schuldig gesprochen.
a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit nach vorheriger Terminabsprache in den Büroräumlichkeiten des Obergerichtsvollziehers F… zur Abgabe einer Vermögensauskunft eingefunden habe. „Da der Angeklagte sich auf Aufforderung des Obergerichtsgerichtsvollziehers F… weigerte seine Mütze abzunehmen, erachtete der Gerichtsvollzieher ihn als nicht ausreichend identifizierbar und belehrte ihn dahingehend, dass er in diesem Fall von einem unentschuldigten Nichterscheinen ausgehen und gegebenenfalls ein Erzwingungshaftbefehl beantragt werden müsse. Anschließend beendete der Obergerichtsgerichtsvollzieher den Termin.“
Nachdem der Angeklagte sich an die Polizei um Hilfe gewandt habe und durch diese identifiziert worden sei, habe sich der Obergerichtsgerichtsvollzieher bereit erklärt, den Termin mit dem Angeklagten doch noch durchzuführen, diesen jedoch gebeten, noch die Durchführung eines weiteren Termins mit der zwischenzeitlich eingetroffenen Zeugin S… vor dem Büro abzuwarten. Daraufhin habe der sich vor dem Büro aufhaltende Angeklagte den Obergerichtsgerichtsvollzieher über zehn bis fünfzehn Minuten hinweg lauthals und wiederholend mit den Worten „Wichser“ und „Schwuchtel“ bezeichnet, wobei er diese Beleidigungen mit dem Zusatz „meiner Meinung nach, sind sie …“ verbunden habe. Der Angeklagte habe beabsichtigt, durch sein Verhalten seine Missachtung gegenüber dem Obergerichtsvollzieher auszudrücken. Wie vom Angeklagten beabsichtigt habe sich der Geschädigte in seiner Person herabgesetzt und in seiner Ehre verletzt gefühlt.
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der vernommene Polizeibeamte H. insbesondere berichtet habe, dass aus seiner Sicht die Identifizierung des Angeklagten mit Kopfbedeckung möglich gewesen sei und er dies dem Gerichtsvollzieher dann bestätigt habe.
b) Bei seiner rechtlichen Würdigung hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, „Wichser“ und „Schwuchtel“ seien zweifelsfrei Ausdrücke, die einen Angriff auf die Ehre einer anderen Person darstellen und verwendet werden, um die Missachtung gegenüber einer anderen Person auszudrücken.
Das Berufungsgericht hat dies im Ergebnis zutreffend damit begründet, dass der Angeklagte durch diese sich über Minuten hinweg wiederholend und laut im Gang des öffentlichen Gebäudes und somit sowohl für den Zeugen F… selbst aber auch für weitere anwesende Personen verständlichen getätigten Äußerungen zweifelsfrei seine Missachtung gegenüber dem Geschädigten habe zum Ausdruck bringen wollen. Weder eine Wahrnehmung berechtigter Interessen, noch ein sonstiges gerechtfertigtes Handeln habe vorgelegen. Vielmehr sei der Angeklagte über die von ihm als ungerecht empfundene Behandlung durch den Gerichtsvollzieher verärgert gewesen und habe dies zum Ausdruck bringen wollen.
Diese Äußerungen seien nicht von der Meinungsfreiheit umfasst und damit straflos gewesen. Eine Formalbeleidigung werde nicht allein durch die Einfügung des Nebensatzes „ich bin der Meinung, dass …“ zu einer unangreifbaren grundrechtlich geschützten Äußerung. Die hiernach vorzunehmende Auslegung der Äußerungen „Wichser“ und „Schwuchtel“ führten zu keiner anderen Beurteilung. Es handele sich um gesellschaftlich verbreitete Schimpfwörter, die allgemein verwendet werden, um die Missachtung gegenüber einem anderen auszudrücken und insoweit – auch bei Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen – keinesfalls geeignet seien, eine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung darzustellen. Ergänzend sei vorliegend zu sehen, dass der Angeklagte die Ausdrücke nicht nur einmal geäußert habe, sondern lauthals und minutenlang. Bereits hieraus sei ersichtlich, dass er den Geschädigten F… bewusst und öffentlich habe herabsetzen wollen. Aufgrund dessen habe auch kein Verbotsirrtum vorgelegen. Vielmehr sei der Angeklagte sich bewusst gewesen, Unrecht zu tun. Er habe zweifelsfrei die Strafbarkeit seines Handels erkannt. Selbst wenn man der Auffassung der Verteidigung, dass ein Verbotsirrtum vorgelegen habe, folgen sollte, so wäre ein solcher zweifelsfrei vermeidbar und daher unbeachtlich gewesen.
c) Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass das Berufungsgericht von einer Formalbeleidigung ausgeht, die nicht von der Meinungsfreiheit umfasst war. Es hat die bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation (unabhängig davon, ob tatsächlich eine Formalbeleidigung vorliegt) erforderliche Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten zwar ausdrücklich vorgenommen, in diese aber nicht alle hierbei zu berücksichtigenden Kriterien eingestellt. Die vom Senat aufgrund der hierfür erforderlichen vom Berufungsgericht vollständig getroffenen Tatsachenfeststellungen selbst vorgenommene Abwägung führt aber ebenfalls dazu, dass die Meinungsfreiheit des Angeklagten hinter dem Schutz der persönlichen Ehre des Geschädigten zurückzutreten hat.
Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:
aa) Das Berufungsgericht sieht die Äußerungen „Wichser“ und „Schwuchtel“ zutreffend als gesellschaftlich verbreitete Schimpfwörter an.
(1) Die Verwendung des Begriffes „Wichser“ wird üblicherweise als Beleidigung gemeint und in der Regel auch ebenso aufgefasst; er stellt ein Synonym für „Arschloch“ dar mit der überaus negativen Konnotation eines schlechten („miesen“) Charakters (s. unter wikipedia).
(2) Schwuchtel ist eine meist salopp und abwertend als Schimpfwort verwendete Bezeichnung für Schwule oder einen sich ‚weiblich‘ benehmenden Mann. Seltener kommt es als wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung vor, manchmal zur Differenzierung untereinander. Der Unterschied ist meist im Tonfall zu hören oder aus dem geschriebenen Zusammenhang zu entnehmen (s. unter wikipedia).
Während die Bezeichnung einer Person als „schwul“ je nach dem Kontext teilweise als wertneutral angesehen wird, aber auch als diskriminierend gilt und – etwa von Schülern – häufig als Schimpfwort verwendet wird (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.04.2022 – 15 W 15/22 –, juris Rn. 4 unter Hinweis auf eine entsprechende Studie), stellt im Vergleich hierzu die Bezeichnung als „Schwuchtel“ eher eine Herabwürdigung dar.
bb) Auch wenn die Bezeichnung des Geschädigten als „Schwuchtel“ und „Wichser“ verletzend formulierte Aussagen sind, werden sie grundsätzlich vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, das jedem das Recht gibt, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, umfasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 108; so auch zur Schmähkritik BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.2021 – 2 BvR 194/20 –, NStZ 2021, 439, juris Rn. 47).
(1) Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer „Meinung“ vom Schutz des Grundrechts umfasst wird, ist das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26 m.w.N.).
So verhält es sich bei den Äußerungen des Angeklagten, denen mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts jeglicher Tatsachenbezug fehlt und die somit als Werturteil anzusehen sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79 –, BVerfGE 61, 1, juris Rn. 13 und 15).
(2) Werturteile genießen grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit, Richtigkeit oder Vernünftigkeit ankäme (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26 m.w.N.). Er besteht deswegen unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Dass eine Aussage scharf, übersteigert, polemisch oder verletzend überzogen formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschlüsse vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26; vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 108, jeweils m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 16; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 12 m.w.N.).
cc) Nach Artikel 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranken jedoch in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 111; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 17; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 14 m.w.N.; vom 16.10.2020 – 1 BvR 2805/19 –, NJW 2021, 298, juris Rn. 13). Diese Vorschrift ist aber wiederum im Licht des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte auch auf der Ebene der Auslegung und Anwendung des Strafrechts Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 117; st. Rspr.).
(1) Bei der Anwendung der Strafnorm des § 185 StGB verlangt Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst auf der Deutungsebene eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der in Frage stehenden Äußerung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 – NJW 2020, 2622, juris Rn. 15). Dabei ist von deren Wortlaut auszugehen. Es dürfen aber auch der sprachliche Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Rezipienten erkennbaren Begleitumstände nicht unberücksichtigt bleiben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16.10.1998 – 1 BvR 590/96 –, NJW 1999, 2262, juris Rn. 17). Der Äußerung darf keine Deutung gegeben werden, die sich aus ihrem Wortlaut nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43 = NJW 1990, 1980, juris Rn. 28). Ein Verstoß gegen das Grundrecht liegt schon dann vor, wenn die Gerichte bei der rechtlichen Würdigung einer Äußerung dieser eine Bedeutung beilegen, die ihr objektiv nicht zukommt, oder wenn sie sich unter mehreren möglichen Deutungen für die zur Bestrafung führende entscheiden, ohne die anderen mit überzeugenden und schlüssigen Gründen auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43, juris Rn. 28; vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 126).
Hierbei ist von Bedeutung, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 123). Es kommt somit auch darauf an sicherzustellen, dass der Sinn einer Äußerung nicht in einer Weise ermittelt wird, die der Bedeutung der Meinungsäußerung für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und seine Teilnahme am politischen Leben wie auch für die freie Kommunikation in der Gesellschaft insgesamt widerspricht (BVerfG, Beschluss vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43, juris Rn. 30).
Dies zugrunde gelegt ist die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass der Angeklagte den Geschädigten mit der Verwendung der beiden Ausdrücke beschimpfen und in seiner Ehre herabwürdigen wollte. Schließt man nach der Situation der Verwendung der beiden Ausdrücke ein Verständnis als eine die sexuelle Orientierung oder Sexualpraktiken des Geschädigten beschreibende Tatsachenbehauptung als fernliegende Deutungsvariante aus, so wird der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen des Angeklagten als ehrenrührige Herabsetzung verstehen und in dem hier zu beurteilenden Kontext als Beleidigung auffassen (so zur Bezeichnung als „schwul“ OLG Köln, Beschluss vom 26.04.2022 – 15 W 15/22 –, juris Rn. 4). Dies wird dadurch bestärkt, dass der Angeklagte zwei als Schimpfwörter gebrauchte Ausdrücke kumulativ verwendet hat.
(2) Darauf aufbauend erfordert die Meinungsfreiheit auf der Ebene der Normanwendung im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 120; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom -19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, juris Rn. 15, und vom 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04 –, juris Rn. 28).
Eine solche Abwägung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die streitgegenständliche Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt, was vom Tatrichter klar kenntlich zu machen und in einer auf die konkreten Umstände des Falles bezogenen Weise zu begründen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 23). In diesem Fall tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43, juris Rn. 29; vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 122; vom 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 –, BVerfGE 99, 185, juris Rn. 50; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 18; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 15 und 17 m.w.N.).
(2.1) Eine Formalbeleidigung liegt vor, wenn die verwendete Beschimpfung das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 18 ff.; BayObLG, Beschluss vom 09.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es sich um Fälle der Formalbeleidigung etwa bei mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern – etwa aus der Fäkalsprache – handeln. In diesen Fällen ist das Kriterium der Strafbarkeit nicht der fehlende Sachbezug einer Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung. Dem liegt zugrunde, dass die Bezeichnung anderer Personen mit solchen Begriffen sich gerade ihrer allein auf die Verächtlichmachung zielenden Funktion bedient, um andere unabhängig von einem etwaigen sachlichen Anliegen herabzusetzen. Sie ist daher in aller Regel unabhängig von den konkreten Umständen als Beleidigung zu werten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 21, 33; s. hierzu auch BeckOK StGB/Valerius, 57. Ed. 1.5.2023, StGB § 193 Rn. 36).
(2.1.1) Das Berufungsgericht hat eine solche Formalbeleidigung angenommen. Es hat zwar nicht ausdrücklich festgestellt, dass die verwendeten Schimpfwörter das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlassen und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein können. Die Einordnung dieser Schimpfwörter als Formalbeleidigung entspricht aber einer in Rechtsprechung und Literatur weit verbreiteten Ansicht.
(2.1.2) Nach einer Entscheidung des 3. Strafsenats des Bayerischen Obersten Landesgerichts verletzt die Bezeichnung einer Person als „schwul“ weder die Menschenwürde noch stellt sie ein derart grobes, tabuisiertes Schimpfwort dar, dass sie als Formalbeleidigung gewertet werden könnte (Beschluss vom 09.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 12; so auch LG Tübingen, Urteil vom 18.07.2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11 –, NStZ-RR 2013, 10, juris Rn. 52 zur Bezeichnung als „homosexuell“).
Anders ist dies bei Bezeichnungen der sexuellen Orientierung, die nach allgemeiner Auffassung mit einer zusätzlichen, an einer (allgemeinen) diskriminierenden Stimmung ansetzenden Herabwürdigung verbunden sind (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl. § 185 Rn. 11c; MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 185 Rn. 15). Um eine solche handelt es sich bei der Bezeichnung „Schwuchtel“, die demgemäß als Formalbeleidigung gewertet wird (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18.02.2020 – III-1 RVs 188/19 –, juris Rn. 63: dumme Schwuchtel; LG Tübingen, Urteil vom 18.07.2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11 –, NStZ-RR 2013, 10, juris Rn. 55; LG Köln, Urteil vom 05.04.2019 – 153 Ns 100/18 –, StV 2020, 183, juris Rn. 264; Fischer, StGB, 70. Aufl. § 185 Rn. 11c; MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 185 Rn. 15), so dass es grundsätzlich einer Abwägung der widerstreitenden Interessen ausnahmsweise nicht bedarf (vgl. AG Frankfurt, Urteil vom 15.01.2021 – 907 Cs 7680 Js 229740/19 –, juris Rn. 9 ff.; zustimmend Lackner/ Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 185 Rn. 5a; AG Tiergarten, Beschluss vom 19.11.2013 – (279 Ds) 222 Js 1201/13 (101/13) –, ZUM 2015, 904, juris Rn. 4). Hiermit übereinstimmend geht auch das Bayerische Oberste Landesgericht davon aus, dass die Bezeichnung einer Partei als „Schwuchtelpartei“ eine plakative, ehrverletzende Bezeichnung darstellt (vgl. BayObLG, Urteil vom 15.02.2002 – 1St RR 173/01 –, BayObLGSt 2002, 24 = NStZ-RR 2002, 210, juris Rn. 16).
(2.1.3) Ebenso um eine Formalbeleidigung soll es sich bei der Beschimpfung einer Person mit der Bezeichnung „Wichser“ verhalten (so OLG Bamberg, Beschluss vom 25.11.2013 – 3 Ss 114/13 –, juris Rn. 6 zur Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Wichser“; OLG Köln, Urteil vom 18.02.2020 – III-1 RVs 188/19 –, juris Rn. 56 mit 46; LG Köln, Urteil vom 05.04.2019 – 153 Ns 100/18 –, StV 2020, 183, juris Rn. 266; AG Weiden, Urteil vom 19.10.2012 – 2 Ds 24 Js 4348/12, BeckRS 2012, 215312, Rn. 4 f.; s.a. OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.04.2011 – 1 Ss 66/11 –, NStZ-RR 2011, 338, juris Rn. 5 und 8: „Scheißbulle und Wichser“), deren einziger Zweck in der Versagung des sozialen Geltungsanspruchs des Geschädigten liege (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 17.04.2019 – 12 O 168/18 –, juris Rn. 39). Die Wortwahl „Wichser“ zeige offenkundig und unwiderlegbar, dass der Betreffende den Geschädigten in abfälliger Weise charakterlich abzuwerten beabsichtige, wenn diese Äußerung in ehrenrühriger Weise geschehe. Damit erfülle sie den Straftatbestand der Formalbeleidigung (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.11.2004 – L 10 VG 18/04 –, juris Rn. 27).
(2.1.4) Der Angeklagte hat, wie aus dem Kontext seiner Aussage ersichtlich wird, durch die Verwendung der Begriffe „Schwuchtel“ und „Wichser“ die üblicherweise mit diesen Bezeichnungen einhergehende Geringschätzung zum Ausdruck gebracht. Er hat den Begriff nicht etwa ironisch oder in einer anderen die beleidigende Wirkung situationsbedingt entkräftenden Art und Weise verwendet.
Es kann gleichwohl dahinstehen, ob die vom Angeklagten verwendeten Schimpfwörter das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlassen und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein können oder ob sie diese Grenze noch nicht überschritten haben. Denn wenn man die bereits zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 – NJW 2020, 2622, juris Rn. 21, 33) zugrunde legt, dann dürfte selbst bei einer Formalbeleidigung eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des sich Äußernden nur dann entbehrlich sein, wenn die entsprechenden Schimpfwörter mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendet werden.
Letzteres ist aber nicht der Fall. Denn nach den landgerichtlichen Feststellungen bezeichnete der Angeklagte, als seine Identität durch die Polizeibeamten bestätigt worden war und er vom Geschädigten gebeten wurde, noch die Durchführung eines weiteren Termins mit der zwischenzeitlich eingetroffenen Zeugin S… abzuwarten, „daraufhin“ den Geschädigten über eine geraume Zeit mit den betreffenden Schimpfwörtern. Der Angeklagte wollte den Geschädigten in dieser Situation zwar erkennbar herabwürdigen und ihm zu verstehen geben, dass er es als ungerecht empfinde, ihn warten zu lassen. Wegen dieses engen zeitlichen Zusammenhangs der inkriminierten Äußerungen des Angeklagten mit der Bitte des Betroffenen, den anderweitigen Termin abzuwarten, ist zugunsten des Angeklagten jedoch von einer Verwendung dieser Ausdrücke ohne Vorbedacht in der Hitze der Auseinandersetzung auszugehen. Demgemäß bedarf es einer Abwägung zwischen den genannten Grundrechten der Beteiligten.
(2.2) Eine solche wäre dennoch entbehrlich, wenn in der Verwendung der beiden Begriffe eine Schmähung liegen würde. Dies ist aber nicht der Fall.
(2.2.1) Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 122 und 191; BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10 –, NJW 2012, 3712, juris Rn. 30). Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist somit gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 19). Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19 –, NJW 2021, 148, juris Rn. 16).
Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 146, 153, 169; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600, juris Rn. 18; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 18). Nimmt der Tatrichter eine Schmähkritik an, erweist es sich in der Regel als unerlässlich, die für diese Beurteilung maßgebenden Gründe im Urteil unter Auseinandersetzung mit objektiv feststellbaren Umständen des Falles nachvollziehbar darzulegen. Insbesondere muss das Gericht deutlich machen, warum aus seiner Sicht ein gegebenenfalls vorhandenes sachliches Anliegen des sich Äußernden in der konkreten Situation derart vollständig in den Hintergrund tritt, dass sich die Äußerung in einer persönlichen Kränkung erschöpft.
(2.2.2) Die inkriminierten Äußerungen des Angeklagten stellen keine Schmähkritik im o.g. Sinne dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik noch nicht die Einschätzung als Schmähung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 –, NJW 2022, 1523, juris Rn. 22). Zudem liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein sachlicher Zusammenhang der inkriminierten Äußerungen des Angeklagten mit seiner „Behandlung“ durch den Geschädigten vor, der die Abgabe der Vermögensauskunft durch den eine Kopfbedeckung tragenden Angeklagten aufgrund einer für nicht möglich angesehenen Identitätsfeststellung abgelehnt und die Beantragung eines Erzwingungshaftbefehls angedroht hatte. Bei der rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte über die von ihm als ungerecht empfundene Behandlung durch den Gerichtsvollzieher verärgert gewesen war und dies habe zum Ausdruck bringen wollen. Die Äußerungen wurden damit von der Strafkammer als eine Reaktion auf den Disput des Geschädigten mit dem Angeklagten beim vorhergehenden Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft angesehen.
Es ist damit zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass dieser mit seinen Äußerungen das von ihm als fehlerhaft angesehene dienstliche Verhalten des Geschädigten konkret rügen wollte. Aus der Verknüpfung von Diensthandlung und deren Beanstandung wird klar ersichtlich, dass die dienstliche Tätigkeit des Gerichtsvollziehers keineswegs nur äußerlich zum Anlass genommen worden wäre, um über ihn „herzuziehen“ oder ihn „niederzumachen“ (vgl. hierzu auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600, juris Rn. 19; vom 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 –, NJW 2022, 1523, juris Rn. 22; BayObLG, Beschluss vom 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 –, NJW 2022, 3236, juris Rn. 10).
(2.3) Schließlich verletzen die Äußerungen auch nicht die Menschenwürde des Geschädigten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich das Verhalten des Angeklagten nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte gerichtet hätte, sondern dem Betroffenen den seiner menschlichen Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit abgesprochen worden wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2022 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 22). Ein Verstoß gegen die Menschenwürde in diesem Sinne ist im Gebrauch der genannten Schimpfwörter nicht zu sehen.
(3) Selbst wenn keine der eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen (Schmähung oder Schmähkritik, Formalbeleidigung, Angriff auf die Menschenwürde) vorliegt, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Vielmehr verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dann bei Anwendung der Strafnorm von § 185 StGB zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung. Dazu sind grundsätzlich alle Begleitumstände und die gesamte konkrete Situation zu berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 26 f.; BayObLG, Beschluss vom 9.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 10).
Wieweit eine Äußerung durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein kann, entscheidet sich anschließend nach Maßgabe einer grundrechtlich angeleiteten Abwägung zwischen dem berechtigten sozialen Geltungsanspruch der betroffenen Person und der Meinungsfreiheit des Angeklagten, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, anknüpft (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 26 m.w.N.). Das Gleiche soll nach der zitierten Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einer in der Hitze der Auseinandersetzung getätigten Formalbeleidigung gelten.
Der Tatrichter hat sich dabei umfassend mit den konkreten Umständen des Falls und der Situation, in der die Äußerung gefallen ist, auseinanderzusetzen (BVerfG Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 26; BayObLG, Beschluss vom 09.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 10). Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 27).
Maßgeblich ist, dass die konkrete Situation der Äußerung erfasst und unter Berücksichtigung der auf beiden Seiten betroffenen Grundrechte hinreichend gewürdigt wird (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 35, und vom 19.12. 2021 – 1 BvR 1073/20 –, juris Rn. 38). Erfolgt die Beleidigung – wie hier – im Rahmen der Dienstausübung des Geschädigten, sind regelmäßig Mindestfeststellungen zum Vortatgeschehen und den Beweggründen und Zielen des Täters, etwa zur behördlichen Maßnahmerichtung, ihrem Anlass und Ablauf sowie zu möglichen Rechtsgrundlagen und gegebenenfalls zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte verbal „zur Wehr gesetzt hat“, unverzichtbar (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 25.11.2013 – 3 Ss 114/13 –, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.10.2007 – 2 St OLG Ss 160/07 –, juris Rn. 13).
(3.1) Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 29 m.w.N., und vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, juris Rn. 30 f.).
(3.2) Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen – unter Umständen weitreichenden – gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 30, und vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, juris Rn. 32; s.a. BayObLG, Beschluss vom 09.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 13). Andererseits bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden Verächtlichmachung setzt die Verfassung allen Personen gegenüber verfassungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon auch Amtsträger nicht aus (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 32).
(3.3) Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, juris Rn. 36).
(3.4) Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium, etwa dem Internet, getätigt wird (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 34, und vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, juris Rn. 37).
(4) Das Berufungsurteil weist insoweit zwar Abwägungsdefizite auf. Da das Berufungsgericht aber die erforderlichen Feststellungen zum Tatsachverhalt vollständig getroffen hat, kann der Senat diese Abwägung selbst vornehmen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 –, NJW 2022, 3236, juris Rn. 13). Diese führt dazu, dass die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten zurücktritt.
(4.1) Dabei ist zugunsten der Meinungsäußerungsfreiheit in den Blick zu nehmen, dass es dem Angeklagten mit seinen Äußerungen um die Kritik der Dienstausübung eines Gerichtsvollziehers, also um „Machtkritik“, gegangen ist. Allerdings bedeutet das Anliegen der Machtkritik nicht a priori einen Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit, sondern stellt (nur) einen Gesichtspunkt im Rahmen der gebotenen Abwägung dar (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris 32). Dabei ist in die Überlegungen wertend einzustellen, dass sich die Äußerungen des Angeklagten zwar auch gegen die Person des mit Schimpfwörtern bedachten Betroffenen richteten, aber gleichwohl ihren Bezug allein zu dessen dienstlichem Verhalten hatten (BayObLG, Beschluss vom 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 –, NJW 2022, 3236, juris Rn. 14).
Andererseits sind in die erforderliche Abwägung erhebliche Umstände einzubeziehen, die zu Gunsten des Rechts der persönlichen Ehre des von den Äußerungen Betroffenen sprechen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 –, NJW 2022, 3236, juris Rn. 15). Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass ein vernünftiger oder nachvollziehbarer Anlass für die außerordentlich ehrverletzenden Äußerungen nicht bestand. Im Ausgangspunkt war der Gerichtsvollzieher gehalten, den Angeklagten zu identifizieren, wobei durchaus das Tragen einer Mütze geeignet sein kann, eine Identifizierung zu erschweren. Nicht ohne Grund werden für Ausweispapiere gefertigte biometrische Passbilder ohne Kopfbedeckungen angefertigt (vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/moderne-verwaltung/ausweise/fotomustertafel.pdf; jsessionid=4A8F41CFE319CA23B013834C20D3F5FC.2_cid364? blob=publicationFile& v=4). Auch zur Vorbereitung von Identifizierungsmaßnahmen im Rahmen erkennungsdienstlicher Maßnahmen (§ 81b Abs. 1 StPO) kann die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Beschuldigten angeordnet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.1992 – 3 StR 413/92 –, NStZ 1993, 47, juris Rn. 5; BeckOK StPO/Goers, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 81b Rn. 5).
Das Verhalten des Gerichtsvollziehers war somit korrekt, wenn es auch rückschauend aus Sicht des Angeklagten nicht uneingeschränkt nachvollziehbar gewesen sein mag. Denn dieser konnte von den von ihm herbeigerufenen Polizeibeamten trotz Kopfbedeckung identifiziert werden.
Dennoch führt dieser zugunsten der Meinungsfreiheit einzubeziehende Umstand nicht dazu, dass das Interesse des Angeklagten an der sanktionsfreien Äußerung gegenüber dem Persönlichkeitsrechtsschutz des Geschädigten überwiegen würde. Denn im Zeitpunkt der Äußerungen war die Identifizierung des Angeklagten positiv abgeschlossen. Dieser wurde durch den Gerichtsvollzieher lediglich gebeten, zu warten, bis der Termin mit der zwischenzeitlich erschienenen Zeugin S… beendet war. Hierin liegt ebenfalls ein dienstlich korrektes Verhalten des Gerichtsvollziehers.
Die Äußerung erfolgte damit nicht unmittelbar als Reaktion des Angeklagten auf die Verweigerung der Entgegennahme einer Vermögensauskunft durch den Gerichtsvollzieher und dessen Ankündigung, einen Erzwingungshaftbefehl zu beantragen. Hierdurch hätte sich der Angeklagte jedenfalls subjektiv durchaus provoziert gefühlt haben dürfen, so dass ihm aus seiner Sicht ein Anlass für eine kritische Äußerung zumindest nicht grundsätzlich abzusprechen gewesen wäre. Vielmehr war zum Zeitpunkt der Äußerung, nachdem er gebeten wurde, den Termin mit der Zeugin S… abzuwarten, der Erzwingungshaftbefehl erkennbar für den Angeklagten kein Thema mehr. Auch zeitlich war insoweit eine Zäsur durch das Herbeirufen der Polizeibeamten durch den Angeklagten und dessen anschließender Identifizierung eingetreten. Bezogen auf das Verlangen des Gerichtsvollziehers, die Kopfbedeckung abzunehmen, und auf dessen Androhung der Erzwingungshaft handelte es sich somit nicht mehr um eine spontane Äußerung in einer hitzigen Situation. Insoweit konnte vom Angeklagten ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden, als es bei einer spontanen Äußerung nach der zunächst erfolgten Ablehnung der Durchführung des Termins mangels Abnahme der Kopfbedeckung der Fall gewesen wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 21, 33).
Ob sich der Angeklagte darüber ärgerte, dass er den anderweitigen Termin noch abwarten musste, oder ob die Schimpfwörter eine Missfallenskundgebung über das vorhergehende Verhalten des Gerichtsvollziehers darstellten, wofür seine Einlassung spricht, er sei zunächst durch den Gerichtsvollzieher schikaniert und bedroht worden und dieser habe letztlich sein eigenes Verhalten provoziert, nach Androhung des Haftbefehls habe sich alles hochgeschaukelt, kann aber dahinstehen. Gegen eine (lediglich) spontane Äußerung spricht nämlich vor allem die Dauer der Beschimpfung des Geschädigten mit den beiden Ausdrücken über zehn bis fünfzehn Minuten hinweg.
Zu sehen ist auch, dass die jedenfalls im Grenzbereich zur Formalbeleidigung liegenden Bezeichnungen als „Schwuchtel“ und „Wichser“ als erheblich ehrschmälernd anzusehen sind. Der damit einhergehende abschätzige Inhalt bezieht sich auf den Geschädigten als ganzen und nicht lediglich auf einzelne Verhaltensweisen oder Tätigkeiten. Die Äußerung hat erkennbar alleine das Ziel, den Geschädigten herabzuwürdigen, und leistet keinen Beitrag zu einer Sachdiskussion bzw. zu einer sachlichen Auseinandersetzung.
Hinzukommt, dass diese Ausdrücke nicht nur – wie vom Angeklagten beabsichtigt – vom Gerichtsvollzieher wahrgenommen wurden, sondern auch von der sich beim Gerichtsvollzieher aufhaltenden Zeugin S., wovon der Angeklagte Kenntnis hatte.
Bei einer wertenden Gegenüberstellung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte hat somit aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter dem Persönlichkeitsrecht des Verletzten zurückzutreten, sodass sein Verhalten nicht nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist.
d) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbortsirrtums (§ 17 StGB) beim Angeklagten verneint. Diesbezüglich wird auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 22.06.2023 Bezug genommen.
2. Die Revision des Angeklagten hat aber mit der erhobenen Sachrüge in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als unerlässlich angesehen, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden könne (§ 47 Abs. 1 StGB). Dies hat es unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mehr als deutlich gemacht habe, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und sich zu Unrecht verfolgt fühle, jegliche Verantwortung für sein eigenes Verhalten ablehne und die Schuld für den Vorfall allein beim Geschädigten sehe. Aus dieser Einstellung des Angeklagten sei der Schluss zu ziehen gewesen, dass er auch in der Zukunft nicht bereit sein werde, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich vor allem regelkonform zu verhalten. Dies zeige letztlich auch sein Verhalten während des Plädoyers der Staatsanwältin, als er im Sitzungssaal anfing, Cannabis zu inhalieren, und sich auch von der Vorsitzenden hiervon – mit dem Argument, dass ihm das ärztlich verordnet sei, er es jederzeit und überall tun dürfe und man ihm nichts vorschreiben könne – nicht habe abhalten lassen.
b) Diese Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
aa) Eine kurze Freiheitsstrafe kann u.a. verhängt werden, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich ist, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden kann (§ 47 Abs. 1 StGB). Damit ist die spezialpräventive Funktion der Strafe gemeint, so dass der Richter zu klären hat, ob eine täterungünstige Prognose (drohende weitere Straftaten) die Freiheitsstrafe erfordert (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 47 Rn. 11).
bb) Bei den zu berücksichtigenden besonderen Umständen in der Persönlichkeit des Täters darf zwar sein Nachtatverhalten, wie etwa ein Geständnis oder die Tatreue, berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1996 – 3 StR 133/96 –, NStZ 1996, 429, juris Rn. 3). Soweit auf die mangelnde Schuldeinsicht abgestellt wird, verkennt das Berufungsgericht aber, dass das Bestreiten der Tat dem Angeklagten nicht als Uneinsichtigkeit angelastet werden darf, solange er die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschreitet [vgl. zur Strafzumessung allgemein BGH, Beschluss vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5; zu § 47 Abs. 1 StGB im besonderen BayObLG, Beschluss vom 11.01.1996 – 3St RR 105/95 –, wistra 1996, 236, juris Rn. 29 f.; KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.]. Der Vorwurf mangelnder Schuldeinsicht und Reue lässt somit besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 8 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2005 – 2 Ss 78/05 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Eine andere Bewertung ist nur zulässig, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit schließen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5, und vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 9). Ob die richterliche Überzeugung dahin geht, muss das Urteil deutlich erkennen lassen [vgl. KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.].
Das Berufungsgericht geht zwar davon aus, dass der Angeklagte auch künftig nicht bereit sein wird, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich regelkonform zu verhalten. Hierbei übersieht es aber, dass es sich vorliegend um die erste Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts handelt und diese letztlich auf einer umfangreichen Abwägung der Umstände des Einzelfalles beruht, die das Berufungsgericht selbst nur unzureichend vorgenommen hat. Unter diesen Umständen können aus der fehlenden Schuldeinsicht keinesfalls Schlüsse auf besondere Umstände in der Täterpersönlichkeit gezogen werden, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich machen.
cc) Darüber hinaus durfte das Berufungsgericht das Verhalten des Angeklagten – Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin – nicht ohne weitere Aufklärung bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen. Bei den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte Cannabispatient ist. Hierauf hat dieser – so die Urteilsfeststellungen – auch hingewiesen, als er von der Vorsitzenden aufgefordert wurde, das Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin zu unterlassen. Das Berufungsgericht war demgemäß – wollte es den Umstand des Inhalierens von Cannabis während der Hauptverhandlung zu Lasten des Angeklagten verwerten – gehalten, aufzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen zeitlichen Abständen es medizinisch indiziert war, Cannabis zu inhalieren, oder ob der Angeklagte Cannabis während der Hauptverhandlung nur deshalb inhaliert hatte, um das Gericht zu provozieren.
III.
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Die weitergehende Revision des Angeklagten war als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).