In dem vorliegenden Fall geht es um eine mögliche Beleidigung durch die Verwendung eines Zitats aus dem Drama „Götz von Berlichingen“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das Amtsgericht Aachen hatte den Angeklagten ursprünglich freigesprochen, doch das Landgericht Aachen änderte das Urteil ab und verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte in einem Schreiben an einen Staatsanwalt das Zitat verwendete, um seine Missachtung auszudrücken. Die Kammer argumentierte, dass die Äußerung eine Herabwürdigung darstellte, auch wenn die direkte Aufforderung des Zitats nicht ausgesprochen wurde, sondern sich aus dem Gesamtwortlaut und dem situativen Zusammenhang ergab.
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Übersicht
Problematik der Auslegung
Das Landgericht hat jedoch nach Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) Köln nicht alle möglichen Bedeutungen der Äußerung in Betracht gezogen und den Gesamtkontext nicht umfassend berücksichtigt. Das OLG argumentierte, dass die Äußerung des Angeklagten eine resignierte und derb formulierte Aufforderung darstellte, in Ruhe gelassen zu werden, ohne dass dabei der Staatsanwalt persönlich herabgewürdigt wurde. Das OLG stellte fest, dass die Äußerung zwar unhöflich und unangemessen war, aber unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht als strafbare Beleidigung angesehen werden konnte. Die Äußerung zielte nicht darauf ab, den Staatsanwalt in seiner Ehre anzugreifen.
Bewertung der Äußerung
Um eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne darzustellen, muss eine Äußerung den sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert einer Person in negativer Weise infrage stellen und ihr Minderwertigkeit zuschreiben. Das OLG betonte, dass die Äußerung in ihrer Gesamtheit bewertet werden muss und einzelne Elemente nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine Bedeutung festgestellt, die den tatsächlichen Inhalt der Äußerung nicht widerspiegelte und nicht durch die Feststellungen gedeckt war.
Aufhebung des Schuldspruchs und Freisprechung
Das OLG Köln hob das landgerichtliche Urteil auf und sprach den Angeklagten frei. Es wurde festgestellt, dass das Urteil keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beleidigung enthielt und die Äußerung nicht auf die Ehre des Staatsanwalts abzielte. Das OLG befand, dass die tatrichterlichen Feststellungen ausreichend waren und keine weiteren Feststellungen in einer erneuten Hauptverhandlung zu erwarten waren, die die Äußerung als Beleidigung erscheinen lassen könnten.
Fazit
Das OLG Köln hat in diesem Fall entschieden, dass die Äußerung des Angeklagten, obwohl unhöflich und unangemessen, keine strafbare Beleidigung darstellte. Die Verwendung des Götz-Zitats wurde nicht als direkter Angriff auf die Ehre des Staatsanwalts gewertet, sondern als Ausdruck der Ohnmacht des Angeklagten gegenüber den Strafvollstreckungsorganen. Das Urteil des Landgerichts wurde aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.
Das vorliegende Urteil
OLG Köln – Az.: III-1 RVs 156/20 – Beschluss vom 04.09.2020
Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils wird der Angeklagte freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Durch Urteil vom 18. Dezember 2019 hat das Amtsgericht Aachen den Angeklagten von dem Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Aachen mit dem angefochtenen Urteil das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5,00 Euro verurteilt wurde.
Die Berufungsstrafkammer hat die nachfolgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
„Der Angeklagte verbüßt seit Juli 2018 für die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg (104 Js 13377/94) eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes mit anschließender Sicherungsverwahrung in der JVA A. Im Rahmen des Strafvollstreckungsverfahrens nahm Staatsanwalt als Gruppenleiter Dr. B, der bei der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg tätig ist, in einem Schreiben vom 09.01.2019, das er an das Landgericht Aachen gerichtet hatte, zum Vortrag der Verteidigerin des Angeklagten Stellung, wonach dem Angeklagten zu wenig Angebote gemacht worden seien, um die notierte für Sicherungsverwahrung vermeiden zu können. Dabei wurde der Angeklagte durch Staatsanwalt als Gruppenleiter Dr. B im Eingangssatz dieses Schreibens als „Verurteilter C“ bezeichnet. Unter dem 20.01.2019 verfasste der Angeklagte ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg, dort eingegangen am 24.01.2019, das folgenden Inhalt hatte:
Sehr geehrter Herr Dr. B,
gelobt sei Jesus Christus,
zu ihrer Information lautet mein Name D und nicht wie in ihrem Fax C. Mein Kommentar zu ihrer Epistel, ich möchte das Zitat von Götz von Berlichingen nicht verfälschen, aber sie wissen was sie mich dürfen.
Mit freundlichen Grüßen
D
Der leitende Oberstaatsanwalt in Aschaffenburg stellte als Dienstvorgesetzter des Staatsanwalts (GL) Dr. B mit Schreiben vom 25.02.2019 wegen des Schreibens des Angeklagten vom 20.01.2019 Strafantrag.“
Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es:
„Der Angeklagte hat sich zum Tatvorwurf dahingehend eingelassen, dass er den handschriftlichen Brief an den Staatsanwalt als Gruppenleiter Dr. B mit dem festgestellten Inhalt verfasst und an die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg abgesendet habe. Er habe damit auf das Schreiben des Dr. B vom 09.01.2019 reagiert, in dem dieser ihn mit dem Nachnamen C bezeichnet habe. Darüber habe er sich aufgeregt. Sowieso halte er die regelmäßigen Gesprächsangebote und Mitwirkungsaufforderungen für Nötigung. Man habe ihn nach seiner Verurteilung 10 Jahre liegen gelassen und nunmehr werde er nach der Gesetzesänderung zur Sicherungsverwahrung regelmäßig zur Mitwirkung aufgefordert. Er habe aber mit allem abgeschlossen, für ihn sei klar, dass er nicht mehr in Freiheit komme, deshalb halte er die regelmäßigen Aufforderungen für überflüssig. Dass in dem Schreiben des Staatsanwaltes dann auch noch sein Name falsch geschrieben worden sei, habe ihn aufgeregt. (…)“
Zur rechtlichen Würdigung ist ausgeführt:
„.(…) Die vom Angeklagten gegenüber in dem mit persönlichen Anrede versehenen Schreiben an den Staatsanwalt Dr. B bezogene Äußerung „Mein Kommentar zu ihrer Epistel, ich möchte das Zitat von Götz von Berlichingen nicht verfälschen, aber sie wissen was sie mich dürfen“ ist die Äußerung eines Werturteils des Angeklagten über die Person des Herrn Dr. B, durch die der Angeklagte diesen in dessen beruflichen Funktion als Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg ansprach und dessen sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert in Abrede stellte. Ob eine Äußerung die Missachtung oder Nichtachtung einer anderen Person darstellt, ist durch Auslegung des objektiven Sinngehalts der Äußerung zu ermitteln. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so hat sich das Gericht mit den verschiedenen Möglichkeiten der Deutung auseinanderzusetzen. Hierbei hat die Kammer grundsätzlich nicht verkannt, dass der letzte Halbsatz der vom Angeklagten getätigten Äußerung („aber sie wissen, was sie mich dürfen“) – für sich allein genommen – grundsätzlich aus den Worten heraus keinen negativen Bedeutungsinhalt hat; dieser ergibt sich nur durch Assoziation mit dem sog. Götz-Zitat. Dass diese Assoziation und damit der ehrverletzende Bedeutungsinhalt vom Angeklagten gewollt war, ergibt sich aber vorliegend zweifelsfrei daraus, dass der Angeklagte im 1. Halbsatz ausdrücklich auf das Zitat von Götz von Berlichingen Bezug nimmt, welches der Angeklagte auch ausdrücklich nicht verfälscht wissen wollte. Der Äußerung des Angeklagten sollte – wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochen – in Bezug auf den Staatsanwalt Dr. B der Bedeutungsinhalt des vollständigen Ausspruchs des so genannten „Götz-Zitates“ zukommen, welches aufgrund des 1774 in Berlin erstmals aufgeführten und von Johann Wolfgang von Goethe geschriebenen Schauspiel `Götz von Berlichingen (mit der eisernen Hand)`, mit folgendem Wortlaut allgemein bekannt ist: `Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer schuldigen Respekt. Er aber, sag`s ihm, er kann mich im Arsche lecken`.
Für die Kammer steht dabei außer Frage, dass eine schriftliche Äußerung auch dann eine Herabwürdigung des Geltungswertes und eine Missachtung des Achtungsanspruches einer anderen Person darstellt, wenn die konkrete Aufforderung des Götz-Zitats zwar nichts ausgesprochen, aufgrund des Gesamtwortlautes der Äußerung und ihres situativen Zusammenhangs als weiterführender Bedeutungsinhalt geäußert worden ist und geäußert werden sollte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.06.2004, NStZ 2005, 158). Dies ist im vorliegenden Fall zweifelsfrei anzunehmen. Insbesondere hat der Angeklagte im 2. Halbsatz nicht – wie vom Amtsgericht angenommen – die mehrdeutige Redewendung „Sie können mich mal…“ verwendet, die man u.U. zwanglos auch mit dem strafrechtlich unbedenklichen Bedeutungsinhalt „gerne haben“ oder „kreuzweise“ vervollständigen könnte. Vielmehr hat der Angeklagte geschrieben („aber sie wissen, was sie mich dürfen.“) und durch ausdrückliche Bezugnahme auf das Zitat des Götz von Berlichingen, dessen Inhalt er auch ausdrücklich nicht verfälschen wollte, genau den weiterführenden Bedeutungsinhalt und mit der dem Zitat prägenden Handlungsaufforderung gegenüber dem Empfänger seines Schreibens geäußert. Im Übrigen lag auch kein situativer Verwendungszusammenhang vor, bei dem man eine noch sozialadäquate Verwendung des im schwäbischen Sprachraums geläufigen, wenn auch derben Ausspruchs, annehmen könnte (vgl. AG Ehingen, Beschluss vom 24.06.2009, NStZ-RR 2010, 143). Weder der Angeklagte als Verfasser noch der Empfänger hielten sich im schwäbischen Sprachraum auf. Der Angeklagte war sich beim Verfassen der Nachricht bewusst, dass er diese an den für die Bearbeitung seines Strafvollstreckungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg zuständigen Staatsanwalt richtete. (…)
Die Kammer hat nicht verkannt, dass der Angeklagte sich über die falsche Schreibweise seines Nachnamens durch den Geschädigten geärgert hat und dass dieses Schreiben im Gesamtzusammenhang mit einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Angeklagten und der Vollstreckungsbehörde im Strafvollstreckungsverfahren stand. Hierbei hat die Kammer auch nicht verkannt, dass, bedingt durch die Haftsituation des Angeklagten, eine auf die Sache bezogene verbale bzw. schriftliche Auseinandersetzung über die weitere Vollzugsplanung auch eine direkte, plakative oder derbe Äußerung rechtfertigen kann. Im vorliegenden Zusammenhang ging es jedoch konkret darum, dass in dem Anschreiben des Staatsanwalts Dr. B vom 09.01.2019, welches noch nicht einmal an den Angeklagten unmittelbar gerichtet war, im Nachnamen des Angeklagten ein offensichtliches Schreibversehen (C statt D) unterlaufen ist. Dieser Umstand bildet aber keine Grundlage dafür, dass die Äußerung des Angeklagten als Wahrnehmung berechtigter Interessen anzusehen wäre. (…)
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 11. August 2020 beantragt, die Revision mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass im Rechtsfolgenausspruch die Höhe der Tagessätze auf 1,00 Euro reduziert wird.
II.
Das – in formeller Hinsicht unbedenkliche – Rechtsmittel ist begründet.
1.
Es führt gemäß § 353 Abs. 1 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, das auf einer Verletzung des sachlichen Rechts beruht (§ 337 StPO). Denn die – rechtsfehlerfrei getroffenen – Sachverhaltsfeststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Beleidigung nicht.
a.
Eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB setzt eine Äußerung der Missachtung oder Nichtachtung in dem spezifischen Sinn voraus, dass dem Betroffenen der sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen wird, ihm also Minderwertigkeit bzw. Unzulänglichkeit unter einem dieser drei Aspekte attestiert wird (vgl. BGHSt 1, 288; 36, 148; KG NJW 2003, 685; S/S-Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl., § 185 Rn 2m.w.Nachw.). Dabei kann die Beleidigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen selbst sowie durch herabsetzende Werturteile begangen werden (vgl. S/S-Eisele/Schittenhelm, a.a.O. Rn 1). Ob ein Werturteil überhaupt einen abwertenden Charakter hat und damit eine strafbewehrte Persönlichkeitsverletzung darstellt, hat der Tatrichter unter umfassender Auslegung des tatsächlichen Gehalts der Äußerung, ihrer Zielsetzung und der von ihr ausgehenden Wirkungen zu bewerten(vgl. OLG Hamm Beschl. v. 22.09.2003 – 2 Ss 452/03, BeckRS 2003, 30328700; OLG Zweibrücken NStZ 1994, 490). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung dabei in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH NJW 1997, 2513; OLG Hamm, Beschl. v. 07.05.2007 – 2 Ss 171/07 -, juris). Maßgebend für den objektiven Sinngehalt der Äußerung ist, wie ein verständiger Dritter sie unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs versteht (BVerfG NJW-RR 2017, 98; NJW 2008, 2907; MüKoStGB/Regge/Pegel, 3. Aufl., § 185 Rn 10); LK.StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., §185, Rn 19). Nicht jede Verletzung von Persönlichkeitsrechten stellt eine gem. § 185 StGB strafbare Ehrverletzung dar. So liegt in der bloßen Ablehnung eines anderen oder in allgemeinen Unhöflichkeiten für sich allein keine Beleidigung, wenn damit eine Ehrverletzung noch nicht einhergeht. Zu verlangen ist eine eindeutige Abwertung des Betroffenen (S/S-Eisele/Schittenhelm, a.a.O. Rn 2). Die tatrichterliche Auslegung unterliegt dabei nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2000, 199). Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371) oder ob sie lückenhaft ist, also ob im Rahmen der Auslegung alle Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGHSt 40, 97; NStZ-RR 2012, 277). Das Revisionsgericht hat zudem zu berücksichtigen, ob der Tatrichter bei der Anwendung der §§ 185 ff. StGB die Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit, die durch § 185 StGB eingeschränkt wird, auf der anderen Seite droht, gesehen und richtig gewertet hat. Urteile, die den Sinn der Äußerung erkennbar verfehlen und deren rechtliche Würdigung darauf gestützt wird, halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht stand. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt auch dann vor, wenn das Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1990, 980 und 1995, 3303; OLG Hamm, Entscheidung vom 10.Oktober 2005 in 3 Ss 231/05 – juris).
b.
Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Das durch lückenhafte Auslegung ermittelte Ergebnis des Landgerichts, der Angeklagte habe durch seine Äußerung nicht nur allgemein seinen Unmut über das Strafvollstreckungsverfahren, sondern vielmehr seine Missachtung gerade gegenüber dem Staatsanwalt Dr. B zum Ausdruck gebracht, verkennt den tatsächlichen Inhalt der Meinungsäußerung und wird durch die Feststellungen nicht gedeckt.
aa.
Freilich ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die hier in Rede stehende Briefzeile „(…), aber sie wissen was sie mich dürfen“ mit der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Zitat des Götz von Berlichingen, der weiterführende Bedeutungsinhalt „im Arsche lecken“ zukommt. Die Verwendung einer Abbreviatur bzw. einer euphemistischen Chiffrierung des gemeinhin bekannten Zitats ändert – aus der hier maßgeblichen Sicht eines verständigen Dritten (BGHSt 19, 235) – nichts an dem Inhalt, der dieser Erklärung ganz offensichtlich zukommen soll (vgl. auch Jerouschek NStZ 2006, 345; wohl auch Fischer StGB 67. Auflage, § 185, Rn 10a; a.A. OLG Karlsruhe NStZ 200, 158 für die Formulierung „Sie können mich mal…“).
bb.
Weder die ausdrückliche noch die lediglich abgekürzte bzw. verklausulierte Verwendung des Götz-Zitats enthält indes per se eine dem Tatbestand der Beleidigung unterfallende Herabsetzung der Persönlichkeit. Die Wendung kann – unabhängig von ihrer konkreten Formulierung – verschiedene Bedeutungen haben (vgl. AG Ehingen NStZ-RR 2010, 143; Fischer ebda.; für abgeschwächte Versionen des Zitats: OLG Karlsruhe NStZ 2004, 158; AG Plettenberg, Urt. v. 08.08.2017 – 9 Cs 4/17 – juris). Sie kann u.a. als vulgärer Ausdruck des Erstaunens („ja leck mich am Arsch, das gibt es doch nicht“) oder umgangssprachlich im Sinne von „Lass mich in Ruhe“, „Hör mir auf“, „Lass mich in Frieden“ verstanden werden, wobei in dieser Bedeutungsvariante oftmals ein gewisses Maß an Trotz oder aber Resignation mitschwingt. Dieser Sprachgebrauch ist – anders als von der Berufungskammer angenommen – auch nicht auf den schwäbischen Sprachraum begrenzt. Das Landgericht hat diese Bedeutungsvarianten im Rahmen seiner Auslegung rechtsfehlerhaft nicht in Betracht gezogen und zudem den Gesamtkontext der Äußerung nicht umfassend gewürdigt. Berücksichtigt man indes alle Begleitumstände des vorliegenden Schreibens, so kommt der hier in Rede stehenden Briefzeile ebendiese Bedeutung eines resignierten, wenn auch derb formulierten, „Lass mich in Ruhe“ zu, ohne dass dabei der Staatsanwalt in seiner Persönlichkeit abgewertet wird. Im Einzelnen:
cc.
Im Rahmen der sinnermittelnden Auslegung ist zunächst der gesamte Wortlaut des Briefes in den Blick zu nehmen. Nach einer höflichen Anrede des Staatsanwalts (Sehr geehrter Herr Dr. B, gelobt sei Jesus Christus,“) und einer Klarstellung der Schreibweise seines Namens („zu ihrer Information lautet mein Name D und nicht wie in ihrem Fax C.) machte der Angeklagte mit der Einleitung „Mein Kommentar zu ihrer Epistel“ deutlich, dass es ihm nunmehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Staatsanwaltes im laufenden Strafvollstreckungsverfahren geht. Nach dem Kontext bezieht sich der Rest des Satzes („ich möchte das Zitat von Götz von Berlichingen nicht verfälschen, aber sie wissen was sie mich dürfen“) maßgeblich auf die dienstlichen Ausführungen des Staatsanwaltes und nicht auf dessen Person. Diese Auslegung wird zudem durch die höfliche Grußformel gestützt, die den Brief abschließt. Selbst wenn man den Einschub „gelobt sei Jesus Christus“ als Zeichen von Ironie und Überspitzung verstünde, ist darin – auch in der Gesamtschau – keine Herabwürdigung der Person des Staatsanwalts zu erblicken.
Nimmt man hinzu, dass der Angeklagte nach seiner inhaltlich nicht angezweifelten Einlassung „mit allem abgeschlossen“ hat und der Ansicht ist, man fordere ihn allein wegen der Gesetzesänderung zur Sicherungsverwahrung jetzt regelmäßig zur Mitwirkung auf, nachdem er „nach seiner Verurteilung 10 Jahre liegen gelassen“ worden sei, wird deutlich, dass er gerade nicht den Staatsanwalt in seiner Ehre angreifen wollte. All dies legt vielmehr nahe, dass der Angeklagte angesichts seiner Situation eine nachvollziehbare Ohnmacht gegenüber den Strafvollstreckungsorganen empfindet, sich nicht als Subjekt wahrgenommen fühlt und schlichtweg seine Resignation zum Ausdruck brachte.
Umgekehrt enthalten die Urteilsfeststellungen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Annahme, die Äußerung ziele auf die Ehre des Adressaten. Weder ist der schriftlichen Äußerung des Angeklagten im Kontext das Ansinnen zu entnehmen, der Staatsanwalt möge der in dem Zitat enthaltenen Aufforderung tatsächlich nachkommen, noch unterstellt sie ihm, er könne an der Aufforderung Gefallen finden oder setzt den Staatsanwalt als Person in sonstiger Weise herab. Damit stellt die Äußerung des Angeklagten zwar unzweifelhaft eine Unhöflichkeit dar und ist als unangemessen zu bezeichnen, sie kann aber unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht als strafbare Beleidigung verstanden werden. Es ist nicht Zielsetzung des Beleidigungstatbestands, den Einzelnen vor bloßer Ungehörigkeit zu schützen.
2.
Da die Aufhebung des Schuldspruchs wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf den rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt erfolgt und ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung zu erkennen ist, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden.
Die tatrichterlichen Feststellungen vermitteln ein hinreichend vollständiges Bild des verfahrensgegenständlichen Geschehens und erfassen dabei alle für die materiell-rechtliche Bewertung des Sachverhalts maßgeblichen Umstände. (vgl. dazu Senat NJW 1984, 1979 [1980]; SenE v. 29.12.1999 – Ss 568/99 -; SenE v. 18.06.2002 – Ss 166/02 -; SenE v. 04.03.2008 – 82 Ss 5/08 -; SenE v. 04.01.2013 – III-1 RVs 264/12-; SenE v. 11.09.15 – III-1 RVs 131 und 136/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 354 Rdnr. 3 m. w. Nachw.; Gericke in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 354 Rdnr. 3 m. w. Nachw.). Die Ermittlung des Aussagegehalts müsste nur dann dem Tatrichter vorbehalten bleiben, wenn die Äußerung mehrdeutig wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Es fehlt jede Grundlage für die Annahme, dass eine rechtsfehlerfreie Deutung auch zu dem Ergebnis führen könnte, dass sich der Aussageinhalt nicht nur gegen die dienstlichen Ausführungen des Staatsanwalts, sondern darüber hinaus gegen ihn persönlich richtet. Angesichts des überschaubaren Sachverhalts schließt der Senat insbesondere aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen getroffen werden könnten, die geeignet wären, die Äußerung des Angeklagten als Beleidigung erscheinen zu lassen.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.